Ein Event als Atempause: XI. Olympiade in Berlin 1936
von Andreas Schäfer ,
Dem Autor Oliver Hilmes ist mit „Berlin 1936“ ein Buch gelungen, das auf jeden Eventmanagers Nachttisch liegen und natürlich auch gelesen werden sollte. Es erzählt die 16 Tage im August, in der die XI. Olympiade den meisten Menschen in Berlin eine Atempause vom wachsenden Naziterror verschaffte und der Welt die Botschaft eines mächtigen Deutschlands um die Ohren geschlagen werden sollte.
Die Olympischen Spiele sind den Nazis in den Schoß gefallen. Propagandistisch haben sie diese ausgequetscht wie eine Zitrone. Dafür haben sie die Besten aufgeboten, die das Reich noch zu bieten hatte, denn die Besseren hatten dieses bereits verlassen oder saßen hinter Zäunen und Gittern. Die Nazis wollten beeindrucken und das haben sie geschafft. Wie sehr es ihnen darum ging, ihr Bild von Stärke in die Welt hinauszuposaunen, ist mit den Leni-Riefenstahl-Streifen des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda noch immer nachzuvollziehen.
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Oliver Hilmes erzählt die anderen Geschichten, die, welche die Kameras von Hans Ertl und mehreren Dutzend anderen Kamerakollegen nicht erzählen. Er erzählt die Geschichten einer Stadt, in der der Druck wegen der ausländischen Besucher gelockert wurde: für 16 Tage. Für Hitler und seine Schergen war klar, dass diese Olympiade nur ein einmaliges Event war, er würde nur noch seine eigenen gigantischen Spiele in Nürnberg, dem gigantomanischen Aufmarschplatz der Bewegung, abhalten. Olympische Idee ade.
Die voluminösen Events, Partys und Empfänge, die Goebbels, Ribbentrop oder Göring veranstalteten, hatten mit der olympischen Idee kaum noch etwas gemeinsam. Dabeisein ist alles? Auch auf der Pfaueninsel, zu der Pioniere der Wehrmacht extra eine Brücke bauten, damit Josef Goebbels Gäste trockenen Fußes über die Havel schreiten konnten, wurden gewaltige Event-Geschütze aufgefahren. Das Wetter spielte mit. 2.700 verlesene Gäste wurden aufs Feinste versorgt. Das Feuerwerk färbte den Nachthimmel minutenlang blutrot. Ein Menetekel.
Aber noch zeigte Berlin sich von der Schokoladenseite. Es gab noch die Bars und Restaurants und Tanzpaläste, die den Ruf der Stadt in den goldenen Zwanzigern als Nabel der feiernden Welt begründeten. Das Quartier Latin war auch 1936 der Treffpunkt der Schönen und Reichen, in der Ciro-Bar konnte man sich amüsieren, in der Sherbini Bar spielte man die Musik amerikanischer Juden, dort störte sich niemand daran. Auch auf der Dachterrasse des mondänen Hotels Eden wurde getanzt. Das Delphi war noch kein Kino, sondern ein Tanzpalast, in dem Teddy Staufer für den Sommer 1936 swingte. „Goody Goody“, so Hilmes, war der Soundtrack dieses Sommers. Und das Horcher in der Lutherstraße war der Tempel für alle nationalen wie internationalen Gourmets. Es flüchtete dann vor dem Endkampf 1944 nach Madrid, wo es heute noch existiert. Göring soll bei diesem Exodus mitgeholfen haben. Von all dem konnten die Insassen des 1936 parallel zu Olympia errichteten Konzentrationslagers Sachsenhausen im Nahen Oranienburg nur träumen.
16 Tage Giga-Event Olympia unter den Nazis
Oliver Hilmes ist es gelungen, die bekannten Leni Riefenstahl-Bilder in meinem Kopf zu ersetzen, in dem er sehr menschliche Geschichten erzählt und diese in einen historischen wie politischen Kontext – aber auch in einen Alltagskontext – setzt. Er beschreibt viel mehr als die eigentlich läppische Geschichte von der Erfindung des Fackellaufes durch die Nazis. Er schreibt über die Feiern und Feste. In 16 Kapiteln erzählt er von Athleten und Berliner Originalen, von Gästen und Machern. Es gelingt ihm, diesen „16 Tagen im August“ Leben einzuhauchen, und dabei vermittelt er jede Menge Details und Hintergründe um dieses Giga-Event.
Ich finde es sehr bedauerlich, dass es das demokratische Deutschland nicht mehr schafft, eine Olympiabewerbung auf die Beine zu stellen. Ich hätte gerne gesehen, wie eine Olympiabewerbung des demokratischen Berlins für 2024 ausgesehen hätte, und hätte die Spiele gerne dort mitgefeiert. Aber auch aus Hamburg 2024 wurde nichts und aus München 2018 auch nichts. Die Bürger wurden befragt und schüttelten die Köpfe. Schade, denn eine Olympiade ist eine tolle Möglichkeit zur Identifikation in einem internationalen und egalitären Kontext. Da haben die Bürgerinnen und Bürger an der Isar und Elbe, die befragt wurden, für lange Zeit Schluss mit gemacht. Ich erinnere mich noch gut an den heiteren Teil der Spiele 1972, wie auch an die WM 2006 oder die EXPO2000 in Hannover. Die haben unserem Land und auch der Demokratie gut getan. Und „Die Welt zu Gast bei Freunden“ war nicht der schlechteste Claim für das Deutschland, das sich 70 Jahre zuvor schon direkt nach Olympia darauf vorbereitete, sich die ganze Welt zum Feind zu machen.