von Andreas Schäfer, Oliver Forst, Artikel aus dem Archiv
Peter Friedrich Stephan (Jahrgang 59) ist Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Dort hat er in zwanzig Jahren viele Kreative ausgebildet. Er ist Designer und Berater, Forscher und Musiker. Er hat Unternehmenskommunikation konzipiert, multimediale Produktionen gestaltet und Avantgarde Musik gemacht. Im Gespräch mit EVENT PARTNER erläutert er, was Kreativität im postdigitalen Zeitalter bedeutet.
In einem Interview mit der Event Partner von 2001 hat Prof. Dr. Peter Friedrich Stephan die Bedeutung von Partizipation im Web vorausgesehen. Damals hieß sein Lehrstuhl „Elektronisches Publizieren, Multimedia, Netze”, heute ist er Professor für „Transformation Design“. Das Postdigitale ist nun ein Schwerpunkt seiner Forschung. Und das kann durchaus Auswirkungen auf die Live-Kommunikation haben.
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Unser letztes Interview mit Ihnen ist über 16 Jahre her. Inwieweit hat die Digitalisierung Einfluss auf die Kreativität genommen?
Kreativität wächst wohl am besten an Widerständen, doch das Digitale verspricht eher das Gegenteil: alles soll wie von selbst gehen. Im Digitalen wird sämtliche greifbare Geschichte vergegenwärtigt und das blockiert vielleicht bei Manchem die Vorstellungskräfte für das Neue. Es erscheint mir ohnehin fragwürdig, Kreativität nur als positives Vermögen auffassen zu wollen, denn die Kreativsten sitzen heute wohl in der Finanzwelt oder beim Militär. Doch im Digitalen können sich ungeahnte Konstellationen von Menschen und Ideen ergeben. Gefragt ist hier die Fähigkeit, zwischen Inspiration und Irritation zu navigieren.
Was hat in den letzten Jahren den größten Einfluss gehabt?
Für die Agenturszene sind es wohl die Geschäftsstrukturen, die Businessmodelle. Es geht heute sehr viel schneller, Geschäfte zu machen, es geht aber auch schneller, sie zu verlieren. Früher zählte die große, eingeführte Agentur mit den entsprechenden Ebenen und gesetzten Etats mit langen Laufzeiten von Partnerschaften. Heute sehen wir mehr ad hoc Verbindungen von Kreativen.
Es sind ja viele Eventagenturen auf der Strecke geblieben.
Ja, da gab es großes Stühlerücken aller Orten. Viele, die Kreativität einkaufen, versuchen neue Wege zu gehen. Sie können Plattformen im Netz nutzen, wo in einem Open-Innovation-Prozess eine Crowd an allen möglichen Gewerken arbeitet, wie etwa bei jovoto.com. Diese informellen Verhältnisse müssen aber vernünftig gesteuert werden, was nicht ganz einfach ist. Vertrauen bildet sich nur über Zeit und zwischen Personen, es bleibt halt doch ein people´s business. Auch größere Etats gehen schon mal an nur eine Person oder an ein kleines Netz, wobei solche Leute häufig früher in führender Position in großen Agenturen gearbeitet haben und heute die neuen Freiräume nutzen. Kluge Entscheider sind darauf aufmerksam geworden und suchen auch in Szenen wie Coworking-Spaces, um neue Talente zu finden.
Was macht Innovation aus?
Mit Innovation meinen wir heute meist nicht die kleine, kontinuierliche Verbesserung, sondern das nächste große Ding. Überall erleben wir disruptive Wechsel, also einen plötzlichen Umschlag der Verhältnisse, womit enorme Chancen und Risiken verbunden sind. Insofern ist Innovation zu einem kreativen Imperativ geworden, zu dem viel Beratung nachgefragt wird – von Design-Thinking bis zu Business-Canvas. Allerdings sind dann später häufig nur Scheininnovationen zu sehen, während der traditionelle Betrieb weiterläuft, solange es eben noch geht. Es ist zwar gut, Kreativität und Beweglichkeit zu steigern, wie es das Design-Thinking tut. Doch die Perspektive muss bis hin zu den strategischen Fragen der Unternehmen und dem gesellschaftlichen Kontext noch viel umfassender werden.
Ein Bankvorstand sagte neulich: Vielleicht sind wir bald gar keine Bank mehr. Mit einer solchen Haltung können neue Denk- und Handlungsmöglichkeiten antizipiert werden. Branchen wie Banking, Mobilität oder Gesundheit müssen sich diesen Fragen stellen, und das Transformation Design kann sie dabei beraten. Die Frage an die Kreativen lautet aber: Wie stellen wir uns auf diese Dimensionen ein? Dazu gibt es gerade einen intensiven und internationalen Austausch. Es ist kein Zufall, dass McKinsey und andere Berater in den letzten Jahren verstärkt Designkompetenz eingekauft haben.
Was halten Sie für die größte technologische Entwicklung der letzten zehn Jahre?
Da müssen wir leider mit den Enttäuschungen anfangen (lacht). Der intelligente Pflegeroboter zum Beispiel. Es gibt so Zombies, die seit Jahrzehnten als das nächste große Ding herumgereicht werden. Aber das hebt nie ab. Jetzt reden wieder alle von Künstlicher Intelligenz, nachdem das schon zigfach beerdigt wurde. Das allgegenwärtig Digitale und das Postdigitale kann man nicht mehr unterscheiden. Bits und Atome sind untrennbar verbunden und ihre Verhältnisse unterliegen knallharten Macht- und Politikinteressen. Wie sind wir von dieser Politik der hybriden Dinge betroffen? Können wir als Kreative überhaupt noch eingreifen oder muss hier jede Gestaltungsabsicht versagen?
Sehen Sie etwas aus dem Bereich der Digitalisierung, das den Eventbereich in den letzten Jahren besonders verändert hat? Wir waren uns vor über 16 Jahren ja einig, dass die digitale Welt die Eventwelt nicht abschafft, sondern ergänzt, was ja dann tatsächlich passiert ist. Es ist sichtbar, dass die menschliche Performance durch digitale ersetzt wurde. Viele Künstler sind arbeitslos geworden und stattdessen werden auf LED-Panels bunte, schnelle Filme abgefackelt.
Es gibt aber auch das Bedürfnis nach mehr direktem Austausch, etwa bei der internen Unternehmenskommunikation – trotz aller Plattformen. Wir haben beispielsweise gute Erfahrungen gemacht mit einem Live-Event zur Beteiligung der Mitarbeiter an der Erstellung eines Leitbilds. Doch Menschen sind extrem flexibel, was ihre Projektionen auf Dinge und Maschinen betrifft. Das haben wir schon beim Tamagotchi erlebt und die Verschränkung von Real und Virtuell nimmt überall weiter zu, sei es bei Avataren, im Verkehr oder in der Medizin. In Saudi-Arabien hat ja gerade ein Roboter Bürgerrechte bekommen. Vielleicht entstehen in anderen Weltgegenden ganz neue, soziotechnische Dynamiken, die dann gesellschaftsprägend werden. Europa wird wohl mehr Widerstände für solche Entwicklungen bieten, und ich sage: Zum Glück! Aber künftige Studierende sehen das vielleicht schon anders.
Sind Ihre Studenten denn noch an Live-Kommunikation interessiert?
Immer mehr! Da sehe ich gerade bei den ganz jungen eine Entwicklung weg vom Digitalen. Die wollen endlich mal eine authentische Erfahrung machen. In der Farbe rühren, auf die Pauke hauen! Das Digitale findet zwar im Alltag statt, wird aber häufig als trivial erlebt. Wer mit jugendlicher Euphorie und Radikalität etwas ganz Neues machen will, stößt sich vom Digitalen eher ab oder taucht so tief ein, dass er am anderen Ende beim Material wieder rauskommt. Prothetik zum Beispiel ist in der kulturwissenschaftlichen Forschung ein großes Thema. Wir versuchen, uns dem auch ganz praktisch zu nähern. Neben den Künstlern und Designern arbeiten dann vielleicht Mikrobiologen.
Gibt es überhaupt noch eine Chance, in die Zukunft zu blicken?
Viele haben Angst vor der neuen Dynamik von Technik, Migration und Globalisierung, vor allem im überalterten Deutschland. Und das aus guten Gründen, denn die damit verbundenen Fragen lassen sich nicht durch noch mehr Technik beantworten. Fragen nach Sinn und Werten, Sicherheit und Vertrauen wurden einst von Religion, Philosophie und Kunst behandelt, die wir uns gerne als der Technik und der Ökonomie entgegengesetzt vorstellen. Früher sprach man vom militärisch-industriellen Komplex, der als Gegner gesehen wurde. Doch heute ist die Kulturindustrie untrennbar damit verbunden. Transformation Design akzeptiert diese Voraussetzung und denkt die ökonomischen und technischen Voraussetzungen mit. Für Wohnen, Essen, Bildung, Mobilität und so weiter müssen neue kulturelle Formen gestaltet werden. So fragen wir etwa in unserer Beratung von Banken: How to design trust?