Die Fähigkeit des Ungehorsams: Künstliche Intelligenz und Kreativität
Künstliche Intelligenz in der Eventbranche
von Andreas Schäfer,
Im Oktober 2018 wurde beim Auktionshaus Christie’s in New York ein Porträt der Pariser Künstlergruppe „Obvious“ für über 400.000 Dollar versteigert, das nur bedingt menschlichen Ursprungs ist. Die Gruppe nutzte einen Open-Source-Algorithmus des 19-jährigen Programmierers Robbie Barrat alias @DrBeef_, mit dem ein Computer ein Porträt im Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts malte. Neben der Urheberrechtsfrage stellt sich die Gretchenfrage, war das kreativ? Oder auch war das intelligent?
Für den 2018 verstorbenen Physiker Stephen Hawking ist Intelligenz die Fähigkeit zur Veränderung. In seinem nachgelassenen Werk „Kurze Antworten auf große Fragen“ (Klett-Cotta, ISBN 978-3-608-96376-2) widmet er der Künstlichen Intelligenz ein ganzes Kapitel. Die bisherige KI-Forschung hat sich demgemäß auf Systeme konzentriert, die eine bestimmte Umgebung wahrnehmen und darin agieren. In diesem Kontext bescheidet sich KI noch darauf, gute Entscheidungen zu treffen, Pläne zu entwickeln oder Schlüsse zu ziehen. Aber was ist, wenn KI tatsächlich kreativ wird, evolutionäre Sprünge macht und sich von der sklavisch durchzurechnenden Aufgabe löst? Darin stecken natürlich auch Gefahren.
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Autonome Waffensysteme sind nur einer der problematischen Punkte, die der polnische Science-Fiktion-Autor Stanisław Lem schon 1983 genau vorhersah („Waffensysteme des 21. Jahrhunderts“, Suhrkamp 1983). Überhaupt sah Lem einiges Richtiges voraus. In „Summa technologiae“ (Suhrkamp, ISBN: 978-3-518-37178-7), ursprünglich von 1964, finden wir bereits solche Voraussagen. Lem beschrieb Virtuelle Realität, Nanotechnologie und Künstliche Intelligenz, die er „Intellektronik“ nannte. Seine Wortkreationen unterscheiden sich von denen der englischsprachigen Welt, Lem war lange im Ostblock isoliert. Desto mehr erstaunt seine visionäre Kraft. Nach Lems Opus Magnus verlaufen technologische Entwicklungen evolutionär, sind aber zum Sprung auf eine neue Stufe fähig.
Datensammeln, Auswerten, Deep Learning
Welche genauen Entwicklungen KI nimmt, lässt sich aber nicht voraussehen. Sie wird aber wahrscheinlich anders aussehen, als wir es erwarten. Für Florian Gallwitz, Professor für Medieninformatik an der Technischen Hochschule Nürnberg, werden wir 2019 noch nicht mit einer Künstlichen Intelligenz rechnen können, die diesen Namen verdiene, schrieb er kürzlich für „Wired“. Bislang geht es tatsächlich noch um Datensammeln, Auswerten, Deep Learning. Das führte unter anderem zur besseren Spracheingabe oder zur Analyse von bös- und gutartigen Hautveränderungen. Für Gallwitz wird es noch dauern, bis die Maschine das neuronale Netz des Menschen einholt oder überholt.
Künstliche Intelligenz wird aber in nicht allzu ferner Zeit etliche Jobs killen, die bisher von Menschen verrichtet werden. Richard David Precht beschäftigt sich mit den Auswirkungen auf die Gesellschaft, die man mitdenken sollte („Jäger, Hirten, Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft.“, Goldmann, ISBN 978-3-442-31501-7). Folgt man dem amerikanischen Anthropologen David Graeber, ist ein Drittel unserer Jobs sowieso sinnlos. Die Entlastung des Menschen durch Roboter brachte also der Menschheit bislang nicht mehr Freizeit, sondern zu viel Arbeit ohne Nutzen. Das erklärte er dem österreichischen Standard unlängst in einem Interview.
(Bild: Pexels)
Konzept-Crawler für die Kreativbranche
Die Sinnfrage wird vermehrt durch Künstliche Intelligenz gestellt werden. Das betrifft auch die Eventbranche, die diese Frage vermehrt beantworten müssen wird. Tobias Stupeler, bis März 2019 Kreativchef bei Uniplan GmbH & Co. KG und danach freier Creative Director, nimmt es mit Humor: „Manchmal wünsche ich mir, dass es eine Art Konzept-Crawler gibt, der sich permanent durch unseren Server buddelt. Mit ein paar Stichwörtern aus dem Briefing gefüttert, findet er ähnliche Themenstellungen bzw. Ideen aus alten, längst vergessenen Konzepten wieder und speist sie in den Denkprozess des Kreativteams ein. Ein Düsentriebsches Konzepthelferlein, das wär’s!“ Und damit wären wir wieder beim aktuellen Stand der KI: Datensammeln, Auswerten.
Professor Lutz Becker, Studiendekan Sustainable Marketing & Leadership an der Hochschule Fresenius in Köln, unterscheidet zwischen starker und schwacher KI: „Wir sind im Moment allenfalls bei schwacher KI angekommen. Unsere Rechner können immer komplexere Zusammenhänge simulieren, zum anderen kann KI lernen und daraus Schlüsse ziehen. Das heißt, dass wir zurzeit noch von Optimierung nach bestehenden Spielregeln sprechen. Das hat in meinem Verständnis erstmal nichts mit Kreativität zu tun, die ja gerade eine Abweichung von der Norm und von dem ist, was bis zum Zeitpunkt des kreativen Aktes als normal oder gar optimal angesehen wurde. Im Grunde handelt es sich bei kreativen Akten um ‚Mutationen‘ oder ‚Variationen‘ in gesellschaftlich-kulturellen Systemen, die dann im Sinne einer positiven Selektionsleistung gesellschaftliche Anschlussfähigkeit finden bzw. wenigstens im kulturellen ‚Stock‘ einer Gesellschaft eingelagert oder einfach weg-selektiert werden.“
Für Professor Becker kann der Rechner zwar solche Variationen am Fließband produzieren, das habe aber nichts mit Kreativität zu tun, weil es ihm zunächst noch nicht gelingen wird, Spielregeln in Frage zu stellen. Das kann sich bei starker KI sehr schnell ändern. Ob allerdings starke KI menschliche Kreativität erreichen wird, wagt er zu bezweifeln. Starke KI wird ihre ganz eigenen Evolutionspfade beschreiten, die wahrscheinlich nicht viel mit den Eigenschaften zu tun haben werden, die wir Menschen zuschreiben. Sie wird ihr eigenes kulturelles Paralleluniversum erzeugen. Ob wir Menschen darin noch anschlussfähig sein werden, ist eine ganz andere Frage, so Becker.
(Bild: Pixabay)
Keine Angst vor KI
Und damit wären wir bei der Frage der Schnittstellen angelangt und ob der Mensch und starke KI sich überhaupt noch verstehen. Was ist also, wenn dem Bewusstsein der unbedingte freie Wille angekoppelt wäre. Also die Fähigkeit zum Ungehorsam! Peter Friedrich Stephan, Professor für Transformation Design an der Kunsthochschule für Medien Köln, hat keine Angst: „Endlich ist sie da, eine Technik, die uns die sogenannte intelligente Arbeit abnimmt: Sortieren, Muster erkennen, Bewertungen erstellen. Warum sollten wir das vermissen? Schon ein Laptop, der mich seit Jahren begleitet, sollte doch in der Lage sein, mir als Gesprächspartner produktivere Dialoge anzubieten als die meisten Zeitgenossen.“
Wer Angst vor KI habe, wähne sich wohl schon am Ende seiner Möglichkeiten und rechne damit, bald ersetzt zu werden. Doch alles, was die Maschine (noch) nicht kann, wird im Zeitalter der KI aufgewertet: Ideen und Poesie, Kreativität und Innovation. Wie jede andere Technik zuvor (Energie, Mobilität, Gendesign) muss auch die KI gesellschaftlich domestiziert werden. Das werde aber kaum vom Sachverstand politischer Gremien zu leisten sein. Es brauche dafür Experten und ihre Expertensysteme. So wird sich die KI wohl letztlich selbst beurteilen. Professor Peter Friedrich Stephan ist jedenfalls zuversichtlich.
Also dann: weniger Schemata und Ablaufpläne schreiben, das macht die intelligente Dose, und mehr Poesie entfalten und Sinn stiften. Das wäre doch eine tolle Chance für unsere Branche.