Michael Ballhaus ist ein Meister seines Faches, ein großer Künstler und ein exzellenter Handwerker. Erst drehte er mit den besten Regisseuren, die in Deutschland das Kino erneuerten, dann ging er nach Hollywood, wo er seine beindruckende Laufbahn als Weltkarriere fortsetzte. Mit „Bilder im Kopf“ erschien seine Autobiografie, die über das Kamera- oder Filmhandwerk hinaus nützliche Einblicke für jeden bietet, der in einem Kreativgewerbe tätig ist. Man blickt doch ganz gerne hinter die Kulissen der ganz Großen.
Der FAZ-am-Sonntag-Kulturchef Claudius Seidl hat am Buch mitgeschrieben. Beim Abschluss der lit.Cologne im ausverkauften großen Sendesaal des WDR war es ihm vorbehalten, ein Gespräch mit Michael Ballhaus und Günter Lamprecht zu moderieren, der aus dem Ballhaus-Buch vorlas. Denn das Lesen fällt dem ewigen Augenmenschen Ballhaus mittlerweile schwer. Die Augen machen nicht mehr mit. Da saßen sie also, die zwei großen alten Gentlemen des deutschen Kinos, die vor vierzig Jahren zusammen diesen visionären Streifen „Welt am Draht“ mit dem ätzenden Genie Rainer Werner Fassbinder drehten. Einen Film, der „Matrix“ vorwegnahm, und auch bei der letztjährigen Fernsehausstrahlung alles andere als altbacken wirkte. Wie ist das, bei solchen Sternstunden dabei zu sein? Anstrengend, denn Rainer Werner Fassbinder war anstrengend. Er war ungerecht, launisch, ein großer verzogener Bub. Aber er war genial. Er forderte Ballhaus heraus. Eine 180°-Fahrt mit der Kamera um das Paar Margit Carstensen und Karlheinz Böhm war dem Regisseurmonster bei „Martha“ nicht genug. Er wollte einen vollständigen Kreis. Der Ballhaus-Kreisel war geboren und wurde auch in den USA zum Markenzeichen. Man sollte Herausforderungen und Begegnungen nicht aus dem Wege gehen.
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Für Michael Ballhaus ist klar, „dass man Geschmack, Inspiration und den Sinn für Schönheit nicht lernen kann“. Aber das Handwerk schon. Inspiration muss einem das Leben beibringen. Und da gehört es für jeden ernstzunehmenden Künstler dazu, dass man die Kerze auch mal von beiden Seiten brennen lässt. Dann muss man jedoch den Absprung schaffen. Ballhaus stieß als gestandener Fernsehkameramann mit eigener Familie zu der Filmersatzfamilie Fassbinders. Die hat ihm Stabilität und die Unabhängigkeit gegeben, die ein Künstler braucht, um zu überleben.
Das Selbstbewusstsein von den Besten zu lernen
Michael Ballhaus strahlt eine große Ruhe aus. Das kann man am Set gut gebrauchen. Die eigene Unsicherheit sollte man nicht als Misstrauen auf alle anderen übertragen. Können gibt einem die Ruhe, die einem Team gut tut. Event und Film sind beides Teamarbeit. Ballhaus hatte das Selbstbewusstsein, mit den Besten zusammenzuarbeiten. Warum auch nicht? Durch Begegnungen kann man immer lernen. Die Nähe der Meister sollte man nutzen, wenn immer sich eine Gelegenheit dazu bietet. Und dafür nimmt man auch mal in Kauf, wenn ein Künstler nicht so einfach ist. So wie Martin Scorsese. Der zweifelt ständig am eigenen Werk. Selbst bei „Departed“, dem Streifen, der den ersehnten Oscar in der Kategorie „Bester Film“ brachte. Der Oscar für die beste „Cinematography“, ist dagegen eine Auszeichnung, die Ballhaus noch fehlt. Nominiert war er dafür mehrfach. Immerhin: 2001 erhielt er einen der wichtigsten Designpreise weltweit, den Lucky Strike Designer Award.
Dass es zu dieser zwanzigjährigen erfolgreichen Zusammenarbeit mit Martin Scorsese kam, hat Michael Ballhaus dem schnellen Arbeiten mit den vergleichsweise geringen Budgets bei Fassbinder zu verdanken. Was diese beiden filmisch an Bildern zustande brachten, ist auch heute noch erstaunlich. Die Bilder wurden nicht direkt in die Linse, sondern über Reflexionen oder Schatten eingefangen. Sie entfesselten die Kamera. Bei Ballhaus begannen die Bilder zu tanzen.
Er drehte dann mit Scorsese „Die Zeit nach Mitternacht“, einen Low-Budget-Film einer atemberaubenden Reise durch die nächtliche urbane Subkultur New Yorks. 1986 gab es für dieses Budgetleichgewicht gleich den Regiepreis in Cannes. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Bei den Dreharbeiten zu „Gangs of New York“ kam Ballhaus seine lösungsorientierte Art erneut zugute. In Rom waren die großen amerikanischen Kamerakräne nicht zu haben. Ballhaus fand eine Lösung mit Seilzug statt Kran: „Und ich glaube, was vielleicht naiv ist, dass sich diese Freude, die wir an dieser Lösung hatten, dem Zuschauer anders mitteilt, als wenn sie einfach dabei zusähen, wie noch mehr Geld die ganze Sache in Bewegung hält.“ Das ist natürlich alles andere als naiv.
Denn die professionelle Lust bei einer Arbeit überträgt sich immer auf die Qualität eines Produktes. Die macht weder vor der Kameralinse noch vor der Bühnenkante halt. Es macht Spaß, Ballhaus über die Schulter zu schauen. Und schwierige Bedingungen führen manchmal zu besonders guten Ergebnissen. In „Bilder im Kopf“ erfährt man, wie es dazu kam, eine der längsten Einstellungen der jüngeren Filmgeschichte zu drehen. In „Goodfellas“ betreten Ray Liotta und Karen Hill einen Nachtclub durch einen Nebeneingang. Die dreiminutenlange Einstellung ohne Schnitt musste sieben Mal gedreht werden, aber sie erzählt mehr über die Psychologie der Figuren, als es viele Worte könnten. Die Mühe, die es macht, die Konvention (im Film die von Schnitt und Gegenschnitt) zu verlassen, machte sich für diesen grandiosen Film bezahlt. Dieses Stück Filmgeschichte ist auch bekannt als „The Copacabana Shot“.
So entfesselt zu arbeiten, setzt präzise Planung und Disziplin voraus. Dazu ist eine strenge Choreographie für Schauspieler wie Techniker nötig. Damit diese gelingt, braucht sie aber auch Vorstellungsvermögen und Fantasie. Und sie braucht eine Vision. Events sind im Verständnis mancher Performancekünstler Begegnungschoreographien. Das heißt, sie brauchen die gleichen Zutaten. „Bilder im Kopf“ sind da nicht verkehrt.