Ein Event wird abgesagt, aufgrund von Verboten oder weil sich die Durchführung pandemiebedingt nicht lohnt. Ist es zumutbar, dass trotzdem alles bezahlt werden muss? Wer muss letzten Endes das Risiko dafür tragen, dass ein Vertrag nutzlos wird, weil seine Grundlage weggefallen ist?
(Bild: ampcool/Shutterstock)
Die Corona-Pandemie hat das juristische Phänomen der Höheren Gewalt in den Fokus gerückt. Noch immer aber wird mit diesem Begriff zu schnell um sich geworfen, wenn eine Veranstaltung nicht oder nicht wie geplant stattfinden kann. Denn die Höhere Gewalt selbst kommt weniger oft ins Spiel, als man denkt. Dafür gibt es einen anderen Begriff, der in den meisten Fällen eine Rolle spielt und noch immer unterschätzt wird: der Wegfall der Geschäftsgrundlage.
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Aber von vorne. Gehen wir einmal davon aus, dass ein Veranstalter eine Veranstaltung plant. Dazu mietet er eine Location und beauftragt diverse Dienstleister. Aufgrund der Pandemie wird diese Veranstaltung verboten und kann nicht stattfinden. Liegt nun Höhere Gewalt vor? Jain, oder wie der Anwalt auch gerne sagt: „Es kommt darauf an.“ Tatsächlich kommt es darauf an, ob es ein Ereignis gab, das unvorhersehbar und von keiner Vertragspartei verschuldet eingetreten ist und eine der vertraglich geschuldeten Leistungen unmöglich gemacht hat.
Übertragen auf unseren Beispielsfall heißt das: Wir gehen der Einfachheit halber mal nicht genauer darauf ein, was eigentlich genau das Ereignis ist (die Pandemie oder das aus ihr folgende Verbot?) und ob in der aktuellen Zeit eine Nichtdurchführbarkeit vorhersehbar oder unvorhersehbar ist. Wenn wir wissen wollen, ob Höhere Gewalt greift, dann müssen wir (1.) jeden Vertrag und (2.) die dort vereinbarten geschuldeten Leistungen anschauen. Das heißt, es kann durchaus sein, dass wir innerhalb der verschiedenen Vertragsverhältnisse zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Beispiel 1: Der Veranstalter hat Tickets verkauft
Der Veranstalter schuldet in dem Vertrag mit dem/der Besucher:in die „Veranstaltung“, der/die Besucher:in schuldet Geld. Durch das pandemiebedingte Veranstaltungsverbot ist die geschuldete Leistung des Veranstalters unmöglich geworden. (Der Vollständigkeit halber: Die Leistungspflicht des/der Besucher:in – Geld zahlen – ist weiterhin möglich.)
Hier macht also die Höhere Gewalt die eine der beiden Leistungen – nämlich die Lieferung der Veranstaltung – unmöglich. Der Vertrag zwischen Veranstalter und Besucher:in wird also von der Höheren Gewalt unmittelbar getroffen. Die Rechtsfolge in Kurzform: Der Veranstalter muss die Veranstaltung nicht mehr „liefern“. Im Gegenzug aber muss dann auch der/der Besucher:in nichts bezahlen. Etwaige Vorleistungen durch beispielsweise den Vorverkauf müsste der Veranstalter wieder zurückbezahlen.
Beispiel 2: Der Veranstalter hat eine Location gemietet
Schauen wir uns beispielhaft einen zweiten Vertrag im Zusammenhang mit der Veranstaltung an, den Mietvertrag über die Location. Hier gibt es auch wieder zwei geschuldete Leistungen: Der Vermieter schuldet die Überlassung von Raum oder Fläche, der Veranstalter als Mieter schuldet die Miete. Ist nun eine der beiden Leistungen vom Veranstaltungsverbot getroffen? Nein. Die Veranstaltung ist zwar verboten, aber der Vermieter kann seinen Raum immer noch überlassen.
Solange also – wie in den Lockdowns in manchen Bundesländern das der Fall war – nicht auch die Öffnung von Einrichtungen bzw. die Überlassung von Veranstaltungsräumen verboten ist, wird in unserem Beispiel der Mietvertrag durch Höhere Gewalt nicht gestört. Die Rechtsfolge: Der Vermieter kann die vereinbarte Miete verlangen. Und der Veranstalter bekommt einen Raum, in dem er aber keine Veranstaltung machen kann.
(Bild: KamiPhotos/Shutterstock)
Wegfall der Geschäftsgrundlage
An dieser Stelle endet auch erstmal die Thematik Höhere Gewalt. Viele Leser:innen werden jetzt aber sagen: Das ist doch unfair! Der Veranstalter kann doch den Raum gar nicht nutzen! Und an dieser Stelle kommt dann der eingangs erwähnte, andere Begriff ins Spiel: der Wegfall der Geschäftsgrundlage. Der ist geregelt in § 313 BGB. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage bedeutet grob gesagt: Wenn der wahre Grund, warum man überhaupt den Vertrag geschlossen hat, nicht mehr besteht, ist zu prüfen, ob den beiden Vertragspartnern noch zugemutet werden kann, trotzdem den Vertrag wie ursprünglich vereinbart durchzuziehen. Ist es also in unserem Beispiel für den Veranstalter zumutbar, dass er die volle Miete bezahlen muss, obwohl er den Raum für die geplante Veranstaltung gar nicht mehr nutzen kann (bzw. darf)?
Risikoverteilung
Ohne jetzt auf die verschiedenen Voraussetzungen des § 313 BGB einzugehen, schauen wir uns den Knackpunkt an: Letztlich dreht sich alles um die sog. Risikoverteilung zwischen den beiden Vertragspartnern. Wer soll letzten Endes das Risiko dafür tragen, dass der Vertrag nutzlos wird, weil seine Grundlage weggefallen ist?
Um das zu beurteilen, prüft man, ob es im Vertrag und/oder im Gesetz Hinweise dafür gibt, wer das Risiko übernommen hat. Aus den 1970er Jahren gibt es ein Urteil des Bundesgerichtshofes, der damals das Risiko einer nutzlosen Miete von Hotelzimmern, wenn die Veranstaltung abgesagt wird, für deren Übernachtung die Hotelzimmer gemietet wurden, alleine dem Mieter aufgebürdet hat. Kürzlich hat das Oberlandesgericht Köln entschieden, dass bei einer pandemiebedingten Absage der Veranstaltung das Ergebnis aber unfair wäre und die Risiken geteilt: Der Mieter die eine Hälfte, der Vermieter (das Hotel) die andere Hälfte, d.h. der Mieter musste nur 50 % der vereinbarten Miete bezahlen.
Zurück zu unserem Beispiel: Eine vertragliche Risikoübernahme durch den Veranstalter könnte etwa sein, wenn er trotz Warnung des Vermieters, die Landesverordnung würde sich in Kürze ändern und man müsse davon ausgehen, dass Veranstaltungen erneut beschränkt würden, den Raum gemietet hat. Das wäre verhältnismäßig eindeutig. Interessant wird es aber, wenn diesbezüglich gar nichts vereinbart wird. Die Gerichte sind sich bisher auch nicht einig. Manche haben entschieden, der Veranstalter müsse die vereinbarte Miete trotzdem bezahlen (= Risiko liegt allein beim Mieter). Andere Gerichte haben entschieden, dass der Vermieter gar nichts verlangen könne (= diese Gerichte haben das Risiko dann voll auf den Vermieter verlagert). Und wieder andere Gerichte haben schließlich entschieden, dass der Mieter nur 50 % bezahlen müsse (das Risiko wurde also hälftig aufgeteilt). Das Kammergericht Berlin hat sich auch der hälftigen Teilung auf beide Vertragspartner angeschlossen, allerdings hat es nicht die vereinbarten Kosten geteilt, sondern nur diejenigen Kosten, die auch tatsächlich angefallen sind.
Man sieht: Wenn man nichts vereinbart und die Veranstaltung abgesagt werden muss, kann es schnell zum Streit kommen, wer was bezahlen soll. Für den Veranstalter kann das wirtschaftlich schnell gefährlich werden, wenn einerseits Einnahmen aus Ticketverkäufen oder auch Sponsoring wegfallen, andererseits aber die Dienstleister Geld fordern – und wenn es auch nur die Zahlung der tatsächlich bereits geleisteten Arbeiten ist. Auch Eventagenturen, die beispielsweise als Generalunternehmer „zwischen den Stühlen sitzen“, können existenziell bedroht werden: Denn auf der einen Seite zahlt schlimmstenfalls der Auftraggeber nicht, aber auf der anderen Seite müssen gegebenenfalls die beauftragten Nachunternehmer bezahlt werden.
Risikovermeidung
Wer dieses Risiko vermeiden will, sollte versuchen, die Thematik Risikoverteilung mit seinem Vertragspartner zu klären. Der Vorteil eines Vertrages: Man diskutiert vorher, muss sich aber bestenfalls hinterher nicht oder weniger streiten. Man könnte zum Beispiel ausdrücklich eine prozentuale Verteilung vereinbaren, ausgehend entweder von den vereinbarten Kosten oder von den tatsächlichen Kosten. Zuvor sollte man die in Betracht kommenden Tatbestände regeln, die zu einer Absage der Veranstaltung führen könnten. Es macht schließlich einen großen Unterschied, ob die Veranstaltung pandemiebedingt verboten wird, oder ob der Veranstalter nur aus einer subjektiven Sorge heraus die Veranstaltung „lieber nicht“ durchführen möchte.
Wie so oft kommt es dabei auf den genauen Wortlaut an. Auch wenn man den Bock nicht zum Gärtner machen sollte, empfehle ich, bei derlei Formulierungen anwaltlichen Rat in Anspruch zu nehmen.
Über den Autor:
Thomas Waetke ist Rechtsanwalt und spezialisiert auf das Veranstaltungsrecht. Er ist Dozent, Buchautor und Herausgeber des Internetportals eventfaq.de. Gerne steht er mit seiner Expertise per E-Mail an info@eventfaq.de zur Verfügung.
vielen Dank für die plausiblen Erklärungen der Rechtslage in diesem Artikel. Sehr hilfreich 🙂