Mercedes auf der IAA 2015: Interview mit Lars Uwe Bleher, Atelier Markgraph
von Andreas Schäfer ,
Die Internationale Automobil-Ausstellung IAA fand 2015 zum 66. Mal in Frankfurt am Main statt. Zwölf Mal in Folge – seit 1993 – hat Mercedes-Benz bei seiner alle zwei Jahre stattfindenden Markeninszenierung auf das Frankfurter Atelier Markgraph als Kommunikationspartner gesetzt. Das ist eine erstaunlich lange Zusammenarbeit für eine Branche, die sich oft im heftigen Wechselfieber befindet. Doch eins ist 2015 neu. Gründer Roland Lambrette hat die Verantwortung für die Kommunikation im Raum an Lars Uwe Bleher übergeben, der seitens Markgraph die Lufthoheit über die 35 Meter hohe Festhalle auf der Frankfurter Messe hatte.
Der Anspruch, den der Autopionier Wilhelm Maybach als Grundlage für sein Werk formulierte, „Das Allerbeste aus dem Allerbesten zu erschaffen!“, steht nicht nur 2015 an der Wand der schwebenden Luxusautoplattform in der Frankfurter Festhalle 2015. Er könnte die Maxime sein, die immer schon über den Mercedes-Messeauftritten auf dieser großen Autogalashow prangte. Zusammen mit der für die Architektur verantwortlichen Stuttgarter Agentur Jangled Nerves (1995–2013: Kauffmann Theilig & Partner) ist Markgraph wieder ein großzügiger Auftritt gelungen, der die deutsche Premiummarke adäquat ins Scheinwerferlicht taucht und zu einem der unumstrittenen Hauptdarsteller auf dem Markt der Aufmerksamkeit macht. Ein zunächst verborgenes überdimensionales Regalsystem voller Neuheiten gibt auch Einblicke in die Vergangenheit mit Typen wie dem Konzeptklassiker C111. Davor präsentieren sich Gegenwart und Zukunft des sternentragenden Automobils in einer multimedialen Fahrshow, die den Karossen ein virtuelles Tempo verleiht, welches sie auf solch kurzen Messewegen trotz starker Motoren gar nicht erschleunigen können. Unter anderem kommt dafür auch eine Spidercam zum Einsatz.
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Die Partnerschaft zwischen Mercedes-Benz und Atelier Markgraph währt schon über 20 Jahre. Das ist ja für die Branche, in der von Event zu Event gearbeitet und ebenso die Agentur ausgesucht wird, ungewöhnlich. Wie kommt es dazu? Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Der eine ist, dass wir zu einer Zeit zu Mercedes-Benz gekommen sind, in der unsere Disziplin erst im Entstehen war. In Kooperation mit dem Auftraggeber haben wir das Feld der Kommunikation im Raum erobern, weiterentwickeln und mit neuen Formaten vorantreiben können. Ein jahrelanger Entwicklungsprozess, in dem wir uns immer wieder in unterschiedlichen Situationen bewähren mussten und der auch ganz schön in unserem Abschneiden bei Awards dokumentiert ist. Außerdem sind wir ja für Mercedes-Benz überwiegend in der Messe- und Ausstellungsgestaltung und weniger im Event-Design tätig. Da ist es so angelegt, dass man längerfristig und strategisch denkt.
Es hat ja auch große Vorteile für Firmen, wenn sie sich länger an jemanden binden. Unsere Konzeption-Redaktion beispielsweise ist ein wahrer Think Tank für Automobilwissen, die Architekten und Exponatdesigner haben jahrelange Erfahrung in den spezifischen Anforderungen, die die räumliche und mediale Inszenierung von Automobilen mit sich bringt. In langen Partnerschaften wie dieser spielt der Auftraggeber eine große Rolle, dass er das Vertrauen in uns hat und dass Markgraph sich auch immer offen gezeigt hat, in unterschiedlichen Kooperationen mit vielzähligen Partnern zu agieren. Das ist ein wichtiger Bestandteil unseres Ansatzes. Das ist unserer Meinung nach gelebte Kreativität.
Die Inszenierungen für Mercedes-Benz sind, u. a. natürlich durch die Festhalle bedingt, von Großzügigkeit gekennzeichnet. Das scheint ein durchgehender Faden, eine Philosophie zu sein.
Das war tatsächlich von Beginn an Teil unserer Philosophie und hat sich über die Jahre durch unterschiedliche Faktoren und auch Personen weiterentwickelt. Die Festhalle ist ein Ort, der allein durch die Höhe – 35 Meter bis zur Kuppel – wirkt. Die Großzügigkeit, die Offenheit, die Souveränität, das Raumgefühl, das eine Atmosphäre erzeugt: Das alles stellt ein Alleinstellungsmerkmal dar, das wir für die räumliche Inszenierung natürlich nutzen. Und das unserem Anspruch entgegen kommt, ein ganzheitliches Markenerlebnis und nicht „nur“ einen Messestand zu kreieren.
Das ist für mich wirklich dreidimensional gedacht: Kommunikation im Raum und nicht auf der Fläche.
Natürlich achten wir stets auf die Besonderheiten der Festhalle und darauf, ein neues Bild zu erzeugen. Dieses Jahr hatten die Architekten von Jangled Nerves die tolle Idee, dass man die Rolltreppe ins Atrium hineinlegt und so schon mitten in der Inszenierung hochfährt. Dadurch wurde auch die stets aufkommende Frage nach einer Rolltreppen – bespielung obsolet, weil man beim Hochfahren ein visuelles Menü bekommt von dem, was einem der Ausstellungsrundgang bieten wird.
In der Verschränkung von Besucherweg und Bühneninszenierung sehen wir als Markgraph ein großes Potenzial, das wir nach allen Regeln der Kunst bearbeiten. Martin Pesch, der Konzeptioner, hat dies einmal als ein fast schon eigenes Genre beschrieben. In diesem Jahr haben wir es so angelegt: Man betritt die Festhalle, merkt, okay, das ist ein intensiverer Teil der Show, und lässt sich darauf ein. Dann folgt ein ruhigerer Show-Teil und man geht ein paar Meter in der Ausstellung weiter, bevor man sich vielleicht wieder hinsetzt und dem Geschehen auf der Bühne folgt. Das heißt, dass wirklich ein Pendeln zwischen den zwei kommunikativen Formaten entsteht, die strategisch angelegt sind: dem emotionaleren und dem sachlicheren Part, ein Pendeln zwischen Staunen und Sich-tiefer-Informieren. Die Ausstellung belegt die Botschaften der Bühnenshow durch eigenes haptisches Erleben, durch Gespräche mit den Explainern, durch vertiefende Information.
Die Automobilbranche und die IAA gehören zu den Paradedisziplinen des Eventbusiness und der Kommunikation im Raum. Die Inszenierung von Autos in einem beengten Raum, wobei das Auto eigentlich Freiheit und Bewegung bedeutet, ist schwierig. Wie inszeniert man ein Auto perfekt?
Natürlich können wir in einer Indoor-Inszenierung nicht das volle Bewegungspotenzial der Fahrzeuge ausschöpfen. Wir schaffen aber mit der medialen Erweiterung einen Kontext, eine Dynamisierung und lassen so virtuell die Lebenswelten entstehen, in denen sich die Fahrzeuge bewegen. Bei den SUVs entsteht zum Beispiel der Eindruck, man bewege sich in freier Wildbahn. Seit der „Road to the Future“ auf der IAA 2007, mit der wir den weltweit ersten medialen Carwalk für Fahrzeuge kreiert haben, ist es klar, dass wir Fahrbewegungen wollen. Es gilt dann zu überlegen, was für eine Art von Bühne entwickelt wird und wie die Medialisierung funktioniert. 2011 hatten wir eine Portalbühne mit 3D und 2013 eine „Manege“, in der die Fahrbewegungen auf einer medialen Skulptur stattfanden. Dieses Jahr war ein riesiges Panorama der Startpunkt, weil wir die Halle in ihrer ganzen Länge ausnutzen wollten.
Wir entwickeln die Bühne in Abstimmung mit den Architekten und der Presseagentur, damit sie auch für die Presseaktivitäten genutzt werden kann. Von Mercedes gibt es Vorgaben, die neuesten Technologien und Fahrzeugreihen vorzustellen und diese prominent ins Licht zu rücken. Kommunikation im Raum ist insgesamt strategischer geworden und so haben auch unsere Show-Module eine direkte Kopplung an Kampagnen und an das, was die PR-Agentur macht. Das sind nicht wirklich freie Aufsätze, die wir schreiben. Es gibt aber immer Momente, die wir im Sinne der Marke neu gestalten können.
Beim Wettbewerb „Höher, schneller, weiter“ machen Sie jedoch nicht mit.
Das reine „Höher, schneller, weiter“ bringt nichts. Es geht gerade bei Messen um eine Faszination, die nicht unbedingt in Korrelation mit Superlativen steht. Wir überlegen stets aufs Neue, was einen richtigen Punkt für die Marke setzt und den Gesamtkontext trifft. Dieses Mal sind es die beiden Aspekte Digitalisierung und Design. Die Digitalisierungskomponente ha ben wir mit der Spidercam und der Augmentierung räumlich übersetzt. Der Designaspekt spiegelt sich im Gesamtraum, in der Architektur und der Art, mit der wir mit den Fahrzeugen in der Ausstellung umgehen.
Welche Rolle spielen Unternehmenswerte und Philosophie bei Atelier Markgraph?
Wir sind ja ein Unternehmen geworden, ohne dies beabsichtigt zu haben. Die Gründer sind aus einem sehr …
… alternativen Umfeld?
Ich würde sagen, sie sind aus einem sehr kritischen Umfeld heraus gekommen. Ich glaube, dass sie am Anfang einfach davon getrieben waren, Neuland zu entdecken. Wir verstehen uns weniger als Agentur denn als „Atelier“. Aber natürlich haben wir Agenturstrukturen, um mit Firmen professionell zu interagieren. Dennoch: Den klassischen Kontakter, die Schnittstelle, wo einer nur den Auftraggeber bedient, finden Sie bei uns zum Beispiel nicht. Wir geben auch nicht oft Interviews und konzentrieren uns lieber darauf, die Projekte des Kunden gut dastehen zu lassen.
Spielt es bei der Denkgröße eine Rolle, dass Mercedes-Benz Premium-Hersteller ist?
Sicherlich. Mercedes hat den Anspruch, Weltklasse zu sein. Das gibt uns die Möglichkeit, auf einer gewissen Flughöhe zu experimentieren, neueste Konzepte, Technologien und Materialien auszuprobieren. Unser Auftraggeber ist, wie wir, sehr anspruchsvoll. Man darf groß denken und muss trotzdem eine Angemessenheit in den Lösungen finden. Davon profitieren auch alle unsere Projekte für Wissenschaft, Kultur oder den Mittelstand.
Wie zu lesen war: „Das Beste oder nichts!“
Genau. Unsere Mitarbeiter arbeiten sehr gerne „auf“ Mercedes und bewerben sich fast schon intern, ins Projektteam aufgenommen zu werden. Aber es ist auch eine große Verantwortung.
Mit dem Rückenwind von mehr als 20 Jahren Mercedes-Benz auf der IAA und der erfolgreichen Gegenwart: Haben Sie da ein Gespür für das, was in der Zukunft kommt?
Ich glaube, dass sich durch die digitalen Themen die Art des Geschichtenerzählens sehr stark weiterentwickeln wird. Die Erwartungen der Besucher an das Messeerlebnis und die Anforderungen an die Besucherinteraktion werden sich weiter verändern; hin zu offenen Systemen und einem Dialog auf Augenhöhe. Im Grunde die gleichen Themen, die uns aktuell auch als Gesellschaft beschäftigen: Wie gehen wir vernünftig und in Würde mit diesen neuen Kommunikationsformen bei gleichzeitiger echter Kommunikation um? Das Digitale und das Sich-Begegnen – an dieser Stelle wird noch viel passieren.