– und den Mut, sie gemeinsam zu erzählen. Denn Veränderungen geschehen nicht von allein. Mit ihrer neuen Agentur onto[story] setzt Petra Lammers auf strategisches und kollaboratives Storytelling, um Firmen in komplexen Zeiten in Bewegung zu bringen.
Petra Lammers: Expertin für Storytelling und Gründerin von onto[story] (Bild: Klaus Reinelt)
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Petra, nach über 20 Jahren beeindruckender Karriere, weltweiten Inszenierungen und einer gemeinsamen Gründung – wie fühlt es sich an, plötzlich „ohne Norwin“ weiterzumachen? War das für dich eher ein Befreiungsschlag oder ein mutiger Neustart?
Petra Lammers: Es ist ein unglaublich spannender und toller Neustart. Alle Erfahrungen, die ich bisher sammeln durfte – erst mit dem MBA und dem MFA in Theaterregie und Dramaturgie in Russland, Puerto Rico und New York während des 11. Septembers, anschließend bei Castorf an der Volksbühne, mit vielen Inszenierungen und den Containerstädten, die unsere ersten kollaborativen Narrative waren, dann bei Panroyal und schließlich 11 ½ Jahre mit onliveline von Inszenierungen über Aktivierungen bis hin zu Interaktion, Gamification, VR, KI – all das hat mich jetzt an den Punkt gebracht, mich komplett auf unseren „story-driven transformation process“ zu fokussieren. Und das fühlt sich mit unserem 8-frau-großen Team großartig an!
Dein Weg hat dich von der BWL über Dramaturgie und Regie bis hin zu einer Pionierrolle im Storytelling geführt. Was hat dich ursprünglich an Geschichten so fasziniert, dass du sie zum Mittelpunkt deines Lebens und deiner Arbeit gemacht hast?
Petra: Ich gucke wahnsinnig gerne dem Leben zu, weil es immer verrückter und anders ist als ich denke. Es überrascht mich immer. Und ich liebe einfach sehr, im Café zu sitzen, einen Espresso zu trinken und zuzugucken. Ich muss nicht Teil sein. Es ist einfach so schön zuzugucken, wie das Leben sich erzählt. Daraus hat sich mein ursprünglicher Beruf, die Regie ergeben. Zugucken und mit kleinen Triggern sehr große, überraschende Dinge auslösen. Und das ist es auch, was wir in Transformationen machen. Durch Geschichten und Trigger immer größer werdende Bewegungen erzeugen.
Das onto[story]-Team begleitet mit kollaborativem Storytelling innovative Transformationsprozesse. (Bild: Petra Lammers)Du hast oft betont, dass Storytelling nicht nur Geschichten erzählt, sondern Transformationen ermöglicht. Kannst du uns ein Projekt aus deiner Vergangenheit nennen, bei dem genau das gelungen ist – eine echte Veränderung durch Storytelling?
Petra: Wir beschreiben in unserem Modell, dass eine Transformation heute nicht mehr nur durch strategisches Storytelling ausgelöst wird, sondern es zusätzlich kollaboratives Storytelling braucht. Strategisches Storytelling ist one-way. Da kann man gut einfach erzählte Geschichten einsetzen. Wir haben diese Methode oft bei den Fraunhofer Jahrestagungen genutzt oder in den großen Inszenierungen bei Swarovski, Porsche oder der Allianz und R+V. Mit dieser Art der Inszenierung kann man hervorragend den Blick auf den Nordstern ausrichten.
Um allerdings Menschen nachhaltig zu bewegen und eine Transformation zu erzeugen, braucht man kollaboratives Storytelling. Das ist ein anderes Erzählformat. Wir kennen es von Bewegungen, bei denen verschiedene Personen zum Mitmachen auffordern und darüber erzählen. Und dann erzählen immer mehr Menschen, man definiert über das Erzählen, wie die Geschichten weitergehen, wie der nächste Schritt passieren soll und irgendwann kommt man dann gemeinsam an. Wir nutzen dieses Format sehr vielschichtig z. B. bei unserem Kunden Dachser, aber auch mit unserer Yuuki Figur bei Takeda.
Dein Fokus liegt auf der Verbindung von Strategie und Inszenierung. Wie balancierst du diese beiden Welten – die kreative und die strategische – in deiner Arbeit?
Petra: Um eine Geschichte zu erzählen oder Menschen dazu zu bewegen, gemeinsam eine Geschichte zu erzählen, braucht man einen Nordstern, ein Ziel, ein Epic Meaning. Und die Geschichte, damit sie besonders kraftvoll ist, braucht eine gute Dramaturgie. Das Epic Meaning ist quasi die Strategie und die Dramaturgie der Weg der Transformation. Jedes Projekt, egal ob wir es live, digital oder virtuell „inszenieren“, denken wir immer ausgerichtet auf das kommunikative Ziel (Epic Meaning, Nordstern) mit allen Hebeln der Transformation im Blick.
Oder einfacher: Eine Geschichte bewegt sich fort. Eine Transformation im besten Fall auch. Man kann sie also ganz einfach gleichzeitig denken und so einsetzen, dass sie sich stützen.
Mit dem „story-driven transformation process“ entwickelt onto[story] kollaborative Narrative, die Firmen durch Veränderungsprozesse begleiten. (Bild: Oliver Wachenfeld)„onto[story]“ klingt wie ein klares Statement: Weiter geht’s, die Reise geht weiter. Was ist die Vision hinter dem neuen Unternehmen, und wie grenzt es sich bewusst von onliveline ab?
Petra: onliveline hat quasi alles gemacht, außer Catering, Möbel und Teilnehmerhandling. Alle Projekte hatten eine klare Sehnsucht nach Innovation und verrückten, besonderen Geschichten, aber letztlich waren wir mehr getrieben von unserer Neugierde als von einem klaren thematischen oder inhaltlichen Fokus. Und das ist jetzt anders. In den letzten Jahren haben mein Team und ich immer mehr in Richtung des strategischen und kollaborativen Storytellings gearbeitet und damit jetzt den storydriven transformation process entwickelt. Wir nutzen Storytelling, um die Strategie zu überprüfen sowie Narrative und Positionierungen zu entwickeln, diese dann live, digital oder virtuell zu erzählen und anschließend mit kollaborativen Narrativen, Kampagnen oder Formaten, uns (Mitarbeiter, Kunden, etc) gemeinsam zu bewegen.
Und als dritten Punkt machen wir die value-driven data analysis. Das heißt, wir analysieren, wie die Geschichten wirken und justieren nach. Dieser Ansatz macht großen Spaß, weil er, genauso wie das Geschichtenerzählen, leicht und anpassbar ist, und sehr effektiv für Transformationen ist. Die Zeiten sind komplex. Geschichten sind einfach und verständlich. Das hilft.
Wir setzen 3D Figuren mit und ohne KI-Vernetzung ein, um das Gesicht eines kollaborativen Narrativs zu werden. Damit wird das Digitale bzw. die KI ein aktiver Teil unserer Welt. Und da die digitale Transformation und KI aktuell eine der disruptivsten Kräfte unserer Realität darstellen, haben diese Figuren eine sehr verrückte Kraft. Sie sind eine Art Abbild der Transformation, sie sind etwas verrückter, sie sind wie ein Tamagotchi nahbar und haben doch die Untiefe der KI. Damit verweben wir gerade alles, was wir kennen.
Wie gehst du die Herausforderung an, eine neue Marke in einem bereits vollen Markt wie der Live-Kommunikation zu etablieren? Welche Lücke füllt onto[story]? Was macht es besonders und warum glaubst du, dass es genau jetzt gebraucht wird?
Petra: Wie schon so oft in meinem Leben, haben wir uns mit onto[story] zwischen alle Stühle gesetzt. Wir sind Teil von vielen Märkten: Live-Kommunikation, IT, XR, KI, Beratung (Transformation & Unternehmensentwicklung & Positionierung) etc. Wir steigen daher mit unserer Erzählung anders ein. Wir sagen, dass wir strategisches und kollaboratives Storytelling einsetzen, um effektiv Transformationen voranzutreiben. Storytelling wird im Moment hauptsächlich für das Kommunizieren von one-way-Messages genutzt. Aber Storytelling als Tool, um ein Unternehmen kollaborativ zu bewegen, das gibt es nicht so oft.
Und damit füllen wir eine Lücke. Derzeit wird sehr viel umstrukturiert und die Transformationen, die es zu begehen gilt, sind massiv. Mechaniken, die mitnehmen, Spaß machen UND effektiv sind, machen Sinn und werden gebraucht. Zumindest erleben wir das gerade so.
Zweimal Bronze für außergewöhnliche Storytelling-Experimente
Beim BrandEx Award 2025 wurden zwei Projekte von Petra Lammers‘ Team mit Bronze ausgezeichnet. Beide zeigen eindrucksvoll, wie strategisches und kollaboratives Storytelling nicht nur unterhält, sondern Menschen aktiviert und zum gemeinsamen Handeln bewegt.
Theaterstück „Everything is connected“
Strategisches Storytelling wird erfolgreich in Unternehmen eingesetzt. Aber kann das, was dort funktioniert, auch komplexe gesellschaftliche Probleme lösen? Unternehmen folgen oft einem klaren „Nordstern“ – einem strategischen Ziel, das gemeinsam erreicht wird. Gesellschaftliche Herausforderungen erfordern jedoch ein kollaboratives Narrativ statt singulären Heldengeschichten. Also hat die Agentur gemeinsam mit dem Kölner Theater-Studio Trafique „Everything is connected“ gestartet – ein Prototyp für demokratische Diskussionen als kollaboratives Event, Performance und nachhaltiges Theaterstück.
Das Theaterstück „Everything is connected“ zeigt, wie kollaboratives Storytelling komplexe Zusammenhänge verständlich und zugänglich macht. (Bild: onliveline)
Gemeinsam mit Publikum, VR und KI erkundete die Agentur kollaborative Narrative, um eine Bewegung aus verwobenen Storylines und diversen Storytellern zu schaffen. Das Ergebnis: aktuell arbeiten drei Teams an Nachhaltigkeit, Demokratie und Formatentwicklung, und die Agentur begleiten und unterstützen sie nachhaltig.
Takeda Escape Room / Yuuki
Die rasche Entwicklung von KI erfordert neue Lernansätze, die neugieriges und gemeinsames Erkunden unabhängig von Hierarchien fördern. Für den Kunden Takeda Germany hat die Agentur ein Escape-Room-Game mit Yuuki, einer 3D-Figur, als digitaler Protagonistin entwickelt, um die Mitarbeitenden spielerisch mit KI-Tools experimentieren zu lassen.
Die 3D-Figur Yuuki führt die Mitarbeitenden spielerisch an den Einsatz von KI-Tools im Arbeitsalltag heran. (Bild: onliveline)
Sie lernten verschiedene KITools kennen und reflektierten über Ethik und den Einsatz von KI in ihrer Arbeit. Yuuki wurde zur offiziellen Mitarbeiterin ernannt, erschien live als Projektion und interagierte mit dem Chef, was die Bedeutung von KI für das Unternehmen verdeutlichte. Diese erfolgreiche Veranstaltung diente als Ausgangspunkt für weitere Schulungen und den Aufbau einer KI-Community, um die Nutzung von KI-Tools zu intensivieren und die Effizienz zu steigern. Zusätzlich tritt Yuuki regelmäßig bei Events, wie dem Change Congress des Handelsblatts, als Speakerin auf.
Und: Die Agentur vernetzt gerade weitere Figuren mit KI, um sie interaktiv an vielen Stellen einzusetzen.
Wie sieht die Zukunft von onto[story] aus? Was ist dein nächstes großes Ziel – inhaltlich und vielleicht auch persönlich?
Petra: Wir sind als Team gerade sehr kraftvoll im Jetzt. Wir haben unsere Positionierung glaube ich ganz gut hinbekommen und arbeiten weiter an der Sichtbarkeit. Darüber hinaus haben wir zwei Innovationsstränge: Wir entwickeln die KI-Figuren weiter und mit ihnen weitere spielerische, effektive Ansätze für die digitale Transformation. Und wir integrieren in unsere value-driven data analysis KI-Tools. Damit können wir permanent und viel komplexer Storytelling monitoren und ganzheitlich verstehen.
Mein persönliches Ziel ist daher, ein tolles Team auf Augenhöhe zu haben, mit dem ich gemeinsam inspirierende und vor allem sinnvolle Bewegungen anstoßen kann. Und persönlich wünsche ich mir, wieder mehr Zeit zu finden, um Espresso im Café zu trinken und dem Leben zuzugucken.