Vom 20. bis 21. November 2018 findet die 5. IBIT Fachtagung Veranstaltungssicherheit am neuen Standort in der Barclaycard Arena in Hamburg statt. In acht Themensträngen, statt bisher sechs, bietet die Fachtagung interessante Inhalte unter anderem zu: Psychologie und Kommunikation, Sicherheitsforschung, Infrastruktur und Dienstleister als Teil der Sicherheitsarchitektur, Recht oder auch zu Lösungsansätzen aus der Praxis.
(Bild: Kolja Matzke)
In über 30 Vorträgen, Panels und Workshops sowie Diskussionsrunden können sich die Teilnehmer rund um die Veranstaltungssicherheit austauschen und neues dazu lernen. Einige ausgewählte Vorträge in den Themensträngen stellen wir heute schon vor.
Die Sache mit den Zahlen: Besucherzählung & -monitoring am Beispiel der Amtseinführung
Donald Trumps „1.000.000 Menschen besuchten das Stadtfest“ – eine Schlagzeile, die bei Beteiligten oftmals die Frage hervorruft, ob man eigentlich auf der gleichen Veranstaltung war und wie genau es zu dieser Zahl bzw. realistischer: Einschätzung kommt.
Die Diskussionen um die Besucherzahlen der Loveparade hat den Unterschied zwischen Pressezahlen und tatsächlichen Zahlen deutlich aufgezeigt und im Folgenden bei vielen Veranstaltungen durchaus auch zu einer Korrektur der angegebenen Zahlen geführt – hat man doch verstanden, dass man nicht nur an diesen Zahlen gemessen wird („1.000.000 Menschen und nur 50 Toiletten?“), sondern dass man die Zahlen auch mit ein bisschen gesundem Menschenverstand und Mathematik durchaus in Frage stellen kann – 1.000.000 Menschen auf einer Fläche von 20.000 qm sind nun einmal, vorsichtig formuliert, schwierig darzustellen. Wie aber kommt man ohne eine konkrete Zählung zu verlässlichen Zahlen? Wie bewertet man die Befüllung einer laufenden Veranstaltung und wie definiert man „(zu) voll“?
Marcel Altenburg von der Manchester Metropolitan University beschäftigt sich genau mit diesen Fragen und erläutert den Prozess und die notwendigen Überlegungen am Beispiel der vieldiskutierten Amtseinführung des amtierenden amerikanischen Präsidenten. War es tatsächlich die am besten besuchte Veranstaltung jemals? Oder eher nicht? In seinem Vortrag wird Altenburg den Weg von der Vermutung zur belastbaren Zahl aufzeigen und erklären, welche Bedeutung die „erwartete Besucherzahl“ hat, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob es nun eher „voll“ oder eher „leer“ ist“.
Gerade Letzteres sei, so der Sicherheitsexperte, besonders in Bezug auf notwendige Handlungen, wie z. B. Sperren, eine wichtige Feststellung, wurde doch die allzu leichtfertige allgemeine Festlegung „bei mehr als 2 Personen/qm wird die Fläche gesperrt“ schon zu oft einer realitätsangepassten Vor-Ort-Bewertung geopfert. Das Beispiel der Amtseinführung Donald Trumps eignet sich dabei perfekt, diese Fragen zu klären und Möglichkeiten der Bewertung von Besucherzahlen aufzuzeigen.
Marcel Altenburg, Senior Lecturer & Head of Consultancy, Crowd Science, Studiengang: MSc Crowd Safety and Risk Analysis, Manchester Metropolitan University
„Psychologie und Kommunikation“: Um Sicherheit zu planen, muss man den Menschen verstehen
Massenpanik! Das Schreckgespenst der Sicherheitsplanung sollte (eigentlich) schon lange der Vergangenheit angehören, hat doch inzwischen jeder mal irgendwo gelesen oder gehört, dass es sie nicht gibt. Und dennoch hört man es immer wieder: „um eine Massenpanik zu verhindern“, „aus Furcht vor einer Massenpanik“ etc. etc. Dahinter stecken regelmäßig zwei Fehleinschätzungen.
Die eine betrifft die Gründe: nicht das „Verhalten“ von Menschen ist Auslöser einer gestörten Flucht (denn nichts anderes ist die „Massenpanik“), sondern es sind unsere Planungsfehler wie beispielsweise zu wenig Platz, verschlossene Türen, Fehler in der Kommunikation oder in der Organisation. Die andere betrifft das Verhalten der Menschen an sich: Menschen, die ihre Großmütter niedertrampeln, eine unaufhaltbare, alles ignorierende Masse.
Wohl kaum jemand hat sich so intensiv mit der Frage beschäftigt, warum sich Menschen in Mengen wie verhalten, wie der britische Psychologe John Drury – und wohl kaum jemand tritt so vehement gegen die genannten Fehleinschätzungen an. Sei es in Bezug auf das Verhalten von Menschen in Notlagen (z.B. nach den sogenannten „London Bombings“) oder die Herausbildung von Verhaltensweisen in Gruppen (z.B. im Kontext von „riots“).
Als Sozialpsychologe beschäftigt sich John Drury mit dem Menschen – insbesondere mit dem Menschen in Menschenmengen und den Fragen, wie positives Verhalten gefördert werden kann oder was es braucht, negatives Verhalten zu minimieren. Er zeigt Gründe auf, warum Menschen „so“ reagieren und was die Sicherheitsplanung daraus lernen kann und muss. Ohne ein ganz grundlegendes Verständnis vom Menschen lässt sich Sicherheit nicht planen – das ist eine der Kernaussagen des Vortrags genauso wie der Aufruf, nicht von Anfang an ein negatives Menschenbild („Die verhalten sich panisch“) als Grundlage der Planung anzusetzen. Denn dieses schafft vollkommen falsche Voraussetzungen und es werden möglicherweise Prozedere implementiert (z.B. eine zu späte Information, „um keine Panik auszulösen“), die Situationen eher verschlechtern als verbessern.
Prof. John Drury, University of Sussex
„Other places“: Management of crowded places
(Bild: Edinburgh Napier University)Ob der Bahnhof zur Rush Hour, die Kirmes kurz vor dem Feuerwerk oder die Fußgängerzone im Advent: Das Management von Menschenmengen bzw. von Flächen für die Nutzung durch (große) Menschenmengen ist ein komplexes Unterfangen, das jedoch sowohl in Theorie als auch in Praxis auf simplen Prinzipien beruht. Versteht man diese Prinzipien, ist man in der Lage, die Fläche tatsächlich zu managen, statt nur eine Menschenmenge zu kontrollieren. Häufig wird die Arbeit in und mit Menschenmengen dabei zusätzlich bestimmt durch eine hohe Geräuschkulisse oder ein mehr oder weniger (anti-)soziales Verhalten.
Neben grundsätzlichen Fragen der Flächenplanung und der räumlich (mathematischen) Zuordnung bedarf es also auch des Wissens um die psychologischen Hintergründe des Verhaltens und der Interaktion sowie geeigneter Strategien der Kommunikation und der Aufmerksamkeitsgewinnung.
Erst durch die Kombination physikalischer, mathematischer, psychologischer und soziologischer Faktoren lässt sich die Menge managen, steuern und lenken – das wie ist dabei genauso wichtig wie das warum. Ob Topophobie oder Topophilie, Proxemik, Newtons Gesetze oder die Spieltheorie: Alles wird betrachtet, zu Rate gezogen, zu Handwerkszeug verarbeitet. Prof. Chris Kemp versteht es dabei wie kaum ein anderer, theoretische Fakten mit praktischer Anwendung zu untermauern und den Zuhörern das Gefühl zu vermitteln, dass das Management von großen Menschenmengen zwar eine ernste Sache ist, der Vermittlung des dafür notwendigen Wissens jedoch eine Portion Spaß nicht schadet.
Prof. Chris Kemp, Mind over Matter Consultancy
„Infrastruktur und Dienstleister“: Ausschreiben – wie bekomme ich den Dienstleister, der wirklich zu mir und meiner Veranstaltung passt?
(Fast) jeder hat schon einmal Bekanntschaft mit Ausschreibungen gemacht: Entweder auf Seiten des Ausschreibenden oder des Bieters. Und genauso hat sich auch fast jeder schon einmal gewundert, wie „ausgerechnet dieser“ Dienstleister hat gewinnen können oder wie man eine Leistung kalkulieren soll, deren Umfang noch gar nicht abzusehen ist. Nun ist „Vergaberecht“ nicht das schönste aller Themen – aber dennoch müssen sich insbesondere öffentliche Auftraggeber mit der Frage beschäftigen:
Wie kann ich so ausschreiben, dass am Ende eben nicht „der Billigste“ gewinnt und alles andere egal ist? Auf der anderen Seite geht es aber natürlich auch um Fragen wie: Was kann und darf ich in einer Ausschreibung fordern, ohne Anbieter von Anfang an (unberechtigt) auszugrenzen? Was muss ich als Bieter bei der Erstellung von Angeboten unbedingt beachten? Ist das Vorhandensein „intensiver Ortskunde“ ausgrenzend oder eine sinnvolle Forderung? Was tun, wenn die Ausschreibungsunterlagen Lücken haben?
Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich der Vortrag von Stephan Leukert, der sich als Sicherheitsberater bei der Von zur Mühlen’sche GmbH auf das Thema „personelle Sicherheitsdienstleistungen“ spezialisiert hat. Am Beispiel der Ausschreibung von Sicherheitsdienstleistungen zeigt er auf, wie man Angebote vergleichbar macht und Ausschreibungen mit einem wasserdichten Leistungsverzeichnis so optimiert, dass man den leistungs- und qualitätsorientiertesten Dienstleister unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sicher identifizieren kann. „Dabei habe ich mir es bei meiner Arbeit zur Aufgabe gemacht, die Bedürfnisse sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer zu berücksichtigen“, erklärt Stephan Leukert.
Stephan Leukert, Von zur Mühlen’schen GmbH
„Rechtliche Fragestellungen“: Delegation vs. Verantwortlichkeiten
(Bild: Anke Hesse)Die Frage nach der eigenen Verantwortlichkeit wird genauso regelmäßig gestellt, wie sie mit „kommt darauf an“ beantwortet wird. Und tatsächlich kommt es genau „darauf“ an: Was wurde übertragen? Welche Rechte, welche Pflichten? War die Übertragung überhaupt möglich und / oder formal richtig? Kann man „für die Sicherheit“ verantwortlich sein? Das Thema ist weder neu noch innovativ – aber ein Dauerbrenner der „rechtlichen Fragestellungen. In der Praxis eröffnet sich hier ein weites Feld potentieller Fallgruben: Schlechte bis unwirksame Übertragungen, nicht-geeignete Übertragungsempfänger, falsche Vorstellungen, fehlendes Bewusstsein und vieles mehr.
Und selbst wenn formal alles korrekt ist: Was bedeutet das in Bezug auf den Übergang von Verantwortlichkeiten? Was bedeutet „die Verantwortung des Betreibers bleibt unberührt“ und – fast noch interessanter – was bedeutet „Aufsichtspflicht“? Reicht es, wenn durch entsprechend fachkundige Zuarbeit der ordnungsgemäße Zustand bestätigt wird oder braucht es die eigene Kontrolle? Besonders interessant sind diese Fragen rund um die nicht wirklich ausreichend definierte Funktion der Veranstaltungsleitung – handelt es sich hier um eine(-n) Alleskönner*in, der/die jede Information noch einmal selbst prüfen und bewerten kann (oder sogar muss?) Oder ist es eher eine Art Kontrollzentrum, in dem Wissen zusammengetragen wird? Es bleibt spannend, welche der Fragen tatsächlich „definitiv“ zu klären sind und bei welchen es „darauf ankommt“.
Volker Löhr, Kanzlei Löhr
„Grundsatzfragen“: Räumungskonzepte – das unbekannte Werkzeug
Mit der MVStättVO 2014 wurde den Betreibern von Versammlungsstätten die Aufgabe übertragen, Räumungskonzepte für ihre Gebäude zu erstellen. Da es keine Muster oder Vorlagen zu solchen Konzepten gibt, wird geschrieben, was sinnvoll erscheint. In den meisten Fällen reduziert sich das „Konzept“ auf schiere Handlungsanweisungen – das Denken (und möglicherweise auch das Niederschreiben) muss jedoch deutlich früher beginnen.
Grundlage für das Notfallmanagement, zu dem das Räumungskonzept gehört, ist eine Gefährdungsanalyse zu veranstaltungsgebäude- und umfeldspezifischen Gefährdungen. Hierzu gehören regelmäßig mindestens Brand- und Explosionsgefahren, der Austritt von Gefahrstoffen, gefährliche Vorkommnisse im Straßen-, Schienen- oder Wasserverkehr oder der Zusammenbruch von Gebäuden, bzw. Auf- und Einbauten sowie Bedrohungslagen wie Bombendrohungen, das Auffinden nicht zuzuordnender Gegenstände oder Wetterlagen.
Die Umsetzung solcher Konzepte scheitert häufig an unterschiedlichen Gründen: Zu allgemein, zu konkret, zu umfangreich, nicht bekannt, wieder vergessen – so dass die Herausforderung nicht nur darin besteht, die grundsätzlichen Gefährdungen und damit Auslöser für eine Räumung zu identifizieren, sondern vor allem, ein Konzept zu erstellen, das auch gelebt wird. Um ein Räumungskonzept zu einem nützlichen Dokument zu machen und notwendige Entscheidungen und Maßnahmen unverzüglich treffen, beziehungsweise umsetzen zu können, braucht es mehr als ein Blatt Papier: Es braucht ein grundsätzliches Durchdenken möglicher Abläufe und vor allem auch der vorhandenen und notwendigen Ressourcen. Alarmierung, handelnde Personen, deren Training sowie Auslöse- und Aufhebungskriterien sind dabei nur einige der Aspekte, die ein solches Konzept behandeln muss.
Auch die Räumung an sich muss spezifiziert werden: Handelt es sich um eine Gesamträumung, eine Teilräumung oder eine gerichtete Räumung? Ein Räumungskonzept ist daher keine „zwangsläufig nun auch noch“ umzusetzende Auflage aus der MVStättVO, sondern, wenn gut funktionierend, etabliert und gelernt, ein wichtiges Handwerkszeug für das zeitnahe Reagieren im Ereignisfall und somit ein wichtiger Baustein für die Gewährleistung der Sicherheit von Menschen in Versammlungsstätten.
Ralf Zimme, IBIT GmbH
Workshop zur Fortführung der BaSiGo mit dem VFSG e.V.
Nachdem in 2015 das BMBF geförderte Forschungsprojekt „BaSiGo – Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen“ beendet wurde und als eines der Ergebnisse das „BaSiGo-Wiki“ hinterließ (www.basigo.de/handbuch), waren sich einige der Projektbeteiligten einig, dass ein statisches Ergebnis der sich schnell entwickelnden Veranstaltungswelt nicht gerecht sein würde. In 2017 wurde der Verein zur Förderung der Sicherheit von Großveranstaltungen e. V. von Vertretern aus Wissenschaft sowie (Veranstaltungs-)Praxis gegründet. Ziel ist es, Aktivitäten im Kontext der Sicherheit von Großveranstaltungen zu unterstützen, miteinander zu vernetzen und auch selbst durchzuführen – mit dem Fokus auf:
- die Entwicklung von Handlungs- und Planungsempfehlungen für die Eventsicherheit sowie deren nicht kommerzielle Verbreitung (insbesondere Aktualisierung und Erweiterung des BaSiGo-Wikis)
- die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie von Forscherinnen und Forschern
- die Förderung der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Veranstaltungspraxis
- die Durchführung wissenschaftlicher Veranstaltungen und Information der Öffentlichkeit
- die Beteiligung an Meinungsbildungsprozessen (auch im politischen Raum)
Im Rahmen der Fachtagung wird sich der Verein insbesondere noch einmal mit der Frage auseinander setzen, welches die relevanten Themen sind, die bearbeitet werden sollen – hierzu sind sowohl Mitglieder des Vereins als auch Besucher zu einem Workshop eingeladen. Die Ziele des Vereins passen dabei perfekt zu denen der Fachtagung: Vernetzung, Austausch, Wissenstransfer und Wissensgewinn als Grundlage sicheren Planens und Handelns.
Prof. Dr.-Ing. Frank Fiedrich, Bergische Universität Wuppertal, Vorstandsvorsitzender des VFSG e.V.
5. IBIT Fachtagung Veranstaltungssicherheit
(Bild: Kolja Matzke)
Nach dem Start im November 2014 mit Stationen in Bonn und Köln findet die 5. Fachtagung Veranstaltungssicherheit nun erstmals in Hamburg statt. Die zweitägige Fachtagung beschäftigt sich mit relevanten und aktuellen Themen der Planung und Durchführung von Veranstaltungen sowie generellen Fragestellungen in Bezug auf die Planung für und den Umgang mit (großen) Menschenmengen. Hierzu treffen sich nationale und internationale Experten aus Wissenschaft und Praxis zu Fachvorträgen, Diskussionsrunden und Workshops.
Die Tagung richtet sich dabei an alle, die sich sowohl praktisch als auch theoretisch mit dem Thema auseinandersetzen. Waren es in 2017 noch knapp 300 Teilnehmer, so werden für 2018 bis zu 400 Teilnehmer erwartet, um an zwei Tagen in mehr als 35 Vorträgen, Panels und Diskussionsrunden – und nicht zu vergessen einer großen Netzwerkparty – miteinander zu diskutieren, zu lernen und Netzwerke zu bilden. Begleitet wird die Tagung von einer Ausstellung themenrelevanter Anbieter und Dienstleister für Veranstaltungssicherheit. Auf über 1.000 m2 Fläche präsentieren sich Aussteller u. a. aus den Bereichen Dienstleistung, Infrastruktur, Eventbedarf, Bildung oder auch Software.
Wann: 20. bis 21.November 2018
Wo: Barclaycard Arena, Hamburg
Kosten (zzgl. MwSt.): Wirtschaft: 695 Euro (Tagesticket: 395 Euro)/Behörden und Universitäten: 495 Euro (Tagesticket:295 Euro)
[6561]