Diesmal schon im April: Im zugigen Tribünenhaus des Werber-Kultclubs FC St. Pauli kämpften sich beim ADC Festival 2016 rund 15.000 Besucher durch die Jahresproduktion der deutschen Kreativbranche. Die gut 7.000 ausgestellten Arbeiten sind natürlich nur die Spitze des Eisbergs.
Eingereicht werden konnte alles, was im weitesten Sinne mit bezahlter Kommunikation zu tun hat: Anzeigen, Plakate, TV-Spots, Virals, Radiospots, Jingles, Zeitschriften, Buch-Illustrationen, Fotografien, Geschäftsberichte, Kalender, Websites, Events, Promotions, Messestände und vieles mehr. Insgesamt gab es 25 Disziplinen mit fast 60 Unterkategorien. Die rund 600 ADC-Mitglieder sind einzelne Kreative, meist Agentur-Chefs und CDs, aber auch Freie. Das ADC Festival ist ihr Jahreshighlight. Aufgeteilt auf 27 Jurys, tagen sie zwei Tage lang nicht-öffentlich und vergeben goldene, silberne, bronzene Nägel und die magentafarbenen „Auszeichnungen“. Die Live-Disziplinen Event und Kommunikation im Raum sind seit gut zehn Jahren dabei.
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Faire Kategorien + qualifizierte Jury = 19 Eventprämierungen
Man muss es so sagen: Die Kategorie Event diente bisher gern als Resterampe der klassischen Werber. Hier entsorgte man überschüssige Jurymitglieder und reichte großartige klassische Kampagnen mit unglaubwürdigen Live-Elementen ein. Das Abstauben klappte ganz gut.
In diesem Jahr war vieles anders. Von den 14 Mitgliedern der Eventjury waren elf ausgewiesene Live-Kommunikationsleute, die in der Branche bekannt und als Kreative anerkannt sind. Die Einreichungen wurden nach branchenüblichen Formaten sortiert und bewertet, also Corporate, Mitarbeiter, Consumer/Public, Promotion, Charity und PR. „So haben Corporate oder Mitarbeiter-Events überhaupt eine Chance, wenn sie nicht mehr mit den lustigen Aktionen der Werber bei Promotion Events in Konkurrenz stehen“, freut sich Stephan Schäfer-Mehdi, überzeugter Eventkreativer und ADC-Jurymitglied der ersten Stunde.
Zu den sechs Formatkategorien kommen die Craft-Kategorien Musik/Sound, Medien/Film, Grafikdesign und Licht. Diese kreativen Gewerke sind ein entscheidender Bestandteil des Gesamtkunstwerks Event und bilden die Komplexität der Disziplin richtig ab. Weniger überzeugend sind die Craft-Kategorien Architektur/Set-Design – wegen der Überschneidung mit KiR – und die beiden Kategorien Storytelling (Narration/Dramaturgie) sowie Partizipation des Publikums. Beides gehört zu einem guten Event wie die Aufmerksamkeit zum Plakat und sollte Kernkriterium für jeden Eventpreis sein.
Albern und unfair: 9 Print-Nägel für 3 Wimmelbilder
Aber wir wollen nicht meckern. Die neue Differenzierung der Kategorie Event ist im Ganzen sachlich richtig, fördert hoffentlich das Verständnis für die Disziplin und ist vor allem eines: fair! Das Gegenteil war in anderen Disziplinen der Fall. Die auch ADC-intern kritisierte Inflation der Unterkategorien führte bei den Klassikern zu geradezu grotesken Auswüchsen: Stellen Sie sich vor, Usain Bolt läuft in Rio die 100 Meter wieder am Schnellsten und gewinnt dafür eine Goldmedaille. Und noch eine Goldmedaille für die olympische Bestzeit. Und eine Silbermedaille für die eleganteste Startposition. Und nochmal Silber für die beste Lauftaktik. Und noch eine für den besten Schlussspurt und noch zweimal Silber und zweimal Bronze für irgendwas. Unfaires Doping mit legalen Mitteln? Würden viele so sehen.
Genau das passierte in diesem Jahr in der klassischen Kategorie Print. BBDO Berlin reichten ihre Smart-Kampagne „Car Parks“ in allen irgend möglichen Unterkategorien ein und kassierten prompt neun ADC-Nägel – für eine einzige Idee in drei Varianten! Die Arbeit, drei liebevoll gezeichnete Wimmelbilder, bei denen sich London, Rom und Berlin jeweils in ein Parkhaus quetschen (weil für den kurzen Smart jede Metropole ein einziges Parkhaus ist), ist zweifellos preiswürdig. Aber neun Nägel? Weil das finanzstarke Agenturnetzwerk BBDO die Einreichungsgebühren aus der Kaffeekasse zahlt und einfach mal kräftig zulangt? Weitere Kosten und Mühen wie Videos und erklärende Pappen entstehen bei Print-Einreichungen übrigens nicht. Man hängt die drei Arbeiten hin und kassiert Nägel.
ADC-Medaillenspiegel: Atelier Markgraph für Mercedes auf Platz 2
Anders ist es bei räumlichen Inszenierungen wie Events, Messen, Ausstellungen und Markenräumen. Hier kann die kreative Arbeit nicht direkt auf die Jurymitglieder wirken. Die „Arbeiten“ existieren oft nur kurze Zeit irgendwo auf der Welt und müssen mit aufwendigen Videos und Pappen rekonstruiert und auf zwei Minuten zusammengeschmolzen werden. Was durchaus auch ein Vorteil sein kann.
Bild: onliveline
Im Gegensatz zu einer einfachen Print-Anzeige sind bei einem 9.000 m2-Messestand mit Architektur, Design, Show, Medien, Medientechnik, Exponaten und einen hochkomplexen Gesamtkonzept mehrere Unterkategorien gerechtfertigt. Für den Messeauftritt von Mercedes-Benz auf der IAA 2015 reichte Atelier Markgraph deshalb für einige Unterkategorien konsequent verschiedene, thematisch angepasste Videos ein.
Gold vergab die KiR-Jury für die Gesamtinszenierung in der Kategorie „Kommunikation im Raum: Messeauftritt“ an Atelier Markgraph und die Architektur-Partner jangled nerves. Zwei Nägel für ein und dieselbe Leistung gab es für den Einsatz von Spidercam und Augmented Reality: KiR vergab Gold, die Eventjury Silber. Auch das analog-digitale Bühnen-Set-up kassierte gleich doppelt: Gold gab es bei KiR und immerhin eine Auszeichnung bei Event. Die Inszenierung „Mercedes-Benz Live!“ schaffte es so mit insgesamt vier Nägeln und einer Auszeichnung auf Platz zwei der erfolgreichsten Kampagnen 2016.
Die parallele Einreichung bei Event und KiR für exakt dieselbe Leistung ist nicht wirklich nachvollziehbar, aber ADC regelkonform. Und solange die Kollegen der anderen Disziplinen sich so hemmungslos mit Zehnfacheinreichungen bedienen, halten wir die doppelten Nägel für dreifach verdient und gratulieren herzlich!