Was tun, wenn es passiert ist? Man kann viel über Arbeitssicherheit, Unfallverhütung und Health & Safety aufklären, sich damit beschäftigen, was zu tun wäre und zu lassen empfohlen wird. Doch Arbeitsunfälle passieren immer wieder. Wir klären auf, wie das Vorgehen nach einem erfolgten Arbeitsunfall ist.
In 2019 gab es wieder mehrere spektakuläre Unfälle und Unglücke auf Events in Deutschland, aber auch im Ausland. Es stürzten Bühnen ein, LED-Wände lösten sich und fielen herab, Zelte flogen weg, Bratpfannen voll mit heißem Öl explodierten mitten im Publikum und vieles mehr geschah öffentlichkeitswirksam. Dazu kommen all die Unfälle, die nicht direkt mit einem Event zu tun haben und „nur“ bei der Arbeit in den Werkstätten, Lagern und Laderampen geschehen. Also die vielen Unfälle, die einem größeren Publikum in den Medien nicht vorgestellt wurden.
Glück im Unglück
Was passiert, wenn es passiert ist? Ein (real geschehener) Unfall ereignet sich. Ein Mensch wird schwer verletzt! Der Verletzte hatte Glück und sein Unfall wurde rechtzeitig bemerkt. Kollegen eilen zu Hilfe, rufen die 112 an. Der RTW kommt und die Sanitäter stellen fest, dass der Verwundete sehr schwer verletzt ist, womöglich den Tag nicht mehr überlebt. Der Notarzt wird nachgefordert, der wiederum nach Begutachtung des Verletzten den Rettungshubschrauber kommen lässt. Eineinhalb Stunden nach Meldung ist der Verwundete soweit stabilisiert, dass er transportiert werden kann. Die ganze Zeit hat einer seiner Kollegen ihm den Kopf gehalten, damit er nicht auf dem harten Beton liegt. Hat ihm gut zugesprochen. Hat dabei das gesamte Drama von Intubieren, Körperseite aufschneiden zum Blutablassen und die gesamte Behandlung mit Bangen und Hoffen mitbekommen.
Die kurz nach der Unfallmeldung angekommene Polizei sichert währenddessen die Unfallstelle, sperrt Bereiche ab, untersagt das Bewegen von Fahrzeugen, die mit dem Unfall zu tun gehabt haben können und alle Ladetätigkeiten. Die vier vollgeladenen Sattelschlepper mit Rücklieferungen müssen warten. Die Beamten des Amts für Arbeitsschutz beginnen ebenfalls mit Ermittlungen, Befragungen und Beweisaufnahmen vor Ort. Das Fahrzeug des verunfallten Mitarbeiters einer Wartungsfirma wird eingehend begutachtet, erste Hinweise auf nicht so saubere Erledigung der Arbeitsschutzvorschriften werden gefunden. Nach über vier Stunden seit Meldung kann der Betrieb fortgesetzt werden.
(Bild: Pixabay)
Wie geht es weiter?
Die Unfallstelle ist zu säubern. Berge von mit Öl und reichlich Blut durchtränkten Einwegtüchern müssen beseitigt werden. Die Mitarbeiter, die das gesamte Drama miterlebt haben, werden vom Sicherheitsbeauftragten gefragt, ob sie sich wohlfühlen und Betreuung wird angeboten. Ein traumatisches Erlebnis für einige, das sich erst nach einiger Zeit zeigen wird. Wie geht es weiter?
- Das Amt für Arbeitsschutz wird im Rahmen seiner Ermittlungen den Arbeitgeber des Verunfallten und möglicherweise den Auftraggeber der Arbeiten befragen. Die Kernfragen werden in der Regel folgende sein:
- Liegt für die Tätigkeit, bei der der Unfall geschah, eine aktuelle schriftliche Gefährdungsbeurteilung vor, in der Schutzmaßnahmen abgeleitet wurden?
- Wurde der Verunfallte nachweislich (Unterschrift!) in die Schutzmaßnahmen, die aus der GBU resultieren, unterwiesen und liegt die Unterweisung nicht länger als ein Jahr zurück?
- Sollte eine Maschine (Stapler, Hubarbeitsbühne usw.) im Spiel sein, wird regelmäßig nach der Beauftragung des Verunfallten gefragt, nicht nach dem „Staplerschein“. Also wurde der Verunfallte in die Bedienung der konkreten Maschine eingewiesen und seine Eignung zum Führen der Maschine durch den Arbeitgeber geprüft?
- Werden durch den Auftraggeber Arbeiten, besonders gefährliche Arbeiten, koordiniert und wie sehen die Prozesse und Vorgaben dazu aus?
Wie lauten nun, lieber Leser, Ihre Antworten? Könnten Sie in Bezug auf Ihren eigenen Betrieb diese Fragen alle eindeutig mit „ja“ beantworten? Besser wäre es, denn ein „nein“ würde bedeuten, dass Sie in einem folgenden Strafverfahren schuldig oder wenigstens teilschuldig gesprochen werden könnten. Zusätzlich kann die Berufsgenossenschaft des Verletzten bei Ihnen Regress für die Unfallfolgekosten, gegebenenfalls bis zum Lebensende des Verletzten einfordern.
Ein konkretes Beispiel
Hierzu ein Beispiel aus einem konkret verhandelten Fall: In einem Lager hob ein Staplerfahrer einen Mitarbeiter mit einem neuen Arbeitskorb 3,50 Meter in die Höhe. Anstatt den Arbeitskorb ordnungsgemäß aufzunehmen und mit den vorhandenen Sicherungen an der Gabel zu sichern, fuhr der Staplerfahrer in die Palette, auf dem der Korb frisch angeliefert war. Der Korb geriet ins Rutschen, der Mitarbeiter stürzte ab und verletzte sich tödlich.
Im Rahmen der Verhandlung wurde festgestellt, dass der Firmenvorstand und der Sicherheitsbeauftragte nicht dafür gesorgt hatten, dass der Staplerfahrer und die anderen Mitarbeiter die notwendigen Unterweisungen erhielten oder dass es entsprechende Anweisungen gab. Deswegen wurden die beiden und der Staplerfahrer, der eine Mitschuld zugab, wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Die Geldstrafen betrugen 1.800 Euro für den Staplerfahrer, 4.000 Euro für den Sicherheitsbeauftragter und 20.000 Euro für den Vorstand.
(Bild: Pexels)
Vision Zero
Glücklicherweise sind tödliche Arbeitsunfälle nicht so häufig, wie man nun meinen könnte. Dennoch endeten in 2018 430 Unfälle tödlich. Zusätzlich gab es in 2018 876.952 Arbeitsunfälle in Deutschland. Statistisch gesehen kostet jeder Arbeitsunfall den Arbeitgeber 500 Euro kalendertäglich an Ausfallkosten. Diese bestehen u. a. aus Einarbeitung für Ersatzpersonal, liegengebliebener Arbeit, Verzögerungen und Störungen im Betriebsablauf. Jeder schwerere Arbeitsunfall bedeutet, wie oben erwähnt, auch einen mitunter kompletten, behördlich angeordneten Stillstand der Tätigkeiten vor Ort, bis der Unfallort wieder durch die Behörde freigegeben wurde. Das kann auch mal ein Wochenende lang dauern.
Die Folgen – wirtschaftlich, an der Reputation, mental, moralisch – mag sich jeder Leser selbst vorstellen. Eine ständig wachsende Zahl von Unternehmen, darunter auch Mittelständler haben mittlerweile die „Vision Zero“ ausgerufen. Diese hat zum Ziel „null“ Arbeitsunfälle zu erreichen. Die DGUV und die Unfallversicherungsträger unterstützen dieses Vorgehen mit reichlich Material und Förderungen. „Sicherheit schaffen ist besser als Vorsicht fordern“ sagte der Arbeitspsychologe Ernst Gniza vor vielen Jahren, und dies sollte das Motto jeder Unternehmung und jedes Unternehmers sein.
Weiterführende Infos zum Thema:
www.dguv.de/de/praevention/visionzero
www.kommmitmensch.de
www.aplusa.de
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Ich beschäftige mich schon seit einiger Zeit mit Arbeitsschutz. Es ist jedoch immer gut, sich weiter zu informieren. Dieser Artikel hat mir dabei geholfen. [Hinweis der Redaktion: URL entfernt]