Interview: Was ist das Geheimnis erfolgreicher Marken?
von Andreas Schäfer,
Michael Schirner saß 1999 das erste Mal vor dem Mikrofon von EVENT-PARTNER-Autor Andreas Schäfer. Damals galt er schon als der Werbe- und Marken-Papst. Durchaus zur Selbstironie fähig, benannte er sich für ein eigenes Musikwerk auch „Pope“. Schirner ist das beste Beispiel dafür, dass man mit Werbung durchaus Kunst machen kann.
Den langjährigen Düsseldorfer Micheal Schirner hat es letztlich auch vom Rheinland in die Galerienstraße im Berliner Scheunenviertel verschlagen. In der Auguststraße 6 residiert er jetzt neben dem me Collectors Room und dem KW Institute for Contemporary Art, die er gut füllen könnte. Die „Ich trinke Jägermeister, weil …“- Kampagne oder die typografische Kampagne „schreIBMaschinen“ auf Großplakaten für IBM sind Legende wie er selbst. Er ist – zusammen mit seiner Frau Kexin Zang – Kreativdirektor, Künstler, Autor, Geschäftsführer der Schirner Zang Institute of Art and Media GmbH, Vorstand der Schirner Zang Foundation, außerdem Professor an der Hochschule für Gestaltung im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe, Honorarprofessor an der Hochschule für Künste Bremen und lehrt an der Central Academy of Fine Arts Beijing (CAFA), China. Er ist Ehrenmitglied des ADC und Mitglied der Hall of Fame der deutschen Werbung. Man kann ihn wirklich getrost den Papst der deutschen Werbung nennen. Vielen bedeutenden Marken hat er in den Himmel der Aufmerksamkeit geholfen.
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Sie haben viel erreicht, Sie könnten entspannt in der Toskana sitzen und das Leben an sich vorbeiziehen lassen. Warum engagieren Sie sich noch in Ihrem Institut?
Die Michael Schirner Institut für Kunst und Medien GmbH stammt aus der Zeit, in der ich als Professor für Kommunikationsdesign an der Hochschule für Gestaltung im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe lehrte. Damals pendelte ich zwischen unserer Agentur in Düsseldorf und der HfG Karlsruhe. Und ich pendelte zwischen Karlsruhe und Beijing, zusammen mit Kexin Zang, der chinesischen Künstlerin und Mediendesignerin. Sie initiierte eine Partnerschaft zwischen der HfG und der Kunstakademie Nr. 1 Chinas, der Central Academy of Fine Arts Beijing. In der Akademie führten wir Workshops mit chinesischen Design-Studierenden durch. Das Ergebnis waren tolle Foto- und Video-Ausstellungen. Heute ist Kexin meine Frau, Geschäftsführerin und Kreativdirektorin der Schirner Zang Institute of Art and Media GmbH. Und 2012 rief sie die Schirner Zang Foundation ins Leben. Die gemeinnützige Stiftung fördert Kunst und Kultur, Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung und den Kulturaustausch zwischen Europa und Asien. In der Foundation machen wir pro bono Kommunikationsprojekte, in der Agentur kommerzielle.
Sie haben uns 1999 einmal gesagt, dass Marken die neuen Religionen wären. Ist Apple die in diesem Sinne erfolgreichste neue Kirche mit den treuesten Apologeten?
Apple ist heute der global führende Technologiekonzern. Aber nicht nur das: Apple macht auch ausgezeichnete Kampagnen. Jedes Jahr zeichnet die Jury der Schirner Zang Foundation das innovativste Beispiel gedruckter Kommunikation mit dem „Power of Print Award“ aus. Der Gewinner war 2015 die iPhone-6-Kampagne „World Gallery“ von Apple. Mit ihr bewies Apple, dass gute, ästhetisch anspruchsvolle Werbung die wahre Kunst unserer Zeit ist. Der Satz von Joseph Beuys muss entsprechend ergänzt werden: „Jeder Mensch ist ein Künstler, vorausgesetzt, er hat ein iPhone von Apple.“
Hat der IS (Islamische Staat) nicht ebenso das konsequente Vorgehen einer Marke und schafft es, Aufmerksamkeit, Wiedererkennung und Wirkung zu erzielen?
Im Sinne eines erweiterten Begriffs von Marketingkommunikation und wenn Sie die Terroranschläge vom 11. September 2001 als Ergebnis von Eventmarketing sehen, mögen Sie recht haben. Demnach wäre „9/11“ der Markenname und die Schlüsselbilder der Markenkommunikation die vom Angriff auf das World Trade Center. Damit haben die Terroristen es auch geschafft, dass diese Bilder Teil der Serien „Pictures in our Minds“, meiner Fotoausstellung ohne Fotos, wurden, den schwarzen quadratischen Tafeln mit Kurzbeschreibungen von Bildern, die sich tief in das Gedächtnis von uns allen eingebrannt haben: „Wreckage of the World Trade Center”, „Crowds on the Berlin Wall”, „Albert Einstein sticking his toungue out“ etc.
Was macht eine erfolgreiche Marke aus?
360-Grad-Kommunikation. Also die Kommunikation der Kommunikationen: der gedruckten, der elektronischen und der digitalen Medien, des Content Marketings, der Live-Kommunikation etc. Für 360-Grad Kommunikation müssen Konzepte entwickelt werden, in denen alle Medien, Mittel und Maßnahmen der Kampagne konzeptuell aufeinander bezogen, einer zentralen Kommunikationsidee folgen und mediengerecht um- und eingesetzt werden.
Gibt es Beispiele?
Die „Artists for Safer Sex“-Kampagne unserer Foundation. Kreativdirektorin ist Kexin Zang. Die Multimediakampagne startet am 25. Juni 2016. Mit der Kampagne und unseren Partnern schaffen wir eine spannende Verbindung zwischen gedruckten, elektronischen, digitalen Medien, Content Marketing, Live-Kommunikation und dem Zentrum der Kampagne, unserer Aktionswebsite Für hohe Reichweite sorgen unsere Medienpartner Der Spiegel, Focus, Playboy, brand eins, Spex, Die Zeit, ze.tt, Bild, Frankfurter Rundschau, taz, die tageszeitung etc. mit je 24 Anzeigen in 2016, OnlineBannern, Einbettung unserer Website in ihre Online-Ausgaben, Einbindung der Social Networks und kontinuierlichen redaktionellen Beiträgen der Partner zur Begleitung der Kampagne.
Für hohe Aufmerksamkeitswerte sorgen die Artists for Safer Sex: das sind 24 Top-Lifestyle-Fotografen. Sie haben das Schlüsselbild der Kampagne „Erigierter Penis mit Hand und Kondom“ so fotografiert, dass man Lust bekommt, Sex mit Kondom zu machen. Drei der kreativsten Filmemacher schießen Virals zum Slogan der Kampagne „Safy Sex is super Sex“.
Für aktive Teilnahme der Internet-User sorgen junge Webdesigner aus fünf der besten Digitalagenturen, die mit ihren Online-Aktionen zeigen, welchen Spaß Sex mit Kondomen macht, z. B. Safy Sex Doodle Challenge, Safy Sex Photo Contest, Safy Sex Casting Show, Safy Sex Blow Up Challenge, Safy Sex Fashion Show, Safy Sex Emojis, Safy Sex Art Exhibition and Auction.
Für Live-Kommunikation sorgt unsere Safy-Sex-Benefiz-Ausstellung mit -Auktion: Zum Kampagnenende stellt die Foundation Arbeiten der 24 Fotografen, außerdem gestiftete Werke bekannter bildender Künstlern wie Andreas Gursky, Gerhard Richter, Markus Lüpertz, Albert Oehlen, Daniel Richter, Norbert Bisky und Jonathan Meese, in einem Berliner Museum aus. Zur Ausstellung erscheint ein umfangreiches Katalogbuch. Und nach der Ausstellung werden die Werke in einer Benefiz-Kunstauktion versteigert.
Und wie schafft man garantiert den Untergang eines Markenunternehmens oder das langsame Versinken eines Markensterns?
Wenn man die Nutzung der herrlichen Möglichkeiten, die die Kommunikationstechnologie heute bietet, anderen überlässt.
Welche Rolle spielt die Live-Kommunikation heute?Sie haben sich 1999 sehr skeptisch dieser gegenüber geäußert.
Die digitalen Medien haben uns die Qualitäten der analogen Medien und der Live-Kommunikation wieder bewusst gemacht. In Zukunft werden die digitalen Medien sich mehr und mehr mit den analogen verbinden und umgekehrt. Die Unterschiede werden verschwinden, unsere Körper werden Teil der Medien.
Die Digitalisierung frisst alte Kommunikationsmodelle, wie die bezahlte Zeitung. Haben Sie das erwartet und müssen wir uns auf die neuen Wege wie Google oder Facebook verlassen?
Was heute Google, Facebook, Apple etc. sind, das waren in den 1970er und 80er Jahren IBM, The Big Blue. IBM war unser größter und liebster Client. Wir haben über ein Jahrzehnt die gesamte Kommunikation der IBM Deutschland gemacht. Und unsere Aufgabe war, den Deutschen Datenverarbeitung und Informationstechnologie beizubringen. Unsere Kampagne war die Computer-Schule der Nation. Dass wir heute in einer Welt mit Google, Facebook, Apple etc. leben und arbeiten, hat seinen Ursprung in unserer Arbeit für IBM. Ich finde diese Welt großartig und unsere Möglichkeiten faszinierend.
Das umherschwirrende gigantische Kapital sorgt für weitere Verdichtung bei den großen Unternehmen. Apple hat 200 Milliarden Dollar in der Kriegskasse. Edeka schluckt Kaisers. Finden Sie die Konzentration auf immer größere Player nicht auch erschreckend?
Das Tolle an der Größe von Unternehmen wie Google ist, dass sie groß- artige technologische Entwicklungen möglich, unsere Welt und ihre Produkte intelligenter, uns klüger und froher macht. Das Tolle an diesen Technologien ist aber auch, dass sie jedem Einzelnen und kleinen Gruppen die Möglichkeiten geben, erfolgreiche Unternehmer zu werden. Denken Sie an all die Start-ups, die mit guten Ideen erfolgreich werden können.
Sie haben damals mit der Aussage „Werbung ist Kunst“ provoziert. Womit provozieren Sie heute?
Ich habe nicht provoziert, sondern konstatiert. Was Beuys mit „Jeder Mensch ist ein Künstler“ und ich mit „Werbung ist Kunst“ proklamiert haben, ist heute für alle Realität geworden. Heute kann jeder, der ein Mobiltelefon hat, Kunst machen, für sich werben, Hauptdarsteller in seiner Sendung werden, Hersteller, Händler, Kunde und alles, was er will, in einer Person sein.
In dem Buch des ADC „50 Ideen für Deutschland“ setzen sich meine Studierenden und ich für die Abschaffung des Nationalen ein. Wir fordern: „Verbrennt eure Pässe, werdet Staatenlose“. Denn wenn es keine Nationen mehr gibt, dann gibt es auch keine nationalen Konflikte, Kriege, Flüchtlinge etc., wir müssten keine Steuern zahlen und jeder Mensch bekommt ein bedingungsloses Grundgehalt.
Was möchten Sie unbedingt noch erleben?
Genau das. Und dass wir das Ziel unserer „Artists for Safer Sex“-Kampagne – null HIV- Neuinfektionen in fünf Jahren – erreichen. Helfen Sie mit, spenden Sie für Prävention und HIVForschung oder besuchen Sie die Kampagnen-Website safy-sex.de der Foundation und spenden Sie online.