Das Labor Tempelhof: Urbane Zukunftsvision nach Cradle to Cradle
von Vivien Grott,
Wie kann eine Großveranstaltung kreislauffähig konzeptioniert werden, sodass sie gut für Mensch und Umwelt ist und einen positiven Fußabdruck hinterlässt? Das Projekt Labor Tempelhof liefert mit Cradle-to-Cradle-Lösungen Einblicke.
Das stille Örtchen auf einem Großevent wie einem Konzert oder Festivals aufzusuchen wird leider viel zu oft zu einer ekligen Angelegenheit. Dabei kann der Besuch der Toilettenanlage sogar etwas für die Umwelt tun – zumindest, wenn man Besucher:in des Projekts Labor Tempelhof war. Auf insgesamt drei Konzerten der Bands Die Toten Hosen und Die Ärzte konnte die feierwütige Meute in einem spielerischen Bildungselement, dem „Phosphor-Meter“, bestimmen, was theoretisch mit ihrem Urin, genauer gesagt mit dem im Urin enthaltenen Phosphor, passieren soll, z.B. Möhrchen und anderes Gemüse zum Wachsen zu bringen. So wurden sie quasi selbst Teil der sogenannten Kreislaufwirtschaft.
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Das Labor Tempelhof
Initiatoren des Projekts Labor Tempelhof sind Cradle to Cradle NGO, Loft Concerts GmbH, KKT GmbH – Kikis Kleiner Tourneeserv-ice und Side by Side Eventsupport GmbH. Im Rahmen von drei Projektstufen wollen die Initiatoren vom Reden ins Handeln kommen. „Mit dem Labor Tempelhof zeigen wir, wie wir mit Cradle to Cradle (C2C) Mehrwerte schaffen – während der Konzerte, aber auch darüber hinaus“, erklärt Tim Janßen, Geschäftsführender Vorstand von Cradle to Cradle NGO. „Viele C2C-Lösungen lassen sich im Kleinen bereits umsetzen, doch oft fehlen noch die richtigen Rahmenbedingungen für die Skalierung. Das wollen wir in diesem Laborprojekt mit vielen Umsetzungspartnern transparent offenlegen und dadurch Veränderungen anstoßen. Wir hoffen, dass dadurch Großveranstaltungen, die Mehrwerte für Mensch und Umwelt schaffen, zum neuen Normal werden.“
Die erste Projektstufe umfasste die drei Konzerte auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Tempelhof. Sie sollen als ein Leuchtturm für C2C-inspirierte-Großevents verstanden werden und als Vorbild für die Eventbranche dienen. Vor Ort testete das Labor Tempelhof im August mit weiteren Partnern aus der Praxis möglichst klima- und ressourcenpositive Produkte, Prozesse und Innovationen. Nun wird ihre Skalierbarkeit bei Großveranstaltungen geprüft. Rund 180.000 Fans besuchten die Konzerte.
Im Rahmen der zweiten Projektstufe sollen in den nächsten Monaten die Ergebnisse der Maßnahmen transparent in einem mehrsprachigen, digitalen Guidebook veröffentlicht werden. Auch eine Transformationsplattform gehört zu den weiteren Projektbausteinen des Labor Tempelhof. Über sie sollen Netzwerke geknüpft sowie Erfahrungen und Ideen ausgetauscht werden können. In der finalen Projektstufe sollen dann die langfristigen Wirkungen des Labor Tempelhofs thematisiert werden.
Gamification für mehr Nachhaltigkeit bei Festivals
Sollen Festivals und andere Großevents nachhaltiger umgesetzt werden, müssen auch die Besucher:innen aktiv mitgenommen werden. Anregung zur Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, zum Green Camping oder zum Müllsammeln können beispielsweise Gamification-Ansätze bieten. Hier liefert der Dienstleister kippdata mit seinem Produkt placeit EventTokenizer (pET) verschiedene Optionen, die auch gleich eine aktive Einbindung von Sponsoren ermöglichen.
(Bild: kippdata)
Die WebApp, die mit dem Scannen eines QR-Codes gestartet wird, verwendet die Konzepte Token und Location. Die Aufmerksamkeit wird auf nachhaltige Lösungen gelenkt und gewünschtes Besucherverhalten mit dem Sammeln von Tokens verstärkt. Zusätzlich liefert pET Daten für Analysen, um zukünftige Konzepte optimal an Besucher:innen und deren Verhalten ausrichten zu können. Die vorhandenen Daten können beispielsweise verwendet werden, um detaillierte Informationen über die Bewegung der Besucher:innen des Events zu gewinnen. Es lässt sich feststellen, wie viele Besucher:innen sich wie lange an einem Ort aufgehalten haben, wo Tokens gesammelt wurden und wie viele Besucher:innen beispielsweise den öffentlichen Verkehr für ihre An- und Abreise benutzt haben.
Ideal ist es, wenn die Veranstalter:innen einen oder mehrere Sponsoren gewinnen, die das Sammeln von Tokens, also das nachhaltige Verhalten der Besucher:innen, belohnen.
Konzertreihe: Auszug der Maßnahmen
Doch wie können bei 180.000 Konzertbesucher:innen Rohstoffe in den Kreislauf gebracht werden, soziale Arbeitsbedingungen gefördert und Böden aufgebaut statt abgebaut werden? Und nicht zu vergessen: Wie können weiterhin das Konzert-Feeling und der Spaßfaktor für die Besucher:innen im Fokus stehen?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat das Labor Tempelhof verschiedene „C2C-Cases“ entwickelt. Die Bands stellten ihre Konzerte als Labor zur Verfügung, um diese live zu testen. Daher sind die Konzerte als Versuchsanordnung zu verstehen und auch aus C2C-Sicht kein perfektes Endergebnis. Es soll offengelegt werden, wo Dinge noch nicht funktionieren und was benötigt wird, damit sich das ändert.
So zeigen die C2C-Cases, welche C2C-Innovationen und alternativen nachhaltigen Lösungen heute auch im Veranstaltungskontext schon vorhanden sind. Im Folgendem werden die ersten Maßnahmen und einige Ergebnisse vorgestellt.
Sanitär & Wasser
Beim Sanitärkonzept wollte das Labor Tempelhof einen möglichst großen Anteil der Reststoffe aus den Toiletten weiter nutzbar machen. So kamen beispielsweise Trockentoiletten zum Einsatz, deren Inhalte zu Humus verarbeitet wurden. Der Kot und Urin der wassergespülten Mobiltoiletten wurde zu einer speziellen Kläranlage transportiert, die aus dem Klärschlamm Phosphor, ein wichtiger Bestandteil von Düngemittel, zurückgewinnt. So konnten am Ende mehr als 80% der Toiletten-Nährstoffe zurück in den Kreislauf geführt werden.
Catering, Gastronomie & Nährstofflogistik
Bei den Konzerten wurde auf ein Pfandsystem mit Mehrwegbechern gesetzt. Die verschiedenen Food-Stände arbeiteten zudem mit abbaubarem Geschirr, welches im Rahmen des Abfallkonzepts gesondert gesammelt wurde.
Abfall ist jedoch nicht nur Müll, sondern kann auch ein wertvoller Nährstoff sein. Dafür war eine Abfalltrennung von Kompost, Papier, Buntglas und Restmüll von großer Bedeutung. C2C-Botschafter:innen standen an 25 „Nährstoffinseln“, klärten über Nährstoffe auf und behielten die Mülltrennung im Blick. Dabei sei es laut Tim Janßen durchaus eine Herausforderung gewesen, den (betrunkenen) Gästen die Notwendigkeit der Mülltrennung deutlich zu machen.
Auch die Ernährung stand im Kontext des Konzepts, da auch im Zuge von Cradle to Cradle eine regenerative Landwirtschaft ein gesellschaftliches Ziel sein muss: Die Crew und die Bands ernährten sich alle zu 100% vegetarisch oder vegan. Für die Besucher:innen wurden circa 60% vegane oder vegetarische Gerichte angeboten. Dies ist vor allem für eine regenerative Landwirtschaft wichtig, welche gestörte Nährstoff-, Wasser- und Kohlstoffkreisläufe schließt.
Grüner Strom
Trotz der zentralen Lage mitten in Berlin war es ein enormer organisatorischer und finanzieller Aufwand, die Bühne und das Gastro-Angebot auf dem Gelände mit Feststrom zu versorgen und damit den gesamten Betrieb von den üblichen Diesel-Aggregaten auf 100% Ökostrom umzustellen. Eine Ausnahme stellten ein sicherheitsrelevantes, autark zu betreibendes Gerät und vier schwer zugängliche Lichtmasten dar, die das Labor Tempelhof mit einer pflanzlichen Kraftstoff-Alternative betrieb, die ca. 80 bis 90% weniger Emissionen verursachte. Möglich machten dies die Veranstalter:innen, die den grünen Strom finanzierten, technische Vorrausetzungen schafften und hunderte Meter an Kabel verlegten.
Vorbildfunktion
Das Labor Tempelhof zeigt, dass bereits heute vieles – auch in der Eventbranche – möglich ist. Es macht aber auch deutlich, dass die Gesellschaft weiterhin vor großen Herausforderungen steht, wenn eine Kreislaufwirtschaft Realität werden soll. Hier ist das Labor Tempelhof noch lange nicht fertig, betont Marcel Tietze, Co-Initiator des Labor Tempelhofs und Geschäftsführer von Loft Concerts GmbH: „Als Veranstalter wollen wir unserer Vorbildfunktion gerecht werden und mutig neue Lösungen ausprobieren. Wir freuen uns darauf, auch nach den drei Konzerten mit der gesamten Branche in den Austausch zu gehen, um unsere Erfahrungen und Erkenntnisse weiterzuentwickeln.”