Destinationen & Dienstleister müssen nachhaltig werden
von Anna Habenicht,
Der gesellschaftliche und politische Druck, nachhaltig zu handeln, wird immer größer und macht auch vor der MICE-Branche nicht halt. Wie stellen sich Destinationen und Dienstleister heute schon nachhaltig auf? Welche Rolle spielen dabei Zertifikate? Und was muss sich zukünftig ändern?
(Bild: TarikVision/Shutterstock)
Greenwashing, keine Transparenz der Maßnahmen, wenig Offenheit gegenüber Kritik – ob Nachhaltigkeit wirklich von einem Unternehmen gelebt wird oder nur ein Marketing-Image ist, kann auf den ersten Blick nicht immer erkannt werden. Schwammige Angaben, unklare Begriffe, verschiedenste Zertifikate und Labels erleichtern für Ungeübte nicht gerade die Überprüfung des grünen Profils eines Unternehmens.
Anzeige
War Nachhaltigkeit früher nur ein Nice-to-have und leider öfters wirklich nur Teil der Unternehmensvermarktung, wird Sustainability dank des öffentlichen Drucks – Stichwort Fridays for Future – sowie diverser europäischer, aber auch nationaler Gesetze nun zu einem Must-have. Nachhaltig zu handeln, wurde somit von der Kür zur Pflicht. Doch was bedeutet das für Unternehmen der Event- und MICE-Branche?
Veränderte Bedeutung
Für Expert:innen ist klar, dass Nachhaltigkeit zu einem der zentralen Handlungsfelder unserer Zeit gehört. Denn nur durch eine breit angelegte und schnelle Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft ist ein Erhalt unseres Planeten in einem lebenswerten Zustand möglich. Entsprechend hat Deutschland beschlossen, im Jahr 2045 klimaneutral zu sein. Das hat auch Auswirkungen auf die Eventbranche, betont Prof. Dr. Markus Große Ophoff, fachlicher Leiter und Prokurist DBU Zentrum für Umweltkommunikation und Honorarprofessor für Veranstaltungsmanagement und Nachhaltigkeitskommunikation an der Hochschule Osnabrück: „In 23 Jahren darf somit folgerichtig kein Veranstaltungszentrum mehr mit fossilen Brennstoffen beheizt, kein Flug mit fossilem Kerosin mehr stattfinden und kein Strom mehr aus Kohle, Öl oder Gas verwendet werden. Diese Herausforderung erfordert konsequentes Handeln in allen Branchen. Das gilt gerade auch für die Veranstaltungswirtschaft, die viel Verkehr initiiert und beispielsweise auch für große Mengen an Nahrungsmitteln beim Catering verantwortlich ist.“
Dass die Akteure der Eventbranche diese Verantwortung wahrnehmen, zeigt die Studie „Tagung und Kongress der Zukunft“ des GCB German Convention Bureau. Dort wurde das Thema Nachhaltigkeit bereits 2013 als Megatrend für Meetings, Tagungen und Kongresse identifiziert – auf Angebots- wie auf Nachfrageseite. Viele Kund:innen würden heute selbstverständlich von einem nachhaltigen Standard ausgehen, betont Matthias Schultze, Managing Director des GCB. Laut Meeting- & EventBarometer sei bereits für knapp zwei Drittel der Veranstaltenden nachhaltiges Eventmanagement ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung für oder gegen eine Location geworden. Und im Jahr 2020 hätten bereits über 45% der Veranstaltungsstätten in Deutschland über ein Nachhaltigkeitsmanagementsystem verfügt; eine stetig steigende Zahl.
Auch im Destinationsmanagement würden Nachhaltigkeitsstrategien aus diesen Gründen eine immer größere Rolle spielen, weiß Schultze. In Kombination mit dem Megatrend „Digitalisierung“ sei es für Destinationen möglich, Dienstleistungen wie z.B. Mobilitätskonzepte oder Kommunikationsleistungen wesentlich nachhaltiger als noch vor zehn Jahren anzubieten. „Destinationen müssen heute in ihrer Vermarktungsstrategie aufgreifen, welche Maßnahmen sie etwa zum Schutz der Natur oder zur Sicherung der Zukunft ihrer Region ergreifen.“
Zertifikat-Dschungel und ein erster Start
Hilfreich dabei können öffentlich wirksame Zertifikate und Indexierungen sein. Doch Unternehmen stehen vor der Qual der Wahl, wenn sie nachhaltig handeln möchten, und das bestenfalls auch noch nachweislich: Green Globe, fairpflichtet, Certified Green Hotels, ISO 14001, Sustainable Development Goals (SDG), EMAS … Der Dschungel an Zertifikaten, Indexierungen, Zielsetzungen und Selbstverpflichtungen kann schnell abschreckend wirken. Auch für Veranstalter und Planende kann es schwer sein, zu verstehen, was hinter den bunten Plaketten und schicken Namen steckt.
„Die Entscheidung für eine Zertifizierung hängt stark von den individuellen Bedürfnissen und Voraussetzungen des jeweiligen Unternehmens ab. Vor der Entscheidung für eine bestimmte Zertifizierung sollte in jedem Fall die eigene Zielsetzung definiert werden“, betont daher auch Matthias Schultze.
Einen guten ersten Einstieg dürfte jedoch der Nachhaltigkeitskodex fairpflichtet bieten. Mitglieder können hier im Rahmen der freiwilligen Selbstverpflichtung ihre nachhaltigen Aktivitäten in einem Nachhaltigkeitsprofil dokumentieren. Auch Prof. Dr. Markus Große Ophoff empfiehlt die Teilnahme am sogenannten Nachhaltigkeitskodex der Veranstaltungsbranche: „Mit diesem Kodex ist ein niederschwelliger und preisgünstiger Einstieg möglich. Kurze Online-Seminare und ein Austausch untereinander helfen zusätzlich bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitskonzepten.“ Jürgen May, Geschäftsführer der Beratungsagentur für Nachhaltigkeit 2bdifferent, betont jedoch, dass Selbstverpflichtungen, bei denen keine externe Auditierung stattfindet, immer nur der Beginn der Nachhaltigkeitsreise sein sollten. Auch wenn Labels wie fairpflichtet wertig seien, könnten Absichtserklärungen – beispielsweise im Vergleich zu einer ISO-Zertifizierung – zudem nur schwer von außen bewertet werden.
Einen guten Einstieg in das Thema Nachhaltigkeit kann auch die Auseinandersetzung mit den SDGs der Vereinten Nationen sein. Dienstleister können etwa schauen, welche Ziele zu ihrem Unternehmen passen und danach ihr Handeln ausrichten. Diese Aktivitäten können natürlich auch z.B. auf der Unternehmenswebsite veröffentlicht werden.
Prof. Dr. Große Ophoff empfiehlt zum Start außerdem eine Orientierung am Leitfaden für die nachhaltige Organisation von Veranstaltungen des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamts: „Dieser verfügt im hinteren Teil über eine Checkliste, über die man seine eigene Arbeit gut strukturieren und prüfen kann. Zudem berücksichtigt der Leitfaden auch Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit.“
Grundsätzlich bieten fast alle relevanten Verbände und Institutionen der Eventbranche inzwischen Expertise zum Thema Nachhaltigkeit. Auch übergeordnete Stellen wie die Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), das Bundesumweltministerium oder der Rat für Nachhaltige Entwicklung bieten zahlreiche Informationen, Hilfestellungen und Denkansätze zum Thema Nachhaltigkeit.
Kleine Einstiegslabels können also gut sein, um die Leute abzuholen und in das Thema reinzukommen. Nach ein paar Jahren sollte das Engagement jedoch ausgeweitet werden. Auch weil Labels ohne Auditierung beim Supplier Check durch Auftraggeber in der Regel im Ranking keine oder kaum Punkte einbringen würden, betont Jürgen May.
Doch genau diese Bewertungen würden aufgrund von Nachhaltigkeitsstrategien in Unternehmen immer wichtiger werden. Einkäufer:innen und Planende im Corporate-Bereich sind dazu angehalten oder sogar verpflichtet, auch bei der Organisation von Events entsprechend den nachhaltigen Zielsetzungen im Unternehmen zu handeln. Die Anforderungen beim Auftraggeber werden also in die Eventbranche übertragen. „Alles, was im Unternehmen mit Außenwirkung durchgeführt wird, muss sich an der Nachhaltigkeitsstrategie orientieren!“, weiß auch Jürgen May.
Auch deshalb sollten sich Destinationen und Dienstleister bei der Entscheidung für ein Label oder ein Managementsystem genau überlegen, welche Zielgruppe damit angesprochen werden soll. So könnte bei der Adressierung überwiegend internationaler Stakeholder eine international anerkannte Zertifizierung empfehlenswert sein, erklärt Matthias Schultze. Wohingegen nationale Kund:innen sich vielleicht auch in nationalen Zertifizierungen wiederfinden. Doch Schultze betont auch: „Zum anderen ist es wichtig, eine Zertifizierung zu wählen, die zu den eigenen Ressourcen im Hinblick beispielsweise auf das erforderliche Arbeitsvolumen passt. Mit anderen Worten: Die Umsetzung einer Zertifizierung kostet Zeit und je nach Zielsetzung bzw. Maßnahmenpaket auch Geld, dies sollte daher im Vorfeld realistisch bewertet werden.“
Best Practice: Destinationen gehen innovative Wege
Portugal versucht in seinen Nachhaltigkeitsbemühungen so innovativ wie möglich zu sein. Dinge wie Recycling, Diversität bei Panels oder ein intelligentes Abfallmanagementsystem würden bereits zum Standard gehören, betont Rita Marques, Staatssekretärin für Tourismus von Portugal. Das National Tourism Board würde nur Events finanziell unterstützen, die nachhaltig aufgestellt sind. Insbesondere im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit wolle man jedoch neue Wege gehen. „Wir bemühen uns unter anderem darum, Veranstalter und ihre Gäste mit Einheimischen zusammenzubringen“, erklärt Marques. Es geht darum, den Gästen ein authentisches regionales Erlebnis zu ermöglichen und dabei die Geschichte und Tradition des Veranstaltungsortes mit dem eigentlichen Thema des Events zu verknüpfen. Gäste sollen die Werte und Traditionen des Ortes spüren, schmecken und verstehen. Zusätzlich wolle man vermitteln, dass es im Tourismus auch um Diversität, Inklusion und bessere Arbeits- und Lebensumstände für die Menschen, die in diesem Sektor arbeiten und mit diesem in Berührung kommen, geht. Die sozialen Auswirkungen der Branche sollen stärker in den Fokus rücken.
Nachhaltigkeitsreise
Die gesellschaftlichen, politischen, aber auch wirtschaftlichen Anforderungen machen deutlich: Für Akteur:innen der Veranstaltungsbranche geht es längst nicht mehr darum, mit Nachhaltigkeit mehr Aufträge zu bekommen, sondern überhaupt im Wettbewerb zu bleiben!
Um in Sachen Nachhaltigkeit jedoch effektiv vorzugehen, ist es wichtig, das Thema im gesamten Unternehmen zu etablieren und einen/eine Verantwortlich:e zu ernennen. Durch festgelegte Ziele und ein System mit klaren Regeln und Vorgaben können auch Mitarbeitende nachhaltig handeln, die keinen Zugang zu dem Thema haben. Hilfreich könne hier laut Jürgen May ein zertifiziertes Managementsystem sein, Unternehmen könnten aber auch eigene Standards und Strukturen erarbeiten. Wichtig sei es, dass die Maßnahmen dokumentiert und für Auftraggeber klar überprüfbar sind – z.B. durch Zertifikate mit Auditierungen.
Ein nachhaltiges Event zu planen, ist nämlich an sich eigentlich gar nicht aufwendiger, betont Prof. Dr. Große Ophoff: „Der Aufwand liegt nur in der Umstellung. Diese kostet Zeit und erfordert, teils auch andere Lieferanten und Partner zu finden bzw. mit den bestehenden die Abläufe und Produkte zu überarbeiten.“
Wer sich jetzt beim Gedanken, zukünftig nachhaltiger zu handeln, vor einem schier unüberwindbaren Berg sieht, sollte bedenken, dass Nachhaltigkeit kein fester Wert ist, der erreicht werden muss. „Nachhaltigkeit ist vielmehr ein Prozess, in den man sich begibt und jedes Mal ein wenig nachhaltiger wird“, erklärt Große Ophoff. Dieses Bewusstsein, dass sich eben nicht alles auf einmal umsetzen lässt, ist wichtig. Essenziell ist es, die Nachhaltigkeitsreise überhaupt anzufangen und sich dabei stetig weiterzuentwickeln.