Zu viel Inhalt zerstört die große Idee

Die Kunst-Biennale in Venedig 2015

Der japanische Pavillon erfreute sich auf der Kunst-Biennale 2015 großer Beliebtheit, während der deutsche Pavillon ähnliche Schwierigkeiten hatte wie der deutsche Pavillon auf der Expo 2015. Zu viel Content ruinierte hier die ganz große Idee und sorgte für Überfrachtung statt Aufklärung. 

Kunst-Biennale 2015 Japanischer Pavillon
Der japanische Pavillon auf der Kunst-Biennale 2015. (Bild: Annette Beyer)

Deutsche Fabrik gegen japanisches Luftschloss
Publikumsliebling der Kunst-Biennale in Venedig ist zweifellos der japanische Pavillon. Wer ihn betritt, bewegt sich sofort inmitten des raumfüllenden Kunstwerks: ein verwinkeltes Gewölbe aus roten Fäden, an denen Tausende von Schlüsseln hängen. Die dichte Fadenwolke quillt aus einem alten Holzboot. Es symbolisiert eine geöffnete Hand, lernen wir. Aber v. a. macht sich der knorrige Kahn hervorragend in dem filigranen Fadengespinnst. Mehr Informationen wollen und brauchen die meisten Kunstgucker nicht. Sie bewegen sich lustvoll durch das rote Fadengewirr und freuen sich über immer neue Sichtwinkel. „Der Besucher setzt sich aktiv mit dem Kunstwerk in Beziehung“, freut sich der Kunstwissenschaftler. Aber eigentlich sucht der Besucher nur den attraktivsten Bildausschnitt für sein Selfie. Das tut er ausdauernd. Und mit der Zeit fängt ihn die meditative Ruhe des japanischen Pavillons ein. Der Besucher bleibt einfach noch ein bisschen, genießt, und denkt sich irgendwas. Die japanische Künstlerin Chiharu Shiota lebt übrigens seit vielen Jahren in Berlin, aber im deutschen Pavillon hätten ihre absichtslos-schönen Raum-Inszenierungen keine Chance.

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Japanischer Pavillon auf der Kunst-Biennale
Der aus roten Fäden und Schlüsseln bestehende japanische Pavillon auf der Kunst-Biennale. (Bild: Annette Beyer)

Deutschland, die klinisch saubere Denkfabrik
Der öffentliche Kunstbetrieb in Deutschland will den kritischen Diskurs. Das Konzept zum deutschen Pavillon klingt dann auszugsweise so: „Nicht zuletzt lässt sich der Pavillon (…) auch als eine Parabel für die Metamorphose von Bildern lesen, von Bildern im Sinne der klassischen Aufzeichnung hin zur Generierung, Verarbeitung und Projektion von Bildern. Aber auch als Statement zu einem veränderten Gebrauch der Bilder, der die Grenzen zwischen Dokument, Zeugenschaft und Fiktion verwischt.“ Und so sieht er dann auch aus, der deutsche Pavillon.

Die Inszenierungsidee heißt: Der ganze Pavillon ist eine Fabrik. Wenn überhaupt, dann erlebt der Besucher nicht die schmutzige, stampfende Fabrik von vorgestern, sondern die klinisch saubere Denkfabrik der Industrie 4.0, nur leider völlig roboterfrei. Das Lieblingsformat deutscher Kuratoren ist derzeit das „dokumentarische Essay“. Ein typisches Beispiel dafür ist im deutschen Pavillon die Galerie mit Fotos über afrikanische Flüchtlinge in Hamburg und Berlin. Daneben gibt es ein paar Stellwände, auf die der Künstler Tobias Zielony einen Haufen Zeitungsartikel gepinnt hat. Wer sich von dieser dürren Präsentationsform nicht schon von weitem abschrecken lässt, lernt beim Nähertreten, dass es sich um Texte aus den Herkunftsländern der Flüchtlinge handelt. In ihnen geht es um die Emigration der Landsleute – eigentlich ein interessanter Perspektivwechsel. Aber Lust zum Lesen der vielen kleinen grauen Seiten hat kaum ein Biennale-Besucher. Und die allermeisten kriegen den Zusammenhang gar nicht mit.

Installation The Citizen auf der Kunst-Biennale 2015
Installation von Tobias Zielony, The Citizen, 2015, im deutschen Pavillon der Kunst-Biennale. (Bild: Manuel Reinartz)

Spannende Live-Performance – natürlich unsichtbar, sonst wär’s ja banal
Neben Filmen und Fotos zum behaupteten Oberthema „Herrschaft und Revolte“ bietet der deutsche Pavillon noch eine Live-Performance. Auf dem Dach stehen angeblich sieben Monate lang Menschen, die Bumerangs schnitzen und werfen. Der Kurator dazu: Das Dach erscheint „als Heterotopie, als ein ‚anderer Ort‘, an dem sich Freiheit denken lässt.“ Leider sieht der Pavillon-Besucher die Bumerangwerfer nur auf PR-Fotos. Vom Boden aus kann man die Werfer auf dem Dach prinzipiell nicht sehen, weil der Winkel nicht stimmt. Eine schöne Metapher auf die Freiheit als reine Idee? Oder einfach nur verdruckste Abwehr banaler Sinnesfreuden?

Fazit
Deutschland 2015 inszeniert sich auf der Expo und bei der Kunst-Biennale mit vielen richtigen Inhalten als vorbildhaftes Weltgewissen. Das vermittelt sich auch den Besuchern, die deutschen Pavillons sind immer Pflicht. Aber richtig lieb hat sie keiner, diese Strebertypen unter den National Pavillons. Wir warten gespannt auf den deutschen Pavillon zum VW-Skandal.

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