Per „Hammelsprung“ in die Zukunft

Digitales Assistenzsystem IAMU revolutioniert Besuch im Deutschen Expo-Pavillon

Das von facts and fiction entwickelte interaktive digitale Assistenzsystem IAMU feiert in Dubai Premiere. Es ermöglicht „lebendige und individualisierte Erlebnisse“ für Ausstellungen.

Bei der Anmeldung, die aufgrund des Campus-Gedankens „Immatrikulation“ heißt, bekommt jeder Gast ein personalisiertes Namensschild.
Bei der Anmeldung im Expo-Pavillon bekommt jeder Gast ein personalisiertes Namensschild. (Bild: facts and fiction)

Auf rund 600 Hammelsprünge brachte es der Deutsche Bundestag seit seiner Gründung 1949. Im Deutschen Pavillon auf der Expo 2020, die seit 1. Oktober 2021 in Dubai stattfindet, praktiziert jeder der täglich rund 5.000 internationalen Besucher:innen im Laufe des Rundgangs durch den Campus Germany drei Hammelsprünge und macht sich somit vertraut mit diesem in Berlin angewendeten Abstimmungsverfahren bei unklaren Mehrheitsverhältnissen.

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Der Hammelsprung ist nur eine der vielen Innovationen, die der Einsatz des neuen, von facts and fiction entwickelten Digital-Assistenzsystems IAMU (I am you) mit sich bringt. Der Guide begleitet die Besucher:innen durch die gesamte Ausstellung. „Bei Annäherung an die rund fünfzig Exponate bzw. Medien werden diese individuell und personalisiert ausgelöst“, erklärt Andreas Horbelt, für den Deutschen Pavillon verantwortlicher Kreativdirektor bei facts and fiction.

Future City Lab
Future City Lab (Bild: facts and fiction)

Immatrikulation mit Namens-Tag

Bei der Anmeldung, die aufgrund des Campus-Gedankens „Immatrikulation“ heißt, bekommt jeder Gast ein personalisiertes Namensschild. In dem Tag ist ein Sender verbaut, der es über Ultra-Breitband ermöglicht, die Position des Gastes auf allen Achsen in dem rund 4.500 m2 großen Deutschen Pavillon auf 30 Zentimeter genau zu bestimmen. „Die Verknüpfung findet ähnlich wie bei einem QR-Code in einer Datenbank statt, in der der selbst gewählte Nickname des Besuchers, die Nationalität und entweder Deutsch, Englisch oder Arabisch als bevorzugte Sprache gespeichert wird. Der Name-Tag selbst hat nur eine Nummer“, so Andreas Horbelt.

Der Deutsche Pavillon präsentiert in den einzelnen Ausstellungsräumen („Labs“) vor allem Innovationen und Lösungen für eine nachhaltigere Zukunft. Der Bau versteht sich dabei als „ein der Zukunft zugewandter, optimistischer Ort des Wissens, des Forschens und der Begegnung“, heißt es offiziell. Auf dem Weg durch den „Campus Germany“ gibt es für jeden Gast zahlreiche Möglichkeiten der Interaktion und Meinungsäußerung. So entsteht ein Meinungsbild, das neben weiteren Informationen in die Installationen und das Gesamterlebnis der Besucher:innen einfließt.

Im „Future City Lab“ werden die Gäste dank IAMU persönlich begrüßt.
Im „Future City Lab“ werden die Gäste dank IAMU persönlich begrüßt. (Bild: facts and fiction)

„Der Auslöser für IAMU ist immer die Position des Menschen im Raum. Nähere ich mich einem Exponat mit Monitor, werde ich namentlich begrüßt und alle Inhalte präsentieren sich in der zuvor gewählten Sprache. Beschäftigen sich zwei Menschen unterschiedlicher Sprache gleichzeitig mit einem Exponat, wird automatisch in den zweisprachigen Modus mit Untertiteln gewechselt,“ so Andreas Horbelt. „An vielen Punkten im Pavillon reagiert das Gebäude aber auch einfach en passant auf mich und präsentiert Informationen, die für mich relevant sein könnten. Im Energy Lab etwa erfahre ich mehr zum deutschen und weltweiten Energiemix. Kommt jetzt ein Besucher etwa aus Peru in den Raum, werden ihm ganz automatisch die Zahlen seines Heimatlandes angezeigt“, erläutert Andreas Horbelt.


Internationales Publikum

Im Oktober 2021 kamen die Besucher:innen im Deutschen Pavillon aus über 70 Ländern, die Top 10:

  • Indien 27,29 %
  • Deutschland 16,20 %
  • VAE 9,05 %
  • Philippinen 6,62 %
  • Russland 4,10 %
  • Frankreich 3,48 %
  • Pakistan 2,01 %
  • Ägypten 1,95 %

Bällebad „Germany by Numbers“

Die Visitor Journey beginnt im Campus Germany deshalb wie in einer echten Universität mit einer Einführungsveranstaltung, live präsentiert von einer Moderatorin. Im Anschluss öffnet sich der Raum zur „Welcome Hall“ und dem Bällebad „Germany by Numbers“ mit mehr als 100.000 kleinen, gelben Bällen, die als Informationsträger dienen. Jeder Ball erzählt eine Geschichte, präsentiert eine Zahl oder stellt einen Menschen in Deutschland vor, der sich für Nachhaltigkeit engagiert. Man nimmt einfach den Ball, legt ihn auf eines der bereitstehenden Lesegeräte und schon erscheint eine kurze Präsentation auf dem Bildschirm. „Einerseits wollen wir Wissen vermitteln und Innovationen präsentieren“, sagt Andreas Horbelt, „andererseits geht die Erwartungshaltung des Publikums eher Richtung Erlebnispark. Diese Übersetzungsleistung gilt es durch spannendes Edutainment zu lösen, das möglichst allen Spaß macht und gleichzeitig dazu führt, dass bei den Besuchern möglichst viel Wissen hängenbleibt.“

Auf einer Rolltreppe quer durch das Atrium gelangen die Expo-Besucher:innen danach in das abgedunkelte „Energy Lab“. Inmitten von pulsierenden Energieleitungen wird den Gästen eine faszinierende Szenerie geboten, in der man beeindruckende Selfies machen, aber auch etwas über Lösungen zur Energieversorgung und -speicherung der Zukunft lernen kann. Im „Future City Lab“ erleben sie sich selbst inmitten einer vollverspiegelten Stadtlandschaft; und im sich anschließenden „Biodiversity Lab“ als Teil eines riesigen Mobilés, das für die Schönheit und Verletzlichkeit der Natur steht. 100 Bildschirme in unterschiedlichen Größen hängen dort an Trägern und Schnüren.

Im Bällebad „Germany by Numbers“ dienen mehr als 100.000 kleine, gelbe Bälle als Informationsträger.
Im Bällebad „Germany by Numbers“ dienen mehr als 100.000 kleine, gelbe Bälle als Informationsträger. (Bild: facts and fiction)

Gemeinsam aktiv werden in der „Graduation Hall“

Das Highlight der Ausstellung erwartet die Besucher:innen schließlich in der „Graduation Hall“, einem Raum mit hohen Decken und rund 100 Schaukeln. IAMU erkennt beim Betreten des Raums jeden einzelnen und jede einzelne und visualisiert ihre Namen mit Projektionen an den Wänden. Nun gilt es für die sich hier versammelten Besucher:innen, gemeinsam in Bewegung zu kommen und die Schaukeln in Takt zu bringen. So tragen alle Anwesenden gemeinschaftlich zur großen Schluss-Performance bei. Als ein miteinander verbundenes Band können sie als „Beschützer der Erde“ nochmals Teil des großen Ganzen werden. In der Mitte des Raumes taucht eine bewegliche Skulptur aus Bällen auf, diese beginnt sich im Takt des Wellenmusters zu bewegen, zu leuchten und so den Rhythmus des Raumes zu verstärken. „So sollen die Gäste emotionalisiert und mit einem guten Gefühl den Campus Germany verlassen“, meint Andreas Horbelt. „Die Idee dieses Come-togethers am Schluss, bei dem quasi die ganze Welt in einem Raum versammelt ist, ist, dass die Anwesenden spüren, dass sie gemeinsam viel bewegen können. Am Ende werden sie feststellen, dass sie mehr verbindet, als sie trennt, und die Botschaft lautet: Schon kleinste Bewegungen – minimales Engagement im übertragenen Sinne – können Großes bewegen, wenn man sich zusammentut.“

So gelingt es den Machern der Ausstellung durch den Einsatz von IAMU, lebendige und individualisierte Erlebnisse zu kreieren. Sebastian Rosito, im Auftrag der Koelnmesse Direktor und stellvertretender Generalkommissar des Deutschen Pavillons, ist mit dem Ergebnis absolut zufrieden: „Durch IAMU punktet der Deutsche Pavillon mit einer erlebnisreichen Ausstellung, die intelligent und individuell auf die Besucherinnen und Besucher reagiert und live mit ihnen interagiert. So wird den Gästen ein neuartiges und überraschendes Besuchserlebnis ermöglicht. Die Reaktionen sich durchweg positiv.“

In der Graduation Hall erkennt IAMU beim Betreten des Raums jeden einzelnen und jede einzelne und visualisiert ihre Namen mit Projektionen an den Wänden.
In der Graduation Hall erkennt IAMU beim Betreten des Raums jeden einzelnen und jede einzelne und visualisiert ihre Namen mit Projektionen an den Wänden. (Bild: facts and fiction)

Trial-and-Error-Learning

„Wir zeigen mit IAMU einen Mega-Trend in der Technologie-Entwicklung: Technologie wird zunehmend unsichtbar, die uns umgebenden Räume immer intelligenter. Außerdem wollten wir auf die große Internationalität des Standortes Dubai reagieren und haben deshalb das Schlussbild quasi als eine kleine UN-Vollversammlung inszeniert, bei der jede und jeder stellvertretend ihr oder sein Herkunftsland vertritt“, sagt Andreas Horbelt. Eine Herausforderung lag für ihn darin, die entwickelte Spielelogik mit der tatsächlichen Verhaltenslogik übereinzubringen: „Ob das, was wir uns in der Theorie überlegt hatten, dann in der Praxis funktioniert, haben wir hundertfach ausprobiert, erst im Probeaufbau bei uns im Büro, dann ab Mai 2019 vor Ort in Dubai. Und immer wieder nachjustiert, etwa bei der Zeit, die ein Gast mindestens vor einem Monitor stehenbleibt, um IAMU zu aktivieren und den Kontextfilm oder die entsprechende Animation zu starten.“

Um die Technik, IAMU, die all dies erst möglich macht, weiterzuentwickeln, gründete facts and fiction, in Kooperation mit externen Partnern und einem Team von freien Programmierern, ein Spin-off in Köln, die m_Guide GmbH. Zum Einsatz kommt IAMU derzeit auch im Rahmen der Berlin Global Ausstellung im Berliner Stadtschloss/Humboldt Forum. Auch hier ist Partizipation Leitmotiv des Projekts. Demnächst soll die Technik ebenfalls im Lübecker Buddenbrookhaus eingesetzt werden. „Vorher wurde die Technologie hauptsächlich in der Logistikbranche genutzt, etwa für Hochregallager“, erklärt Andreas Horbelt, „nun wollen wir das System weiter spezifizieren, so dass wir unseren Kunden individualisierte, intelligente Nutzungsmöglichkeiten anbieten können.“

Ob die Besucher:innen durch die „Ja“- oder „Nein“-Tür gehen, beeinflusst am Ende das Gesamtergebnis der Gruppe von Menschen, die sich am Ende in der Graduation Hall zusammenfinden.
Ob die Besucher:innen durch die „Ja“- oder „Nein“-Tür gehen, beeinflusst am Ende das Gesamtergebnis der Gruppe von Menschen, die sich am Ende in der Graduation Hall zusammenfinden. (Bild: facts and fiction)

Auch, um noch mehr Interaktion zu provozieren … So wie in Dubai, wo dank des ausgeklügelten Besucherassistenzsystems eben auch die eingangs erwähnten „Hammelsprünge“ zum Einsatz kommen. „Da kommst du aus einem Lab heraus, läufst auf eine Frage zu, etwa: ‚Sollen in Zukunft nur noch erneuerbare Energien zum Einsatz kommen?‘, und dann beeinflusst du mit deiner persönlichen Entscheidung, ob du durch die ‚Ja‘- oder die ‚Nein‘-Tür gehst, das Gesamtergebnis der Gruppe von Menschen, die sich mit dir am Ende in der ‚Graduation Hall‘ zusammenfinden“, sagt Andreas Horbelt begeistert. IAMU bietet dabei die technische Grundlage, um eben diese komplexen Meinungsbilder entstehen zu lassen, die – verknüpft mit anderen Informationen – Teil zukunftsweisender Rauminszenierungen und Besuchererlebnisse sein können.


Team des Deutschen Pavillons

Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie verantwortet die Koelnmesse GmbH Organisation und Betrieb des Deutschen Pavillons auf der Expo 2020 in Dubai. Konzept, Planung und Realisierung des Deutschen Pavillons liegen bei der „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Pavillon Expo 2020 Dubai“, bestehend aus den Unternehmen facts and fiction GmbH (Köln, verantwortlich für das inhaltliche Konzept sowie die Ausstellungs- und Mediengestaltung) und Nüssli Adunic AG (Hüttwilen, Schweiz, verantwortlich für die bauliche Ausführung). Die Architektur und das räumliche Konzept stammen von LAVA – Laboratory for Visionary Architecture (Berlin). Das Kulturprogramm „Culture Lab“ verantwortet die Frankfurter Agentur Voss+Fischer zusammen mit dem Kultur- und Medienmanager Mike P. Heisel als Arbeitsgemeinschaft.

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