Von bühnentechnischen Raffinessen bis zum Überraschungsmoment
Erfolgsfaktoren von Musicals und deren Übertragbarkeit
von Martina Courth, Artikel aus dem Archiv vom
Was macht ein Musical erfolgreich – in Deutschland wie auch international – und welche Faktoren lassen sich auf den Erfolg von Corporate wie auch Leisure Events übertragen? Musical-Produzent Moritz Scherberich gewährt Einblicke.
Welche Faktoren müssen gegeben sein, dass eine Musical-Produktion beim deutschen Publikum gut ankommt und das Stück ein Erfolg wird?
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Moritz Scherberich: Wenn man das genau vorhersagen könnte, würden wohl viel mehr Menschen ihr Glück als Musical-Produzent:in versuchen. Diese Frage kann uns keine noch so raffinierte Marktforschung präzise beantworten. Aus unserer jahrzehntelangen Produzentenerfahrung heraus lassen sich aber ein paar Punkte benennen:
Es hilft enorm, wenn bei einem neuen Stück entweder die Musik oder die zugrunde liegende Geschichte bereits einigermaßen bekannt sind – im Idealfall sogar beides. Daher gibt es so oft Musicals, die auf einer bekannten Film- oder Buchvorlage beruhen oder auf die Musik eines bekannten Künstlers bzw. einer Künstlerin oder einer populären Band zurückgreifen.
Außerdem kommen beim Publikum beeindruckende Bühnenbilder und bühnentechnische Raffinessen gut an: wie z.B. ein fliegender Teppich („Aladdin“), ein sich über den Orchestergraben schiebender Boxring („Rocky“) oder ein senkrecht stehendes Fußballfeld mit Spielern an Bungee-Seilen („Wunder von Bern“) – oder früher der Kronleuchter-Sturz bei „Phantom der Oper“.
Stücke mit inhaltlichem Bezug zu unserem Kulturraum sind ebenfalls sehr beliebt, so etwa „Ich war noch niemals in New York“ mit Songs von Udo Jürgens oder das die deutsch-deutsche Trennung thematisierende „Hinterm Horizont“ von Udo Lindenberg. Aber auch Märchenstoffe kommen beim deutschen Publikum gut an.
Elemente, die dem Publikum das Gefühl geben, ganz nah dran zu sein, sind ebenfalls sehr beliebt: z.B. die Flugbahnen über die Köpfe der Zuschauer hinweg bei „Tarzan“, die durch den Saal einziehenden Tier-Puppets beim „König der Löwen“ oder die direkte Ansprache der Gäste durch die Art des Gesangs und der Texte bei „Hamilton“.
Insgesamt ist der Dreiklang aus Tanz, Gesang und Schauspiel, unterstützt durch ein Live-Orchester und perfektes Ton- und Lichtdesign, typisch für jedes Musical. Wenn all das auf höchstem Niveau zusammenkommt, spürt das Publikum das – und dankt es mit hohen Ticketverkaufszahlen.
Wie messen und bewerten Sie dies?
Scherberich: Die Bemessung ist recht simpel: Ein Erfolg ist jedes Musical, das die Investitionskosten zurückverdient und darüber hinaus auch die laufenden Spielkosten decken kann. Die Bewertung, warum das Publikum ein Musical besonders mag bzw. welche Faktoren dazu beigetragen haben, ist sehr viel komplexer.
Natürlich fragen wir bei jeder Show ab, ob und warum die Gäste das Stück mochten bzw. was ihnen nicht gefiel. Aber selten sind die Erkenntnisse, die wir daraus gewinnen, so eindeutig, als dass wir daraus ein garantiert erfolgreiches Konzept für neue Shows basteln könnten. So sagt fast niemand, dass er nur wegen des imposanten Licht-Designs noch einmal zu „Tanz der Vampire“ gehen würde. Trotzdem trägt das tolle Licht dieser Show natürlich zum Gesamteindruck und zur Begeisterung jedes Zuschauers bzw. jeder Zuschauerin bei.
Welche Faktoren sind – im Gegensatz zu Deutschland – in anderen Ländern und Kulturen wichtig, damit ein Musical als Erfolg gilt? Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Scherberich: Insgesamt ist das Publikum in den „Mutterländern“ des Musicals, also Großbritannien und den USA, etwas experimentierfreudiger und lässt sich leichter auch auf Shows ein, deren Titel, Musikstile oder Story Lines nicht von vornherein bekannt sind.
„Dear Evan Hansen“ ist z.B. ein großer Broadway-Erfolg in den vergangenen Jahren, thematisiert Mobbing von Jugendlichen und hat Musik aus der Feder vergleichsweise unbekannter Komponisten – und kein aufwändig gestaltetes Bühnenbild. Das wären für das deutsche Publikum zu viele Unbekannte.
Das bei uns so beliebte und schon genannte „Tanz der Vampire“ ist hingegen am Broadway gefloppt, weil das Publikum mit einer solch ironischen Parodie auf das Vampirfilm-Genre nichts anfangen konnte.
Würden Sie sagen, dass man einige dieser Aspekte auch allgemein auf den Erfolg von (Corporate/Leisure) Events übertragen kann?
Scherberich: Ja, ein paar der Erkenntnisse aus dem Genre Musical lassen sich bestimmt allgemein übertragen: Dass etwas künstlerisch gestaltetes LIVE vor den Augen des Publikums passiert, berührt und emotionalisiert besonders. Live-Gesang ist dabei das Grundgerüst. Live-Musiker auch.
Alle unterstützenden Gewerke (Choreografien, Licht, Ton) müssen gut ineinandergreifen. Technik muss nicht unbedingt sichtbar sein, aber jeder überraschende oder verblüffende Moment, den technische Ideen ermöglichen, komplettiert das Wow-Erlebnis.
Und wie fast überall gilt: Nothing beats Quality. Von der/dem Künstler:in über den Kostümschnitt bis zur Ton-Aussteuerung: Es lohnt sich, rundherum in beste Qualität zu investieren.
Moritz Scherberich leitet bei Stage Entertainment Produktionsaufbauten
Moritz Scherberich absolvierte den Bachelorstudiengang „Populäre Musik und Medien“ sowie das Masterstudium „Kultur- und Medienmanagement“. Bereits während des Studiums war er für Stage Entertainment u.a. für die Produktion „Tanz der Vampire“ tätig. 2010 kreierte er mit vier Freunden das deutschlandweit einmalige Kulturprojekt Freikarte, das Jahr für Jahr allen ca. 25.000 Studienanfänger:innen in Hamburg freien Eintritt in die öffentlichen Museen und Bühnen der Hansestadt eröffnet und das 2012 mit dem Hamburger Stifterpreis ausgezeichnet wurde. 2012 kehrte Scherberich zu Stage Entertainment als Production Coordinator zurück. Seit 2013 leitete er als Associate Producer zahlreiche Produktionsaufbauten u.a. von „Hamilton“.