Eventpsychologie: Multisensuale Erlebnisse sind das scharfe Schwert der Live-Kommunikation
von Steffen Ronft, Artikel aus dem Archiv
Events sind mit Dramaturgie, Inszenierung und Storytelling aufgeladene Kommunikations-Instrumente, die für das Gehirn nicht nur Informationen, sondern auch Erlebnisse vermitteln. Erlebnisse werden im Gegensatz zu Sachinformationen – sogenanntem semantischen Wissen – im episodischen Gedächtnis gespeichert. So bleiben erlebnisorientierte Botschaften zum einen länger in Erinnerung, zum anderen werden die mit dem Erlebnis assoziierten Emotionen ebenfalls besser konserviert.
(Bild: Pixabay)
[Hinweis der Redaktion: Der Artikel stammt von September 2018]
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Um alle Potenziale professioneller Live-Kommunikation auszuschöpfen, ist aus psychologischer Sicht eine multisensuale Codierung der zu vermittelnden Botschaft empfehlenswert. Im Hinblick auf die Reichweite unserer Sinne zeigt sich, dass eine Ansprache aller Sinne nur in unmittelbarem Kontakt mit dem Rezipienten erfolgen kann. Die Live-Kommunikation verfügt im Gegensatz zu alternativen Kommunikationsmedien über diesen direkten Kontakt und ist damit die Chance der Event und MICE-Branche.
Leider ist jedoch bei vielen Veranstaltungen zu beobachten, dass eine ganzheitliche Berücksichtigung der Sinneseinflüsse nur begrenzt stattfindet. Das zu erreichende Ziel lautet hier Kongruenz, also Deckungsgleichheit der Sinneswahrnehmungen. Alle Sinne sollten die identische Information an das Gehirn senden, um einen multisensorischen Verstärkungseffekt, das sogenannte „Multisensory Enhancement“ zu erreichen. So vermittelte Informationen werden um ein Vielfaches besser verarbeitet und gespeichert (vgl. Ronft & Kies, 2017, S. 45ff.).
Eventpsychologie als junge Disziplin
Die Besucher:innen sind unbestritten die wichtigste Komponente jeder Veranstaltung. Unabhängig davon, ob es sich um ein Corporate Event mit kommunikativer Botschaft, eine Kongressveranstaltung zur Wissensvermittlung oder ein Public Event zu Unterhaltungszwecken handelt, stets ist die menschliche Psychologie allgegenwärtig. Die Psychologie umfasst dabei Grundlagenfächer wie die Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, aber auch Anwendungsfelder wie die Wirtschafts- oder Wahrnehmungspsychologie.
Erkenntnisse aus vielerlei psychologischen Gebieten lassen sich dabei im Event-Kontext vereinen und ermöglichen damit durch einschlägige Forschung eigene Erkenntnisse zu generieren. Nach dieser ersten wissenschaftlichen Definition des Begriffs im Jahre 2013 manifestierte sich diese anwendungsorientierte Disziplin sowohl in der Branche, als auch in der akademischen Fachwelt (vgl. o.V., events Magazin, 04/2015; Wrobel & Winnen, 2014).
Beleuchtung als manipulatives Werkzeug
Die einzelnen Sinneswahrnehmungen sind auch Einfallstore für manipulative Effekte. So ist die visuelle Wahrnehmung eine leicht zugängliche Eingriffsmöglichkeit auf nahezu jeder Veranstaltung: Die gewählte Beleuchtung bei Kongressen, Workshops und Produktpräsentationen etc. beeinflusst unmittelbar, welche Hormone Ihre Gäste ausschütten. Damit haben Sie bereits ein wirkungsvolles Tool, wie Sie proaktiv das Empfinden und das Verhalten Ihrer Besucher:innen lenken können.
Aus der Umwelt- und Wahrnehmungspsychologie liegen bereits mannigfaltige Erkenntnisse vor, wie die jeweiligen Lichteinflüsse Personen im Veranstaltungskontext beeinflussen (vgl. Ronft, 2017, S. 31ff.): (vgl. Abb. Wirkungswege künstlicher Beleuchtung). So sind Menschen bei hellem Licht grundsätzlich kognitiv leistungsfähiger, da die Produktion des Schlafhormons Melatonin unterdrückt wird, aber weniger zur Kooperation bereit (vgl. Steidle et al., 2013). In warmweißen Licht (< 3.300 Kelvin) lässt es sich hingegen gut Networken, was auf eine erhöhte Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin zurückzuführen ist.
Für diverse weitere Veranstaltungsbereiche lassen sich ebenso Beleuchtungsstudien übertragen: Von der Geschmacksveränderung von Weißwein (vgl. Oberfeld, 2009), über die Steigerung von Kreativität (vgl. Kombeiz & Steidle, 2018) bis hin zu Einflüssen auf die Anziehung von Frauen und Männern (vgl. Elliott & Niesta, 2008). Sie sollten sich dabei immer bewusst sein, dass der Kontakt mit Licht bei jeder Veranstaltung unvermeidlich ist. Es liegt dabei bei Ihnen als Veranstalter:in, ob Sie dies proaktiv planen oder dem Zufall überlassen wollen.
Ist Manipulation etwas Schlechtes?
Der Begriff der Manipulation weist zwei Seiten auf: Zum einen übt er eine gewisse Faszination aus. Andererseits wirkt er auch abschreckend. Letztlich bedeutet Manipulation nur eine Beeinflussung von Entscheidungen, ohne dass der Entscheidende sich dessen bewusst ist. Entsprechend erleben wir Manipulationen jeden Tag, ob im Supermarkt oder beim abendlichen Fernsehschauen.
Auf einer Veranstaltung möchten wir schließlich die Wahrnehmung und das Verhalten der Event-Besucher:innen zu einem gewissen Grad vorhersagen und steuern können. Wir machen uns Gedanken, wie wir unser Event gestalten, sodass sich die Gäste wohl fühlen und sich die Botschaft einprägt, die wir kommunizieren möchten. Sobald wir Planungen mit einer gewissen erwarteten Wirkung auf Dritte ergreifen – sei es auf Grundlage von eigenen Erfahrungen oder wissenschaftlichem Hintergrundwissen – bewegen wir uns genau genommen schon im Feld der Manipulation.
Besonders interessant ist es, wenn wir uns auf dem schmalen Grad der subliminalen, also unterschwelligen, Beeinflussung befinden. Bemerkt ein Gast, dass wir absichtlich in den Entscheidungsfreiraum eingreifen, so stellt sich eventuell eine ablehnende Haltung, die sogenannte Reaktanz, ein. Ein gutes Beispiel dafür, die eigenen Grenzen auszutesten, ist die Diskussion über eine vorsätzliche Beduftung.
Auf einer Veranstaltung positionieren wir eine Kaffeemaschine so, dass sich der Duft von frisch gebrühtem Kaffee im Raum verteilt. Beim Menschen wird durch diesen olfaktorischen Reiz das Bedürfnis nach Kaffee stimuliert. Der Kaffeeabsatz wird durch diese – in der Regel als legitim wahrgenommene – Maßnahme voraussichtlich steigen. Wie verhält es sich aber, wenn wir statt des natürlichen Kaffeedufts synthetische Kaffeeduftstoffe auf der Veranstaltung versprühen? Oder noch einen Schritt weitergedacht: Wenn wir statt des Dufts, der letztlich eine Hormonausschüttung im Körper bewirken soll, direkt Hormone in der Raumluft freisetzen würden?
Gerade Oxytocin, das Kuschel- und Bindungshormon, wäre für solche Einsätze potenziell geeignet, da es über die Nasenschleimhäute aufgenommen werden kann. In der Paartherapie wird dies in Form von Nasensprays bereits eingesetzt. Neue Studien zeigen das breite Anwendungsspektrum von Oxytocin, z. B. zur Verringerung von Fremdenhass und zur Förderung der Spendenbereitschaft (vgl. Marsh et al., 2017).
Dies führt in Online-Medien bereits zu der Frage: „Könnte bei der nächsten rechten Großdemonstration einfach das Kuschelhormon Oxytocin statt Tränengas versprüht werden?“ (Tyrell, 2017). Diese zugespitzte Frage zeigt sicherlich auch die ethischen und juristischen Grenzen auf, die uns bei einer konsequenten Anwendung von psychologischen und neurologischen Erkenntnissen begegnen werden.
Eventpsychologie ist sicherheitsrelevant
Neben der Wirkungsoptimierung eines Events dient psychologisches Hintergrundwissen auch der Veranstaltungssicherheit. So ist die Grundlage für die wirkungsvolle Planung von Fluchtwegkapazitäten nach Muster-Versammlungsstättenverordnung die gleichmäßige Benutzung von vorgesehenen Rettungswegen. Das erfordert von den Flüchtenden jedoch ein rationales Verhalten, welches sich nur mit einer gewissen kognitiven Leistungsfähigkeit zum komplexen Problemlösen ergibt und in Stresssituationen nicht zuverlässig gegeben ist. Statt einer Nutzung der objektiv am besten geeigneten Fluchtwege können in Stresssituationen hingegen folgende zwei Effekte auftreten:
Place Affiliation:
Menschen neigen dazu, bekannte Wege einzuschlagen. Dies führt dazu, dass Personen den Weg als Fluchtweg nehmen, den sie auch beim Einlass zur Veranstaltung genommen haben. Daher ist es ratsam, dieses intuitive menschliche Verhalten nach Möglichkeit bei der Fluchtwegeplanung zu berücksichtigen.
Person Affiliation:
Als archaisches Verhaltensmuster zeigt sich eine Orientierung an größeren Gruppen. Daher ergibt sich, dass sich Personen an anderen Flüchtenden orientieren, auch wenn sie selbst keine rationale Entscheidung über die Richtigkeit des (vermeintlichen) Fluchtwegs treffen können. Dieser Effekt kann aber wiederum gezielt genutzt werden, um Personengruppen unter Anleitung aus einem Gebäude herauszuführen. So können auch Rettungswege genutzt werden, die die ortsunkundigen Besucher:innen aufgrund der potenziell wirksamen Place Affiliation nicht selbst aufsuchen würden.
Bedeutung der Eventpsychologie in der Eventbranche
Das wachsende Interesse an diesem Themengebiet spiegelt sich bereits bei diversen Branchenveranstaltungen wider und findet sich auch im Lehrplan von Hochschulen und Weiterbildungsakademien. Viele psychologische Effekte werden von erfahrenen Eventmanager:innen bereits intuitiv angewandt. Aufgrund der immer größeren Präsenz des Themas sowie der wachsenden Anzahl von Seminar- und Studienabsolventen wird das eventpsychologische Wissen die MICE- und Eventbranche zukünftig weiter durchdringen.
Über den Autor:
(Bild: Steffen Ronft)Steffen Ronft ist stellvertretender Leiter des Zentrums für empirische und experimentelle BWL an der DHBW Mannheim und Doktorand am Ghose Perception Lab der TU Kaiserslautern. Als Dozent, Berater und Autor gilt er als führender Experte auf dem Bereich der Eventpsychologie.
Literatur:
Elliot, A. J., & Niesta, D. (2008): Romantic Red: Red enhances men‘s attraction to women. In: Journal of Personality and Social Psychology, Jg. 95 Heft 5, S. 1150–1164.
Hürter, T. (2013): Ein Nasenspray kann die Beziehung festigen. In: ZEIT WISSEN. Heft 5 2013, S. 28-31.
Kombeiz, O., & Steidle, A. (2018): Facilitation of creative performance by using blue and red accent lighting in work and learning areas. In: Ergonomics, Jg. 61 Heft 3, S. 456–463.
Kroeber-Riel, W. & Weinberg, P. (2003): Konsumentenverhalten. 8. Auflage. München.
Marsh, N., Scheele, D., Feinstein, J. S., Gerhardt, H., Strang, S., Maier, W., & Hurlemann, R. (2017): Oxytocinenforced norm compliance reduces xenophobic outgroup rejection. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, Jg. 114 Heft 35, S. 9314–9319.
o.V. (2015): In: events – Das Management-Magazin für die Live-Kommunikation. Heft 4 2015, S. 8-14.
Oberfeld, D., Hecht, H., Allendorf, U., & Wickelmaier, F. (2009): Ambient Lighting modifies the Flavor of Wine. In: Journal of Sensory Studies, Jg. 24 Heft 6, S. 797–832.
Ronft, S. (2013): Eventpsychologie. In: Dinkel, M., Luppold, S. & Schröer, C., Handbuch Messe-, Kongress- und Eventmanagement. Sternenfels, S. 90-94.
Ronft, S. (2017): Die Wirkung des Lichts im Kontext von Corporate Events. In: Dinkel, M., Schenk, M. & Ronft, S. (Hrsg.): Mannheimer Beiträge zur Betriebswirtschaftslehre. Veranstaltungstechnik im Kontext von Corporate Events. Mannheim, S. 31-38.
Ronft, S. & Kies, E. (2017): Corporate Scent – Olfaktorische Kommunikation bei Veranstaltungen. In: Dinkel, M., Schenk, M. & Ronft, S. (Hrsg.): Mannheimer Beiträge zur Betriebswirtschaftslehre. Veranstaltungstechnik im Kontext von Corporate Events. Mannheim, S. 45-53.
Steidle, A., Hanke, E.-V., & Werth, L. (2013): In the dark we cooperate: The situated nature of procedural embodiment. In: Social Cognition, Jg. 31 Heft 2, S. 275–300.
Wrobel, A. & Winnen, L. (2014): Eventpsychologie. In: Eisermann, U., Winnen, L. & Wrobel, A.: Praxisorientiertes Eventmanagement. Wiesbaden, S. 375-395.