Die kalifornische Firma Yondr bietet abschließbare Smartphone-Hüllen samt Logistik für Events. Dadurch sollen Teilnehmende Veranstaltungen nicht durch ihren Bildschirm wahrnehmen, auch für Events mit vertraulichen Inhalten ist die Technologie spannend.
(Bild: Yondr)
Im Frühjahr 2005 in Köln: Coldplay spielten einen geheimen Gig in einem kleinen Club vor knapp 300 Zuschauer:innen. Das Konzert diente als „Testspiel“ der neuen Songs vor Publikum, das zugehörige Album X&Y war noch nicht veröffentlicht. Um vor dem Realease Mitschnitte zu verhindern, waren Handys verboten: Sie wurden beim Einlass in Plastikbeutel eingetütet und verwahrt.
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Das stellte eine kleine logistische Herausforderung dar, die zeitweise „Enteignung“ wurde vom Publikum vermutlich nur aufgrund der besonderen Umstände akzeptiert. Zumal im Jahr 2005, vor dem Aufkommen des Smartphones, die Bindung ans eigene Mobiltelefon noch weniger zentral gewesen sein dürfte. Würden heute noch viele ihr Telefon freiwillig hergeben? Gleichzeitig haben sich die Publikumslandschaften in Meere aus Bildschirmen verwandelt. Statt sich vom Konzert oder Veranstaltungsgeschehen einhüllen zu lassen, starrt ein beträchtlicher Teil des Publikums zeitweise durch das Gerät.
Smartphone-Verzicht als Erlebnisgewinn
Hier will Graham Dugoni mit seiner Firma Yondr eine Veränderung ermöglichen. Dazu hat er Smartphone-Hüllen mit Sicherheitsschloss entwickelt, die jeder Veranstaltungsbesucher bei sich behält. In gesonderten „Telefon-Zonen“ können sie bei Bedarf während des Events mit einer Vorrichtung geöffnet werden, um im Notfall telefonieren zu können. Künstler Jack White setzt die Technologie beispielsweise ein, um das Publikum beim Gig wieder in die gefühlte Gegenwart zu holen. Neben Konzerten wird Yondr laut Dugoni beispielsweise in Schulen oder Gerichtsgebäuden verwendet.
Privatsphäre schaffen
Der in San Francisco lebende Firmenchef hatte eine Karriere als Fußballprofi hinter sich, befasste sich danach mit Philosophie, Soziologie und Technik. Die Idee für Yondr kam um 2012 auf, erzählt er. „Damals ging ich auf viele Konzerte, las viel – es ergab aus vielen Gründen Sinn für mich.“ Ein großer Auslöser: „Auf einem Festival sah ich Leute in der Menge tanzen. Fremde nahmen die Tanzenden auf und posteten den Clip online. Das schien mir falsch, zum einen aus Gründen der Privatsphäre, dazu nahmen die Leute die Show nicht wahr. Den Fans ist es nicht möglich, sich ungehemmt fallen zu lassen.“ Er eröffnete seine Firma zwei Jahre später. Das Case mit dem eigens entwickelten Sicherheitsschloss sowie die zugehörigen Verriegelungs-/Entriegelungsstationen konzipierte er in seiner damaligen Partnerschaft.
Weltweit verfügbar
Als „Debüt-Event“ für die Technologie diente eine Show in einem Burlesque-Club in Oakland, eine Art Biker-Bar, wie Dugoni erzählt. „Ein Reporter war zugegen – dadurch gewann das Thema an Fahrt.“ Mittlerweile zählen Live-Performances wie Konzerte und Comedy-Auftritte zu den populärsten Anwendungen, die Comedians Dave Chappelle und Chris Rock beispielsweise nutzen Yondr. Das größte Event habe bislang rund 30.000 Zuschauer an einem Abend umfasst. „Zu ‚Nicht-Corona-Zeiten‘ hatten wir rund ein Dutzend Shows in den USA laufen, dazu weitere in Europa und Australien.“
Die Kosten
Was würde einen Veranstalter der Einsatz bei einer Club-Veranstaltung mit 1.000 Zuschauern grob kosten? „Das hängt von der Logistik und anderen Faktoren ab, aber grundsätzlich lassen sich ein paar Dollar pro Person veranschlagen.“ Bei dieser Größenordnung würden vermutlich fünf bis sieben Angestellte für die Abwicklung benötigt. „Wir schicken das gesamte Equipment und erklären, wie es funktioniert. Wir empfehlen jeweils, wie viel Personal nötig wäre, um das Publikum beim Check-in und beim Abholen zu betreuen. Bei Bedarf können wir auch Personal aus unserem Netzwerk stellen. Das kann bei einer größeren Show sinnvoll sein, wenn die Technologie dort zum ersten Mal eingesetzt wird. Diejenigen können gut erklären, was wir machen – das ist wichtig, denn: Wenn Fans zur Show kommen, müssen sie verstehen, was eine Smartphone-freie Show bedeutet, und was sie davon erwarten können“, erklärt Graham Dugoni.
Akzeptanz der User
Die „Beschränkung“ werde gut vom Publikum angenommen, betont er. „Wenn man entsprechend auf die Zuschauer zugeht, erklärt, worum es geht, sie daran erinnert, dass sie ihr Telefon die ganze Zeit bei sich behalten, sind die meisten sehr gewillt mitzumachen, und gehen mit einer positiven Erfahrung nach Hause.“ Natürlich gebe es immer ein paar Leute, die damit ein Problem hätten, „aber das sind dieselben Leute, die mit allem ein Problem haben – es sind sehr wenige“, er lacht. Zur Telefonbenutzung während der Veranstaltung dient die entsprechende Zone, ähnlich wie ein Raucherbereich, üblicherweise nahe dem Eingang. „Am Ende nutzen diese viele Leute nicht. Es ist für sie nur wichtig zu wissen, dass sie es könnten!“