Round Table Talk

Festivalisierung von Business Events

Immer mehr Business Events erhalten einen Festival-Charakter. Was macht den Reiz dahinter aus? Wir haben uns mit Expert:innen aus Corporate, Kreation und Wissenschaft zum Round Table Talk getroffen.

YouTube Festival(Bild: Lars Hübner)

Schon seit mehreren Jahren besteht bei Messen, Kongressen und Konferenzen der Trend, sie zu festivalisieren – durch Elemente aus dem Bereich der Kultur und des Entertainments so aufzuladen, dass ihre Attraktivität gestärkt wird. Ist der Trend gebrochen, oder stehen wir in Deutschland erst am Anfang einer nachhaltigen Entwicklung?

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Im Gespräch mit Antje Hundhausen, Vice President Brand Experience Deutsche Telekom, Frederik Nimmesgern, Geschäftsführer Kreation/CCO bei insglück, sowie Prof. Dr. Dirk Hagen, u.a. Professor für Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Eventmanagement, Studiengangsleiter Internationales Tourismus- und Eventmanagement Dual an der SRH Berlin University of Applied Sciences, konnten wir dieses Thema divers diskutieren.

Antje Hundhausen, Dirk Hagen, Frederik Nimmesgern
(v.l.n.r.): Antje Hundhausen, Dirk Hagen und Frederik Nimmesgern (Bild: Deutsche Telekom AG, SRH Berlin University of Applied Sciences, insglück)

Im September 2022 fand die Digital X in Köln mit über 70.000 Besucher:innen, 300 Partner:innen, 300 Speakern und 90 Entertainment Acts statt. Zum zweiten Mal entschied sich die Telekom, aus einem Kongress, der früher in den Messehallen stattfand, auf die Straße mitten ins Leben zu gehen und ein Festival daraus zu machen – warum?

Antje Hundhausen: Wir haben so einen Festival-Gedanken auch schon etwa während der IFA 2017 bis 2019 verfolgt. Unser #DABEI Festival richtete sich insbesondere an junge Menschen und stellte deren Lebenswelt in den Mittelpunkt. Es gab auch damals schon Performances von Musikkünstlern und Bühnentalks, zusätzlich Workshops, Live-Podcasts und Treffen mit Influencern. Dieses „Road to the IFA“-Festival wurde von uns in den Flagship Stores angeteasert, und vor Ort in Berlin konnten wir etwa mit DIY-Formaten punkten und eine gute Beziehungsqualität insbesondere zu den jüngeren Zielgruppen aufbauen. Uns war damals schon bewusst, dass wir die Ansprache an unsere Consumer nachhaltig verändern wollen, inklusive einer stärkeren Emotionalisierung und Angeboten, die einen anderen Mehrwert stiften. Und diese Entwicklung hin zu achtsamen Angeboten mit teils „unbezahlbaren Momenten“ haben wir mit der Digital X fortgeführt.

Und das funktioniert dann auch als Business-Format?

Hundhausen: Auf jeden Fall. Bei der Umsetzung der Digital X war uns klar, dass wir nicht alles in Magenta tauchen wollen, sondern auf ein eher neutrales Format setzen, bei dem wir viele Partner integrieren, die das Event aufladen. Hier geht es uns vor allem um Kollaboration mit anderen renommierten Unternehmen, ebenso Startups. Wir wollen da nicht nur Business machen, sondern auch inspirieren, mitten ins Zentrum von Köln, auch um generell Innenstädte zu revitalisieren. Es muss auch darum gehen, Trends zu setzen und die Digitalisierung des Mittelstands voranzutreiben. Das gelingt etwa durch den Diskurs mit den Teilnehmenden und Beiträgen von Innovationsführern auf den verschiedenen Bühnen. Wir setzen dabei auf Interaktivität und Digital-Bildungsangebote, damit auch die Mitarbeiter unserer Partner-Unternehmen viel mitnehmen können. Eine zusätzliche Attraktivierung findet durch die Wahl des Veranstaltungsortes statt: Im Belgischen Viertel ist es möglich, sowohl tagsüber als auch abends Kneipen, Restaurants und auch Ladenlokale zu bespielen und somit eine breite Zielgruppe von Menschen im Alter zwischen 25 bis 60 Jahren anzusprechen, die fußläufig von einer Location zur anderen kommen.

Dirk Hagen: Diesen Wandel sehe ich genauso, und er ist vor allem den jüngeren Zielgruppen geschuldet. Die Ansprüche an Erlebnisorientierung haben sich einfach geändert. Die Audience erwartet mehr interaktive Performance, die begeistert. In diesem Wandel der Postmoderne spielen auch Ästhetik, Interaktion und Kollaboration eine größere Rolle. In dieser Hinsicht ist und war sicher die South by Southwest prägend. Diesem Weg folgen auch die OMR und die re:publica. Insgesamt findet eine Urbanisierung statt, weil die Leute teils nachts bis 4 Uhr noch dabei sind und feiern. Das scheint neben den Bedürfnissen nach Geschäftsanbahnung, Kontaktbildung und Community-Bildung ein weiterer Mehrwert zu sein, der in Städten deutlich besser funktioniert. Und damit spricht man offenbar verschiedene Zielgruppen, auch ältere, an.

Frederik Nimmesgern: Wir haben in der Vergangenheit ebenfalls einige Business-Events mit starkem Festival-Charakter realisiert, u.a. für Kunden wie Google und eBay. Beispielsweise haben wir beim YouTube Festival bereits 2016 schon auf eine coole Mischung aus Inspiration, Information, Entertainment und Networking gesetzt. Aus Teilnehmersicht ist die Abkehr vom linearen Eventerlebnis sicherlich einer der Faktoren, die diese Formate attraktiv macht. Das Unbekannte, der Reiz, nicht genau zu wissen, was mich erwartet. Die Leute wollen selbst entscheiden, was gerade gut für sie ist, und sich nicht als ein Rezipient von Botschaften, sondern auch als Akteur verstanden wissen. So entsteht aus Markensicht auch eine andere Qualität in der Bindung der Zielgruppen. Und deshalb ist meiner Meinung nach die Parallelität der Ereignisse ein Erfolgsfaktor solcher Business Festivals.

Eine starke Bilanz: Auf 15 Bühnen in vier Kölner Quartieren ließen sich bei der Digital X 2022 70.000 Besucher:innen von 300 Partnern, 300 Speakern und 90 Entertainment Acts unterhalten.
Eine starke Bilanz: Auf 15 Bühnen in vier Kölner Quartieren ließen sich bei der Digital X 2022 70.000 Besucher:innen von 300 Partnern, 300 Speakern und 90 Entertainment Acts unterhalten.

Ist das ein aktueller Trend, oder läuft sich das schon wieder tot?

Nimmesgern: Ich glaube, dass das bleibt. Weil es den Interessen und der Motivation der heutigen Zielgruppen entspricht. Und weil Festivals unendlich viele Möglichkeiten bieten. Die klassische Konferenz ist tot, davon gehe ich aus.

Steile These …

Nimmesgern: Natürlich wird es auch weiterhin einige klassische Konferenzformate geben, insbesondere aber auch in Form von digitalen Eventformaten mit Informationsfokus. Der Mix von digitalen, hybriden und Live-Formaten ist alltäglich geworden. Marketingverantwortliche haben absolut verstanden, zu welchen Zwecken sie z.B. ein digitales Format nutzen können, welche Ziele es erfüllen kann. Beim Live-Event entfachen Business-Events mit Festivalelementen natürlich ihr volles Potenzial vor allem durch „echtes“ Networking und auch Co-working. Allerdings gibt es auch einen höheren Anspruch aus den Communities oder sogar der Gesellschaft. Man fragt sich mehr: „Was hat ein Festival gebracht? Was ist hier entstanden?“ Und da wird meiner Meinung nach das Potenzial vieler Events zum Beispiel noch nicht voll ausgeschöpft.

Hundhausen: Richtig. Wir müssen agiler werden, brauchen partizipativere Ansätze und Co-Creation – um Zukunftsthemen gemeinsam zu gestalten. Weniger Steuerung von oben und mehr Weiterentwicklung solcher Festivalformate aus der Community heraus. Da setzen wir uns auch immer mal wieder mit Vertretern aus der Zielgruppe zusammen, nutzen Hackathons, um herauszufinden, was wirklich das Bedürfnis ist. Unsere Herausforderung ist dann: Wie können wir das nicht nur verstehen, sondern noch einen draufsetzen und überraschen … Vielleicht ändert sich die Terminologie, aber ich denke, wir werden in solchen oder ähnlichen Formaten weiter unterwegs sein.

Hagen: Die Amerikaner kannten den Begriff „festivalisation“ ja schon lange vor uns. Ich bin davon überzeugt, dass die Weiterentwicklung des Formats anhält, hin zu noch mehr Partizipation. Als Veranstalter ist es wichtig, Ideen meiner Zielgruppen aufzunehmen. Das ist in meinen Augen ein entscheidender Faktor. Dieses enorme Clash-Angebot – Künstler, Medien, Musik-Performance, Masterclasses, Business-Vorträge, alles an einem Ort – das macht das Format aus. Wenn dann noch Match-Making-Software zum Einsatz kommt, die mir das Networking einfacher macht – super. Das sind große Potenziale, die noch nicht alle genutzt werden. Ich glaube auch, das wird sich weiter agil verändern. Ein Punkt ist auch, dass das Format in den Sommermonaten besonders gut funktioniert, weil outdoor meist mitgedacht wird, wo hingegen die klassischen Messen bisher mehrheitlich in den kühleren Monaten stattfinden. Tatsache ist, dass aktuell einige große Unternehmen aus diesen eher „schweren Tankern“ im Sinne klassischer Veranstaltungsformate aussteigen und ihre eigenen Festivals kreieren – aus meiner Sicht eine interessante Entwicklung.

Vorträge, Paneldiskussionen und Workshops mit vielen Kontaktmöglichkeiten lieferten den über 700 Mitgliedern der eBay-Community ein inspirierendes Networking- Umfeld bei den eBay Open 2022.
Vorträge, Paneldiskussionen und Workshops mit vielen Kontaktmöglichkeiten lieferten den über 700 Mitgliedern der eBay-Community ein inspirierendes Networking- Umfeld bei den eBay Open 2022.
Vorträge, Paneldiskussionen und Workshops mit vielen Kontaktmöglichkeiten lieferten den über 700 Mitgliedern der eBay-Community ein inspirierendes Networking- Umfeld bei den eBay Open 2022.

Was bedeutet diese Entwicklung dann für die Budget-Planung?

Hundhausen: Wir haben unsere Budgets tatsächlich so umgeschichtet, dass wir auch finanzielle Ressourcen, die für klassische Messen angedacht waren, hier mit eingebunden haben. Andererseits treten wir bei der Digital X konkret als Veranstalter auf, und unsere Partner beteiligen sich mit Fees und bereichern mit inhaltlichen und gestalterischen Beiträgen. Das ist sicherlich auch noch mal eine grundlegende Veränderung. Unterm Strich sind wir hier tatsächlich eher günstiger unterwegs.

Was konkret ist der Benefit für die Telekom?

Hundhausen: Durch die Tatsache, dass viele verschiedene Partner beteiligt sind, können wir auch eine andere Kundenbindung, eine andere Verbindlichkeit schaffen und Beziehungsqualität fördern. Wir bringen hier in einem ganz anderen Rahmen etwa Mittelständler und Startups zusammen und können uns selbst so positionieren, dass wir als Marke breiter und diverser aufgestellt sind. Zusätzlich hat der partielle B2C-Ansatz, den wir in diesem Jahr erstmals auch realisiert haben, noch mal den Charakter des Festivals verändert.

Nimmesgern: Gerade aus Markensicht finde ich das interessant. Deshalb sind Festivals auch sehr zeitgemäß und werden bestehen bleiben. Die Beziehung zu den Teilnehmern ändert sich ein Stückweit: Eine Marke wird immer mehr als Inspirator wahrgenommen. Gerade deshalb sollte man der Zielgruppe eine Plattform geben, die es ermöglicht, selbst aktiv zu werden. Das ist sehr positiv fürs Markenimage, wenn eine Marke das Selbstbewusstsein hat, solche Angebote zu machen, so dass sich Kreatives gemeinsam entwickelt. Das bindet dann auch neue Zielgruppen aus dem Business-Bereich. Da ist die OMR auch ein gutes Beispiel.

Hagen: Tatsache scheint ja zu sein, dass man die KMUs als Impulse braucht. Man braucht diese „neuen“ Leute und deren anderen Style, diese postmoderne Ästhetik und Ansprüche. Aber damit muss man auch erst mal adäquat umgehen können. Konzerne und Startups zu clashen – das ist eine Herausforderung. Diese neue Situation mitzudenken ist auch für etablierte Unternehmen nicht ganz leicht. Da findet eine deutliche Veränderung statt, und es entwickeln sich viele eigene digitale Formate und Plattformen. Ich denke, in diesem Kontext werden sich auch noch die traditionellen Messegesellschaften weiter verändern.

Fünf Bühnen und 14 interaktive Experiences boten auf dem YouTube Festival 2022 Platz für Insights, Ideen und Inspirationen.
Fünf Bühnen und 14 interaktive Experiences boten auf dem YouTube Festival 2022 Platz für Insights, Ideen und Inspirationen.
Fünf Bühnen und 14 interaktive Experiences boten auf dem YouTube Festival 2022 Platz für Insights, Ideen und Inspirationen.

Und welche Potenziale und Herausforderungen ergeben sich aus dieser Verschiebung hin zu „eigenen Festivals“?

Hagen: Unter anderem die Transformation in hybride Formate…

Hundhausen: Genau, deshalb haben wir im Rahmen der Digital X auch jede Menge Live-Streams, die Etablierung von digital twins, Avataren, so dass man am Festival teilnehmen kann, ohne selbst vor Ort sein zu müssen. Aber das muss auch erst gelernt sein. Denn die Zielgruppe, die das hauptsächlich nutzt, ist über 40 und hat mit Gamification meist nicht so viel zu tun. Aber auch da verändert sich derzeit durch verschiedene Metaverse-Ansätze extrem viel.

Hagen: Für all das brauchen wir aber erst mal das entsprechende Personal. Bei vielen meiner Studierenden liegt die Priorität weniger in der Digitalisierung. Da benötigen Unternehmen und Agenturen teils ganz andere Mitarbeitende. Die Herausforderung besteht aus meiner Sicht also darin, die Fachkräfte mit den entsprechenden Kompetenzen zu finden und auszubilden, um Metaverse und Co überhaupt bedienen zu können. Und wenn das entsprechende Personal vermehrt am Start ist, kann man sich vorstellen, was noch alles für Entwicklungspotenziale möglich für die Branche sind. Da sind die USA mit einer stärkeren Optimierung auf IT schon einige Schritte weiter…

Aber so ein Festival-Feeling gibt es doch nur live, oder nicht?

Nimmesgern: Ich glaube schon, dass man durch das ein oder andere Metaverse-Event jetzt schon sehen kann, dass der Festival-Ansatz von einer Community auch dort durchaus wertgeschätzt wird. Ich glaube nur nicht daran, dass man ein Live-Festival digital eins zu eins spiegeln kann. Das funktioniert nicht wirklich gut. Da muss man bei den Customer Journeys und bei den Angeboten mehr differenzieren. Im Metaverse werden sich andere digitale Festivals durchsetzen mit ganz anderen Triggerpunkten, etwa exklusiven Items, getrieben auch durch den Gamification-Gedanken. Das Potenzial besteht auch darin, dass man hier sehr frei sein kann in den Welten, die man schafft. Das ist wiederum auch ein Trend, der bei analogen Festivals sichtbar wird: dass sich die Settings ändern – weniger Corporate Design Gedanke und mehr Inspiration allein schon durch die Wahl der Location und verschiedener Settings und Themenwelten. Wir sind alle aufgerufen, mutiger zu sein und die Gäste als starke Multiplikatoren wahrzunehmen.

Und wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?

Nimmesgern: Gar nicht so schlecht, aber mit Luft nach oben. Wir hängen in Sachen Digitalisierung, Offenheit gegenüber Neuem und auch im großen Entertainment noch etwas hinterher. Es wird darauf ankommen, da aufzuholen,’und vor allem Diversität und die immer größer werdende thematischen Vielfalt abzubilden. Das ist für mich der Weg in die Zukunft.

Hagen: Richtig. Wir sollten auch noch mehr in Parallelitäten im Sinne einer Angebotsvielfalt denken, beispielsweise „Hubs“ an verschiedenen Standorten, die hybrid zusammengeschaltet werden. Denn der Aspekt Nachhaltigkeit wird vieles weiter beeinflussen. In diesem Zusammenhang müsste der interkontinentale Flugverkehr drastisch reduziert oder zumindest diskutiert werden, was auch einen Einfluss für uns in Deutschland haben wird.

Hundhausen: Wir befinden derzeit in einer umfassenden Transformation, haben kaum Planungssicherheit und müssen lernen, mehr im Hier und Jetzt zu leben. Auch deshalb brauchen wir flexiblere Formate – in Kombination mit ruhigeren, stabilisierenden Momenten. Da ist viel in Bewegung in den nächsten zwei, drei Jahren. Denn auch das ist nicht zu übersehen: Die Erde brennt. Und wir müssen schonungsvoll und achtsam mit unseren Ressourcen in einer zunehmend komplexeren Welt umgehen. Das ist vermutlich unsere wichtigste Aufgabe.

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