Großgruppenmoderation: Tipps zur Partizipation der Mitarbeitenden
von Jörg Küster , Artikel aus dem Archiv vom
Die Großgruppenmoderation ist ein zunehmend wichtiger werdendes Instrument, um Veränderungsprozesse in einem Unternehmen gemeinsam mit den Beschäftigten herauszuarbeiten und zu etablieren. Im Grunde also Change Management, das funktioniert. Wir stellen die Open Space Methode vor.
Die Großgruppenmoderation ist eine der Sozialpsychologie entlehnte Methode, um Kommunikation in größeren Personengruppen mittels Moderation derart zu steuern, dass die Gruppen aus eigenem Antrieb in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum zu umsetzbaren Ergebnissen für eine vorab definierte Aufgabenstellung gelangen. Großgruppenmoderation wird als Gegenteil eines Command-and-Control-Managements verstanden. Gerade in einer auf Partizipation ausgerichteten Unternehmenskommunikation gewinnt das Format immer mehr an Bedeutung. Mit der Maßnahme werden Veränderungsprozesse sowohl initiiert als auch inszeniert – „Coaching trifft Event“, dürfte als salopp formulierte Aussage treffend sein.
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Bei der Realisierung einer Großguppenmoderation muss zuerst die Frage gestellt werden, wie ein vorgegebenes Ziel inhaltlich zu erreichen ist. Für eine nachhaltige Inszenierung benötigt es jedoch noch weitergehendes Fachwissen.
Bottom-up
Bei der Großgruppenmoderation geht es darum, dass Ziele oder neue Strategien nicht in Form einer Push-Kommunikation von der Bühne gepredigt, sondern der Weg zur Zielerreichung mit den Anwesenden gemeinsam erarbeitet wird. Auf diese Weise wird ein ganz anderer Konsens erreicht. Die „Mechaniken des klassischen Events“ können dabei hilfreich sein: Dazu zählen perfekte Organisation, ein ausgeprägter Wohlfühlfaktor sowie gemeinschaftliches Erleben.
Eine Großgruppe beginnt bei etwa 40 Personen. Aber es kommt durchaus vor, das auch 500 oder sogar 1.000 Teilnehmende betreut werden. In dem Fall werden allerdings eine ausreichende Anzahl an Moderator:innen sowie geeignete Räumlichkeiten benötigt.
Die Großgruppenmoderation soll in ein Thema einleiten: Ein:e Moderator:in oder auch ein:e Geschäftsführer:in des ausrichtenden Unternehmens erläutern kurz die Zielrichtung und den geplanten Ablauf der Veranstaltung. Führungskräfte, die auf dem Podium agieren, werden manchmal von spezialisierten Agenturen passend zum Anlass gecoacht, was nicht nur Aussagen und Wortwahl, sondern auch das Verhalten auf der Bühne betrifft. Die eigentliche Arbeit findet nach der Begrüßung in kleineren Gruppen statt.
Instrumentarium
Um die Anwesenden einzubinden, werden häufig Workshop-Methodiken, so genannte „Designs“ genutzt. Ein bewährtes Mittel ist das World-Café, bei dem sich die Teilnehmenden an runden Tischen einfinden. Spezielle Tischdecken sind dafür gedacht, bemalt und beschrieben zu werden. Getränke und Snacks finden wie in einem Café ebenfalls auf den Tischen Platz.
Im World-Café wird jedem Tisch eine bestimmte Fragestellung zugeordnet, die Teil des auf der Agenda stehenden Zentralthemas ist. Die Fragestellung wird von sechs bis acht gemeinsam am Tisch sitzenden Personen behandelt, wobei die verantwortungsvolle Führung einem/einer geschulten Moderator:in obliegt. Nach einer vorgegebenen Zeitspanne wechseln die Protagonisten als Gruppe den Tisch und arbeiten am vorgegebenen Thema des nächsten Tischs weiter. Ideen, die von der zuvor dort agierenden Gruppe erarbeitet wurden, können begutachtet und ergänzt werden.
Die Einteilung der Gruppen im World-Café ist wohlüberlegt und wird meist von den Initiator:innen der Maßnahme vorgegeben. Manchmal kommt es aber auch vor, dass Teilnehmende nach dem Zufallsprinzip zusammengestellt werden, indem sie beispielsweise am Eingang zur Veranstaltung verschiedenfarbige Zettel ziehen.
Der/die Moderator:in verbleibt beim World-Café an seinem angestammten Tisch und erläutert Neuankömmlingen, was die vorhergehende Gruppe bereits erarbeitet hat. Einzelne Tischthemen werden meist von nur zwei oder drei Gruppen erörtert, so dass keine Gefahr besteht, dass irgendwann „die Luft raus ist“ und Topics bereits in sämtlichen Aspekten abgearbeitet sind.
Open Space
Je nach Art und Größe der Veranstaltung werden im Open Space die Ergebnisse anschließend mündlich vorgestellt oder auf einem so genannten „Marktplatz“ präsentiert. Die bemalten und beschriebenen Tischdecken werden in diesem Kontext gerne als eine Art Galerie an den Wänden aufgehängt und können die Grundlage für weiterführende Gespräche bilden. Für die meisten Teilnehmenden ist es meist sehr interessant zu sehen, welchen Blick andere Teilnehmenden auf ein bestimmtes Thema haben. Oft erkennt jemand erst im Open Space, was beispielsweise eine andere Abteilung oder vielleicht sogar ein Lieferant oder ein Kunde wirklich zu einem bestimmten Topic meinen.
World Café
Das World-Café ist als Design inhaltlich wie formal der offenen Kategorie „Open Space“ zuzuordnen. Open Space bedeutet, das gemeinsam an einem Thema oder mehreren Themen gearbeitet wird. Es geht darum, die kollektive Erfahrung der Teilnehmenden zu nutzen und sie im Sinne der Aufgabenstellung zusammenzuführen sowie weiterzuentwickeln.
World-Café und Open Space sind bewährte Gestaltungsmöglichkeiten, doch je nach Aufgabenstellung können eigene Settings effektiver wirken. Großgruppenmoderation bedeutet nicht, dass ein bestimmter Anlass in ein vorgegebenes Raster gepresst werden muss.
Erwähnenswert ist das Format „Zukunftswerkstatt“, das bereits erfolgreich im Maßnahmenpaket eines großen Energieversorgers genutzt wurde. Dabei ist die Werkstatt in drei Phasen unterteilt: In Phase 1 können die Teilnehmenden zum Ausdruck bringen, was ihrer Ansicht nach im Unternehmen derzeit nicht ganz so gut läuft oder vielleicht sogar im Argen liegt. Meinungsäußerungen finden in diesem Zusammenhang überraschenderweise nicht anonym statt. Das funktioniert allerdings nur, wenn sich in der Gruppe alle Beteiligten äußern. Ist der Kopf erst einmal frei, ist in Phase 2 kreatives Denken erwünscht – die Teilnehmenden werden aufgefordert, frei zu assoziieren sowie Träume und Wünsche zum Ausdruck zu bringen. In Phase 3 schließlich können konkret umsetzbare Maßnahmen beratschlagt werden.
Heiter bis wolkig
Dass von einzelnen Teilnehmenden – die nach eigenem Gefühl mitunter „zwangsverpflichtet“ bei der Veranstaltung erscheinen – eine Verweigerungshaltung angenommen wird, sorgt oft für Herausforderungen bei diesem Instrument. In kleinen Gruppen wird eine solche Haltung meist relativ rasch aufgegeben, zusätzlich können jedoch auch gezielte „Anstöße“ einzelner Personen sowohl durch die Kleingruppe als auch durch den/die didaktisch geschulte:n Moderator:in erfolgen. Moderator:innen wissen meist sehr genau, wie sie in einem solchen Fall vorgehen müssen, damit einzelne Teilnehmende nicht das gesamte Training negativ beeinträchtigen. In besonders hartnäckigen Fällen, mag es sein, dass eine Person nach drei Tagen zwar immer noch nicht in Jubelstürme ausbricht, dennoch aber feststellt, dass er/sie für sich persönlich etwas aus der Veranstaltung mitnehmen konnte.
Möglicherweise bringt auch ein Vieraugengespräch den gewünschten Fortschritt: Dabei stellt sich oft heraus, dass die mangelnde Motivation weniger etwas mit der Veranstaltung zu tun hat, als vielmehr auf Problemen geschäftlicher oder privater Natur beruht.
Event-Aspekte
Die Inszenierung der Maßnahmen ist bei Großgruppenmoderationen sehr wichtig – es soll schließlich nicht so sein, dass sich die Teilnehmenden passiv in einen leeren Raum setzen und darauf warten, von den Moderator:innen bespaßt zu werden. Die Aufgabe der Verantwortlichen ist es, ein gemeinsames nachhaltiges Erlebnis zu schaffen. Wie bei einem typischen Event beginnt auch in diesem Kontext alles mit einer zum Anlass passenden Einladung – die Teilnehmerkommunikation ist ebenso professionell organisiert wie beispielsweise bei einer Vertriebstagung. Auch andere inhaltliche und organisatorische Aspekte wie etwa das Raumkonzept, die Regie, der Einsatz von Technik und Medien bis hin zum Catering sind mit dem bei gängigen Event-Formaten üblichen Prozedere vergleichbar.
Der Wahl der Location kommt entscheidende Bedeutung zu: In der Regel sollten Großgruppenmoderationen nicht in den Räumlichkeiten des ausrichtenden Unternehmens, sondern ganz bewusst in einer vom Arbeitsleben losgelösten Umgebung stattfinden. Sollte die Großgruppenmoderation aus welchen Gründen auch immer im Unternehmen stattfinden müssen, werden vorhandene Tagungs- und Besprechungsräume bei der Location-Auswahl kategorisch ausgeklammert.
Klassische Event-Inszenierungen sind je nach Kontext ebenfalls gefragt: Steht etwa die „Alle in einem Boot“-Metapher im Fokus, werden Teilnehmende gerne schon einmal zu einem Segeltörn oder zumindest ans Meer eingeladen. Es gibt auch Themen, bei denen es sinnvoll sein kann, dass die Partner:innen der Teilnehmenden mit dabei sind und an ausgewählten Sessions teilnehmen.
Kritikfähigkeit
Mit der Großgruppenmoderation wird versucht, eine größere Zahl von Menschen ergebnisorientiert zu steuern. Das ist bei Change-Prozessen besonders wichtig. Wie das Ergebnis im Endeffekt ausfällt, kann man nicht vorhersagen. Ein positives Resultat ist jedoch immer gegeben: Die Geschäftsleitung erhält aus dem Dialog eine Grundlage, gemäß der sie später handeln kann. Insofern ist Großgruppenmoderation Teil einer modernen partnerschaftlichen Unternehmenskommunikation. Wenn die Ergebnisse nicht ganz wie erhofft ausfallen, sollten veranstaltende Unternehmen damit umgehen können. Denn wenn die Ergebnisse von vornherein feststünden, bräuchte man schließlich keine Großgruppenmoderationen!
Klar ist, dass Ergebnisse für einzelne Führungskräfte oder ganze Führungsebenen schmerzlich sein können und trotzdem nicht „im Giftschrank weggeschlossen“ werden dürfen. Offenheit, Kritikfähigkeit und Risikobereitschaft müssen vorhanden sein. Andersherum formuliert: Wer keine Probleme mit seinem Unternehmen hat bzw. keinen Handlungsbedarf erkennt, wird vermutlich auch nicht auf die Idee kommen, eine Maßnahme wie die Großgruppenmoderation einzuleiten. Die Auswertung der Ergebnisse sowie die Nachbereitung der Veranstaltung sind von immenser Wichtigkeit. Denn was zählt, ist die Kommunikationsstrategie, die auf die Maßnahme folgt. Wenn die Beteiligten später nämlich feststellen, dass nichts passiert und die Resultate ohne jegliche Konsequenz verpuffen, tritt rasch Frustration auf, und die Teilnehmenden sind weiteren Maßnahmen gegenüber nicht mehr aufgeschlossen. Erst mit der Auswertung der Ergebnisse beginnt die eigentliche Arbeit, die nicht selten Monate oder Jahre dauern kann – in den Köpfen passieren notwendige Veränderungen nämlich nicht von heute auf morgen! Effektives Change Management nimmt viel Zeit in Anspruch. Die eigentliche Maßnahme ist wie die Olympischen Spiele – danach gilt es, die Olympiade fortzuführen.
Großgruppenmoderation gewinnt als Maßnahme zunehmend an Bedeutung. Die Zeiten, in denen in Unternehmen ausschließlich von oben nach unten Veränderungen oder neue Vorgehensweisen verordnet wurden und die Beschäftigten die Vorgaben kommentarlos entgegennahmen, sind angesichts der Herausforderungen unserer komplexen heutigen Welt schlicht und ergreifend vorbei.
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