Personen auf dem Weg zu und von sowie auf Events absichern
Handlungshilfe zum Verkehrs- & Crowdmanagement
von Sabine Funk, Artikel aus dem Archiv vom
Mit den „Empfehlungen zum Verkehrs- und Crowdmanagement für Veranstaltungen (EVC)“ hat die Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV) angefangen, lange existierende Lücken zu schließen. Mit den „Vorgaben, Standards und Handlungsoptionen zur Berücksichtigung bei der Planung, bei Genehmigungsprozessen und bei der Durchführung von Veranstaltungen“ wird erstmals eine konkrete Handlungshilfe geschaffen.
(Bild: Monkey Business Images/Shutterstock)
Wer schon einmal Texte der Autorin gelesen hat, erinnert sich sicherlich, dass regelmäßig eines beklagt wurde: Das Fehlen verbindlicher Vorgaben, die Festschreibung dessen, was „gemacht werden sollte“, die Konkretisierung allgemein unkonkreter Forderungen. Damit ist nun zumindest in Teilen Schluss. Mit den „Empfehlungen zum Verkehrs- und Crowdmanagement für Veranstaltungen“ existiert nun eine Übersicht über einige der zentralen Aspekte. Diese „Übersicht“ ist dabei jedoch mehr: Sie ist ein Regelwerk (R 2) im Rahmen der FGSV-Systematik.
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„R steht für Regelwerke: Solche Veröffentlichungen regeln entweder, wie technische Sachverhalte geplant oder realisiert werden müssen bzw. sollen (R 1), oder empfehlen, wie diese geplant oder realisiert werden sollten (R 2).
[…]
R 2-Veröffentlichungen umfassen Merkblätter und Empfehlungen. Sie sind stets innerhalb der FGSV abgestimmt. Die FGSV empfiehlt ihre Anwendung als Stand der Technik1.“
Wer sich nun fragt, warum sich die FGSV, die sich ansonsten z. B. mit „Ausstattung und Betrieb von Straßentunneln“ befasst, nun mit Crowdmanagement beschäftigt, muss nicht lange nach einer Antwort suchen: Zum einen findet sich die Verbindung in der Person von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gerlach, seines Zeichens nicht nur Verkehrsplaner, sondern zuletzt auch Gutachter im Rahmen des Loveparade-Prozesses – ausgestattet mit einer Aufforderung, das in diesem Rahmen erlangte Wissen zu nutzen, Fehler wie die in seinem Gutachten aufgezeigten zukünftig nach Möglichkeit zu verhindern.
Aber auch inhaltlich finden sich die Schnittstellen schnell: Neben der offensichtlichen Verbindung über das Thema der Veranstaltungsverkehre finden sich im Rahmen der Verkehrsplanung Aspekte wie „Verkehrsfluss“ oder „Qualität des Verkehrsablaufes“ – Faktoren, die auch im Kontext der Beschäftigung mit Personenströmen relevant sind und deren Grundsätze durchaus übertragen werden können.
Verbindlicher Überblick zur Abwicklung der Customer Journey
In Zusammenarbeit einer interorganisational zusammengesetzten Gruppe von Experten und Expertinnen ist so ein Regelwerk entstanden, das erstmals einen umfassenden und vor allem verbindlichen Überblick über relevante Aspekte gibt, die – angelehnt an die an dieser Stelle bereits thematisierte „Customer Journey“ – für „die Abwicklung von Personen- und Verkehrsströmen“ (EVC, S. 142) wichtig sind.
Die Kapitel untergliedern sich dabei in die Themenbereiche:
Rechtliche Grundlagen
Verkehrs- und Personenbelastungen
Fließender und ruhender Kfz-Verkehr
Öffentlicher Verkehr, Shuttledienste, Reisebus- und Taxiverkehr
Radverkehr, Fahrradabstellanlagen
Personenbelastungen auf Fußwegetappen, Management der Bewegungen und Ansammlungen auf Publikumsflächen
Überwachung, Beurteilung und Lenkung von Menschenmengen
Management bei Störungen und Gefahrenereignissen
Ergänzt wird das ganze um eine Vielzahl von Anlagen, die sowohl Best-Practice-Beispiele und konkrete Handlungshilfen bieten („Checklisten zur Grundlagenermittlung“), als auch die fundierten theoretischen Grundlagen der dargestellten Planungsaspekte vermitteln. Beispielhaft sei hier das Fundamentaldiagramm (Kapazität qmax bei optimaler Geschwindigkeit vopt und optimaler Dichte kopt) genannt.
Das ist nicht immer leichte Kost – aber das muss man von einem Werk, das eine Grundlage sein soll, für die Sicherheit von Menschen bei Veranstaltungen zu sorgen, auch nicht zwingend erwarten. Im Gegenteil: Wer für sich beansprucht, eine wesentliche Rolle in diesen Planungen zu übernehmen, von dem muss auch erwartet werden können, sich mit den etwas komplexeren Zusammenhängen auseinanderzusetzen, statt immer nur mit Verweis auf die Musterversammlungsstättenverordnung den Zusammenhang von m2 und Personenzahl zu referenzieren.
Sollte, muss und Handlungsspielraum
Über die theoretischen Ansätze hinaus bieten die EVC eine Fülle von hilfreichen Übersichten, Planungsansätzen und Beispielen – seien es die „zu erwartende[n] Staulänge[n] [Pkw] vor der Einfahrt bei erwarteter Verkehrsbelastung [Pkw/h]“ (Tabelle 7, S. 59) oder auch die „Maßnahmen zur Beseitigung oder Minderung von Gefährdungen“ im Personenverkehr (S. 114ff). Einlässe werden genauso betrachtet wie Auslässe, die Herausforderungen beim Einsatz von Bus-Shuttleverkehren genauso wie die Anforderungen an Fahrradparkplätze.
Die gemachten Aussagen sind dabei angenehm verbindlich: Sollte („Dabei sollten im Rahmen der Planung Szenarien aufgestellt werden, die auch Störungen, wie die etwaige Verzögerung des Einlassbeginns berücksichtigen.“, S. 101) und muss („Die Planung und Gestaltung der Ausgänge muss sicherstellen, dass die Anzahl der erwarteten abreisenden Personen die Publikumsflächen in angemessener Zeit verlassen können.“, ebd.) werden verantwortlich verwendet, es werden Optionen dargestellt („Bei Stockungen oder einer ungleichmäßigen Verteilung der Personen auf die Eingänge kann es notwendig werden, einen kontinuierlichen Personenfluss auf die Einlasskontrollstellen aktiv nachzusteuern.“, S. 105), die Spielraum für den Transfer auf den eigenen Kontext lassen.
Beschreibung gelebter Praxis
Fürs Erste gilt es nun, die EVC in die Praxis zu überführen. In weiten Teilen wird dies leicht sein, vieles ist die Beschreibung „gelebter Praxis“, die nun dokumentiert und standardisiert ist, einiges wird eine intensivere Erarbeitung erfordern.
Die EVC können nicht alle Fragen beantworten, nicht alle Aspekte thematisieren – zu wenig ist erforscht, zu wenig Erfahrungswissen dokumentiert –, aber sie sind ein lange überfälliger, wichtiger Schritt in die richtige Richtung: die Festschreibung von Notwendigkeiten, die bisher nicht thematisiert wurden, die Festlegung auf Werte, die bisher zu oft Grundlage für eine Diskussion waren. Sie bieten Hilfestellung und Vereinfachung, formulieren aber auch Anspruch und Notwendigkeiten.
Mit den „Empfehlungen zum Verkehrs- und Crowdmanagement für Veranstaltungen“ ist ein wichtiger Anfang gemacht, der bereits in dieser Form dazu beitragen kann, dass Menschen auf Veranstaltungen, aber auch auf dem Weg dorthin und wieder zurück eine gute und sichere Zeit haben können.
2 Die Seitenzahlen in diesem Text beziehen sich auf die im November 2021 veröffentlichte Entwurfsfassung des Textes, der hier heruntergeladen werden kann: https://uni-wuppertal.sciebo.de/s/w3VtUO1rNA8KrE2