Incentives sind ein gebräuchliches Instrument zur Motivation von Mitarbeitenden, Vertriebspartnern und Kunden – und ein besonders wirksames dazu. Das gilt speziell für Reisen und Einladungen zu Events, die von den Empfänger:innen im Vergleich z. B. zu Bonuszahlungen stärker als Zeichen persönlicher Wertschätzung empfunden werden. Das bestätigen wissenschaftliche Studien*. Doch diese Vorzüge begünstigen auch den Missbrauch.
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[Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel stammt von Juni 2016]
Incentives eignen sich perfekt zur Klimapflege, sie machen die geschäftliche Zusammenarbeit persönlicher und auch menschlicher. Aber speziell der Vertrieb gilt als anfällig für deftige (An-)Reize, das haben die Skandale der vergangenen Jahre gezeigt, etwa die Affären um Ergo und Wüstenrot: Da ließen es Vertreter für Versicherungs- und Bausparverträge mal „so richtig krachen“. (Merke: Je oller die Produkte, desto doller die Incentives …)
Doch die Sex-Sause im Thermalbad und der Betriebsausflug ins Bordell sind nur die Spitze des Eisbergs. Viel zu lange schon sind Ausschweifungen aller Art, sinnfreies Bespaßen und Prassen selbstverständlicher Bestandteil von Incentive- Programmen. Hier droht in Zeiten des Web 2.0 der GAU für die Unternehmensreputation: Blitzschnell werden kompromittierende Fotos und Videos zum Hit im Internet und zirkulieren dort bis in alle Ewigkeit. Das kann sich für die betroffenen Unternehmen zum Image-Fiasko auswachsen – die Ergo-Versicherung kann ein Lied davon singen.
Regulierung muss sein, Abstinenz wäre dumm
Es ist deshalb kein Wunder, dass Incentives inzwischen stark reguliert werden. Wachsende Verunsicherung greift um sich: Was darf man noch, was ist verboten? Gerade bei Vertriebs-Events zeigen sich die Unternehmen immer weniger spendabel, viele verzichten vorsichtshalber ganz auf die früher so beliebten Veranstaltungen. Agenturen sprechen nicht gern über Umsatzverluste, aber hinter vorgehaltener Hand hört man atemberaubende Minuszahlen von 50 Prozent und mehr. Doch Verzicht ist keine Lösung bei einem nachweislich so wirkungsvollen Motivationsinstrument.
Wie also sollten Incentives unter Compliance-Aspekten gestaltet werden? Was sind absolute No-Go’s, und welche Verbesserungen sind darüber hinaus wünschenswert?
Die Frage nach den No-Go’s ist leicht zu beantworten: Auf dienstlichen Reisen und Veranstaltungen ist alles zu unterlassen, was in Widerspruch steht zu Gesetzen, ethischen Normen, Moralvorstellungen der Gesellschaft und den eigenen Unternehmenswerten. Eigentlich versteht sich das von selbst, doch viele Auftraggeber und Agenturen haben in der Vergangenheit großzügig darüber hinweggesehen.
Im Klartext heißt das: Ausschweifungen aller Art sind tabu – sexuelle sowieso, aber auch Event-Konzepte der Art: „Wir mieten uns eine Yacht, veranstalten dort ein kollektives Besäufnis und hinterher sind wir ein besseres Team“. Oder: „Wir fliegen mit unserer Vertriebsmannschaft nach Las Vegas, ziehen dort von Spielhölle zu Spielhölle, stehen die ganze Zeit kräftig unter Strom und verhalten uns auch sonst laut, aggressiv und pöbelig.“ Das sind wohl kaum die Werte, mit denen die Auftraggeber solcher sinnfreien Ausschweifungen in der Öffentlichkeit in Verbindung gebracht werden möchten. Diese Doppelmoral ist eines der zentralen Probleme: Unternehmen müssen endlich anfangen, ihre öffentlich verkündeten Werte auch zu leben. Sie müssen sich entsprechende Regeln geben und deren Einhaltung überwachen.
Abstruse Richtlinien dokumentieren Hilflosigkeit
Als Konsequenz aus der Orgie in der Gellert-Therme hat man eine neue Incentive-Richtlinie erlassen, die festlegt – Achtung! –, dass Incentive-Reisen mit Versicherungsmaklern künftig nur noch unter Teilnahme der Ehe- und Lebenspartner stattfinden dürfen (Ergo Incentive-Richtlinie v. 1.8.2013, S. 6). Übersetzt heißt das: Wenn die eigene Frau dabei ist, geht der Versicherungsmakler nicht ins Bordell. Ergo delegiert also seine dienstliche Aufsichtspflicht an die privaten Lebenspartner. Da fehlen einem die Worte. Man hätte doch einfach vorschreiben können: „Auch auf Incentive-Reisen halten wir uns selbstverständlich an unsere Unternehmenswerte, und wer sich nicht daran hält, kann gehen!“ Ergo aber möchte unsittliche Handlungen nicht einfach untersagen. Man fürchtet wohl, die Makler zu verprellen.
Sauberkeit ja, aber bitte nur so weit, wie sie das Geschäft nicht schädigt. Das sind also die Lehren, die man bei Ergo aus „Budapest“ gezogen hat. Und während alle Welt die Mitnahme von Ehe- und Lebenspartnern aus Compliance-Gründen inzwischen stark einschränkt, weitet Ergo sie aus und macht sie absurderweise sogar zur Bedingung für die Teilnahme des zu Belohnenden. Fragt sich nur, wie Ergo mit alleinstehenden Maklern verfährt? Dürfen Singles in Zukunft nicht mehr mitfahren, weil sie als „sittlich gefährdet“ einzustufen sind? Das wäre dann wohl ein Diskriminierungstatbestand und ein Fall für das Allgemeine Gleichstellungs-Gesetz (AGG): Statt mit unsauberen Incentives einfach reinen Tisch zu machen, stolpert Ergo von einem Fettnapf in den nächsten. Es ist ein Trauerspiel. Doch der Vorgang zeigt zugleich, dass es bei dem neumodischen Compliance-Trend in Wahrheit um etwas ganz Altmodisches geht – um Anstand nämlich.
Das hat auch die Ergo-Versicherung nach ihrem Budapest- Skandal versucht. Doch statt sich aufrichtig um Besserung zu bemühen, wollte man nur Compliance-Kosmetik betreiben – und hat sich damit vollends zum Gespött gemacht. (Siehe Kasten.) Doch der Vorgang zeigt zugleich, dass es bei dem neumodischen „Compliance“-Trend in Wahrheit um etwas ganz Altmodisches geht – um Anstand nämlich. Die Skandale der Vergangenheit haben nicht nur den beteiligten Unternehmen geschadet, sondern auch dem Instrument Incentive. Jedoch sind Incentives nicht per se gut oder schlecht – es kommt immer darauf an, was man draus macht. Wie also sollten Incentives unter Compliance-Aspekten gestaltet werden?
„Es kann nicht darum gehen, ein erfolgreiches Marketing-Instrument zu verunmöglichen, indem unrealistisch niedrige er festgelegt werden oder die Einladung der Partner untersagt wird.”
Wie macht man alles richtig bei Incentive-Reisen?
Um ihre Anreiz- und Belohnungswirkung zu erreichen, werden Incentives in der Regel aufwändig ausgestattet. Doch dieser Aufwand muss vernünftig und angemessen sein (reasonable and appropriate). Das sind zwei zentrale Forderungen von Compliance. Vernünftig und angemessen sind Incentives, die eindeutig im geschäftlichen Kontext verankert sind und einen Bezug zum Unternehmen aufweisen. Diese Forderung steht im Gegensatz zu der verbreiteten Praxis, Incentives als geschäftsferne Partys oder Luxusreisen zu gestalten. Es darf bei Incentives eben nicht in erster Linie um Unterhaltung gehen: Die Unternehmensbotschaften müssen im Mittelpunkt stehen, denn Incentives sind zuallererst ein Kommunikationsinstrument und nicht ein Anlass zum Feiern „in Saus und Braus“.
Die Wahl des Zielorts ist für die Anreizwirkung eines Incentives besonders wichtig, deshalb wurde hier in der Vergangenheit besonders viel Schindluder getrieben. Hier ein schönes Beispiel für ein Sales-Incentive der alten Schule: Der Geschäftsbereich Telefongroßanlagen eines deutschen Elektro-Weltkonzerns lud vor ein paar Jahren seine Top-100-Kunden nebst Ehe- und Lebenspartnern zu einer mehrtägigen Reise nach Venedig ein, um dort in einem historischen Palazzo am Canale Grande einen Maskenball wie zu Casanovas Zeiten (so das Motto) zu feiern.
Doch was in aller Welt haben Casanova und Venedig mit Telefongroßanlagen zu tun? Es wäre doch nun wirklich nicht schwer gewesen, Themen und Reiseziele zu finden, die einen Bezug zu Technologie oder Kommunikation besitzen und die Teilnehmer trotzdem begeistern. Der Zielort eines Incentives sollte niemals nur nach Unterhaltungswert oder touristischer Attraktivität ausgewählt werden, sondern immer zuerst danach, ob das Reiseziel einen inhaltlichen Bezug zum Unternehmen und seinen Marketing-Zielen aufweist – und darüber hinaus von den Teilnehmern als Belohnung empfunden wird.
Eine Kernfrage der Compliance ist der finanzielle Gegenwert der Einladung. Er sollte stets im Verhältnis stehen zur Bedeutung des Empfängers für das Unternehmen. Es empfiehlt sich, die Teilnahmeberechtigung an das Erreichen einer bestimmten Schwelle (z. B. beim Umsatz) zu koppeln oder sogar nach Leistung abgestufte Wertgrenzen einzuführen. Man könnte etwa die Entfernung der Reiseziele nach Umsatzklassen staffeln. Das verstärkt die Anreizwirkung und macht die Höhe der Belohnung nachvollziehbar. Fern gelegen und touristisch attraktiv darf es also ruhig sein – wenn es im Verhältnis zur Leistung der Eingeladenen und zu den Zielen der Veranstaltung steht. Allgemein gültige Vorschriften für die Höhe von Wertgrenzen gibt es nicht, nur unverbindliche Empfehlungen; das Unternehmen kann sie nach eigenem Ermessen festsetzen.
Angemessen bedeutet nicht automatisch bescheiden
Dabei sollte bedacht werden, dass Incentives dem Eingeladenen Wertschätzung signalisieren sollen. Zu niedrige Wertgrenzen erreichen das Gegenteil. „angemessen“ heißt also nicht automatisch „bescheiden“, selbst wenn viele Compliance- Beauftragte aus taktischen Gründen ebendies behaupten. Ausnahme: Der Pharma-Kodex fordert ausdrücklich ein Maßhalten (modesty) bei Einladungen.
Geschäftspartner rückwirkend für ihre Treue zu belohnen, ist unter Compliance-Aspekten übrigens unproblematisch (auch hier behaupten Compliance Officers gern das Gegenteil), sofern die Zuwendung wie gesagt finanziell im Rahmen bleibt – und sofern sie nicht für eine bestimmte Transaktion gewährt wird, sondern z. B. für den Umsatz eines Jahres. Punktesammeln wie in Kundenbindungsprogrammen ist ebenfalls möglich. Incentives für bestimmte einzelne Transaktionen oder Diensthandlungen sollten vermieden werden, das könnte den Eindruck einer unlauteren Handlung erwecken. Auch ist auf einen angemessenen zeitlichen Abstand der Belohnung zu ihrem Anlass zu achten.
Ein weiteres Problem bei Incentives ist die Mitnahme der Ehe- und Lebenspartner auf Kosten des einladenden Unternehmens. Sie steht grundsätzlich im Widerspruch zum geschäftlichen Kontext und ist nur gerechtfertigt, wenn die Art der Veranstaltung es erfordert (wie z. B. bei einer Gesellschaftsveranstaltung mit Tanz). Oft wird empfohlen, die Eingeladenen sollten für die Mitnahme ihrer Partner eine private Zuzahlung leisten. Doch erstens käme dies dem Eingeständnis einer nicht ganz sauberen Handlung gleich, weshalb solche „Ablasszahlungen“ im Widerspruch zu Compliance stehen (viele Compliance Officers befürworten sie trotzdem, weil man sich damit relativ einfach aus der Affäre ziehen kann). Und zweitens kann die Forderung einer Zuzahlung die eingeladenen Geschäftspartner verprellen, weil sie im Widerspruch zur angekündigten Belohnung steht.
Betrachten wir die Sache doch einmal andersherum: Die Einladung der Partner kann auf die Teilnehmer zusätzlich motivierend wirken. Wenn z. B. die schönsten Kabinen auf einem Kreuzfahrtschiff nach Umsatzrang vergeben werden, wird sich mancher Außendienstler in einer billigeren Kabine anhören müssen, er möge sich demnächst etwas mehr anstrengen. Sage also niemand, die Mitnahme von Ehe- und Lebenspartnern könne nicht sachlich geboten sein! Wer Incentives einsetzt, sollte konsequenterweise auch die Partner einladen, wenn die Art der Veranstaltung es erfordert.
Compliance ist nötig, gerade auch bei Incentives. Das belegen die Skandale der letzten Jahre eindrücklich. Es mag erstaunlich klingen, aber Aktionen wie die in der Gellert- Therme sind nicht strafbar und konnten sogar als Werbungskosten steuerlich abgesetzt werden, bevor die Sache aufflog. Es braucht also Compliance-Regeln, um die Mitarbeiter auch jenseits der Gesetze (und Gesetzeslücken) auf Wohlverhalten zu verpflichten.
Auch Compliance-Beauftragte müssen Maß und Mitte wahren
Das Incentive der Zukunft ist transparent und sauber sowie sachlich und finanziell angemessen. Und seine Botschaften sind stringent aus der Kommunikationsstrategie des Unternehmens abgeleitet. Diese Grundsätze sollten von Auftraggebern und Agenturen allgemein akzeptiert werden.
Umgekehrt sollten aber auch die Compliance-Beauftragten Maß und Mitte wahren: Es kann nicht darum gehen, ein so erfolgreiches Marketing-Instrument zu verunmöglichen, indem z. B. unrealistisch niedrige Wertobergrenzen festgelegt werden oder die Einladung der Partner untersagt wird. Damit Incentives ihrem Zweck als Belohnung gerecht werden, müssen sie ihren Teilnehmern etwas bieten. Dieses Etwas sollte allerdings nicht Unterhaltung um der Unterhaltung willen sein. Ausgangspunkt aller konzeptionellen Überlegungen sind vielmehr die Kommunikationsbotschaften des Unternehmens. Diese gilt es in unvergessliche Erlebnisse mit Belohnungscharakter umzusetzen. Wenn alle Beteiligten – Auftraggeber, Ausrichter, Dienstleister und auch die Compliance Beauftragten – Incentives in diesem Sinn verstehen, wird die Erfolgsgeschichte dieses faszinierenden Marketing-Instruments fortgeschrieben werden können.
* (Jeffrey, S. A./Adomza, G. K.: Incentive Salience and Improved Performance, Human Performance, 24:47–59, 2011; Fenich, G. G. et al.: Incentive Travel: A View from the Top, Journal of Convention & Event Tourism, 16:145–158, 2015).
Über den Autor:
(Bild: Karin Flesner)Prof. Dr. Hans Rück ist Dekan des Fachbereichs Touristik/ Verkehrswesen an der Hochschule Worms und lehrt dort Marketing und Event-Management. Er ist Mitglied des Deutschen Instituts für Compliance (DICO) e.V. und gilt als einer der führenden deutschen Experten für Event Compliance.