Money, Money, Money

Inflation, Preisexplosion – und wer zahlt’s?

Fortschreitende Geldentwertung, exorbitante Preisanstiege – auch bei Events: Zu diesem Thema sprechen wir mit vier Expert:innen aus der Veranstaltungsbranche und erkennen, neben den Herausforderungen, vor allem Lösungsansätze.

Diskussion auf Bühne

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Übersicht:

Preisexplosion im Tagesgeschäft

Kosten in den Griff bekommen – Budgets einhalten

Gemeinsam agieren – besser kommunizieren

Code of Conduct


Nachdem die deutsche Wirtschaft im Gesamtjahr 2023 um 0,3% geschrumpft ist, sind die Prognosen für 2024 weiterhin verhalten. Es gibt sinkende Einkommensaussichten, geringe Kauflust und es klingt nach Konjunkturpessimismus. Und auch in der Veranstaltungsbranche führt die aktuelle Lage zu Preisexplosionen sowie sinkenden, manchmal sogar eingefrorenen Budgets. Das sorgt für Effizienzdruck und lässt nicht unbedingt Raum für Experimente, oder doch?

Was vier Expert:innen aus der Branche dazu sagen, haben wir im Folgenden zusammengefasst:

Die Expert:innen

  • Max Bauer, Ton-/Systemtechniker und Veranstaltungstechniker, engagiert bei CrewCall, einem Netzwerk für offene Kommunikation und Bildung des Nachwuchses in der Veranstaltungswirtschaft
  • Nico Hocke, Gründer und Geschäftsführer von Niyu event production, Full-Service-Dienstleister von der Kreation über die Planung bis zur Produktion mit Fokus auf Nachhaltigkeit
  • Petra Lammers, Geschäftsführerin der onliveline GmbH, Büro für Transformation & Storytelling
  • Christian Seidenstücker, Inhaber/CEO der Joke Event AG für Markeninszenierung, Live-Kommunikation und virtuelle Events sowie Locationbetreiber von Alte Werft, Kathedrale und Garage in Bremen

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Preisexplosion im Tagesgeschäft

Auswirkungen von und Lösungsansätze im Umgang mit aktuellen Preissteigerungen und zugleich gleichbleibende, sinkende oder sogar komplett eingefrorene Budgets – wie sollten wir damit umgehen?

Petra Lammers
Petra Lammers

Petra Lammers: Man merkt bei allen Kunden, die wir gerade betreuen, dass wir in eine Rezession laufen, dass Budgets klar gedeckelt sind und wir mit extremen Kostensteigerungen innerhalb dieser Budgets umgehen müssen. Wir hatten im September 2022 eine große Stadioninszenierung zum 100-jährigen Jubiläum der R+V, zu der wir die Budgets zweieinhalb Jahre zuvor gemacht hatten. Wir hatten die gesamte Preissteigerung intensiv im Blick und merkten: Man kann nicht einfach rausgehen, einkaufen und sagen, das ist das Konzept und jetzt machen wir einfach. Man muss, erstens, anfangen am Konzept zu schrauben und zu überlegen, was überhaupt in dem gesteckten Rahmen geht; und zweitens, haben wir festgestellt, dass wir in den Technik-Teams viele Leute haben, die auch Designer:innen und Tüftler:innen sind, aus der alten Schule kommen und sowohl schrauben und verändern können, aber auch Ideen haben, wie man Sachen besser angeht. Das sind unsere zwei Ansätze: Was ist das tatsächliche Budget, und was ist folglich das Konzept? Und wie kann ich geile Ideen finden, die vielleicht einfacher sind? Hierfür braucht man dann jedoch die Leute, die das überhaupt denken können.

Max Bauer: Wir haben uns dazu hinbewegt, dass wir unglaublich viel Wissen und Können in dieser Branche vereinen. Das hat man auch in der Coronakrise gesehen. Ich glaube wir sind – und das kann man auch so offen sagen – hoch ausgebildete Expert:innen. Wir sind und brauchen Leute mit viel Fachkompetenz, die trotzdem kreative Lösungen finden. Dies geht definitiv nur über Ausbildung. Nicht mehr zwangsweise eine klassische lineare Ausbildung, wie wir sie jetzt haben, sondern eine Innerbetriebliche.

Was für ein Bild wollen wir den Leuten, die dazukommen, vermitteln? Wir haben eine Ver-Industrialisierung von großen Bereichen der Eventbranche. Wenn wir über Arbeitsschutz und -zeiten etc. reden, dann ist das definitiv ein guter Wandel. Aber irgendwie geht der Spirit verloren und das ist schade. Von diesem Spirit haben wir lange Jahre gelebt und gezehrt und er ist gerade mit Preissteigerungen im Blick definitiv das, was wir brauchen. Also weniger Leute, weniger Material und trotzdem eine Qualitätssteigerung erzielen.


Diskussion komplett anschauen!

Die Gesprächsrunde zum Thema „Money, Money Money: Inflation, Preisexplosion – und wer zahlt’s?“ fand auf der LEaT con 23 in Hamburg statt. Wer die Diskussion in Bewegtbild (nochmal) erleben will, kann das im LEaT con 23 RELIVE auf LO:X tun.


Nico Hocke: Preissteigerungen und Budgeteinschränkungen – das betrifft uns im Alltag. Wir haben auch in der Post-Corona-Zeit gemerkt, dass die Budgets nicht nachgezogen wurden. Veranstaltungen sind verschoben worden, aber mit den ursprünglichen Budgets. Das heißt, in der Zwischenzeit erfolgte Preissteigerungen wurden nicht berücksichtigt.

Wir haben aber auch mit der Abwanderung aus der Eventbranche zu kämpfen. Material ist genug vorhanden. Die noch vorhandenen Leute sind Tüftler:innen mit dem richtigen Mindset, aber es sind zu wenige. Und das führte automatisch dazu, dass es zu einer Preissteigerung bzw. – aus Kundensicht – zur Explosion kam. Die ursprünglichen Konzepte sind dann schlussendlich teilweise gar nicht so spektakulär umgesetzt worden, wie gedacht. Jetzt ist der Druck wieder bei uns, kreative technische Lösungen zu finden, die zum Budget passen. Dies mündet in den ständigen iterativen Vorgang: Okay, nette Idee, das wäre die Lösung, es kostet aber Summe X mehr. Willst du es machen? Nein, du hast das Budget nicht. Das bedeutet also, ein kleines X wieder zurückzunehmen, neue technische Lösungen vorzuschlagen. Dies führt zu einem Mehraufwand. Aber es sind trotzdem immer noch tolle Erlebnisse, die wir schaffen. Wir sind eine der wenigen Branchen, die auf den Punkt lösungsorientiert arbeitet und trotz aller Widrigkeiten etwas auf die Beine stellt.

Christian Seidenstücker
Christian Seidenstücker

Christian Seidenstücker: Die Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, ist, dass wir aktuell Projekte abarbeiten, deren Budgets im Vorjahr gemacht worden sind. Ich glaube, dass ist das, worunter wir alle leiden. Dass man damals nach bestem Wissen und Gewissen gesagt hat: Machen wir jetzt so. Viele Unternehmen haben unterschätzt, was diese Preisexplosion bedeutet. Die Schwierigkeit speziell für uns im Organisationspart ist: Wir sind in einer klassischen Sandwichposition. Zum einen gibt es ein festes Budget und dann gibt es natürlich Rahmenbedingungen, sprich Kosten, die gegeben – und gestiegen – sind, wie Hotels, Locations, Anreise. Das ist alles im Gesamtbudget drin. Interessanterweise werden diese Preise als gegeben angenommen.

Vor Corona gab es das Höher, Schneller, Weiter auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite wollte man die Jobs um jeden Preis bekommen. „Wir lösen das!“ – die deutsche Veranstaltungswirtschaft war zumindest eine der führenden Branchen in der Welt, was die Lösungsorientiertheit angeht. Das ist uns auf die Füße gefallen. Wir müssen selbstbewusster werden und uns nicht unter Wert verkaufen. Zuletzt hatten wir die Luxussituation, dass wir einen Anbietermarkt hatten. Dies ging sogar so weit, dass Kunden unseretwegen ihre Veranstaltungstermine verschoben haben. Doch wir müssen aufpassen, dass nicht wir diejenigen sind, die am Ende zahlen. Es kommen stürmische Zeiten und wir müssen uns alle wetterfest machen, die Taue anziehen und mit Zusammenhalt in die richtige Richtung segeln, dann werden wir auch diese Herausforderung überstehen.

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Kosten in den Griff bekommen – Budgets einhalten

Mehr mitgestalten, die gegebenen Kosten senken, um mehr Budget für den „geilen Scheiß“ wie beispielsweise technische Lösungen zu bekommen – mit welchem Mindset könnte das gelingen?

Petra Lammers: Wir sind oft in der in der Position, die Budgets frühzeitig einsehen zu können. Das heißt, wir haben die Möglichkeit, den Kunden auch dahingehend zu beraten und zu hinterfragen: Wie wäre es, wenn wir einen Gang weglassen? Oder es einfach nur Currywurst gibt? Wie wäre es, wenn wir doch nicht in die Location gehen, sondern es ganz anders machen? Oder wir gehen in eine andere Location und alle Leute sitzen eben auf Sitzkissen auf dem Fußboden? Ich glaube, diese sogenannten gegebenen Kosten kann man anders angehen. Wenn wir früh genug ein Bewusstsein schaffen, bleibt auch der Spielraum, trotzdem geile Sachen zu machen.

Nico Hocke: Diese gesetzten Kosten wie Reisetätigkeiten, Hotel etc. sind für alle nachvollziehbar. Aber unsere Branche hat es in der Vergangenheit nicht geschafft, auch mal einen Schlussstrich zu ziehen und zu sagen: „An dem Monitor ist ein Preisschild.“ – An der Tankstelle kann ich auch nicht verhandeln.

Aktuell haben wir einen Dienstleistermarkt, denn die Kunden sind auf uns angewiesen, sie verschieben sogar Events. Es sind Veranstaltungen ausgefallen, weil es einfach keine Dienstleister gab. Dieses Momentum müssen wir nach vorne treiben. Ich hoffe, dass die Eventranche sieht, dass der Kuchen groß genug ist für alle, dass wir uns austauschen und Lösungen finden, damit alle am Markt bleiben können.

Max Bauer
Max Bauer

Max Bauer: Aus Sicht des Dienstleisters waren und sind wir in der Position, dass wir sehr häufig „Ja“ sagen und vieles ermöglichen. Das ist an sich ein wunderschönes Mindset, aber: Es würde meines Erachtens extrem helfen, einem Kunden auch mal zu sagen: Nein, das funktioniert so nicht, das können wir so nicht umsetzen. Dieses „Ja, irgendwie kriegen wir das schon hin“ geht am Ende aufs Geld und auf die Qualität. Wir sprechen also vor allem über Effektivität: Wie können wir effektiver arbeiten, wie können wir auch nachhaltiger arbeiten? Wie können wir Reisekosten sparen, wie können wir lokaler arbeiten? Können wir durch eine gewisse Verschmälerung mehr Struktur reinbringen und dadurch auch mehr Nachhaltigkeit und Effektivität erreichen? Manchmal ist es so schade: Wir schaffen eine grandiose Inszenierung. Und dann schaut man ins Publikum, und die Wenigsten interessiert es leider – alle stehen hinten an der Bar. Sprich, wir sollten auch zielgruppenorientierter arbeiten.

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Gemeinsam agieren – besser kommunizieren

Wie erreicht man Flexibilität im Budget oder eine Verschlankung, ohne die Wirkung zu reduzieren, und wie tauschen wir uns dabei aus?

Petra Lammers: Wir müssen jetzt gemeinsam agieren und uns fragen: Wie bekommen wir das mit den heutigen rechtlichen und sonstigen Gegebenheiten trotzdem hin? Ich habe das Gefühl, dass wir in der Eventbranche jetzt viel mehr auf Augenhöhe reden.

Christian Seidenstücker: Ein wichtiger und effektiver Hebel für die Verschlankung liegt meiner Ansicht nach im Format Design; Format meint dabei die Rahmenbedingungen für ein Event. Wenn man zuerst die Rahmenbedingungen kalkuliert, um zu eruieren, welche kreative Knetmasse übrigbleibt, und man hier schon im Minus ist, kann das nicht richtig sein. Wir gehen dann in den Dialog mit dem Kunden und fragen: „Warum machen wir das, was ist der Return on Investment?“ Der Appell lautet daher, mit dem Kunden in den Austausch zu gehen und genau zu schauen, wie man es anders machen kann, auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit.

Das Thema Kollaboration untereinander sollten wir uns bewahren, denn Krisen schweißen zusammen. Wir sollten nicht wieder auseinanderbrechen bzw. uns von Kunden oder Einkäufer:innen dazwischengrätschen lassen. Dabei muss man manchmal auch stark bleiben und das berühmte Wort „Nein“ sagen können.

Niko Hocke
Niko Hocke

Nico Hocke: Wir merken, dass jetzt offener kommuniziert wird; sprich, gleich zu Beginn ein klares Budget genannt wird. Der beste Weg ist, in der Beratung und Umsetzung auf Augenhöhe Möglichkeiten zu eruieren und damit schneller und effektiver zu Lösungen zu kommen. Mit dem klaren Commitment: Wir wollen das machen, wir wissen alle, dass es schwierig wird, weil die Budgets vor ein bis zwei Jahren freigegeben worden sind. Mit diesem klaren Mindset „alle zusammen“ arbeitet man effektiver – auch interdisziplinär. Hier ist eine Offenheit zwischen Kunde, Agentur, Kreation, Architektur, Technik und anschließend der gesamten Logistik deutlich zu spüren, dass alle wieder an einem Strang ziehen.

Max Bauer: Es gibt Unternehmen, in denen Beratung aus dem ausführenden Gewerk sehr gerne angenommen wird. Es ist immer das gleiche Thema: miteinander reden und Meinungen einholen. Die Leute, „die es machen“, haben meistens eine gute Idee davon, wie sie es machen. Die Leute, „die es konzeptionieren“, haben davon auch eine gute Idee. Diejenigen Dienstleister, die ich kenne, sind motiviert, sich untereinander auszutauschen.

Petra Lammers: Es bedarf viel Wissen, insbesondere auch bei der Projektleitung und Kreation, um überhaupt zu verstehen, worüber gerade gesprochen wird und wo das Problem gerade liegt. Wenn man dieses Wissen nicht hat, ist das schwer. Hier muss man alle mitnehmen und weiter schulen. In unserer Agentur übernehmen einzelne Leute Operator Positionen und werden von dieser Truppe mit geschult, damit sie besser verstehen, wovon überhaupt gesprochen wird. Das ist wichtig, um auf Augenhöhe unterwegs und nicht so eine „doofe Agentur“ zu sein, die von oben herunterschaut.

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Code of Conduct

Die Eventbranche kennt bisher umfangreiche Fragebögen, bei denen man auskunftsfreudig sein muss, Geheimhaltungsvereinbarungen, die vor dem Erhalt der Ausschreibung unterzeichnet sein müssen oder auch AGB, die akzeptiert werden müssen. Das alles fußt auf geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen – Stichwort: ESG (Environmental, Social and Governance) oder Lieferkettenschutzgesetz –, denen sich immer mehr große Konzerne nicht entziehen können.

Christian Seidenstücker: Aktuell kommt die nächste Stufe, dass man den sogenannten Code of Conduct seines Gegenübers akzeptieren muss. Dabei ist der Code of Conduct ja tatsächlich nur ein Regelwerk, wie man miteinander zusammenarbeiten sollte. Ich bin beim fwd: für politische Arbeit tätig und der Punkt ist, dass dieser Code of Conduct, der uns vorgelegt wird und den wir akzeptieren müssen, leider bei vielen Unternehmen noch nicht in der Ausführung gelebt wird. Was steht dort eigentlich drin? Faire Bezahlung, faire Behandlung, dass man Überstunden im Rahmen hält und ganz viele Punkte mehr. Wenn man dies eins zu eins anwenden würde, dann müssten wir zum Beispiel als Agentur sagen: Am Veranstaltungstag sind es mindestens 18 Stunden, das kann ich nicht mit einem/einer Projektleiter:in oder mit einem/einer Tontechniker:in machen, da brauchen wir doppelte Schichten. Versucht man das beim Einkauf oder bei der Fachabteilung durchzusetzen, sagen diese: „Nein, also ich brauche genau diese Person, mit der ich das immer besprochen habe.“ Es geht um die Frage, wer bezahlt. „Es gibt nur dieses Budget für ein Hotelzimmer, pro Nacht, pro Person.“

Deswegen wollen wir darauf aufmerksam machen und haben Fallbeispiele unter den Mitgliedern gesammelt, wo dies auf den Websites bzw. in den Broschüren in tollen Worten beschrieben wird – denn das ist es, was man akzeptiert. Und wer dagegen verstößt, könnte/müsste im Zweifelsfall eine Strafe zahlen oder als Lieferant ausgeschlossen werden. Ich empfehle jedem wirklich, das genau durchzulesen. Wir sind zurzeit im Dialog mit den jeweiligen Verantwortlichen dieser großen Konzerne. Wie wollen wir das zusammen auf Augenhöhe lösen und vielleicht eine Verhaltensveränderung bei unseren Kunden erzeugen? Vielleicht ist jetzt gerade die richtige Zeit, darüber zu sprechen und tatsächlich etwas Positives für die Branche, für uns und unsere Mitarbeiter:innen zu bewirken.

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