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Inklusion: Handlungsempfehlungen für mehr Barrierefreiheit bei Events

Menschen mit Behinderungen sollten nach Art. 30 der Behindertenrechtskonvention der UN zusammen mit anderen Menschen an kulturellen und freizeitlichen Veranstaltungen gleichberechtigt teilhaben können. Doch ist dies die Realität? Imke Vierke ging dem in ihrer Masterarbeit nach.

Puzzle Inklusion(Bild: shutterstock/Anfrey_Popov)

Mit Blick auf die Menschenrechte, den demografischen Wandel und die Nachhaltigkeit ist die Inklusion von Menschen mit Behinderungen jetzt und zukünftig ein wichtiges Thema in der Gesellschaft. Es fehlt derzeit an ausreichend Informationen, inwieweit das Thema aktuell bei Veranstaltungen in Deutschland berücksichtigt wird und wie die Beachtung weiter gefördert werden kann. Laut dem dritten Teilhabebericht über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen sind diese bei dem Besuch von Veranstaltungen benachteiligt (BMAS, 2021). In Deutschland sprechen wir von 10,4 Millionen amtlich anerkannten Menschen mit Beeinträchtigungen (DESTATIS, 2021). Sie werden durch die Gestaltung der (Veranstaltungs-)Umgebung und Umwelt behindert und zu Menschen mit Behinderungen. Dabei haben gerade Veranstaltungen das Potenzial, Menschen verschiedenster Art zusammenzubringen. Der deutsche Veranstaltungsmarkt ist in der Pflicht, auf die Erkenntnisse zu reagieren und Veranstaltungen inklusiv zu gestalten. Es benötigt eine barrierearme Gestaltung der Veranstaltungsumgebung. Inwiefern existieren diese bereits und welche Verbesserungsmöglichkeiten bestehen? Und wie kann insbesondere das Universal Design als möglicher Wegweiser betrachtet werden?

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Zur Beantwortung wurden Experteninterviews durchgeführt. Sowohl Veranstaltungszentren als auch Veranstaltende fungierten als Interviewpartner:innen. Hierbei wurden unter anderem auch Menschen mit Behinderungen befragt, die selbst im Veranstaltungsmarkt arbeiten und von ihren Erfahrungen berichten konnten.

Barrierearm, nicht barrierefrei

Der aktuelle Stand reicht nicht aus, um den Anforderungen der Menschen mit Behinderungen gerecht zu werden. Grundsätzlich wird zwar die Inklusion von Menschen mit Behinderungen bei Veranstaltungen in Deutschland beachtet, der Umfang der Berücksichtigung ist jedoch abhängig von der Größe, der Art, dem Ort und der Zielgruppe der Veranstaltung sowie dem Veranstaltenden selbst. Entsprechend ist das Thema bei manchen Veranstaltenden und Veranstaltungszentren in der Strategie verankert und Menschen mit Behinderungen werden in die Planung miteinbezogen, aber nicht bei allen. Das Thema wird nicht obligatorisch bei der Veranstaltungsplanung mitgedacht. Ein Grundsatz ist zwar fast überall vertreten, aber das Angebot hinsichtlich der Inklusion von Menschen mit Behinderungen ist noch begrenzt. Verbesserungspotenzial ist aktuell insbesondere bei kleinen und digitalen Veranstaltungen, bei Konzerten und im öffentlichen Nahverkehr zu erkennen. Der deutsche Veranstaltungsmarkt ist auf einem positiven Weg, aber noch weit von dem Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen auf Veranstaltungen entfernt. Das Thema bedarf mehr Aufmerksamkeit und weitere Maßnahmen müssen kontinuierlich implementiert werden.

Inklusion bei Events bedarf mehr Aufmerksamkeit. (Bild: Shutterstock/Tunatura)

Auffallend im gesamten Veranstaltungsmarkt ist, dass die Barrierefreiheit oftmals nicht erreicht wird und vielmehr der Begriff barrierearm verwendet werden müsste. Es existieren Unterschiede im Verständnis des Begriffs und die baurechtlichen Vorgaben differenzieren sich je nach Bundesland, sodass die durchgeführten Maßnahmen zur Erreichung verschieden ausfallen. Außerhalb der baulichen Rahmenbedingungen fehlen zudem klare und adäquate Vorgaben. Nach Walters (2019) dreigliedrigem Ansatz beinhaltet Barrierefreiheit die drei Ebenen physische, finanzielle und kognitive (hierzu zählt das geistige und emotionale Wohlbefinden) Barrierefreiheit. Der Begriff wird jedoch oftmals auf die physische Barrierefreiheit reduziert, obwohl alle drei Aspekte elementar sind. Außerdem liegt der Fokus der bereits getroffenen Maßnahmen hauptsächlich auf Menschen mit körperlichen Behinderungen, da diese die am häufigsten auftretenden Arten der Behinderungen darstellen. Maßnahmen für Menschen mit Sehbehinderungen werden im Vergleich seltener umgesetzt. Hier bedarf es noch eines einheitlichen Verständnisses der Barrierefreiheit und eines höheren Bewusstseins für das Thema. Auch Maßnahmen im Bereich der finanziellen und kognitiven Ebene gehören zu einer barrierefreien Veranstaltung.


„Toiletten für Alle“-Container für inklusive Events

Die „Toiletten für alle“ sind mehr als reine Sanitäranlagen. Sie sind relevante Schlüsselfaktoren, wenn es um die Freizeitgestaltung von Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen geht. Denn die Teilhabe an Veranstaltungen ist häufig an die Existenz von Toiletten mit spezieller Ausstattung geknüpft. Nur mit Pflegeliege und Personenlifter ist beispielsweise ein Wechseln von Inkontinenzeinlagen im Liegen überhaupt möglich. Dies betrifft neben Menschen mit schweren Behinderungen auch Ältere, die mit Demenz oder Inkontinenz zu kämpfen haben. Ist die benötigte WC-Ausstattung nicht gegeben, kann die Veranstaltung oft nicht besucht werden.

Weil Menschen mit komplexen Behinderungen ein Recht auf Spaß am Leben haben! (Bild: Grafik Jahrmarkt / Freepik.com)

Veranstalter:innen bundesweit haben nun die Möglichkeit den mobilen „Toiletten für alle“-Container für Ihre Veranstaltung zu mieten und so ein deutliches Zeichen für Inklusion in der Veranstaltungsbranche zu setzen.

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Sieben Handlungsempfehlungen

Aber wo anfangen? Es können sieben Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, die bei der Umsetzung unterstützen können: Der erste und wichtigste Punkt ist die Sensibilisierung des Veranstaltungspersonals für das Thema. Das Bewusstsein gegenüber dem Thema und der dafür benötigten Barrierefreiheit als wichtiger Baustein für Veranstaltungen muss beispielsweise durch Schulungen gefördert werden.

Ergänzend zeigt sich als zweiter Aspekt, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen struktureller Änderungen in der Planung und Durchführung von Veranstaltungen bedarf. Sie muss als fester Bestandteil in Veranstaltungskonzepten von Anfang an berücksichtigt werden, da die benötigten Maßnahmen nachträglich nicht oder nur schwer ergänzt werden können. Der Einbezug darf nicht nur punktuell erfolgen. Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen muss als langfristige Strategie bzw. Prozess angesehen werden, der anhand kleinerer Ziele stetig vorangetrieben wird.

Ein wichtiger Punkt ist darüber hinaus der Einbezug von Menschen mit Behinderungen in die Planung. Durch deren Einbindung intern und/oder extern (als Festangestellte im Team oder von externen Organisationen bzw. Behindertenbeauftragten der Städte und Kommunen) findet ein intensiverer Austausch mit dem Thema statt. So wird nicht nur das benötigte Wissen, sondern auch ein gewisses Auge für Barrieren hinzugeholt.

Die vierte Handlungsempfehlung resultiert aus der fehlenden Transparenz der Informationen über die Zugänglichkeit. Barrierefreie Angebote, wie das Vorhandensein einer Induktionsschleife oder eines Wegeleitsystems, sowie die nicht-barrierefrei erreichbaren Räumlichkeiten müssen vorab und während der Veranstaltungen kommuniziert werden, damit sich Menschen mit Behinderungen erkundigen können. Beispielsweise kann auf der Webseite unter einem eigenen Reiter oder in einem Dokument zum Herunterladen die Situation vor Ort genau beschrieben werden.

Damit Menschen mit Behinderungen an die benötigten Informationen gelangen können, bedarf es außerdem als weitere Empfehlung einer barriereärmeren Gestaltung von Webseite, Apps und sozialer Medien. Folglich bietet auch die digitale Barrierefreiheit Handlungsbedarf. Mit der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) sind bereits klare Anforderungen vorgegeben, welche beispielsweise bei der Überarbeitung einer Webseite umgesetzt werden können. Aber auch die Nutzung von Bildbeschreibungen und Untertiteln stellen Möglichkeiten für eine barriereärmere Gestaltung dar, die neben Menschen mit Behinderungen ebenso älteren Menschen helfen (Aktion Mensch und die medienanstalten, 2016).

Als weiterer Punkt sollten anstatt durchweg kurzfristiger Lösungen auch langfristige, kalkulatorisch sinnvolle Investitionen getätigt werden. Hier können gegebenenfalls. Förderprogramme hinzugezogen werden, die bei der Umsetzung unterstützen.

Als letzte Handlungsempfehlung zählt das Vorhandensein einer gewissen Grundausstattung in Veranstaltungszentren, wie beispielsweise ein höhenverstellbares Rednerpult. So können gerade auch kleinere Veranstaltungen ohne einen großen finanziellen Mehraufwand barriereärmer durchgeführt werden.

Maßnahmen für Menschen mit Sehbehinderungen kommen selten vor. (Bild: Shutterstock/pkajak)

Was ist Universal Design?

Universal Design ist „ein Design von Produkten, Umfeldern, Programmen und Dienstleistungen in der Weise, dass sie von allen Menschen möglichst weitgehend ohne eine Anpassung oder ein spezielles Design genutzt werden können“. Der Zweck ist die Reduktion von Barrieren durch Schaffung eines besseren Zugangs für alle Menschen unabhängig von Alter, Herkunft und ob mit oder ohne Behinderungen. Es gibt sieben Prinzipien, die bei der Umsetzung des Designkonzepts unterstützen sollen. Sie dienen somit als Hilfsmittel, was alles zu beachten ist. Aus diesen Prinzipien leiten sich Richtlinien ab, welche anschauliche und praktikable Vorgaben darstellen, wie die Prinzipien in der Praxis umzusetzen sind (z. B. die Sicherstellung der guten Erreichbarkeit aller Teile für sitzende wie stehende Benutzende).

(Bild: Imke Vierke)

Impulsgeber: Universal Design

Das Universal Design ist im deutschen Veranstaltungsmarkt nur wenig bekannt, obwohl Inhalte dessen bereits teilweise unbewusst angewandt werden (z. B. DIN 18040 Barrierefreies Bauen). Eine bewusste Einbindung des Designkonzepts mit seinen sieben Prinzipien erfolgt jedoch nicht. Dabei stellt das Universal Design einen Ansatz dar, um die Sensibilität des Veranstaltungspersonals zu fördern und die Inklusion von Menschen mit Behinderungen als festen Bestandteil in Veranstaltungskonzepten zu verankern. Es bildet eine mögliche Antwort auf die Frage, wie die Inklusion von Menschen mit Behinderungen grundsätzlich berücksichtigt werden kann. Vorteil gegenüber anderen Ansätzen ist der Fokus auf die Inklusion aller Menschen. So ist das Universal Design gleichzeitig ein möglicher Weg, dem demografischen Wandel zu begegnen. Da die sieben Prinzipien nicht jederzeit hundertprozentig beachtet werden können, handelt es sich um einen stetigen Entwicklungsprozess. Als Impulsgeber sowie als Erweiterung der bisherigen Barrierefreiheit zeigt das Designkonzept den Nutzenden Verbesserungspotenzial auf. Eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Thema findet statt.

Beachtet werden muss, dass das Universal Design nicht die finanzielle und teilweise auch nicht die kognitive Barrierefreiheit beinhaltet. Daher kann mit der alleinigen Nutzung des Designkonzepts die Inklusion von Menschen mit Behinderungen bei Veranstaltungen nicht erreicht werden. Vielmehr ist es eine mögliche Methodik, die mit weiteren Maßnahmen kombiniert werden muss, damit die Inklusion aller Menschen erfolgen kann.

Darüber hinaus ist besonders die aktuelle Forschung im Bereich des Notfallmanagements und der Informations- und Kommunikationstechnik in Bezug auf das Universal Design für den Veranstaltungsmarkt von Interesse. Beispielsweise fordern Gjøsæter, Radianti und Chen (2020), dass das Universal Design obligatorisch bei der Gestaltung von Notfallmanagementsystemen integriert wird. Die Anwendung hilft nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch anderen Menschen im Notfall, da situationsbedingte Behinderungen entstehen können. So kann die Nutzung des Universal Designs die digitale Inklusion verbessern und bei der Sicherheit von Veranstaltungen unterstützen.


Bewertung der Professur:

Imke Vierke widmet sich in ihrer Masterarbeit einem sehr wichtigen Thema, das leider bisher eher wenig Aufmerksamkeit erhalten hat. Basierend auf qualitativen Experteninterviews mit Veranstaltungszentren und Veranstaltern, analysiert die Arbeit den aktuellen Stand der Umsetzung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen im deutschen Veranstaltungsmarkt. Dabei wird insbesondere das Konzept des „Universal Designs“ als möglicher (aber nicht alleiniger) innovativer Ansatzpunkt betrachtet. Die Arbeit zeigt im Rahmen von sieben konkreten Handlungsempfehlungen auf, wie die Akteure der Veranstaltungsbranche zukünftig besser für das Thema sensibilisiert werden können und wie die Inklusion von Menschen mit Behinderungen als fester Bestandteil in zukünftigen Veranstaltungskonzepten verankern werden könnte. Die Arbeit leistet somit einen spannenden Beitrag auf dem Weg zu einer inklusiven, diversen und attraktiven Veranstaltungsbranche der Zukunft.

Prof. Dr. Kim Werner, Hochschule Osnabrück


Über die Autorin:

Imke Vierke (Bild: Imke Vierke)

Imke Vierke (26 Jahre) hat im November 2021 erfolgreich den Master of Arts in Business Management an der Hochschule Osnabrück absolviert. Seit 2022 arbeitet sie als Projektmanagerin Marketing & Events für ein global agierendes Unternehmen und organisiert verschiedenste Veranstaltungsformate. Ehrenamtlich unterstützt die Autorin seit 2014 den Deutschen Evangelischen Kirchentag bei der Durchführung der Großveranstaltung mit dem Fokus auf geschützte Personen. Aufgrund vielfältiger Erfahrungen in der Veranstaltungsbranche und dem Bereisen verschiedenster Veranstaltungsorte ist sie immer öfter mit dem Thema Barrierefreiheit und Inklusion in Berührung gekommen.


Hinweis der Redaktion:

Der Artikel basiert auf Literatur und Quellen, die in der vollständigen Masterarbeit einzusehen sind und deren explizite Nennung für die Veröffentlichung im Magazin vernachlässigt wurde.


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