Ein Kunstevent als Zeichen gegen die Zensur

Inszenierung: Der Parthenon der Bücher zur documenta 14

Der Parthenon der Bücher der argentinischen Künstlerin Marta Minujín ist einer der Höhepunkte der documenta 14 in Kassel – und als imposanter Ausstellungsbestandteil im Grunde nichts anderes als ein temporäres Event mit vielen Facetten.

Martha Minujín, The Parthenon of Books, documenta 14
(Bild: Roman März )

Als Besucher ist man schnell von den zahlreichen Gesichtern dieses politisch angehauchten Kunstobjektes überwältigt und mit vielen Aspekten konfrontiert: ein Kunstwerk im Prozess, die aktuelle Politik, tausende verbotene Bücher, ein Mahnmal der Zeitgeschichte, ein Diskussionsforum und Begegnungsstätte für Besucher, die Zensur, die Bücherverbrennungen u.v.m. Die Installation des Parthenons mit zigtausend einst und gegenwärtig verbotenen Büchern auf 46 Säulen wurde in Kassel nach dem Vorbild des Tempels auf der Athener Akropolis errichtet, der sowohl politisch als auch ästhetisch das Ideal der ersten Demokratie repräsentiert.

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Nach wie vor ist die Verfolgung von Schriftstellern und das Verbot ihrer Texte, motiviert durch politische Interessen und mit dem Ziel, die Gedanken, Vorstellungen und Körper der Menschen zu beeinflussen, sehr aktuell. Doch Bücherverbote entstanden und entstehen nicht nur aus politischen Gründen, auch religiöse oder sittlich-moralische Aspekte zählen dazu.

Der Parthenon der Bücher soll ein Zeichen gegen die Zensur und die Verfolgung ihrer Verfasser sein. Für die Realisierung dieses Werks wurden Bücher gesammelt, die nach Jahren des Verbots wieder verlegt werden oder in einigen Ländern legal verbreitet, in anderen aber untersagt sind. Das von der Uni Kassel zusammengestellte, weltweit umfassendste Verzeichnis mit mehreren 10.000 verbotenen Büchern und Schriftstellern beinhaltet u.a. weltbekannte Werke wie Der Alchimist, Sakrileg, Harry Potter und auch Kinder- und Jugendbücher wie Huckleberry Finn, Der kleine Prinz und Alice im Wunderland.

Für die documenta 14 scheint der Parthenon der Bücher ein echter Besuchermagnet zu sein. Ein über Monate dauerndes Event, das die Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen anlockt. Er wird zum Treffpunkt für politische Diskussionen über Kunst, Demokratie, Zensur, Verbote und weckt ganz unterschiedliche Emotionen bei den Besuchern. Viele davon haben Bücher gespendet oder tun dies täglich weiterhin. Manche entdecken Erstaunliches, Bekanntes, Verwirrendes in den Säulen wieder. Andere sind überwältigt von dem monumentalen Kunstwerk und seiner gewaltigen Ausstrahlung – auch bei Nacht, wenn es eindrucksvoll beleuchtet ist. Die unzähligen Aspekte des Parthenons der Bücher machen dieses Kunstwerk zu einem politischen  Event der ganz besonderen Art.

Martha Minujín, The Parthenon of Books, documenta 14
(Bild: Roman März )

Bücherverbrennungen – publikumswirksame Inszenierungen

Bereits die Grundsteinlegung für den Parthenon und der Beginn der Büchersammlung im Oktober 2016 war ein Highlight. Die Sammlung von verbotenen Büchern erinnert an die Säuberungen der Bibliotheken von „schädlichen“ Büchern während der Nazizeit in Deutschland, die danach im ganzen Land in der Öffentlichkeit verbrannt und zerstört wurden. Genau hier auf dem Kasseler Friedrichsplatz vor dem Fridericianum steht das heutige Kunstwerk, dort, wo am 19. Mai 1933 im Zuge der sogenannten „Aktion wider den undeutschen Geist“ rund 2.000 Bücher verbrannt wurden. 1941 fing das Fridericianum, das damals noch als Bibliothek genutzt wurde, während eines Bombenangriffs der Alliierten Feuer und ein Buchbestand von rund 350.000 Bänden ging verloren. Ein Ort mit viel Symbolkraft.

Bücherverbrennungen, als Extremfall der Zensur, waren und sind lange vor und auch nach dem Nationalsozialismus Anziehungspunkt für Schaulustige und Unterstützer der publikumswirksamen Inszenierungen. Diese großen „Events“ der Bücherverbrennung sollten klare Botschaften an das Volk sein: Alles, was nicht zur religiösen oder politischen Ideologie passt, muss vernichtet werden. Oftmals öffentlich in großen Städten und an eindrucksvollen Plätzen inszeniert, ließen die Mächtigen vor den Augen der Menschen die Bücher und Schriften verbrennen und wollten damit ihre vermeintliche Macht über die Schriftsteller, deren Bücher sowie über die Gedanken der Menschen demonstrieren. Und die Parallelen bestehen bis in die Gegenwart, in der Verlage geschlossen, Websites gelöscht oder gesperrt, Bücher konfisziert oder Journalisten verhaftet werden.

https://youtu.be/z23Ba8xACw8

Burning Book – ein Buch auf dem Scheiterhaufen

Erst kürzlich im Juni fand im bayerischen Niederlauer „Am dicken Turm“ die einzigartige Feueraktion „Burning Book“ des Berliner Künstlers Herbert Fell statt. Aus Holz wurde eine riesige Skulptur gebaut und auf die weißen Seiten eines überdimensionalen Buches verbrannte Texte und Bilder projiziert. Diese fielen mit dem Verbrennen des 6,50 Meter hohen Kunstobjektes den 15 Meter hohen Flammen langsam erneut zum Opfer. Im lodernden Feuer, bei Tageslicht und nach dem Abbrennen des Scheiterhaufens wurde eine Botschaft des Künstlers Herbert Fell an die rund 700 bewegten Besucher ganz deutlich: „Sie sind immer da – ihr könnt sie nur nicht sehen!“

Herbert Fell, Burning Book
(Bild: Herbert Fell)

Ein Zeichen setzen! Das haben die Bücherverbrennungen von damals, das Burning Book und der Parthenon der Bücher von heute in jedem Fall mit ihren Veranstaltungen erreicht. Der Parthenon der Bücher der Künstlerin Marta Minujín geht zurück auf eine Installation aus dem Jahr 1983 mit dem Titel El Partenón de libros, die kurz nach dem Zusammenbruch der argentinischen zivil-militärischen Diktatur genau jene Bücher zeigte, die während der Diktatur verboten waren. Nach fünf Ausstellungstagen kippten zwei Kräne die Installation leicht zur Seite, sodass die Anwesenden die Bücher mitnehmen konnten.

Auch für den Parthenon in Kassel ist zum Ende der documenta 14 ein gemeinsames Event mit der Öffentlichkeit geplant, um die Bücher wieder kursieren zu lassen … Die Gelegenheit, die documenta 14 und den Parthenon der Bücher selbst zu erleben, gibt es noch bis zum 17. September 2017 in Kassel.

 

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