Die Automobilindustrie steckt mitten in einem disruptiven Wandel. Tradierte Überzeugungen wanken, neue Player betreten das Feld, die Branche schaut in eine ungewisse Zukunft, voller Gefahren, voller Chancen. Welche Auswirkungen hat das auf die IAA?
Zuallererst fällt auf, dass viele gar nicht da sind. Volvo setzte den Trend, indem es 2015 auf die Messe verzichtete; durchaus klug begründet. 2017 sind Nissan, Fiat, Peugeot, Alfa, Mitsubishi und weitere gefolgt. Außerdem fehlt der Hersteller, der gerade alle anderen vor sich hertreibt: Tesla verkauft sein Model 3 offensichtlich auch ohne eine Präsenz auf der Messe … Insgesamt fehlen damit zwölf große Automarken. Sie alle argumentieren mehr oder weniger dezidiert, dass sich die freiwerdenden Budgets deutlich wirkungsvoller nutzen lassen. Mit eigenen Veranstaltungen, auf denen sie sich exklusiv präsentieren, ohne die Konkurrenz zwanzig Meter weiter. Abzuwarten bleibt, ob hier Budgets wegfallen oder sich „nur“ von Messe- zu eher eventiven Formaten verschieben.
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Ungewohnte Freiräume und altbekannte Messestanddesigns
Der Messebesucher in Frankfurt erlebt die fehlenden Zwölf vor allem als ungewohnte Freiräume. Manche Hallen bleiben zu, mancher Messestand wirkt, als hätte die Messegesellschaft in letzter Minute noch in paar Quadratmeter draufgelegt – vermutlich kostenfrei. Bei Opel hat man den Eindruck genauso wie bei Brabant.
Den prominentesten Freiraum generiert allerdings Audi. Dort, wo sich in den letzten Jahren der stolze und immer aufregende Audi-Pavillon erhob, residieren 2017 Würstchenbuden und Bierstände. Vorsprung durch Technik findet man jetzt in der VW-Halle im Standdesign von Paris, die Autos mausgrau, das vielleicht ein Zeichen neuer Bescheidenheit? Die Marke ist in den Schoß des Konzerns zurückgekehrt, Höhenflug beendet. Die restlichen Stände des VW-Konzerns geben sich unerschüttert. Hier und da ein Elektroauto, im Großen und Ganzen aber nichts Neues, kein neuer Ton, keine veränderte Ansprache, keine erkennbare Änderung von Haltung und Selbstverständnis. Weitermachen.
Unverändert auch viele andere. Toyota, Renault und etliche andere präsentieren sich in Ständen, die man alle schon mal „irgendwo“ gesehen hat. Zumindest hinsichtlich des Messestanddesigns hat offensichtlich manch einer die Pausetaste gedrückt und einen bewährten Stand aus dem Keller geholt. Könnte man als Orientierung hin zur Nachhaltigkeit deuten, ist aber wohl eher: Orientierungslosigkeit.
Verschobene Machtverhältnisse
Dass die Branche sich wandelt und sich Machtverhältnisse verschieben, hinterlässt dann aber doch Spuren. Zum Beispiel im neuen Selbstvertrauen der Zulieferer. Thyssenkrupp, Bosch und ZF präsentieren sich in Halle 8 inmitten der Automobilisten. Mit großen, gelungenen Ständen, die vor Selbstvertrauen strotzen. Hier hat man was zu erzählen, hier hat man was beizutragen zur automobilen Zukunft.
Und auch auf den Ständen der Automobilisten werden Zulieferer plötzlich sprichwörtlich groß geschrieben z.B. bei Ferrari, wo die „Key Innovations Partners“ übergroß an der Fassade prangen. Das gab’s noch nie.
Die Stunde der Exponate
Eines eint alle Aussteller: Technikkommunikation is back! Während 2015 Lifestyle-Inszenierungen im Mittelpunkt standen und kaum ein Auto nicht von Teppichen, Lampen und Sitzmöbeln eingerahmt war, schlägt 2017 (wieder) die Stunde der Exponate. Zukunftsfähigkeit erzählt sich eben traditionell über technische „Spielstationen“, die das Publikum beeindrucken sollen. AR, VR, everywhere. Ob das ausreicht, um Vertrauen zurückzugewinnen?
Ein paar wenige machen immer noch in Lifestyle: Mini hechelt der Zielgruppe hinterher, diesmal mit Bartsalon auf dem Stand und phantasialandverdächtigen Fake-Fassaden. Opel, in den letzten Jahren beeindruckend und aufregend, macht’s genauso (nur ohne Friseure). Aber die Rüsselsheimer warten ja immer noch auf eine Strategie von PSA …
BMW inszeniert sich in gelungener Zurückhaltung, mit BMWi als starkem Aufmacher am Halleneingang. Hier spürt man keine Revolution, aber doch die Evolution hin zu einem neuen Selbstverständnis.
Hybrid zwischen Messestand und Convention Space
Nur einer versucht sich wirklich neu zu erfinden: Mercedes. Die Festhalle präsentiert sich als Hybrid zwischen Messestand und Convention Space. Zusammen mit SXSW veranstalten die Schwaben von Freitag bis Sonntag ein hippes Symposium zur Zukunft der Automobilität – mitten auf dem Stand. Die Zahl der Autos ist deutlich reduziert, dafür präsentieren sich Zukunftstechnologien und Start-ups (– die Zulieferer von morgen). Abends bespielen Künstler die riesigen Medienflächen. Ein spannendes Experiment. Wir werden sehen, ob Mercedes damit das Role Model für die IAA der Zukunft geschaffen hat.