Alles was der Mensch kann, wird die Maschine auch irgendwann können
Interview mit Dr. Michael Liebmann, doo GmbH, über KI in der Eventbranche
von Andreas Schäfer,
Dr. Michael Liebmann ist Gründer und Geschäftsführer der doo GmbH in München. Er ist Ingenieur und hat in Künstlicher Intelligenz und Machine Learning promoviert. Seine Mission ist die Weiterentwicklung der Eventindustrie durch Automatisierung und Personalisierung.
Dr. Michael Liebmann will, dass die Digitalisierung Eventplanern hilft, sich auf das zu konzentrieren, was wirklich Mehrwert schafft: kreative und langfristig erfolgreiche Veranstaltungen. Im Interview mit EVENT PARTNER gibt er Einblicke in den aktuellen Stand und Ausblicke auf die Zukunft von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz für die Eventbranche.
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Wie sind Sie zu Ihrer Profession gekommen?
In meinem vorherigen Beruf als Unternehmensberater haben wir Kundengewinnung und -bindung über Events erreicht. Auch im digitalen Zeitalter bleibt die persönliche Interaktion gerade in Business-to-Business-Bereichen immer noch unschlagbar. Nur bei Events sammelt man die wertvollsten Erkenntnisse und Daten über seine Kunden. Das ist online gar nicht möglich.
Nach der Unternehmensberatung habe ich in Künstlicher Intelligenz promoviert. Wir haben mittels Techniken des maschinellen Lernens einer Maschine beigebracht, wie man Finanznachrichten wie ein menschlicher Anleger interpretiert und automatisiert Aktien kauft und verkauft. Das hat recht gut funktioniert. Aber ich wollte etwas Praktisches mit menschlichen Kunden machen. Und da im Eventmarketing mit die wertvollsten Daten erhoben werden und gleichzeitig der Markt in Sachen Digitalisierung noch am Anfang steht, wollte ich beide Schwerpunkte vereinen. So haben ein Kollege aus der Beratung und ich nach der Promotion die Event-Automatisierungsplattform doo in München gegründet. Bei doo vereinen wir klassische Digitalisierungsthemen wie Aufwandsreduktion durch Automatisierung mit intelligenter Datenanalyse.
Was macht Ihre Firma genau?
Die wichtigste Erkenntnis aus der Promotion in maschinellem Lernen war, dass intelligente Algorithmen nicht helfen, wenn die Eingangsdaten nicht gut vorstrukturiert sind. Mit anderen Worten, die Maschine kann schlechte oder unzusammenhängende Daten nicht zu guten machen. Genau diese Lücke schließen wir bei doo. Wir bringen alle Schritte der sogenannten Teilnehmerreise auf eine Plattform. Dazu gehören Einladungen, Eventwebseiten, Registrierung, Bezahlung, Teilnehmermanagement und Kontakt-CRM. Zusammen mit unseren Partnern integrieren wir die Vor-Ort-Schritte, wie Einlass, Badging und Event-Apps. So integrieren wir nicht nur die Prozessschritte, sondern auch die wertvollen Teilnehmerdaten. Dadurch erreichen wir eine End-to-End-Digitalisierung des Veranstaltungsmanagements und können Teilnehmerprofile bilden. Der Hauptmehrwert für unsere Kunden ist erstens deutliche Zeit- und Kostenersparnis und Aufwandsreduktion durch eine All-in-One Lösung und zweitens ein Wettbewerbsvorteil durch effizientere Veranstaltungen, die der Teilnehmer versteht.
Was ist Künstliche Intelligenz?
Zunächst einmal ist das ein extrem inflationär verwendeter Begriff. Denn eigentlich gibt es bisher keine echte KI. Das, was wir im Marketing als KI vorgegaukelt bekommen, ist bestenfalls ein Vorgeschmack. Maschinen können heute nur einen kleinen Teil des menschlichen Verhaltens auswendig lernen und auf kurzen Distanzen reproduzieren. Daher ist der Begriff maschinelles Lernen besser geeignet. Uns kommt es in speziellen Anwendungen, wie beim autonomen Fahren oder bei der Stimmerkennung von Alexa, so vor, als wenn die Maschine intelligent agiert. Dem ist aber nicht so. Daher werden alle diese Anwendung als sogenannte „schwache KI“ bezeichnet.
Der nächste evolutionäre Schritt wäre die „generelle KI“, die unabhängig von menschlichen Eingaben vollständig eigenständig Entscheidungen treffen kann. Sie unterscheidet sich von der schwachen KI dadurch, dass ein Mensch, der mit der KI interagiert, nicht mehr zu sagen vermag, ob es sich beim Gegenüber um einen Menschen oder eine Maschine handelt. Dies ist der sogenannte Turing-Test, entwickelt von Alan Turing vor schon fast 70 Jahren. Aktuelle Schätzungen gehen allerdings davon aus, dass dies noch mind. 30 bis 40 Jahre dauern wird. Es gibt auch Stimmen, die glauben, dass wir diesen Schritt nie erreichen werden. Ich gehöre zu Ersteren: Alles was der Mensch kann, wir die Maschine auch irgendwann können, nur deutlich schneller.
Was kann KI schon heute?
Wie gesagt, nur sehr begrenzte Anwendungen. Auch wenn die Anwendungsanzahl gerade explodiert, denke ich, dass eher die Akzeptanz beim Nutzer eine Herausforderung sein wird. Würden Sie sich in einen selbstfliegenden Senkrechtstarter setzen und anstelle eines normalen Taxis einfach zu Ihrem Ziel fliegen? Unser Investor Frank Thelen, bekannt aus der Fernsehshow „Die Höhle der Löwen“, hat in ein Münchner Unternehmen investiert, was genau daran gerade arbeitet.
Wie wird sich KI in Eventabläufe integrieren lassen?
KI wird in zwei Bereichen helfen: erstens einfache und repetitive Aufgaben zu automatisieren und zweitens Erkenntnisse aus komplexen Datenstrukturen zu gewinnen. Beispiele für die Automatisierung wird es viele geben: Help-Desk-Funktionen vor Ort beim Event oder der sprachgesteuerten Eventregistrierung. Chatbots auf der Eventwebseite, so dass Interessenten immer die richtigen Infos finden. Allein das wird Teilnehmerzahlen und -qualität deutlich verbessern, da Teilnehmer nicht mehr die für sie relevanten Infos übersehen werden.
Die Intelligente Datenauswertung ist bereits heute schon einigermaßen entwickelt. Bei doo bilden wir Teilnehmersegmente auf Basis von Interesse. Dadurch kann man No-Show-Raten deutlich reduzieren, da man die Eventerinnerungen interessenbasiert aufbaut. Das Stichwort heißt hier „Eventpersonalisierung“. Dazu kommen intelligente Match-Making-Algorithmen, die Teilnehmer bestimmter Interessen zusammenbringen oder eine personalisierte Agenda bauen können.
Aus Teilnehmerperspektive sieht das dann so aus, dass wir irgendwann einmal wohl im Büro sitzen und unsere virtuellen Assistenten ansprechen, „Alexa, auf welche drei Events soll ich nächstes Jahr gehen?“, und weil unser Assistent uns gut kennt, kann dieser mit unseren Präferenzen im Netz gezielt suchen. Alexa wird dann mit den Chatbots der Events kommunizieren und die bestmöglichen und relevantesten Veranstaltungen für uns raussuchen. Und nicht nur das: Alexa wird auch gleich die komplette Reise von Tür zu Tür via Buchungsplattformen, AirBnB und Uber etc. organisieren.
“Echte künstliche Kreativität werden wir erst sehen, wenn das Zeitalter der generellen KI anbricht”
Wird KI die Eventmanager überflüssig machen?
Das ist sehr unwahrscheinlich. Zumindest solange wir die nächsten Jahrzehnte mit schwacher KI arbeiten, wird der Eventmanager nach wie vor die wichtigste Person im Eventablauf bleiben. Mehr noch: Die Rolle wird sogar noch zentraler für den Eventerfolg. War die Rolle des Eventmanagers in der Vergangenheit eher auf die Eventlogistik konzentriert, wird sie durch die Automatisierung und intelligente Datenanalyse zunehmend strategischer. Als Eventplaner kann ich in Zukunft den Erfolg der Veranstaltung nicht mehr nur durch mehr Budget oder tollere Acts steigern. Die intelligente Datenanalyse wird in Zukunft eine gezielte zielgruppenbasierte Kommunikation und Inhalte ermöglichen. Wenn ich weiß, was meine Teilnehmer wirklich wollen, kann ich sie begeistern. In Kombination mit zugeschnitten Einladungsinhalten, Marketing und No-Show-Raten-Reduktion kann ich meinen Return-on-Invest sehr deutlich steigern. Und zwar ohne dass ich mein Eventbudget steigern muss! Im Zentrum dieser Evolution steht der Eventmanager.
Wo sehen sie die größten Veränderungen für die Eventbranche auf uns zukommen?
Ganz klar die Veränderung der Rolle des Eventmanagers. Das ist ein Change-Management-Prozess, den alle Eventagenturen und Inhouse-Abteilungen hinbekommen müssen. Sonst laufen ihnen die Konkurrenten davon. Die Frage, ob sich die Branche mit mehr Technologie auseinandersetzen muss, sehe ich eher weniger wichtig. Gerade die All-in-One-Plattformen werden die Integration von Technik in den Alltag sehr einfach machen. Gleiches gilt für die DSGVO zum Beispiel. Bei doo sind die wesentlichen Anforderungen gleich integriert. Letztlich sind diese Veränderungen also die klassischen Herausforderungen der Digitalisierung: Die Rollen der handelnden Personen verändern sich. Aber eben nicht mehr oder weniger als in anderen Branchen.
Gibt es künstliche Kreativität?
Das ist keine leichte Frage. Es gibt heute zumindest Kreativitätsprozesse, die durch Algorithmen unterstützt werden, wie in der Ideengenerierung. Aber die Entscheidung, ob ein neuer Prozess besser ist als ein alter, weil er zum Beispiel kreativer ist, kann nur durch einen Menschen getroffen werden. Echte künstliche Kreativität werden wir also erst sehen, wenn das Zeitalter der generellen KI anbricht.