„Druckfrisch“ ist eine Literatursendung, bei der es um Bücher und ihre Autoren geht. Dabei geht es aber auch darum, dass Medium Fernsehen auszuloten. Der langjährige Regisseur Andreas Ammer verzichtet aber manchmal auch gerne ganz auf Bilder. Dann macht er Hörspiele, für die er ebenso renommierte Preise bekommt wie für „Druckfrisch“.
Andreas Ammer promovierte über „Horrorgraphie: Das Aufschreiben der Angst und die Schrecken der Schrift als Mikromechanik des Sinns in der klassischen Zeit deutscher Literatur“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mit „Druckfrisch“ ist er der Literatur immer noch nahe. Zusammen mit dem Kritiker Denis Scheck rückt er Autoren auf die Pelle. Die haben das ganz gerne. Der Schwabe Denis Scheck ist dabei für die Interviews zuständig, der Bayer Ammer für die entfesselte Form. Das Team mit Kameramann Thomas Morgott ist in mehr als zehn Jahren zusammengewachsen. Nur der Cutter Norik Stepanjan ist nicht mehr dabei. Seit Neuestem schneidet Aron Roos. Man dreht relativ spontan an ungewöhnlichen Orten und setzt dabei gerne eine sonst eher fürs Kino vorgesehene digitale Arri Amira ein. Und auch die Optiken sind nicht die ansonsten fürs Fernsehen üblichen. Das gibt eine andere Bildästhetik als im ganzen anderen deutschen Fernsehrest. Ob öffentlich-rechtlich oder privat. Um erzählerische Konventionen schert man sich nicht.
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Deshalb hatten es Scheck und Ammer anfangs auch nicht leicht. Der auch visuell geführte Kampf fürs „Gute Buch zur späten Stunde“ war in den ersten fünf Jahren ein ständiger. Dabei ist Ammer mit Interviewten wie Zuschauern immer um Augenhöhe bemüht. Es gibt nur wenige Regeln, die man hin und wieder auch bricht, brechen muss. So Ammer. Ein Feuerlöscher ist immer dabei.
„Druckfrisch“ hat mit einem der ältesten Medien zu tun – und ist die frischeste Sendung im deutschen Fernsehen! Sie erzählen sehr stark mit Bildern. Im Prinzip ist die Kamera der erste Zuschauer.
Bei einer Literatursendung denken alle, es ginge um Literatur. Nein. Erst einmal geht es um die Sendung. Wir machen eine Sendung und da kommt Literatur drin vor. Die Sendung wollen wir in erster Linie gut machen. Der primäre Inhalt ist also erst einmal das Medium. Dass es dann um Literatur geht … umso schöner.
Sie versuchen immer, für den Inhalt auch eine entsprechende Form zu finden.
Oder eben gerade nicht. Beim Literaturfernsehen war das lange Zeit das Furchtbare: Wenn die Leute einen Roman über die Antarktis hatten, haben sie einen Mann in die Antarktis – es musste zumindest so aussehen – geschickt. Der Mann musste durch den Schnee stapfen und dabei wurde die Geschichte des Buches erzählt. Das ist schrecklich, weil es das Buch kaputt macht. Meine Idee, als wir „Druckfrisch“ anfingen, war zu zeigen, dass es eine Welt gibt, in der es so komische Wesen wie Schriftsteller gibt, die sich über die Welt Gedanken machen. Ich muss diese Gedanken nicht im Fernsehen nachpinseln. Ich möchte die Schriftsteller auf die Straße stellen und auf der Straße soll sich ihr Buch, sollen sich ihre Gedanken bewähren. Das heißt: Eher keine Bilder als Illustrationen zeigen. Kein Studio. Nie ein Schriftsteller vor seinen eigenen Büchern. Die Schriftsteller müssen kurz aus ihrer Stube ans Licht gezerrt werden und sich in der Welt, im Fernsehen, vor Publikum, einer halben Million Zuschauer beweisen.
Sie gehen also bewusst nicht zu den Schriftstellern nach Hause?
Sehr ungern. Die Schriftsteller sollen unser Gast sein. Wir bauen irgendwo unser Set auf, das normalerweise aus zwei Stühlen, einem Feuerlöscher und einem „Druckfrisch“-Band besteht. Wobei alles weggelassen werden kann. Wir sind drehbereit, der Schriftsteller kommt, wird begrüßt und es geht los. Keine großen Fisimatenten. Für den Inhalt sind Denis und der Schriftsteller verantwortlich. Ich bin als Regisseur oder Realisator für die perfekte Atmosphäre zuständig. Ich versuche, eine Erzählweise zu finden, die den beiden möglichst viel Platz lässt, oder sie in eine Situation zu versetzen, die sie fordert. Beides ist möglich.
Wichtig finde ich, dass Sie keine Erwartungen bedienen, stattdessen überraschen. Das führt ja auch dazu, dass die Leute am Bildschirm dranbleiben.
Die Frage, wo wir denn eigentlich bei den Interviews sind und warum, beantworten wir nicht. Das ist eine viel gestellte Frage. Wieso setzt man zum Beispiel eine Schriftstellerin in einen leeren Swimmingpool? Es gibt keine Antwort. Das ist praktizierter Surrealismus. Gedankenwelten im Alltagstest.
Und direkt wieder ein Bild und eine Geschichte.
Irgendetwas, wo man erst einmal hinguckt und dann zuhört.
Der Sound muss für Sie auch wichtig sein. Sie haben mit renommierten Preisen versehene Hörspiele gemacht.
Lange Zeit hieß es, dass Hörspiele „Kino ohne Bilder“ seien. Ganz falsch. Ein ideales Hörspiel funktioniert meiner Meinung nach nur als Hörspiel und hat eine ausschließlich akustische Existenz. Ein Hörspiel über etwas zu machen, das man auch verfilmen kann, ist doof. Dantes „Hölle“ halte ich für unverfilmbar oder auch einen Flugzeugabsturz oder einen Weltraumflug. Da niemand weiß, wie die Hölle aussieht, kann man daraus aber ideal ein Hörspiel machen. Bilder haben so etwas Usurpatorisches, sie machen ganz viel platt. Bekannt ist, dass Nixon den Wahlkampf gegen John F. Kennedy nicht gewinnen konnte, weil er schlecht rasiert war. Dieses Bild hat alle Argumente platt gemacht, weil er aussah wie ein Verbrecher.
Bilder sind dann wiederum im Fernsehen extrem wichtig.
Ich finde es geradezu grauenhaft, wie furchtbar Fernsehen vom Bild her geworden ist. Banalst! In einem Studio sind wunderbar ausgebildete Menschen, die besten und teuersten Maschinen und Kameras. Was könnte man damit alles Tolles machen! – Urteilen Sie selbst, was dabei normalerweise herauskommt.
In der Anfangszeit des Fernsehens wurden in Deutschland grandiose Fernsehspiele gemacht. Ich frage mich, wo diese Könner alle hin sind.
Fernsehspiele und auch Fernsehshows. Jan Böhmermann ist groß geworden, weil er eine Fernsehshow gemacht hat, die aussah wie vor 30 Jahren. Die Leute eng beieinander sitzend, rauchend, mit Mikrofonen. Am ehesten bekannt sind vielleicht die Auftritte von Ulrike Meinhof, damals im Schwarz-Weiß-Fernsehen. Mit Zigarettenrauch umhüllt, ganz hartes Licht, Frau mit schwarzen Haaren vor schwarzem Hintergrund. Das hatte Magie.
Diese Magie meine ich, abseits von Retro, in Ihren Bildern und in Ihrer Sendung wiederzufinden. Ich finde, das ist Fernsehen auf der Höhe der Zeit. Deshalb bin ich ein Fan der Sendung. Es passiert das, was ich im Fernsehen sehr, sehr selten nach Edgar Reitz oder Rainer Werner Fassbinder sehe: Dass die Kamera entfesselt ist und erzählt. Sie arbeiten immer mit zwei Kameras …
Eine freie Kamera ist natürlich schon viel wert. Normalerweise haben wir einen richtigen Kameramann mit einer richtig ordentlichen Steadycam und an der zweiten Kamera bin meistens ich, der ich kein Kameramann bin. Eher so etwas wie ein optischer Punk.
Beim deutschen Fernsehen und mittlerweile auch beim deutschen Kino, was durch das Fernsehen als Mitproduzent sehr stark beeinflusst ist, habe ich das Gefühl, dass die Kameraleute alle von derselben Kameraschule kommen.
Wichtiger als jede Schule ist das Vertrauen. Eines der Geheimnisse unserer Sendung ist, dass wir seit dem Beginn mit einem festen Team arbeiten. Die in den Medien praktizierte Arbeitsteilung, die ja nur heißt „Jeder kann alles machen“, ist furchtbar. „Alles“ ist dann immer „das Gleiche“. Wenn es jeder machen kann, dann sieht es auch so aus. Ich drehe seit zehn Jahren mit meinem Kameramann Thomas Morgott für „Druckfrisch“. Ich muss ihn nicht sehen – wenn ich weiß, wo er steht, dann weiß ich, was er für ein Bild macht. Instinktiv mache ich dann immer ein anderes als er.
Auf der nächsten Seite folgt die Fortsetzung des Interviews mit Andreas Ammer!
Die Kamera bewegt sich oft bei Ihnen.
Das haben wir nicht erfunden. Wieso es sonst so wenig gemacht wird, weiß ich auch nicht. Ich kann eine schöne Anekdote dazu erzählen: Wir hatten, kurz vor dessen Tod, Oskar Pastior im Interview. Die ARD hat dann, weil wir das letzte Interview mit ihm geführt hatten, eine Sondersendung ausgestrahlt: 15 Minuten nur „unser“ Oskar Pastior. Diese Sendung wurde von einer öffentlich-rechtlichen Schule für den Einsatz im Unterricht angefordert. Aber von wegen tolle Ehre. Sie wollten zeigen, wie viele Achsensprünge man in einer Sendung machen kann und wie schlimm das ist. Bei diesem Interview sitzen zwei Menschen eine Viertelstunde an einem Tisch. Selbst ein Mensch, der nicht filmsprachlich begeistert ist, hat diese Situation nach zwölf Sekunden verstanden. Das heißt, dass man ab diesen zwölf Sekunden irgendetwas machen muss, damit es noch nach etwas anderem aussieht. Sonst hat man Schnitt – Gegenschnitt, Schnitt – Gegenschnitt und so weiter. Deshalb haben sich bei uns die Kameras rundherum bewegt. Da pfeif’ ich doch auf den Achsensprung und schaue, dass ich den Raum und die Menschen, wie sie interagieren, mit inszeniere. Auch auf dieses angebliche Negativbeispiel bin ich stolz!
Und wenn der Kameramann mit ins Bild kommt, ist es auch nicht tragisch.
Das ist sogar Pflicht. Die Produktionsbedingungen zu zeigen, das ist praktizierter Marxismus im Fernsehen.
Sind Ihnen in den Interviews Antworten genauso wichtig wie die Fragen?
Schwer zu sagen. Eine gute Frage ist schon schön in einem Interview. Manchmal geht es auch ohne. Das hängt vom Gast ab. Es gibt Gäste, da helfen die besten Fragen nichts. Und manchmal sind einfache Fragen gerade die besten. Weil die Leute auf die doofen Fragen gerne intelligente Sachen sagen. Dann fangen sie an zu überlegen. Es gibt Regeln, wie man ein gutes Interview führt. Aber ob gute Fragen sein müssen? Sie stören jedenfalls nicht.
Musik ist für Ihre Sendung wichtig. Sie geben für jede Sendung eine Trackliste heraus.
Im Gegensatz zu den Drehorten, die wir nicht bekannt geben. Auch da gab es viele Anfragen und ich veröffentliche gern Musiktitel, die ich mag oder die sich in der Sendung bewährt haben. Die Musik spielt in unserer Sendung eine absolut große Rolle, um Emotionen zu erzeugen. Das habe ich von Alexander Kluge gelernt und der hat fast immer recht: Musik ist der schnellste Weg zu den Gefühlen. Bei uns gibt es so ein komisch-ungeklärtes Verhältnis zwischen Musik und Moderator. Da, wo normalerweise der Moderator ist, ist bei uns Musik bzw. Mood, kein neunmalkluger Off-Text und stattdessen schon mal der Aufbau vom Set oder der stumme Gast oder gar nichts. Da ist das Magazin-Format ein bisschen auf den Kopf gestellt, dekonstruiert. Statt Moderationen haben wir nichts als Musik.
Magie entsteht ja immer nur dann, wenn ein Geheimnis vorhanden ist.
Das ist das Furchtbarste im deutschen Fernsehen inzwischen: dass alles sofort erklärt wird. Das Fernsehen hat eine immense Angst und kommt immer mit dem Großmutter-Argument: „Da versteht meine Großmutter nicht, was jetzt gerade los ist. Aber das ist ja unsere Zuschauerin und die schaltet dann angeblich weg.“ Ich glaube das nicht. Die schaltet eher weg, wenn ihr langweilig ist.
Ein Geheimnis möchte ich noch lüften. Wie kam der Feuerlöscher ins Spiel?
Zufällig. Es gibt interne Regeln bei „Druckfrisch“, die ganz absurd sind. Eine davon ist, dass wir nie Requisiten mitnehmen. Ich hasse es zu planen. Ich finde das übrige Fernsehen auch deshalb oft so furchtbar, weil jede Ironie, jeder Witz wochenlang vorher ausgedacht ist. Und dann hat ein Redakteur noch dran gekürzt. Einen Feuerlöscher nehmen wir zum einen, weil er schön rot ist und auffällt, das ist ja auch seine Aufgabe. Am Anfang dachte ich an „heiße Themen“. Aber nein. Feuerlöscher deshalb, weil wir dieses Requisit überall auf der Welt, wo wir drehen, finden. Wir haben mit Umberto Eco auf dem Dach des Kölner Doms gedreht, da würden wir niemals einen Feuerlöscher hoch tragen bei all unserem Equipment. Aber tatsächlich: Oben war ein Feuerlöscher.
Das unglaublich dilettantische Kameragewackel in der Sendung “Druckfrisch” nervt mich schon seit langem. Anscheinend steht dahinter ein grobes Missverständnis: Die Kameraführung soll nicht auf sich selbst aufmerksam machen, sondern den aufgenommenen Inhalt gut vermitteln. Das kann originell geschehen, inwieweit das in so einer Sendung wesentlich ist, darüber kann man streiten. Dieses unmotivierte Verschwenken und Danebenfokussieren ist aber nicht originell, sondern einfach nur deppert.
Das unglaublich dilettantische Kameragewackel in der Sendung “Druckfrisch” nervt mich schon seit langem. Anscheinend steht dahinter ein grobes Missverständnis: Die Kameraführung soll nicht auf sich selbst aufmerksam machen, sondern den aufgenommenen Inhalt gut vermitteln. Das kann originell geschehen, inwieweit das in so einer Sendung wesentlich ist, darüber kann man streiten. Dieses unmotivierte Verschwenken und Danebenfokussieren ist aber nicht originell, sondern einfach nur deppert.
Tut mir leid …