Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor im Interview

Integration durch Events?

Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor ist als Expertin auf Live-Events und in TV-Talkshows jeglicher Couleur gefragt. Letztes Jahr bestritt sie geschlagene 237 Veranstaltungen. Und im Moment kann sie sich erst recht vor Anfragen kaum retten. Am Duisburger Hauptbahnhof fand sie eine Stunde Zeit, um mit EVENT PARTNER zu sprechen, bevor sie nach Hamburg aufbrechen musste.

Lamya Kaddor
(Bild: Hilmar B. Traeger)

Die Angriffsziele der islamistischen Terroristen in Paris waren Events. In Hannover wurde ein hochbewachtes Länderspiel abgesagt. In Istanbul erwischte es deutsche Reisende auf einem touristischen Platz. Veranstaltungen, besonders öffentliche, leben davon, dass alle Besucher sich sicher fühlen. Silvester in Hamburg, Köln und anderen Städten war eine weitere Erschütterung dieses Sicherheitsgefühls. Wir befragten die liberale Muslima und Autorin Lamya Kaddor (Zum Töten bereit. Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen; Piper, München 2015, ISBN 978-3-492-05703-5.), wie wir das Sicherheitsgefühl wiederherstellen können, und ob und wie Kommunikation und Kultur Einwanderer ausreichend abbilden.

Anzeige

Lamya Kaddor sitzt zwischen allen Stühlen und wurde doch 2010 zu einer der einflussreichsten muslimischen Frauen Europas gewählt. Sie ist Mitgründerin des Liberal-Islamischen Bunds und dessen erste Vorsitzende. Als eine Lösung für die Probleme mit der Integration von und des Zusammenlebens mit Muslimen schlägt sie u. a. ein bundesweites Event vor.

Paris, ein IS-Terrorrist in Recklinghausen und dazu die Verbrechen in Köln und Istanbul. Kommen Sie überhaupt noch durch, wenn Sie darüber reden möchten, welche positiven Dinge eine Migration von Muslimen nach Europa auch bewirken könnte?
Leider nein. Es ist schon länger so, dass ich über gar nicht so viele positive Dinge sprechen darf, weil halt alle nur sehr problemorientiert diskutieren wollen. Wenn man in den sozialen Medien liest, findet eine Polarisierung statt, die die Bundesrepublik so nicht gekannt hat.

Ist diese Art der Kommunikation Teil des Problems oder Teil der Lösung?
Ich würde schon sagen, dass Social Media, wenn nicht ein Teil des Problems, zumindest aber ein Machtfaktor ist. Social Media hat mit relativ viel Einflussnahme auf die öffentlichen Diskussionen auch in den großen breiten Medien zu tun. Insofern kann man diese Diskussion nicht ganz ausklammern, obwohl sie fachlich und inhaltlich nichts bringt. Man spürt da Tendenzen und Meinungen, aber mehr als Meinung ist das selten.

Man hat auch das Gefühl, die Peer Groups kommen so nicht mehr durch.
Das Gefühl habe ich jetzt nicht unbedingt, sondern es geht bei Facebook & Co. eher darum, wer Recht hat, wer Bekannte und deshalb mehr Einfluss hat, und um irgendwelche Sichtweisen auf irgendwelche Dinge, die meist alle sehr unzulänglich sind, weil wenig Fachwissen vorhanden ist. Da haben wir viele, die meinen, sich auf Facebook ein Bild vom Islam, von der Integration oder von der Flüchtlingsdebatte machen zu können, was natürlich ein Witz ist.

Lamya Kaddor

Also es geht sehr viel um Meinung, um Empörung.
Inhaltliche Diskussionen können Sie auf Facebook nicht führen. Ich glaube, dass die Anonymität viele dazu verleitet, gröber aufzutreten, als sie tatsächlich sind oder auch im wahren Leben sein würden. Der Ton liegt einfach häufig daneben.

Kommen Migranten im Selbstbild der Gesellschaft und in der Kultur und in der Kommunikation genügend vor?
Viel zu wenig. Gerade im Moment habe ich das Gefühl, dass – wie sollen wir sie nennen? – Gastarbeiter-Nachfolger, Menschen der zweiten, dritten und vierten Generation, die in Deutschland geboren sind, ein wenig unter die Räder geraten. Es scheint nur noch die Flüchtlinge und die Deutschen zu geben. Es gibt nicht einmal ein Wort für meine Generation. Ich bin doch kein Gastarbeiter-Kind.

Gebräuchlich ist „Migrationshintergrund“?
Naja, ehrlich gesagt, hat das auch schon ein Geschmäckle.

In den USA spricht man von Einwanderern.
In Amerika hat man auch ein klassisches Einwanderungsgesetz. Das hat die Gesellschaft dort verstanden. Unsere Gesellschaft hat das aber noch nicht verstanden, die ist noch nicht so weit. Obwohl wir de facto ein Einwanderungsland sind. Allerdings bin ich persönlich nirgends eingewandert.

Kommunikative Brücken zu schlagen, ist eigentlich eine Spezialität der Event- und Veranstaltungsbranche. Ein islamisches Land, nämlich Dubai, ist ein wichtiger Partner dieser Branche.
Es ist den Wenigsten bewusst, welche Rolle emiratisches Geld, insgesamt betrachtet, in unserer Wirtschaft spielt: Aktien, Firmenanteile, Fußballclubs. Die finanzieren inzwischen eine ganze Menge. Städte wie München profitieren von Einnahmen emiratischer Touristen. Solange sie Geld bringen, ist das den Deutschen, glaube ich, sehr genehm. Eine echte Auseinandersetzung mit dem Land erfolgt nicht.

Die Verbrechen in Köln und Paris haben die offene Gesellschaft getroffen und zwar bei öffentlichen Events wie Silvester, einem Konzert, einem Fußballspiel.
Der verheerende Anschlag, insbesondere die Übergriffe. Das hat schon eine neue Dimension. Das ist ziemlich einmalig, dass da über 1.000 junge Männer zusammenkommen, um Frauen zu belästigen. Sieht man mal von den Opfern ab, denen die eigentliche Aufmerksamkeit gebührt: Jetzt kommt zum Bild des männlichen Muslims – gewaltaffin, frauenunterdrückend – auch noch: sexuell übergriffig. Das passt perfekt ins Bild bestimmter Leute. Weil es in die Vorurteilsstrukturen passt. Es ist ein weiteres Puzzlestück zur Bestätigung: „Seht ihr, schon wieder!“

 

“Wir müssten ein Einwanderungsministerium schaffen, Kriterien für eine erfolgreiche Einwanderung und Integration festlegen, fördern und fordern.”

 

Die Nachrichtenlage, was die muslimische Gesellschaft in Europa oder außerhalb angeht, ist keine beruhigende. Ich fürchte, dass bei Vielen das Sicherheitsgefühl verloren geht. Wie kann man das erschütterte Sicherheitsgefühl wieder herstellen?

Ich denke, dass man Sicherheit schafft, indem die Politik den Menschen endlich die Wahrheit darüber sagt, dass wir ein Einwanderungsland sind, und auch nicht ständig darüber diskutiert, ob wir nun Obergrenzen brauchen. Vielleicht sollten wir mal schauen, dass wir ein Einwanderungsministerium schaffen, Kriterien für eine erfolgreiche Einwanderung und Integration festlegen, dass wir fördern und fordern müssen. Und dass Einwanderern vom Beginn ihres Lebens in Deutschland an klar ist, worauf sie sich einlassen, und dass sie Dinge zu erfüllen haben, wenn sie hier leben möchten. Das ist gar nicht so falsch, das zu formulieren und zu verlangen. Wenn wir das systematisch strukturiert innerhalb unserer Behörden, unseres ganzen Staatsverständnisses integrieren würden, dann würde das durchaus Sicherheit schaffen.

Wie kommen Sie selbst damit klar, zwischen allen Stühlen zu sitzen?
Ich muss sagen, dass das im Moment schwierig ist. Schwierig, weil es mir ja selbst im Grunde um Ausgleich geht. Mir geht es darum voranzukommen, und dass der Staat nicht dieselben Fehler macht, die er bei der ersten Einwanderung gemacht hat. Da hat man gar nicht wahrgenommen, dass es eine Einwanderungswelle ist und dass die Gastarbeiter nicht zurückgehen werden. Wir haben hier inzwischen eine Generation von vielen Jugendlichen in der zweiten und dritten Generation, häufig auch muslimischen Glaubens, die keine Identität finden. Einige werden von Rattenfängern namens Salafisten abgefangen. Den gleichen Fehler können wir doch nicht noch mal machen! Es ärgert mich zutiefst, dass solche Ideen eines Integrations- oder Einwanderungsministeriums scheinbar gar nicht in Erwägung gezogen werden.

Ich vermute, ein Einwanderungsgesetz wird der politische Preis dafür sein, dass es eine Flüchtlingsobergrenze geben wird.
Zu vermuten ist das. Aber Asyl ist das eine, Einwanderung das andere. Es ist nicht falsch zu sagen, dass es ein bestimmtes Maß pro Jahr sein soll, um eine vernünftige Integration hinzubekommen. Das ist nicht total abwegig, das machen andere Einwanderungsländer auch. Bei Flüchtlingen halte ich das aber für heikel. Hier wird aus gutem Grund rechtlich getrennt. Das sollte so bleiben.

Wie kann man die gespaltene Zivilgesellschaft wieder zusammenbringen?
Ich glaube, durch Maßnahmen, die im In- und Ausland Sicherheit und Vertrauen schaffen. Vielleicht tatsächlich durch das Setzen einer Obergrenze für die Einwanderung, aber auch indem man transparenter wird, indem man Muslime stärker als normale Menschen in der Öffentlichkeit darstellt, ohne das zu betonen.

Inwieweit können Großevents Brücken schlagen?
Es wäre denkbar, einen „Deutschen Muslimtag“ ins Leben zu rufen, ähnlich dem Katholischen und dem Evangelischen Kirchentag. Nur dafür fehlen derzeit die Financiers.

Sie sind Mitglied im Liberal-islamischen Bund.
Ja. Den gibt es erst seit fünf Jahren. Mit der Gründung haben wir die islamische Community ein wenig aufgemischt. Und das ist auch gut so. Es gab zwar ganz viel Häme, auch für mich persönlich. Wie ich es wagen könnte, das muslimische Spektrum in liberal, konservativ und fundamentalistisch aufzuteilen. Religionswissenschaftlich ist das natürlich völlig zulässig und normal. Ein paar Jahre haben wir uns damit herumgeschlagen, aber inzwischen hat sich der Begriff „liberaler Muslim“ durchgesetzt. Was aus meiner Sicht natürlich gut ist. Was mir heute fehlt, ist eine stärkere Zusammenarbeit der Verbände bei bestimmten Themen. Vielen geht es immer noch zu oft um Machtfragen. Das schadet uns allen mehr, als dass es uns nützt.

Vielleicht sollte man sich mal mit unserer Branche zusammensetzen und schauen, was man gemeinsam tun könnte?
Ja, unbedingt! Ich finde, gerade der liberale Zweig des Islams ist es wert, gefördert zu werden. Im Moment sieht der normale Bürger auf der Straße die Vielfalt nicht, nur die fundamentalistischen Muslime, die sind gut vernetzt und haben eine Finanzierung, auch durchs Ausland. Es muss aber die Vielfalt abgebildet werden.

 

Vielen Dank für das Gespräch. 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.