Kommentar zum Labor Tempelhof: Plötzlich Versuchskaninchen?
von Falco Zanini,
Beim Projekt Labor Tempelhof fühlte sich unser Autor Falco Zanini, Fachkraft für Arbeitssicherheit und Meister Veranstaltungstechnik, plötzlich selbst wie ein Versuchskaninchen. Was hat er vor Ort erlebt, und wo sieht er noch Optimierungspotenzial?
(Bild: Falco Zanini)
So schnell kann es gehen: Am Ende einer sehr hektischen Saison als Koordinator Arbeitsschutz wird noch ein Doppelpack an Festivals in Berlin angenommen, und auf einmal befindet sich der Mensch als Versuchskaninchen in einem großen Labor zum Thema Nachhaltigkeit. Sogar noch besser: beim cradle-to-cradle (C2C), dem angesagten Begriff für Kreislaufwirtschaft. Aber wie sah die Realität auf dem Festival mit den Ärzten und Toten Hosen aus?
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Laut aktuellem Report der Cradle to Cradle NGO sollten „im Labor Tempelhof mit zahlreichen Partnern aus der Praxis möglichst klima- und ressourcenpositive Produkte, Prozesse und Innovationen“ ausprobiert und auf ihre Skalierbarkeit überprüft werden. Es sollte gezeigt werden, wie „bereits heute vorhandene C2C-, zirkuläre und nachhaltige Lösungen zu ökonomischen, ökologischen und sozialen Mehrwerten führen können“. Doch warum fühlte man sich dort als Versuchskaninchen? Ein Versuchskaninchen – oder englisch „Guinea-Pig“ – wird vorher nicht darüber informiert, wie die Lebensbedingungen im Laborkäfig sein werden. Es muss sich damit zufriedengeben, im Gegensatz z.B. zu auf saftigen Wiesen freilebenden Kaninchen. In diesem speziellen C2C-Labor zur Kreislaufwirtschaft wurden alle Gäste und ein großer Teil der Beschäftigten ebenfalls nicht vorab über das spezielle Format informiert. Den Gästen wurden Informationen erst nach Betreten des Veranstaltungsgeländes an zahlreichen, aus Gerüstbaumaterial zusammengebauten Info-Tafeln präsentiert. Den Beschäftigten wurde es ebenfalls nicht ausdrücklich mitgeteilt.
Aber ist es schlimm, solche Informationen „dem Karnickel“ nicht mitzuteilen? Das kommt darauf an. Der Autor hatte vorab im Rahmen seiner Aufgabe als Koordinator Arbeitsschutz Kontakt mit der C2C NGO bzw. der durchführenden Agentur in Form eines Telefongesprächs. Da der Autor selbst seit vielen Jahren schon sehr gerne die üblichen Sparmaßnahmen (Licht ausschalten, Heizen nur in benutzten Räumen usw.) durchführt und ein grünes Herz hat, freute er sich, einen Einblick in sein Feld, die soziale Nachhaltigkeit in Form der Arbeitssicherheit, zu geben und Anregungen aus seiner Praxis weiterzugeben.
Optimierungsansätze vor Ort
Vor Ort wurden zahlreiche Dinge ausprobiert, da die Veranstalter und die Bands zu guten Teilen involviert waren. So wurden einige gute Dinge umgesetzt und z.B. fast ausschließlich Feststrom aus 100% Ökostrom (laut C2C NGO) verwendet. Dafür wurden auch tagelang Unmengen von Kabeln von dem einen Speisepunkt gezogen und in noch viel mehr (immerhin weitgehend barrierefreie) Kabelbrücken gelegt. Normalerweise würden diverse Diesel-Generatoren dezentral in der Nähe der Verbraucher stehen und kurze Kabelwege ergeben. Die gesamte Staplerflotte wurde auf der dafür idealen, ebenen Betonfläche des Flughafens Tempelhof elektrisch betrieben.
Der erste konkrete Kontakt mit dem Projekt fand im Catering statt, in dem nur vegetarische/vegane Speisen angeboten wurden. Für den Autor kein Problem, da er seit 1987 kein Fleisch mehr isst. Für den Normal-, also Fleisch-Esser hingegen sollte das durchaus ein Problem werden, da er/sie, wenn z.B. angestellt, die angebotene Nahrung zu nehmen hat. Es sei denn, er oder sie verlässt zu den Essenszeiten das Gelände und isst fleischbasiert. Ein guter Teil der härter arbeitenden Menschen vor Ort entschied sich genau dafür, und das Aufoktroyieren von veganen/vegetarischen Mahlzeiten wurde durchaus kritisch gesehen. Die, die es aßen, fanden es oft sehr interessant und schmackhaft.
Den zahlenden Gästen (und der Presse) wurde ein 70% vegan-vegetarisches Angebot versprochen. In der Praxis dominierte das übliche deutsche Veranstaltungs-Food-Angebot aus Würsten, Schnitzeln und Pommes. Fleischbasiert. Einige wenige Stände boten Veggi-Tacos und anderes an, doch aufgrund der Preisgestaltung standen die langen Schlangen beim Normalo-Food.
In Sachen Flüssignahrung wurde Brotbier als Standard-Angebot propagiert. In der Realität verlor sich der Werbewagen, aus dem Samples verkauft wurden, in der hintersten Ecke des C2C-Dorfes. Auf dem gesamten Gelände wurde dann wie üblich Bier einer Großbrauerei aus 400km Entfernung ausgeschenkt. Hier herrscht ein wirtschaftlicher Zwang, da das Sponsoring der Großbrauereien bei Veranstaltungen dieser Art einen nicht unerheblichen Teil des Budgets darstellt.
Auch andere, schon lange existierende Produkte oder Ideen wurden offenbar als neu beim Labor hochgejazzt. So wurde ein C2C-Bühnenprototyp vorgestellt. Dabei waren Gerüstbühnen schon immer extrem langlebig. Holz wird bei Bühnenbauern über die gesamte Lebensdauer von mindestens zehn Jahren bei Siebdruckplatten verwendet. Von der Bühnenplatte zu Anpassstücken, zu Füllstücken, zu Unterpallungsholz. Der Stahl war schon immer feuerverzinkt mit über 40 Jahren Lebensdauer. Danach würde dieser eingeschmolzen und in neuen Stahl verwandelt.
Dazu passt, dass eigenes C2C-WC-Papier angepriesen wird. In Deutschland gab es im Jahr 2020 schon längst eine Altpapiereinsatzquote von 79%, die sich kaum noch erhöhen lässt. Aber es ist schon praktisch, dass Firmen aus dem C2C-Dunstkreis eigenes WC-Papier anbieten. Die angepriesenen Material-Nährstoffinseln wurden nur anfangs von Volunteers begleitet, waren daher schnell überfüllt und hatten viele Fehlwürfe.
In Sachen Textilrecycling und Molton lautete der Claim der C2C NGO, dass unsere Kleidung auf dem Müll landen würde. Nach einer bvse-Studie werden in Deutschland aber rund 88% der Alttextilien verwertet (12% Verbrennung, 62% Secondhandkleidung, 14% zu Putzlappen/Dämmstoffen, 12% Faserrecycling).
Da geht noch was!
Was bleibt übrig? Ein schaler Nachgeschmack. Es gab ein paar gute Ansätze, doch einiges wurde ganz offensichtlich der Öffentlichkeit als alter Wein in neuen Schläuchen verkauft. Und die angekündigten „sozialen Mehrwerte“? Bei den Normalessern im Catering wurden die nicht gesichtet. Ein dem C2C-Team angebotenes Gespräch über Arbeitsschutz und die Verbindung zu Effizienz- und Sicherheitsgewinnen bei Festivals wurde sehr kurz gehalten. Da geht noch was!