Kreislauffähige Eventbranche – wie kann das gehen?
von Anna Habenicht, Artikel aus dem Archiv vom
In der von Schnelllebigkeit und einem hohen Einsatz von Ressourcen geprägten Eventbranche könnte die sogenannte Kreislaufwirtschaft ein wichtiger Schritt zu mehr Nachhaltigkeit sein. Wir betrachten Notwendigkeiten, Herausforderungen und Chancen.
(Bild: Shutterstock / Melica;)
Ob süß oder salzig: Für viele von uns gehört Popcorn zum Kinobesuch fest dazu. Was die geplatzten Maiskörner jedoch mit Kreislaufwirtschaft in der Eventbranche zu tun haben, ist auf den ersten Blick nicht unbedingt ersichtlich.
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Doch für Dr. Christoph Soukup steht Popcorn sinnbildlich für einen Systemwandel, den es dringend in der Eventbranche braucht: „Lange passiert nichts, wenn man einen Topf mit Maiskörnern auf den Herd stellt. Doch irgendwann platzt das erste Korn, dann das zweite und dritte, und dann geht es plötzlich ganz schnell. Es entsteht ein Kipppunkt in Richtung Systemwandel. Wir wollen die Pioniere in der Branche finden und mit ihnen die ersten Körner zum Platzen bringen, der Rest wird folgen.“
Seit Mitte 2022 ist Soukup als Partner Teil von 2bdifferent, Beratungsagentur für Nachhaltigkeit in der Veranstaltungswirtschaft. Zusammen mit Jürgen May, Geschäftsführer 2bdifferent, will er die Eventbranche kreislauffähig machen. Zunächst soll Messebauern geholfen werden, Projekte zirkulär umzusetzen. Aber auch auftraggebende Unternehmen unterstützt 2bdifferent jetzt schon dabei, Messeprojekte gleich zu Beginn mit einem Fokus auf Kreislaufwirtschaft auszuschreiben und zu realisieren.
Notwendigkeit
Denn schaut man bei großen Messeplätzen – und das in ganz Deutschland – hinter die Hallen, fallen nach wie vor die riesigen Müllberge insbesondere beim Messeabbau ins Auge. Mülltrennung, Wiederverwertung, Recycling? Dafür ist keine Zeit. Alles wandert in die große Müllpresse. Ausstellende Unternehmen, die hier etwas verändern möchten, beispielsweise Müll vermeiden und trennen sowie Strom sparen wollen, kämpfen oft mit starren Regeln – zum Beispiel Pauschalpreisen für Strom und die Abfallentsorgung, unabhängig vom tatsächlichen Verbrauch – und werden so in ihrem nachhaltigen Handeln entmutig oder dafür sogar bestraft. Abstrus!
Dabei muss sich das Wirtschaften dringend ändern. Und das ganz explizit auch in der Eventbranche, die geprägt ist durch eine Schnelllebigkeit bei Messen, Kongressen oder Festivals und einen hohen Aufwand an Material, Logistik, Verkehr, Energie und Abfall. Nach nur wenigen Tagen oder sogar schon ein paar Stunden fliegen hier massenhaft hochwertige Materialien und Lebensmittel in die Tonne. Abschließend wird dann meist kompensiert und die Veranstaltung fürs Marketing mit netten Begriffen als „klimaschonend“ oder „klimaneutral“ betitelt.
Doch um mit unserem Planeten verantwortungsvoll umzugehen, müssen wir weg von einer linearen Wirtschaft, an deren Ende die aus der Erde abgebauten endlichen Ressourcen in Schubladen vergessen werden – Stichwort Mobiltelefone – oder auf der Müllhalde landen, und hin zu einer Kreislaufwirtschaft, die eine längst mögliche Nutzung von Materialien und Produkten fokussiert.
Damit das wirklich funktioniert, muss jedoch direkt zu Beginn klar sein, was am Ende mit den genutzten Produkten und Materialien geschehen soll. Denn nur die Wiederverwendbarkeit eines Produkts allein reicht nicht aus, es muss auch intelligent wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden.
Kreislaufwirtschaft
Den natürlichen Stoffkreislauf als Vorbild soll bei der Kreislaufwirtschaft durch die Wiederverwendung und Reparatur von Produkten Abfall vermieden werden. Erst als letzter Schritt steht das Recycling an, da hier mit viel Energieaufwand Produkte wieder in ihre Ausgangsstoffe zerlegt werden müssen.
Über allem steht das Ziel der Ökoeffektivität: Produkte bzw. Materialien sollen entweder als biologische Nährstoffe in biologische Kreisläufe zurückgeführt werden oder als technische Nährstoffe möglichst lange Teil von technischen Kreisläufen sein.
Stoffstromanalyse & Circular Scan
Hier setzt 2bdifferent mit seinem neuen Beratungsangebot an. Gegliedert in zwei Phasen wird zunächst im Rahmen einer Stoffstromanalyse geschaut, welche Materialien an welchen Stellen mit welchem Energieaufwand und wie ins Eventprojekt eingebracht werden und was am Ende als Abfall, Emissionen, aber auch als wiederverwertbare Materialien und Produkte rauskommt. Hier fiel 2bdifferent bei der Betrachtung klassischer Messebeteiligungen auf, dass trotz eines potenziell hohen Anteils an recycelbarem Material meist nur ein Bruchteil von nicht einmal 1% tatsächlich nach dem Messeeinsatz den Stoffkreisläufen zugeführt wird.
Aber um grundsätzlich Materialien und Produkte erneut nutzen zu können, müssen sie klar als kreislauffähig identifiziert werden. Hier setzt die zweite Phase, der Circular Scan, an. Dabei werden bei dem von 2bdifferent beratenen Unternehmen – zunächst liegt hier wie bereits erwähnt ein Fokus auf Messebauer – alle für Projekte genutzten Materialien analysiert und auch deren Zulieferer gecheckt. Mit ihnen muss dann geklärt werden, ob und wie sie bestimmte Materialen wieder zurücknehmen können. Bei anderen Stoffen können weitere Dienstleister ins Spiel kommen, um zu gewährleisten, dass die bei einem Projekt verwendeten zirkulären Materialen auch wirklich wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden. „Das Ergebnis soll letztendlich sein, dass die Messebauer ihren Kunden garantieren können: Mit uns erhältst du einen Messestand, der beispielsweise nur 5–10% Abfall produziert“, erklär Jürgen May. Warum keine 0%? Auch im Messebau gibt es aktuell noch Materialien, die einfach für Aspekte wie Statik oder Sicherheit notwendig sind und momentan noch nicht durch kreislauffähige Produkte ersetzt werden können.
Planung ist das A und O
Beide Phasen erfolgreich umzusetzen und als Messebauer eine Liste mit zirkulären Materialien (samt Zulieferern und garantierter Rückführung in den Kreislauf) zu erstellen, ist eine große Aufgabe, die Zeit, Kraft und Geld kostet. Gelingt es dann im weiteren Schritt, die Informationen und Kriterien in den Einkauf zu überführen, und wird Kreislauffähigkeit als Anforderung ein fester Bestanteil von Gesprächen mit neuen Partnern, wird das Ganze zum Standard. Ist diese Routine erst einmal geschafft, wird der Aufwand wieder wie vorher, erklärt Jürgen May: „Die Umstellung ist der Aufwand, aber das ist in jedem Change-Prozess so. Ist das Ganze erst einmal implementiert und im Datenmanagement-System hinterlegt, wird der Rest zum Automatismus. Statt bei Lieferant A wird dann einfach bei Lieferant B bestellt, das ist nicht mehr Aufwand.“
Doch auch auf der Auftraggeberseite muss sich hier unbedingt mehr tun. Und das vor allem in der Phase weit vor der konkreten Durchführung eines Events. Nur wenn bereits in der Projekt- und Fachplanung Kreislauffähigkeit mitgedacht wird, kann diese wirklich effektiv zum Tragen kommen und einen echten Unterschied machen. Zu Beginn jedes Projektes sollten dabei immer die Überlegungen nach refuse, rethink und reduce stehen. Also was kann alles von einer guten Veranstaltung komplett weggelassen werden, ohne dass sie dabei an Wertigkeit und Effektivität verliert? Was kann anders gemacht werden? Kann zum Beispiel Exklusivität statt durch individuellen Messebau durch die individuelle Kombination von modularem Standbau hergestellt werden? Und schließlich Reduzierung des Materialeinsatzes.
Zusätzlich ist es von Vorteil, wenn der Einsatz zirkulärer Produkte und Materialien schon in der Fachplanung mitberücksichtigt wird, betont May: „Es nützt nichts, wenn der Messestand schon fertig gerendert ist, der Vorstand alles abgesegnet hat und dann versucht wird, noch ein paar nachhaltige Schrauben zu besorgen.“ Kreislauffähigkeit müsse von Beginn an schon beim ersten Auftaktmeeting eines Projektes mitbedacht werden.
Chance für die Branche
Wird zirkuläres Wirtschaften und Handeln bei immer mehr Auftraggebern zum Thema, erhöht sich auch der Druck auf die Dienstleister, und das Ganze wird zum Standard. Gleichzeitig sollten Eventdienstleister die Kreislaufwirtschaft jedoch nicht als Pflicht, sondern als Chance wahrnehmen. Dazu appelliert auch Jürgen May: „Am Ende profitieren diejenigen, die die Kreislaufwirtschaft einsetzen. Denn diese führt zu langlebigeren Materialien und innovativeren Produkten, und das wiederum führt zu Kosteneinsparungen und einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.“ Der Markt verändert sich, und der Druck, nachhaltig zu handeln – auch durch Gesetzte –, steigt. Die Kreislaufwirtschaft ist hier ein möglicher Schritt für Unternehmen, sich zukunftssicher aufzustellen.
Letztendlich müsse sich jeder fragen, ob er zu den Pionieren gehören möchte oder nicht, erklärt Christoph Soukup. „Wenn du dir sicher bist, du kriegst das hin, dann sei ein ‚Fast Follower‘. Aber der Markt kommt jetzt auf uns zu, und die Ersten gehen jetzt voran.“ Auch das letzte Maiskorn werde schließlich platzen, da ist sich Soukup sicher. Wer jetzt nicht die Chance ergreift, teil eines Systemwandels zu sein und symbolisch zu platzen, riskiert, im Topf zu verbrennen, wenn die Temperatur zu heiß wird.