Sicherheit & Kreativität: Geht das zusammen? Das eine verlässlich, belastbar, rechtsicher oder durchgerechnet. Das andere freigeistig, offen, vielleicht sogar ein bisschen verrückt? Sind es nicht eigentlich die Kreativen, die den Sicherheitsleuten immer Probleme machen? Mit ihren Ideen, die sich mehr um Wirkung kümmern als um Sicherheitsvorgaben?
Natürlich ist es nicht so einfach. Im Gegenteil: Einige der besten Sicherheitslösungen sind in höchstem Maße kreativ, entweder entstanden als freie Idee oder auch unter Druck, auf der dringenden Suche nach einer Lösung. „Da müssen Sie sich halt etwas einfallen lassen“, ist sicherlich ein Satz, den die meisten Sicherheitsplaner schon einmal gehört haben und meint nichts anderes als: „Da müssen Sie halt kreativ sein“.
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Beim diesjährigen YES Group H&S Innovation Award, der im Rahmen der European Festival Awards vergeben wurde, wurde das deutsche Southside Festival ausgezeichnet für eine simple und zugleich effiziente Idee. Alle Autofahrer, die aufgrund eines Unwetters aufgefordert wurden, ihr Auto aufzusuchen, wurden u.a. per festivaleigenem Radiosender dazu aufgerufen, mittels eingeschalteter Warnblinkanlage anderen nach Schutz suchenden Festivalgästen freie Sitzplätze in den Fahrzeugen anzuzeigen bzw. anzubieten.
Es geht also doch: Sicherheit kann kreativ sein. Sicherheit muss sogar kreativ sein, denn das reine – unkreative – Festhalten an bestehenden Vorgaben bietet für eine Vielzahl von Herausforderungen keine ausreichenden Lösungen. Wie sehr dies allerdings auch ins Gegenteil umschlagen kann, wissen insbesondere die Kollegen und Kolleginnen der Veranstaltungstechnik. Dort werden ganze Foren und Facebookgruppen gefüllt mit den „kreativsten/kuriosesten“ Lösungen zu bestimmten Problemstellungen.
Die Lösungsfindung als Alltagsgeschäft?
Aber ist es überhaupt „kreativ“ Lösungen zu finden? Ist es nicht Alltag? Teil des Anforderungsprofils an die Sicherheitsplaner? Die Grenze ist sicherlich fließend: Professionelle Weiterentwicklung auf der einen Seite, kreative Lösungsfindung auf der anderen. Schaut man auf eine der klassischen Definitionen des Begriffs, kommt man der Sache schon näher: „Kreativität“ bezeichnet i.d.R. die Fähigkeit eines Individuums oder einer Gruppe, in phantasievoller und gestaltender Weise zu denken und zu handeln. (…) Zu den kreativitätsförderlichen Aspekten der Person gehören bspw. Personenmerkmale wie Offenheit für Erfahrung, Verantwortungsgefühl oder hohe allgemeine kognitive Fähigkeiten“, erklärt das Gabler Wirtschaftslexikon.
Während es an Verantwortungsgefühl selten mangelt, ist das Thema „Offenheit für Erfahrung“ schon diffiziler, scheitern doch (kreative) Lösungsvorschläge nicht selten genau an dieser „Offenheit“. Lieber auf Nummer sicher gehen, lieber Rechtssicherheit als (eine verbesserte) Veranstaltungssicherheit.
In derselben Quelle heißt es: „Der Kreativitätsprozess wird meist als typische Abfolge von Problemidentifikation (Erkennen von Problemen), Vorbereitungsphase (notwendige Informationen werden gesammelt), Generierungsphase (mögliche Lösungen werden entwickelt) und Beurteilungsphase (Analyse der Lösungen) beschrieben.“ Eine gute Grundlage, um sich z.B. dem Thema „Neue Bedrohungslagen“ auf kreative Art und Weise zu nähern.
Versuch 1
Problemidentifikation: Menschen können mit (gestohlenen) LKW große Schäden anrichten, indem sie die Fahrzeuge in Menschenmengen (etwa bei Veranstaltungen) steuern.
Vorbereitungsphase: Zufahrtsstraßen werden identifiziert.
Generierungsphase: Straßen werden durch Betonblöcke gesperrt.
Beurteilungsphase: Kann nicht beurteilt werden, da die Sicherheitsmaßnahmen (glücklicherweise) nicht benötigt werden.
Versuch 2
Problemidentifikation: Menschen können mit LKWs große Schäden anrichten, allerdings sind Betonsperren unschön anzusehen und es ist aufwändig, sie immer auf- & abzubauen.
Vorbereitungsphase: Zufahrtsstraßen werden identifiziert und eine Informationssammlung über Lösungen (z. B. in anderen Ländern) gestartet.
Generierungsphase: Ein umfassendes städtisches Sperrkonzept inklusive Identifikation ständiger und temporärer Positionen wird ermittelt mit. Ständige Positionen werden mit kreativen (ins Städtebild passenden, ansprechenden) Gestaltungselementen ausgestattet, temporäre Positionen erhalten entsprechende mobile Elemente. (Hinweis: Finanzielle Aspekte beachten!)
Beurteilungsphase: Kann nicht beurteilt werden, da die Sicherheitselemente nicht zum Einsatz kommen. Die Umfrage bei den Bürgern der Stadt hat allerdings ergeben, dass man sich sicher fühle und sich über die neuen ansprechenden Sitzbänke, Blumenkübel etc freue.
Wie kreativ muss Sicherheitsplanung sein?
Stellt man die beiden hier erwähnten Versuche gegenüber, merkt man schnell: Versuch 1 ist möglicherweise funktional, aber nicht kreativ. So gar nicht. Versuch 2 ist auch nicht wahnsinnig kreativ, aber immerhin ein bisschen besser als Versuch 1. Und genau da liegt der Knackpunkt: Man muss gar nicht immer kreative Lösungen finden, aber man muss kreativ an die Lösungsfindung herangehen. Wenn am Ende die Lösungsklassiker übrigbleiben, dann ist das so. Vielleicht hat man in diesem Prozess aber etwas anderes gefunden: Zum Beispiel eine Idee für ein ständiges Flächennutzungskonzept, das die besonders gefährdeten Bereiche planerisch berücksichtigt. Oder ein neues Schulungskonzept für die Mitarbeiter; möglicherweise sogar interorganisational oder verbunden mit einer bisher immer vernachlässigten Übung.
Sicherheit muss nicht kreativ sein, sie muss es aber auch nicht nicht sein: Kreative Denkprozesse helfen nicht immer, gute Lösungen zu finden. Sie helfen aber auf jeden Fall, Lösungsansätze zu hinterfragen und Altbekanntes auf den Kopf zu stellen. Dann sind es manchmal die kleinen Ideen, die Autoblinker, die zum großen Ergebnis führen – wie zu einem europaweiten Award, der nicht den Blinker, sondern die langfristige Veränderung von sicherheitsrelevantem Verhalten und die Verbesserung einer Sicherheitskultur in der gesamten Branche honoriert.
Und um den Betonsperren doch noch die notwendige Ehre zukommen zu lassen, sei hier noch darauf hingewiesen, „dass ein kreatives Produkt auch über Eigenschaften der Nützlichkeit und Originalität verfügen sollte sowie über einen gewissen Wert und eine Realitätsangepasstheit“, wie es der Bayerische Rundfunk so schön formuliert.