Nach langer Zwangspause finden seit dem Herbst nun wieder die ersten Branchenveranstaltungen statt. Die MICE-Branche wagt den Restart und ist dabei voll des Lobes für die eigenen Konzepte. Doch wie erfolgreich sind die Veranstaltungsformate wirklich?
(Bild: TunedIn by Westend61/Shutterstock)
[Hinweis der Redaktion: Der Artikel stammt aus der EVENT PARTNER Ausgabe 5.21 vom 29. Oktober 2021]
Jede Branche hat ihre „goldenen Kälber“. In der MICE-Branche sind es die Veranstaltungsplaner:innen und Einkäufer:innen aus Firmen, Agenturen und Verbänden. Die schlechte Nachricht für MICE-Anbieter: Die goldenen Kälber werden kleiner. Und wohl auch weniger. Dann aber gleich die gute Nachricht für alle: Es darf weiter und vor allem wieder (!) um sie herum getanzt werden. Die Corona-Bremse lockert sich schrittweise. Die Sehnsucht nach Begegnung und – ja, sagen wir es deutlich: feiern! – ist gewaltig.
Die großen Branchenmessen hatten eine lange Zwangspause. Begegnung beschränkte sich auf Online-Quälerei. Da auch klassische Sales-Calls mehr oder weniger tot sind, wird es schwieriger, an die Zielgruppe nah heranzukommen. Community Building ist daher nicht nur bei Corporate Events das Schlagwort der Stunde, sondern auch für Coronawelke MICE-Anbieter. So boomen kleinere und mittlere Hospitality-Veranstaltungen, auf denen Leistungsanbieter ihre potenziellen Kunden unmittelbar treffen, Leads generieren sowie ihre Database pimpen und à jour halten können. Weitergehende Benefits wie Vorträge, Erfahrungsaustausch und das Aufspüren von regionalen Marktpartnern, die man selten auf den großen Leitmessen sieht, sprechen für die Nischen-Events.
In einem Gespräch mit EVENT PARTNER hat Zukunftsforscher Oliver Leisse unlängst beschrieben, worauf es ankommen wird und wo gerade kleinere Plattformen und Communities ihre ganze Stärke ausspielen können: „Live wird sich Richtung Premium entwickeln. Ich bin davon überzeugt, dass der Messe der Zukunft eine Art Community- und Clubgedanke zugrunde liegen muss, wo man sich untereinander ständig austauscht und wo es online immer wieder Impulse in der Vorbereitung zur Messe gibt. Die Messe ist dann eigentlich nur ein fröhliches Zusammenkommen. Online ganz viel Ratio-, vor Ort ganz viel Emotionales! Das, worauf es eigentlich ankommt und worin wir Menschen besonders stark sind.“
Teilnehmenden-Einwerbung bleibt schwierig
So weit, so gut. Allerdings wird es auf mittlere Sicht ein Großmesse-Leben ohne Covid nicht mehr geben. Die ITB-, IMEX- und BOE-Feierbiester dürften ganz generell ansteckungssensibler geworden sein. Trotzdem gibt es in diesem Segment eine kleine Lockerungs-Euphorie. Mit Einschränkungen, wie Markus Lüthge von Maximice berichtet: „Corporates, die den Einladungen zu passenden Anlässen gern folgen würden, stecken zum Teil noch bis Ende des Jahres in einem ‚Travel ban‘. Agenturen sind da flexibler bzw. selbstbestimmter und suchen derzeit eher den Austausch.“
Ähnliches hört man auch von Irmi Lindner, die für Illerhaus Marketing wieder die ersten Branchenevents betreut hat: „Die Interessenlage bei den Einkäufern und Planern ist sehr ambivalent: Viele aus der operativen Ebene möchten gerne wieder raus, aber die Führungsebene steht noch auf der Bremse. Andere sind unglaublich happy, dass sie wieder netzwerken dürfen. Und die dritte Gruppe hat durch den vorsichtigen Restart wieder so viele Kundenaufträge, dass keine Zeit bleibt, Branchenevents zu besuchen.“
Veit Lawrenz von NRW Tourimus e.V., erklärt seine „Trotzdem-Beteiligung“ als Anbieter mit einem charmanten Credo zur Branche: „Wenn gerade wir jetzt kein Zeichen setzen, uns wieder zu treffen, wer soll es denn sonst tun?“
Richtig. Und ein wichtiges Signal in einer Zeit, wo die Planer:innen noch stärker als zuvor die Notwendigkeit von Live-Anlässen hinterfragen und die neu erlernten Methoden, Formate und Tools das Spektrum der Möglichkeiten erweitern. Es muss heutzutage nicht immer eine Tagung oder Ähnliches sein. Mehr denn je müssen Anlass, Angebot und Zeitpunkt zueinander passen.
Qualität und Vertrauen
Das Family-Business nimmt langsam wieder Fahrt auf. Und wie bei jeder Familienfeier wird vorne viel geschmeichelt und hintenrum gestänkert. Über das manchmal fragwürdige Kosten-Nutzen-Verhältnis, wenn 15 hoffnungsvoll zahlende Aussteller einmal auf nur 25 bis 30 Planer:innen treffen. Oder wenn mal wieder der unerwünschte „Beifang“ für Kopfschütteln sorgt. Damit sind die Gäste gemeint, die man in Frankreich „Piques Assiettes“ nennt, in Deutschland etwas drastischer „Büffet-Fräsen“. Die trifft man nämlich immer und überall. Sie gaukeln Business vor und haben eigentlich nur Lust auf Sektkelch-Schwenken. Manchmal hat man sogar den Verdacht, dass zuhause einfach nur der Kühlschrank leer ist. Dabei sind einige Veranstalter wirklich bemüht, im Vorfeld durch Potenzial-Screening die Besucher:innen-Qualität zu sichern. Aber wenn die Teilnehmenden-Not groß ist, dann müssen hier und da auch schon einmal Fünfe gerade bleiben.
Gelästert wird auch über den einen oder anderen Vortrag, der an Banalität kaum zu überbieten ist. Alibi-Education. Gut gemeint, aber überflüssig.
Trotz alledem: Die kleineren Hospitality-Veranstaltungen, Ausstellungen und Inforeisen generieren multiple Mehrwerte für alle Beteiligten. In Corona-Zeiten (die nächste Pandemie kommt bestimmt!) gilt zudem: Das Risiko ist deutlich überschaubarer als bei großen und vor allem internationalen Messen. Und wie sagte Veit Lawrenz bei der letzten Networking-Lounge von Illerhaus Marketing: „Mir kommt es vor allem darauf an, dass ich Vertrauen zum Veranstalter habe!“ Drum prüfe, wer sich bindet.