Nachhaltigkeit im Gesamtlebenszyklus einer Eventlocation
von Julia Jeworowski, Artikel aus dem Archiv vom
Ob Neubau, Sanierung oder Bestand – die DGNB-Zertifizierung begleitet Projekte im Sinne einer ganzheitlichen nachhaltigen Bauweise. So auch den neuen WDL-Luftschiffhangar mit Eventkapazität in Mülheim an der Ruhr. Der ist jetzt von außen grau, in seiner Bauweise dafür umso grüner.
(Bild: DGNB / Jens Ahner)
Gebäude wie Versammlungsstätten durchlaufen – von der Planung bis zum Rückbau – verschiedene Lebensphasen. Eine hierbei ganzheitliche Nachhaltigkeitsqualität soll die Zertifizierung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V. sichern. Ihr Siegel in Gold strebt gerade die WDL-Gruppe mit ihrem Hangar in Mülheim an der Ruhr an. Der multifunktionale Holzkomplex bietet dank der zirkulären Bauweise nicht nur Luftschiff „Theo“ ein möglichst nachhaltiges Zuhause, sondern zudem Raum für Veranstaltungsformate mit bis zu 1.500 Personen. Wir haben den Hangar vor Ort besichtigt und uns das DGNB-Prüfsiegel genauer angesehen.
Weltweit bekannter Standard für nachhaltiges Bauen
Mit ihrem Siegel möchte die DGNB nachhaltiges Bauen planbar, praktisch anwendbar, messbar und anschließend international vergleichbar machen und hält dazu seit 2009 ihr eigenes Zertifizierungssystem aktuell. Dieses soll dabei helfen, Bauprojekte unter Nachhaltigkeitsaspekten ressourcenschonend abzuwickeln, und begleitet in unterschiedlichen Varianten Neubau, Bestand, Sanierung und Betrieb. Mit einer ganzheitlichen Betrachtung anstatt einzelner Maßnahmen soll sich das DGNB-System von anderen am Markt verfügbaren Nachhaltigkeits-Zertifizierungen abheben.
Im Zuge der Zertifizierung wird also der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet und dessen Gesamtperformance anhand von Kriterien bewertet, die dem jeweiligen Nutzungstyp angepasst sind. Das Anwendungsmuster für Versammlungsstätten beispielsweise berücksichtigt die jeweiligen Besonderheiten u.a. von Kongress-, Messe- oder Stadthallen wie das Beleuchtungskonzept, den Frischwasserverbrauch oder den thermischen Komfort. Beurteilt werden im Hinblick auf die optimale Umnutzungsfähigkeit, die für den Betrieb einer Location besonders relevant ist, speziell auch die Durchfahrtshöhe der Zugangswege oder die Einzelsteuerung der Klimatechnik.
Die Zertifizierungskriterien sind grundsätzlich – und bei allen Nutzungstypen – den zentralen Nachhaltigkeitsbereichen Ökologie, Ökonomie und Soziokulturelles zugeordnet, die gleichgewichtet in die Bewertung einfließen. Die ökologische Qualität eines Neubaus umfasst z.B. als Kriterien die Ökobilanz eines Gebäudes, die verantwortungsbewusste Ressourcengewinnung oder auch die Biodiversität am Standort. Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung bewertet das DGNB-System außerdem Kriterien den Standort sowie die technische und prozessuale Qualität eines Gebäudes betreffend. Für jedes Kriterium sind Zielwerte definiert, die je nach Nutzungstyp unterschiedlich gewichtet sind. Werden sie in herausragender Weise erfüllt, erhält das Gebäude ein Zertifikat bzw. Vorzertifikat in Bronze, Platin, Silber oder Gold.
Nach den DGNB-Gold-Kriterien soll im nächsten Jahr der Luftschiffhangar und Anbau auf dem Flughafengelände Essen/Mülheim zertifiziert werden. Nachdem die riesige Garage und zugleich imposante Landmarke des Ruhrgebietes in die Jahre gekommen war, hat die WDL-Gruppe ihre Fußballfeld-große Halle – früher noch in grüner Aufmachung liebevoll „Raupe“ genannt – an exakt derselben Stelle zur Multifunktionsnutzung und besonders nachhaltig von April 2022 bis zum Frühjahr 2023 neu errichten lassen. Während der ersten Bauphase, bei der der alte Hangar rückgebaut und neu hochgezogen wurde, konnte man dank der gezielten Auswahl der Materialien und der Wiederverwendung von Baustoffen rund 156 t CO2 einsparen. Die Zulieferfirmen stammten aus Mülheim und Umgebung.
Jetzt ist der Hangar von außen grau, in seiner Bauweise dafür umso grüner: Verbaut wurden nämlich 557 t Holz aus deutschen Wäldern und 592 Knotenpunkte als Holzverbindung. So kommt die Tragweite der neuen Luftschiffhalle von über 40 m ohne ein Stück Stahl in den haupttragenden Bereichen aus. Die alten Fundamente wurden vor Ort gebrochen, recycelt und als Unterbau für den Hallenboden wiederverwendet und auch 750 Betonplatten von je 2 x 2 Metern erhalten im neuen Hangar auf insgesamt 3.000m² einen zweiten Lebenszyklus. Auch die Gebäudehülle aus recyclebarem Aluminium wird zu 93% wiederverwendet.
„Bei einem Neubau ist die ökologische Komponente, verbunden mit den CO2-Emissionen immer noch die prägendste in der Prüfbewertung“, erklärt Marius Vontein, Diplom-Ingenieur und Geschäftsführer der AAINA GmbH (Institut für Nachhaltiges Bauen Aachen). Mit seinem Team begleitet er die Bauphase und ist sich sicher, dass der Hangar durch seine Holzkonstruktion und die wiederverwendbaren Bodenplatten bei der ökologischen Qualität die höchste Punktzahl in der Bewertung der DGNB erhalten wird.
Auch in der neuen Version dient der Hangar in erster Linie als Garage für Theo, eines von insgesamt sechs Luftschiffen weltweit, das zu Werbezwecken regelmäßig über das Ruhrgebiet fliegt. Neuerdings erfüllt er zudem noch einen weiteren Zweck und ist buchbar für Veranstaltungen mit bis zu 1.500 Personen – mit oder ohne Theo als Teil der Eventkulisse. Mitgenutzt werden für Zusammenkünfte aller Art kann außerdem das Areal rund um die Halle. In Zukunft wären so Eventformate mit weitaus mehr Teilnehmenden denkbar, sagt Daniel Dreier, Veranstaltungsmanager bei der WDL. Auch im Hangar selbst könne man (insbesondere bei Steh-Veranstaltungen) ein deutlich größeres Publikum unterbringen, doch momentan laufe der Veranstaltungsbetrieb noch in der Probephase.
Die Auftaktveranstaltung im April brachte zunächst 650 internationale Touristik-Vertreter:innen zusammen beim Gastgeberabend im Rahmen des Germany Travel Mart der Essen Marketing GmbH und der Deutschen Zentrale für Tourismus e.V. Aus deutlich mehr Anfragen plane die WDL zurzeit lediglich ausgewählte noch in diesem Jahr ein, sagt Dreier. „Unser Ziel ist nicht höher, schneller, weiter, sondern hochwertige Veranstaltungen nach Mülheim zu bringen“, betont der Veranstaltungsexperte und dafür müssen alle Gegebenheiten stimmen. Fest installierte Sanitär- und Gastrobereiche kommen erst in der zweiten Bauphase, die u.a. auch Photovoltaikanlagen vorsieht, mit dem Neubau eines zweigeschossigen Verwaltungs- und Schulungsgebäudes hinzu. Dieses soll zudem Büros, Co-Working-Flächen und ein Auditorium umfassen – mit direkter Anbindung an den Luftschiffhangar.
Ebenfalls in Holzbauweise plant die WDL den zweiten Komplex im Jahr 2024 fertigzustellen und schließlich gemeinsam mit dem Hangar durch die DGNB Gold-zertifizieren zu lassen. „Es gibt drei relevante Zertifizierungen für Gebäude“, sagt Dreier. Für Neubauten würden z.B. auch das US-amerikanische Zertifizierungssystem LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) oder die britische Norm BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Method) gewählt, insbesondere wenn internationale Investoren beteiligt sind, erklärt Vontein.
Darüber hinaus bietet sich in Deutschland neben dem DGNB-Siegel das BNB-Bewertungssystem an, das sich nach ähnlichen Kriterien jedoch nicht an private Auftraggebende, sondern an öffentliche Bundesbauten mit den Profilen Büro-, Verwaltungs-, Unterrichts- oder Laborgebäude richtet. Mit dem DGNB-Siegel habe sich die WDL letztlich den Marktführer ausgesucht, sagt Dreier. Ein klarer Vorteil: die ganzheitliche Nachhaltigkeitsbetrachtung im Rahmen des Zertifizierungsprozesses, die nicht „nur“ die ökologische Qualität eines Gebäudes berücksichtigt, sondern weitaus mehr Kriterien als die gesetzlichen Anforderungen.
Da das Unternehmen bei beiden Gebäuden vor allem den nachwachsenden Rohstoff Holz einsetze, sei die nachhaltige Bauweise gleich mitgedacht – warum hierfür also nicht die Zertifizierung erreichen, fasst Dreier das Bestreben der WDL-Gruppe zusammen, das aus Überzeugung der Geschäftsführung angestoßen wurde. Besonders nachhaltig sei auch die Doppelnutzung als Garage und Eventlocation, ergänzt Benjamin Gronau, Diplom-Ingenieur Architekt und Geschäftsführer des für die WDL-Neubauten verantwortlichen Architekturbüros Gronau GmbH & Co. KG. Denn Synergien zu nutzen sei besonders relevant innerhalb der Nachhaltigkeitsbetrachtung und brächte einen beachtlichen Vorteil im DGNB-Zertifizierungsprozess. Noch dazu ist man stolz darauf, für den ersten Luftschiffhangar überhaupt eine Nachhaltigkeitszertifizierung erreichen zu können.
Die Doppelnutzung des Hangars steigert zweifellos die Energieeffizienz im Sinne der Nachhaltigkeit, stellt jedoch auch eine Herausforderung während der Planungs- und Bauphase dar. Denn eine nachhaltige Lösung muss den unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Nutzungsszenarien gerecht werden: Sie muss den Teilnehmenden von Veranstaltungen Komfort bieten, eine ansprechende Akustik sowie ausreichenden Lärmschutz gewährleisten und gleichzeitig als Garage für das Luftschiff funktionieren.
Um den Energieverbrauch in jedem Szenario so gering wie möglich zu halten, wurden bei der Konzeptentwicklung Simulationen und Berechnungen durchgeführt. Das Ziel bestand darin, das Raumvolumen nicht dauerhaft zu beheizen und den Wärmeverlust beim Öffnen des Tores zu berücksichtigen, erklärt Gronau. Die Lösung für alle Nutzungsszenarien war letztendlich eine Strahlungsheizung.
Für Energieeffizienz, Akustik und Lärmschutz sowohl nach innen als auch nach außen sorgen nun eine 10 cm dicke Holzwand und eine 12 cm dicke Dämmschicht unter dem Aluminiumdach. „Die zweischalige Konstruktion holt das Optimum heraus – für Anleger:innen und Teilnehmer:innen“, bestätigt Gronau. Um die Behaglichkeit für die Teilnehmenden weiter zu verbessern, wurden auch Maßnahmen hinsichtlich der Luftqualität bedacht. Statt einer herkömmlichen Lüftungsanlage sollen Dachfenster für eine angenehme Luftzirkulation sorgen. Im Rahmen der Bestrebungen im Bereich Nachhaltigkeit spielten zudem Aspekte wie eine flexible Nutzung, soziokulturelle Faktoren und Barrierefreiheit eine Rolle.
Landmarke als Inspirationsquelle für Nachhaltigkeit
Beide Projekte werden umfassend dokumentiert – von der Planung bis zur Inbetriebnahme –, um sie dann bei der DGNB einzureichen. Dadurch wird sichergestellt, dass die nachhaltige Bewirtschaftung der Gebäude und des Veranstaltungsbetriebs gewährleistet wird. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Implementierung eines Informationssystems geplant, das alle Beteiligten für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren und als Grundlage für ihre Arbeit dienen soll.
Im Idealfall könnte der Hangar als markantes Wahrzeichen der Ruhrmetropole einen Multiplikatoreffekt erzeugen und ansässige Unternehmen für eine nachhaltige Bau- und Betriebsstrategie begeistern, betont Gronau. Dies würde dazu beitragen, dass Nachhaltigkeit in der Region einen größeren Stellenwert erhält und weitere positive Veränderungen angestoßen werden.