Studie zu Plant a Seeed und Lollapalooza Berlin

Nachhaltigkeit urbaner Großveranstaltungen

Messbare Indikatoren für urbane Events waren bisher rar. Prof. Thomas Sakschewski erforschte bei fünf Seeed-Konzerten und dem Lollapalooza-Festival in Berlin die Nachhaltigkeit von Großveranstaltungen. In Kooperation mit The Changency wurden u.a. Maßnahmen zur Energie- und Abfallreduzierung erprobt.

Plant a Seeed, Lollapalooza(Bild: Nadine Kunath)

Mit Plant a Seeed und dem Lollapalooza Berlin haben Sie im letzten Jahr zwei Großveranstaltungen begleitet. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

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Prof. Thomas Sakschewski: Die beiden Projekte liefen ja unter dem Obertitel „Nachhaltigkeit urbaner Großveranstaltungen“, also Veranstaltungen mit weit mehr als 10.000 Besucher:innen in einem städtischen Umfeld. Eben nicht das klassische Festival auf dem flachen Land. Da sind ganz andere Einflussfaktoren relevant, also z. B. die Übernachtungen vor Ort meist auf Campingplätzen, die eingebrachte Infrastruktur oder die Flächennutzung. Als dann The Changency, die Initiatorinnen von Plant a Seeed, mich im letzten Jahr gefragt haben, ob ich das Projekt wissenschaftlich begleiten könnte, war ich sogleich begeistert. Fünf Konzerte derselben Band, nacheinander am selben Ort. Das sind unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten ja Laborbedingungen im Feld.

The Changency haben für jeden Tag eine andere Intervention geplant, um die Wirksamkeit besser prüfen zu können. Wenig später dann hat sich in Zusammenarbeit mit mediapool die Kooperation für das Lollapalooza Berlin ergeben. An zwei Festivaltagen so viele Besucher:innen wie an den fünf Tagen in Wuhlheide mit Seeed. Das sind exzellente Forschungsbedingungen, denn so können Vergleichswerte entwickelt werden. Aber wie sollte man methodisch vorgehen?

Sakschewski: Es gab ja noch keine Blaupause für die gesamthafte Messung und Bewertung von Nachhaltigkeitsaspekten bei Großveranstaltungen. Zwar gab es auch vor 2022 zahlreiche Beispiele für einzelne Umsetzungen, aber wirklich alle drei Säulen der Nachhaltigkeit zu betrachten, war bei Konzerten Neuland. Wir haben uns für einen Mixed-Methods-Ansatz entschieden und dabei auch neue Methoden entwickelt. Mixed Methods bedeutet teilnehmende Beobachtung, qualitative und quantitative Befragungen, Zählungen und als neuer Ansatz, die Instand Photo Documentation. Wir haben den Inhalt von Mülltonnen und das Littering-Verhalten am Einlass und im Infield dokumentiert. Mehrere hundert Fotografien, die ausgewertet werden mussten.

Nachhaltigkeit Plant a seeed und Lollapalooza
Professionelle Flaschensammlung auf dem Weg zum Veranstaltungsgelände (Bild: BHT)

Vortrag von Prof. Thomas Sakschewski zu ISO-Zertifizierter Nachhaltigkeit als Daueraufgabe fürs Lollapalooza Berlin auf der LEaT con 23

„Umsetzen, Prüfen, Feiern & Messen – ISO-Zertifizierte Nachhaltigkeit als Daueraufgabe fürs Lollapalooza Berlin“

Prof. Thomas Sakschweski sprach auf der LEaT con im Oktober in Hamburg über die Forschungsergebnisse der Studien. Wer den inspirierenden Vortrag verpasst hat und digital reinzappen will:

>> Mehr Infos unter www.leatcon.com


Was sind Ihre Ergebnisse jetzt fast ein Jahr später?

Sakschewski: Das ist in einem Satz schwierig zusammenzufassen. Beide Studien sind jeweils 70 Seiten lang und voll mit Tabellen und Werten. Wenn ich versuchen muss, die Key Facts zusammenzufassen, dann würde ich zunächst mit einem fast paradoxen Ergebnis beginnen. Je weniger erfolgreich eine urbane Großveranstaltung ist, je weniger diese ein überregionales oder gar internationales Publikum anspricht, desto besser ist das für das Klima, denn der allergrößte CO2-Treiber bildet die An- und Abreise der Besucher:innen. Kommen sie aus der Umgebung und reisen vielleicht sogar mit Fahrrad an, dann bedeutet das 0,0 Kg CO2eq. Aber ist das überhaupt sinnvoll? Nein.

Eine urbane Großveranstaltung soll Ausstrahlungskraft haben, soll Spaß machen, soll ein nachhaltiges Erlebnis sein. Apropos nachhaltiges Erlebnis: ein anderes Resultat aus vielen hundert Fotografien mit einer Meterschablone sind Werte zur Anzahl der Objekte auf dem Boden. Diese variieren sehr stark und sind abhängig von der Nähe zur Bühne und damit in der Regel auch von der Personendichte sowie dem Musikstil. Konfettikanonen übrigens – das zeigen die Heatmaps – führen zu einer Vervielfachung der Objekte mit bis zu 1.000 Konfettiteilchen je Quadratmeter. Vielleicht noch zuletzt eine Zahl, die als Ergebnis der Klimabilanzierung bei Plant a Seeed herausgekommen ist: Die fünf Konzerte von Seeed haben einen CO2eq-Fußabdruck von 1.003,435 t CO2eq gesamt oder 200,687 t CO2eq je Konzert. Dies entspricht dem durchschnittlichen jährlichen Fußabdruck von knapp 19 Personen in Deutschland. Das ist bei etwa 15.000 Besucher:innen je Konzert wirklich nicht viel.


Zur Person:

Prof. Sakschweski Plant a Seeed
Prof. Sakschweski bei der Datenerhebung, begleitet durch ein Kamerateam, bei Plant a Seeed 2022 in der Wuhlheide (Bild: Andreas Gürich)

Thomas Sakschewski ist Professor für Veranstaltungsmanagement und -technik an der Berliner Hochschule für Technik Berlin. Er studierte Psychologie und Betriebswirtschaft (MA) und ist seit 1994 in verantwortlichen Positionen als Ausstellungsmacher und Projektmanager mit unterschiedlichen Aufgabenfeldern wie Veranstaltungsleitung, Projektleitung oder Technische Leitung für verschiedene Auftraggeber in Berlin tätig gewesen. Er ist Autor zahlreicher Publikationen im Themenkreis Veranstaltungsmanagement.


Was sind die Projekte in diesem Jahr? Setzen Sie die Untersuchungen fort?

Sakschewski: Nicht nur die Veranstaltungswirtschaft ist im Wandel, auch der Ligafußball muss umdenken und hat eine Nachhaltigkeitscharta entwickelt. Der leider in der letzten Saison in die zweite Liga abgestiegene Berliner Traditionsverein Hertha BSC macht schon seit einigen Jahren eine Menge in Sachen Nachhaltigkeit. Als Kooperationspartner der Hochschule haben Studierende im Seminar Veranstaltungslogistik und -nachhaltigkeit in Zusammenarbeit mit Hertha Konzepte für einen nachhaltigen Ligafußball entwickelt, die wir in der kommenden Saison umsetzen wollen. Und auch das Lollapalooza Berlin werden wir wieder begleiten und Werte erheben, die einen Vergleich zu 2022 erlauben und so Ergebnisse der beiden Studien untermauern können. Die beiden Studien können übrigens kostenfrei per E-Mail bestellt werden.

>> Mehr zum Forschungsprojekt Plant A Seeed finden Interessierte hier.

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