„Wir haben hauptsächlich Glück gehabt“, davon ist Autor Falco Zanini überzeugt, wenn er den Event-Sommer 2022 betrachtet. Als Fachkraft für Arbeitssicherheit und Meister Veranstaltungstechnik hat er bei zahlreichen Großproduktionen das Knirschen der Zahnräder selbst erlebt.
(Bild: Falco Zanini)
Was für ein Sommer! Ein viel zu heißer und viel zu langer Sommer ist (endlich) zu Ende. Die letzten Festivals sind abgebaut, die ersten Branchenmessen, -treffen und -kongresse beginnen, und alle Beteiligten der großen Eventfamilie sind glücklich und zufrieden. Es wird viel über Nachhaltigkeit und Awareness sowie immer mal wieder auch über Verantwortung in der Lieferkette gesprochen. Vor allem aber ist die Pandemie offenbar vorbei und vergessen. Vergessen zusammen mit all den guten Vorsätzen, die noch kurz vor Ende der Pandemie gebetsmühlenartig aus allen Ecken unserer kleinen Veranstaltungswelt mit ihren ganz verschiedenen Kontinenten erklangen.
Es sollte alles besser werden, die Firmen diverser, mit während der Pandemie gut geschulten Beschäftigten und gepflegtem Material. Alle Verwaltungs-, Kommunikations- und Planungssoftware sollte aktualisiert sein und jede nutzende Person bestens geschult in deren Verwendung. Geld dafür wurde reichlich von der Regierung verteilt. Doch hin und wieder gab es Unkenrufe, die vor zu wenig Personal warnten, davor, dass Veranstalter nicht zu lange mit der Buchung von Mensch und Material warten sollten, da Engpässe befürchtet wurden – gar vor einer kompletten Überlastung des Systems.
Knirschende Zahnräder
Und nun? Fünf Monate, nachdem Anfang April der unausgerufene Freedom Day über die Eventwelt hereinbrach? Wir haben hauptsächlich Glück gehabt. Der Autor hat bei zahlreichen Großveranstaltungen das Knirschen der Zahnräder selbst erlebt und in vielen Gesprächen gleiches von anderen Marktteilnehmern gehört.
Zu diesem Knirschen gehört, dass ein Beschäftigter eines Kunden am Anfang der Saison mit Epilepsieverdacht nach einem Erstanfall ins Krankenhaus kam. Bei Nachforschungen kam dann heraus, dass dieser Beschäftigte verantwortlich war, Anforderungen von Festivalbands in einer temporären Konstruktion in sichere bauliche Maßnahmen umzusetzen. Die Änderungen kamen bis einen Tag vor Veranstaltung im Stundentakt und widersprachen sich teilweise; obwohl eine Deadline für Änderungen vertraglich vereinbart war. Der Veranstalter ließ permanente Änderungen zu, der Mitarbeiter nahm seine Verantwortung für Leib und Leben der Künstler:innen und seiner eigenen Kolleg:innen ernst und zerbrach daran.
Es knirscht auch gewaltig, wenn einer Bühnenbaufirma am Morgen des ersten Abbautages während dieses heißen Sommers alle Toiletten und Waschmöglichkeiten unter dem Allerwertesten abgebaut werden. Das, nachdem ein gesamtes Hilfsteam nach einem kompletten Abbautag abgezogen und 150 Kilometer ohne Schlaf weiter zu einem kompletten Aufbautag einer anderen Veranstaltung geshuttelt wird. Dem Bühnenbauer wurden damit vier Tage Zusatzarbeit mit zu wenig Personal beschert.
(Bild: Falco Zanini)
Personalmangel kaschieren
Da passt in das Bild, dass das Puls-Festival mit der offiziellen Absage am zweiten Tag wegen fehlender zweiter Security-Schicht nur die Spitze des Eisbergs war. Es gab manche Großveranstaltung dieses Jahr, bei der mehrdutzendfach Security-Personal fehlte und der Mangel irgendwie kaschiert oder verwaltet wurde. Dass dabei Schichten mit über 16 Stunden gefahren wurden, verwundert da auch nicht mehr. Vielfach standen nur noch Menschen dort, die eine irgendwie geartete Uniform anhatten, aber nicht fähig waren, die Aufgabe zu erfassen, geschweige denn zu erfüllen. Bei einem großen Teil des Personals, egal ob Messebau, Dekoration, Technik oder anderen Gewerken mit gefährdenden Tätigkeiten, war leider eine Sicherheitsschuh- und Helmallergie festzustellen.
Kommunikationschaos
Im Gegensatz zu dem Mangel beim Personal gab es dafür zu viel an Dropboxen, Onedrives, Nextclouds, auf denen dann doch wieder Excel-Tabellen oder Word-Dokumente hin- und hergeschoben wurden. Das bei gleichzeitigem Fehlen eines Plans, wer für welche Aufgabe anzuschreiben bzw. verantwortlich ist. So wurden dann doch wieder „Alle“ in cc gesetzt, mit entsprechenden Protesten und Überforderungen. Dass nach der ersten Bitte nach Freischaltung von/Einladung zu allen relevanten Ablage- oder Kollaborationssystemen noch zwei bis drei weitere Bitten folgen mussten, war der Normalzustand für den externen Berater.
Zum Thema Kommunikation gehört der Umstand, dass bisher in der Veranstaltungswelt relativ unbekannte Personaldienstleister offenbar das Blaue vom Himmel beziehungsweise genügend Hilfspersonal versprachen. Die Kommunikation beim „Casting“ der jungen Beschäftigten beschränkte sich auf die Forderung, dass alle Fragen der Buchungsapp zu beantworten und die notwendigen Dokumente hochzuladen sind. Sobald erledigt, durften sich dann Wunschschichten ausgesucht werden. Abends standen dann z. B. in einer 16-Personenschicht zum Entladen der LKW und dem Aufbau auf den Bühnen sechs junge Frauen in Hotpants, die zusammen mit den anderen komplett unerfahrenen Kollegen die Aufgabe erfüllen sollten.
In manchen Schichten waren Deutsch und/oder Englisch als Sprache komplette Mangelware, und eine ordentliche Unterweisung in die Aufgabe hatte ebenfalls offensichtlich nicht stattgefunden. Dabei besteht die klare Verpflichtung für den Verleiher in der Arbeitnehmerüberlassung, die Beschäftigten grundsätzlich angemessen und für diese verständlich zu unterweisen. Der Entleiher ist wiederum verpflichtet, spezifische Unterweisungen zu geben.
Und der Arbeitsschutz?
Das führt zum größten, in dieser Saison immer noch oder sogar wieder verstärkt vorhandenen Mangel bzw. notwendigem Verbesserungspotenzial in weiten Teilen der Eventbranche: der Bereitstellung sicherer und gesunder Arbeitsplätze und der Erfüllung (Compliance) der gesetzlichen Anforderungen zu der Umsetzung und Dokumentation der betrieblichen Arbeitsschutzmaßnahmen.
Nach Anforderung konnten teilweise nur 30% aller beteiligten Dienstleister:innen Gefährdungsbeurteilungen vorlegen. Besondere Schwierigkeiten haben dabei offenbar hauptsächlich Cateringunternehmen, kleine wie große und bekannte. Entsprechend fallen dann in der Praxis auch Kontrollen bei Foodbetreibern aus, bei denen die Mischung von nicht geprüften und ungeeigneten elektrischen Betriebsmitteln mit unsachgemäßer Gas-Handhabung („Chef nix da“) immer noch eine Zeitbombe darstellen.
Es betrifft alle
Fazit sollte sein, dass sich wirklich alle Branchenbeteiligten in allen Teilsegmenten fragen, ob es nicht vielleicht doch noch reichlich Verbesserungsbedarf bei Aufbau- und Ablauforganisation, Kommunikation und betrieblichem Arbeitsschutz gibt.
Um den nötigen bzw absolut notwendigen Verbesserungen Raum zu geben, müsste auch von Veranstalterseite hinterfragt werden, wie viel überhaupt machbar ist.
Müssen es 1000 Lampen sein oder reichen 800? Muss in Jahr 1, nach dem Lockdown noch ein neues Festival erfunden werden oder die Tournee von Weltstars dazugebucht werden? Etc.
Nach diesem Jahr sollten viele Groschen gefallen sein, aber es schwant einem schon, dass es in 2023 ähnliche Probleme geben wird.
Dabei sind viele Lösungen und Verbesserungen so simpel..
Danke für den Kommentar, so ist es !!!
Zitat: “Es sollte alles besser werden, die Firmen diverser, mit während der Pandemie gut geschulten Beschäftigten und gepflegtem Material. Alle Verwaltungs-, Kommunikations- und Planungssoftware sollte aktualisiert sein und jede nutzende Person bestens geschult in deren Verwendung. Geld dafür wurde reichlich von der Regierung verteilt.”
Klingt jetzt zynisch, aber: Genau das habe ich irgendwie von der Branche befürchtet. Ein totaler Flop. Die Branche kann und will sich scheinbar nicht ändern. Bin ich froh, zum Großteil aus der Branche raus zu sein. Wahnsinn.