Risikokommunikation mit Besucher:innen bei Kulturveranstaltungen
von Lena Wingenfeld, Artikel aus dem Archiv vom
Eine erfolgreiche Sicherheitskommunikation in Form von Risiko- und Krisenkommunikation sorgt nicht nur für die Besuchersicherheit, sondern auch dafür, dass die Gäste das Event positiv in Erinnerung behalten. Lena Wingenfeld hat in ihrer ausgezeichneten Masterarbeit erforscht, welche Kommunikationsmaßnahmen vorab nötig sind.
(Bild: Shutterstock / PeopleImages.com - Yuri A)
Stellt man sich ein Open-Air-Konzert mit rund 25.000 Besucher:innen vor, dem sich ein Gewitter nähert, das eine Unterbrechung der Veranstaltung und Räumung des Veranstaltungsgeländes herbeiführt, hat man abhängig von den eigenen Erlebnissen und Erfahrungen verschiedene Szenarien für den weiteren Verlauf der Situation im Kopf. Einige davon verlaufen geordnet und gut koordiniert, manche umfassen eine standardisierte Sicherheitsdurchsage aus dem Off mit dem Hinweis auf die bekannten Ausgänge und die beschilderten Notausgänge. Weitere Szenarien beinhalten möglicherweise gestresste Sicherheitsdienstmitarbeitende, die versuchen, das Gelände zu räumen, und wieder andere Szenarien entwickeln sich weitestgehend unkoordiniert. Sie bieten zahlreiche Möglichkeiten für Verunsicherung und Fragen bei den Besucher:innen.
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Für die Besuchersicherheit und ein positives Veranstaltungserlebnis ist eine erfolgreiche Sicherheitskommunikation in Form von Risiko- und Krisenkommunikation entscheidend. Die Kommunikationsmaßnahmen, die in den beschriebenen Szenarien angewendet wurden, sind Teil der Krisenkommunikation. Sie werden grundsätzlich vorab in einem Sicherheitskonzept festgelegt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Krisenkommunikation ist eine erfolgreiche Risikokommunikation. Zugehörige Maßnahmen lassen sich jedoch meist nur schwierig herausstellen und benennen.
In Bezug auf das Szenario beim Open-Air-Konzert stellt sich somit die Frage, welche Maßnahmen im Vorhinein bereits umgesetzt werden können, um die Besucher:innen auf eine sicherheitskritische Situation, wie die Räumung aufgrund eines Unwetters, vorzubereiten.
Die Risikokommunikation ist neben der Krisenkommunikation Teil der Sicherheitskommunikation bei Veranstaltungen. Die Risikokommunikation benennt den Informations- und Meinungsaustausch über mögliche Risiken. Hierfür essenziell ist die frühzeitige Kommunikation zwischen Veranstalter und Besucher:innen, um die Risikokommunikation im Regelbetrieb und Notfall steuern zu können.
In Veröffentlichungen zu Veranstaltungssicherheit und Sicherheitskonzepten für Veranstaltungen wird bisher der Schwerpunkt der Kommunikation auf die interne und die Krisenkommunikation gelegt. Im Bereich der Risikokommunikation besteht hingegen vielmehr ein Forschungs- als ein Wissensstand. Erste Erkenntnisse und Forschungsansätze existieren zwar, tiefergehende Forschungen sind jedoch noch nicht erfolgt oder veröffentlicht worden.
Generell wird zwischen Information und Kommunikation unterschieden. Eine Information ist die Botschaft, die beim Kommunizieren weitergegeben wird. Die Kommunikation ist der Prozess des Informationsaustauschs. Sicherheitskommunikation mit Besucher:innen sollte in allen Phasen der Veranstaltung stattfinden, wobei Informationsbedarf und Kommunikationskanäle im Verlauf einer Veranstaltung variieren. Ziel der Kommunikation ist es, Informationen dort bereitzustellen, wo der bzw. die Besucher:in sie benötigt und erwartet.
Bereits im Vorfeld einer Veranstaltung sollten den Besucher:innen Informationen, beispielsweise zum Programm und zur An- und Abreise aber auch zu sicherheitsrelevanten Themen, über unterschiedliche Kanäle wie die Homepage oder Plakate zur Verfügung gestellt werden. Das Informieren der Besucher:innen vor der Veranstaltung und somit die Vorwegnahme des Informationsbedarfs hat einen wichtigen Einfluss auf das Wohlbefinden und die Sicherheit der Besucher:innen, denn gut informierte Personen sind weniger frustriert und weniger aggressiv im Krisenfall.
Während der Veranstaltung wird eine Bereitstellung der Informationen über verschiedene Kanäle, z.B. Videowände, Beschilderung oder über Mitarbeitende, empfohlen.
Nach der Veranstaltung sinkt die Relevanz der (Risiko-)Kommunikation im Allgemeinen. Der Kontakt zu den Besucher:innen sollte jedoch weiterhin aufrechterhalten werden. Hierzu bieten sich die sozialen Medien an. Ihre Nutzung ist in allen Phasen der Veranstaltung sinnvoll und empfehlenswert.
Das AIDA-Modell, ursprünglich zur Gliederung von Verkaufsgesprächen entwickelt, steht in Zusammenhang mit Kommunikation allgemein für (1) Aufmerksamkeit erregen, (2) Information geben, (3) Drang zur Handlung auslösen und (4) Anweisungen für konkrete Handlungen formulieren. Überträgt man dies auf die Kommunikation mit Besucher:innen, geht es im ersten Schritt darum, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, beispielsweise durch eine direkte persönliche Ansprache. War dies erfolgreich, werden die relevanten Informationen kommuniziert und durch konkrete und klare Handlungsanweisungen ergänzt, um einen Handlungsdrang auszulösen und den Besucher:innen ein Mitwirken und eigenständiges Handeln zu ermöglichen.
Für das strukturierte Sammeln und übersichtliche Darstellen verschiedener Einflüsse auf die Besucher:innen und ihr Verhalten sowie spezifische Anforderungen in einer bestimmten Situation, hat der britische Forscher Keith Still die DIM-ICE-Matrix entwickelt. Sie vereint die drei primären Einflüsse auf das Besucherverhalten (Design, Information, Management = DIM) mit den drei primären Phasen des Besucherverhaltens (Ingress, Circulation, Egress = ICE), die in Abhängigkeit des Veranstaltungsablaufs während des Normalfalls und während des Krisen-/Notfalls betrachtet werden.
Eine Literaturrecherche zur Betrachtung der Sicherheitskommunikation in anderen Branchen ergab verschiedene Ansätze und Schwerpunkte, die in Bereichen wie der Psychologie, Luft- und Kreuzfahrtindustrie und Prävention von Gesundheitsrisiken, ausgelöst beispielsweise durch Nuklearunfälle, Beachtung finden und angewendet werden. Zur Beantwortung der Forschungsfragen, wo und wie Risikokommunikation bei Kulturveranstaltungen bereits stattfindet und wo Lücken identifiziert werden können, wurden neun Interviews mit Expert:innen aus den Bereichen (Veranstaltungs-)Sicherheit und (Veranstaltungs-)Kommunikation geführt und ausgewertet. Die Ergebnisse ließen sich in folgende vier Dimensionen zusammenfassen: (1) Berührungspunkte Besucherinformation, (2) Aufbau von Vertrauen, (3) Selbstkompetente:r Besucher:in und (4) Sensibilisierung der Veranstalter. Sie beschreiben die aktuelle Situation, die kurz- bis langfristigen Ziele sowie die Wünsche für den Bereich der Risikokommunikation.
Die Umsetzung der Ansätze und theoretischen Maßnahmen lässt sich als allgemeines und primäres Verbesserungspotenzial feststellen. So, wie standardmäßige Durchsagetexte für verschiedene Zwischenfälle und Szenarien von den Veranstaltern vorbereitet und sogar von den Behörden gefordert werden, sollten auch Kommunikationssituationen, die im Regelbetrieb stattfinden, vorbereitet werden.
Eine Empfehlung zur Vorbereitung der Kommunikationsmaßnahmen geht mit der Sensibilisierung der Veranstalter einher. Durch ein entsprechendes Kursangebot, das eine erste Bereitschaft bei Veranstaltern voraussetzt, können sowohl das grundlegende Bewusstsein der Veranstalter für die Kommunikation mit den Besucher:innen vor, während und nach der Veranstaltung geschärft werden, als auch standardisierte Prozesse für die Planung, Vorbereitung und Durchführung von Kommunikation entwickelt und etabliert werden. Um auch Veranstalter zu erreichen, die sich bisher mit Sicherheitsthematiken wenig auseinandergesetzt haben, sollte das Anbieten solcher Kurse nicht ausschließlich im Rahmen von Kongressen, sondern ohne großen finanziellen und organisatorischen Aufwand in verschiedenen Regionen Deutschlands erfolgen.
Ein fester Bestandteil der Vorbereitung sollte außerdem sein, den Weg des Besuchers bzw. der Besucherin vom ersten Kontakt zur Veranstaltung – vermutlich durch Marketingmaßnahmen – über die Kaufentscheidung und die persönliche Vorbereitung auf die Veranstaltung (eventuell durch Planung der Anreise oder Packen des Rucksacks) bis hin zum Weg des Besuchers bzw. der Besucherin auf dem Veranstaltungsgelände gedanklich durchzugehen. Die Berührungspunkte des Besuchers oder der Besucherin mit der Veranstaltung sollten definiert und festgelegt werden, wie diese zur Information des Besuchers bzw. der Besucherin genutzt werden können. Dies kann in einem Brainstorming innerhalb des Projektteams oder einer Arbeitsgruppe oder durch die Einbindung der bereits erläuterten DIM-ICE-Methode erfolgen. Diese ermöglicht eine systematische Betrachtung der Informationsbedürfnisse innerhalb der verschiedenen Veranstaltungsabschnitte und somit das Identifizieren und Definieren der möglichen Berührungspunkte der Besucher:innen mit entsprechenden Informationen.
Zur Umsetzung einer transparenten Kommunikation lässt sich die grundsätzliche Empfehlung und Forderung nach Ehrlichkeit gegenüber den Besucher:innen formulieren. Diese Ehrlichkeit geht einher mit der Wahrnehmung der Rolle der Besucher:innen. Werden sie als mündige Personen angesehen, kann eine offene Kommunikation auf Augenhöhe stattfinden. Auf standardisierte Ansagen, solche, die auf technische Probleme verweisen sowie auf Ansagen aus dem Off, bei denen die Besucher:innen die sprechende Person nicht sehen können, sollte verzichtet werden.
Zu Beginn jeder Veranstaltung könnte eine persönliche Ansprache erfolgen, indem sich der Veranstalter oder der/die Veranstaltungsleiter:in den Besucher:innen von der Bühne aus persönlich vorstellt und somit eine gewisse Beziehung und Kommunikationsbasis aufbaut. Diese Ansprache sollte weniger einen inhaltlichen als einen zwischenmenschlichen Fokus haben. Sie sollte fester Bestandteil einer Kulturveranstaltung werden, auf den sich die Besucher:innen verlassen können.
Um die Risikowahrnehmung der Veranstaltungsbesucher:innen zu stärken, könnten mögliche Risiken bei Veranstaltungen mit verständlichen Erklärungen und interessanten Hintergrundinformationen im Rahmen von Podcasts oder Kurzfilmen in den sozialen Medien thematisiert und durch praxisnahe Handlungsanweisungen ergänzt werden und so unterhaltsam und unbewusst in das Bewusstsein der Besucher:innen gelangen. Angepasst an die Zielgruppe von Kulturveranstaltungen könnten hierzu die Social-Media-Kanäle der Veranstaltungen und der verschiedenen Künstler:innen sowie die jeweilige Veranstaltungs-App genutzt werden. Eine gemeinsame Initiative namhafter Veranstaltungen und Künstler:innen mit dem Ziel der Sensibilisierung und Information der Besucher:innen könnte über Risiken und Verhaltenshinweise aufklären. Zur Generierung von spezifischem Wissen könnte eine Art Sicherheits-Wiki für die jeweilige Veranstaltung, in Anlehnung an eine FAQ-Seite, erstellt werden, das von den Besucher:innen über die Homepage oder eine App abgerufen werden kann. Dieses sollte sicherheitsrelevante Themen und Fragen kurz und knapp erklären und beantworten.
Die Erkenntnisse dieser Arbeit zeigen deutlich, dass der Stand der Planung und Realisierung von Maßnahmen zur Risikokommunikation sich noch sehr stark von Veranstalter zu Veranstalter unterscheidet. In der Umsetzung von Risikokommunikation bei Kulturveranstaltungen existiert somit eine Lücke und es besteht Handlungsbedarf. Schließlich sollen die Besucher:innen die Veranstaltungen positiv in Erinnerung behalten.
Lena Wingenfeld (26 Jahre) absolvierte ihren Bachelor of Science in Eventmanagement und -technik sowie ihren Master of Science in Strategische Live-Kommunikation an der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen. Ihre Masterarbeit zum Thema „Risikokommunikation mit Besuchern bei Kulturveranstaltungen“ wurde mit dem VFSG Student Award 2021 ausgezeichnet.
Seit 2021 ist die gebürtige Fuldaerin Teil der satis&fy AG. Am Hauptsitz in Frankfurt trägt sie im Project Management mit ihrer Fachexpertise zur erfolgreichen Planung und Umsetzung internationaler Konferenzen sowie Groß- und Kulturveranstaltungen bei.
Veranstaltungssicherheit ist seit zehn Jahren ein immer größer werdendes Thema in der Branche. Mit der Risikokommunikation bei Kulturveranstaltungen beschäftigt sich Lena Wingenfeld mit einem noch weniger sichtbaren, dafür umso wichtigeren Thema in diesem weiten Spezialgebiet. Sie arbeitet in ihrer Abschlussarbeit nachvollziehbar und methodisch sehr gut die Herausforderungen und Anforderungen heraus und schafft es so, dieses spannende Thema anschaulich darzustellen. Die Ergebnisse sind klar strukturiert und zeigen neben ersten Handlungsvorschlägen auf, dass in diesem Bereich noch weiterer Forschungsbedarf besteht.
Prof. Axel Barwich, Prodekan MuK, Studiengangsleiter Eventmanagement und -technik, Technische Hochschule Mittelhessen
Die für den VFSG Student Award 2021 eingereichten Abschlussarbeiten wurden von einer interdisziplinären Jury von fünf Personen aus Wissenschaft, Veranstaltungspraxis und Privatwirtschaft bewertet. Den Preis für die beste Masterarbeit erhielt Frau Lena Wingenfeld. Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit dem für die Veranstaltungssicherheit sehr bedeutsamen Aspekt der Risikokommunikation und damit mit der Frage, wie Besucher:innen mittels geeigneter kommunikativer Maßnahmen auf Veranstaltungsrisiken und adäquates Verhalten in Notfallsituationen vorbereitet werden können. Methodisch setzt Frau Lena Wingenfeld auf einen Mix aus Literaturanalyse und Experteninterviews und identifiziert durch eine sehr gute Gegenüberstellung von erfolgreichen Ansätzen anderer Branchen mit Veranstaltungstheorie und -praxis Lücken, die in künftigen Kommunikationskonzepten adressiert werden sollten. Dabei gelingt es ihr, die relevanten Handlungsfelder sehr lösungs- und praxisorientiert darzustellen und gleichzeitig eine Grundlage für weitere Forschungsarbeiten im Bereich der Risikokommunikation zu schaffen.
Hinweis der Redaktion: Der Artikel basiert auf Literatur und Quellen, die in der vollständigen Masterarbeit einzusehen sind und deren explizite Nennung für die Veröffentlichung im Magazin vernachlässigt wurde.
Ich denke aus Erfahrung, dass auch eine übersichtliche Wegfindung einen großen Sicherheitsfaktor darstellt. Ich plane mit meinem Team ein großes Event, wofür wir diesmal Sicherheitspersonal beauftragen. Hoffentlich finden wir die nächsten Tage die richtige Firma für uns. [Hinweis der Redaktion: URL entfernt]
Ich denke aus Erfahrung, dass auch eine übersichtliche Wegfindung einen großen Sicherheitsfaktor darstellt. Ich plane mit meinem Team ein großes Event, wofür wir diesmal Sicherheitspersonal beauftragen. Hoffentlich finden wir die nächsten Tage die richtige Firma für uns. [Hinweis der Redaktion: URL entfernt]