Round Table Talk: Was läuft bei vielen Messen falsch – und wie kann man es besser machen?
von Jörg Küster , Artikel aus dem Archiv
Drei Fachleute, vier Meinungen? Überraschende Übereinstimmungen zwischen drei praxiserfahrenen Experten traten bei einem anfänglich kontrovers geführten Round Table Talk zum Thema Exhibition Design zu Tage.
Im Frühjahr 2018 hat das vom FAMAB Kommunikationsverband e.V. und Vertretern der TU Chemnitz gegründete Research Institute for Exhibition and Live-Communication (R.I.F.E.L. e.V.) einen Trendbericht zum Thema Exhibition Design veröffentlicht. Die vollständige Studie ist unter „www.rifel-institut.de“ als PDF zum Download verfügbar; an dieser Stelle daher lediglich eine Minimalzusammenfassung zentraler Aussagen:
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Exhibition Design wird mehr und mehr als Gesamtkommunikationsaufgabe verstanden. Neben der räumlichen Gestaltung umfasst die Arbeit auch eine kommunikative Komponente, was mit dem Begriff „Kommunikationsarchitektur“ umschrieben wird. Kommunikationsziele und Markenidentität stehen im Fokus und sind Ausdruck unternehmerischer Transformationsprozesse.
Im Exhibition Design ist laut Aussage der Trendbericht-Verfasser ein grundlegender Wandel zu beobachten, welcher sich auf drei Ebenen vollzieht: Messen sind durch einen „neuen Realismus“ gekennzeichnet. Das Thema „Effizienz“ spielt sowohl im Hinblick auf die Umsetzung von Gestaltungskonzepten wie auch in der Kommunikation mit Besuchern eine zentrale Rolle. Die „Digitalisierung“ sowie die Möglichkeiten zur Analyse großer Datenmengen eröffnen neue Optionen bezüglich der Optimierung der Customer Journey. Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt dabei auf der Individualisierung von Informationen.
„Mediatektur statt Architektur“ benennt einen übergreifenden Trend. Die Formulierung bezeichnet eine mediale Inszenierung von Räumen, Formen und Informationen. Mediatektur steht an der Schnittstelle zwischen Raum und Technologie und beinhaltet den zielführenden Einsatz multimedialer Werkzeuge.
Um zu erfahren, wie praxiserfahrene Experten die Studie beurteilen und welche Aspekte rund um das Thema Exhibition Design sie aktuell bewegen, lud EVENT PARTNER zu einer Gesprächsrunde ein. An der angeregten Diskussion beteiligten sich Gerd Wutzler, Geschäftsführung der step one GmbH, Thomas von Treichel, Head of Department der dlp motive GmbH und Dirk Schmidt-Enzmann, Geschäftsführer der Media Spectrum GmbH & Co. KG. Wesentliche Gesprächsfäden des mehr als einstündigen Round Table Talks haben wir nachfolgend zusammengefasst.
Die Teilnehmer im Überblick
Gerd Wutzler
… beschäftigt sich seit rund 30 Jahren mit der Unternehmenskommunikation im Raum. Der Industrie- und Kommunikationsfachwirt gründete vor 18 Jahren die step one GmbH und folgt seither der Devise „Messebeteiligung braucht mehr als Messebau“.
Thomas von Treichel
… blickt auf umfangreiche Erfahrungen in den Bereichen Ton, Licht und Video zurück und kam in diesem Kontext vor vielen Jahren erstmals professionell mit dem Thema Messe in Berührung. Heute ist dlp motive im Messebereich nach seinen Worten „überwiegend Mitspieler von Agenturen“ und übersetzt kreative Ideen in technische Machbarkeit. Neben der klassischen Veranstaltungstechnik ist eine Spezialität von dlp motive, Kinetik und Sonderbauten gemäß Kundenwunsch in einer eigenen Stahl- und Aluminiumwerkstatt zu fertigen.
Dirk Schmidt-Enzmann
… hat Media Spectrum vor 35 Jahren gegründet und ist nach rockmusikalischen Anfängen seit langer Zeit vorrangig für Corporate-Kunden tätig. „Heute ist manche Messe mehr ein Event mit begleitendem Messebau“, stellt Schmidt-Enzmann fest und weist darauf hin, dass vormals getrennte Gewerke von Beschallung über Beleuchtung und Medientechnik bis hin zu Bühnen- und Messebau kontinuierlich zusammenwachsen.
Die oberste Liga und der große Rest
Dirk Schmidt-Enzmann: Über den Trendbericht habe ich mich während der Lektüre, salopp gesagt, ein wenig geärgert: Wenn man die Studie liest, gewinnt man den Eindruck, dass sich die Autoren auf eine Handvoll führender Messestände konzentriert haben – die Realität im deutschen Messewesen sieht bekanntermaßen vollkommen anders aus. Die Studie widmet sich aus meiner Sicht pauschal und viel zu ausgeprägt der obersten Messestandliga. Was aber bitteschön ist mit dem großen Rest? Im Trendbericht kommt überhaupt nicht zum Ausdruck, dass das Messeerlebnis viel mehr als die Messe selber ist. Es ist doch so, dass bei Besuchern oft lediglich das hängenbleibt, was im Gesamtzusammenhang am Schlechtesten für sie war: Der Stau bei der Anreise, die maßlos überteuerten Parkplätze und anderes mehr müssen vom Geschehen in der Messehalle dann erst einmal getoppt werden. Das geht vielleicht einigermaßen einfach, wenn emotional besetzte Güter wie etwa Flugzeuge, Landmaschinen, Schiffe oder große Baumaschinen ausgestellt werden; ganz anders sieht es jedoch aus, wenn tendenziell eher trockene Themen wie beispielsweise das Versicherungswesen Gegenstand der Ausstellung sind. Der Trendbericht fokussiert sich auf die schicken Messe-Großauftritte. Dabei ist es viel schwieriger, auf einer bescheidenen Fläche von 40 m² ein ansprechendes Messeerlebnis zu kreieren. Aus meiner Sicht spiegelt die Studie die vielschichtige Messelandschaft in Deutschland nicht wider.
Gerd Wutzler: Step one kämpft bereits seit 18 Jahren dafür, dass jeder Euro, der für eine Messe oder andere Kommunikationsmaßnahmen eingesetzt wird, ernstgenommen wird – egal ob der Stand nun 20 oder 2.000 m² umfasst. In unserem Kundenstamm ist die gesamte Unternehmensbandbreite von klein bis sehr groß vertreten. Der „Dialogprozess Messe“ hat nichts mit dem verfügbaren Budget zu tun!
Trend verpennt?
Wutzler: Häufig werden Trends technisch getrieben. Vor einiger Zeit etwa war es noch so, dass die Zahl der auf einem Stand installierten Flatscreens maßgeblich zu einer Bewertung als Top-Design beigetragen hat. Vor wenigen Jahren war es normal, dass Besucher B2B-Messen für zwei oder drei Tage besuchten. Diese Zeiten sind faktisch vorbei! Die Besucher kommen morgens, gehen abends und sind zum allergrößten Teil sehr gut vorbereitet – zum Schlendern und Schauen ist oft nicht mehr genügend Zeit vorhanden. Der Zufallsbesucher am Messestand wird zu einer aussterbenden Art.
Thomas von Treichel: Wenn das zuträfe, wäre es überspitzt formuliert ja eigentlich egal, wie der Stand aussieht. Ich benötige dann einen guten Kaffee, einen Tisch und vier Stühle – ob eine LED-Wand im Hintergrund hängt, interessiert den vorbereiteten Besucher ohnehin nicht. Persönlich denke ich, dass es auf Messen weiterhin genug potenzielle „Laufkundschaft“ gibt, die man mit einem gelungenen Messestanddesign abfangen sollte. Die zuvor angesprochenen Trends wie etwa Flatscreens sind als Ausstattungsmerkmale zu ihrer Zeit durchaus wichtig, weil sie von Besuchern zumindest am Rande wahrgenommen werden. Wenn von acht Ausstellern sieben auf ihren Ständen LED-Flächen einsetzen, kann leicht der Eindruck entstehen, dass der Aussteller ohne LED-Anzeigen den Trend verschlafen hat oder kein Geld ausgeben will. Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, dass der Verzicht ganz bewusst als Gestaltungsmerkmal ausgespielt wird.
Digitalisierung und Big-Brother-Effekt
Wutzler: Wir sollten generell sensibler mit unserer Aufgabe als Dienstleister umgehen. Unsere Kundschaft wird nach meinem Dafürhalten künftig immer stärker einfordern, das Thema Messe nicht „wie immer“ anzugehen. Wir alle wissen, dass die wertvollsten Unternehmen der Welt nicht über ihre Produkte, sondern in erster Linie als Marken wahrgenommen werden. Die Darstellung der DNA eines Unternehmens auf einer Messe ist daher extrem wichtig. Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran, und dennoch ist es hierzulande oft noch so, dass auf Messen Leads nicht digital aufgenommen werden – stattdessen gehen mehr oder weniger gut lesbare Papierdokumente erst einmal in eine Ablage und werden dann nach drei Wochen bearbeitet. Aus meiner Sicht ist ein Lead, der nicht in maximal fünf Tagen bearbeitet ist, nichts mehr wert! Als Dienstleister müssen wir unsere Kunden bezüglich solcher Prozesse viel früher abholen und ihnen existierende Optionen sowie Möglichkeiten aufzeigen. Es liegt auf der Hand, dass eine digitale Aufnahme von Leads schneller, besser und vertriebsorientierter ist.
Schmidt-Enzmann: Anfang des Jahres war ich auf der ISE in Amsterdam, und da in den Niederlanden der Datenschutz vollkommen anders gehandhabt wird als in Deutschland, wurde beim Betreten eines Standes zunächst meine mit einem Barcode versehene Besucherkarte gescannt. Kurz darauf hat mich mein mir zuvor unbekannter Gesprächspartner mit meinem Namen begrüßt, und er kannte auch meine Funktion sowie die Tätigkeitsbereiche meines Unternehmens. Im ersten Moment war ich ein wenig perplex und fühlte mich wie bei „Versteckte Kamera“, bis ich entdeckt habe, dass sich hinter meinem Rücken ein Bildschirm befand, auf dem alle für meinen Gesprächspartner relevanten Informationen angezeigt wurden. Als ich am Abend nach Hause kam, befand sich bereits eine Mail in meinem Postfach, in der unter anderem für das nette Gespräch gedankt wurde. Man mag an dieser Stelle über den Big-Brother-Effekt diskutieren, aber eigentlich ist das eine tolle Nummer!
Von Treichel: In den USA ist eine solche Vorgehensweise ebenfalls gang und gäbe, wie ich kürzlich auf der LDI Show in Las Vegas feststellen konnte.
Schmidt-Enzmann: Es scheint, dass andere Länder Deutschland in dieser Hinsicht inzwischen überholt haben.
Wutzler: Was daran liegen mag, dass wir uns in Deutschland manchmal mit der Bürokratie selber im Wege stehen und der Fokus viel zu oft auf reine Sachaspekte gerichtet wird. Wir diskutieren bei der Konzeptarbeit über Teppiche, Strahler und Einfahrtgenehmigungen, wobei die eigentlichen Messeziele des Unternehmens sowie die Erwartungshaltung der Besucher ins Hintertreffen geraten. Wenn ich bei Amazon etwas bestelle, möchte ich, dass es am nächsten Tag geliefert wird – das ist eine konditionierte Erwartungshaltung, die inzwischen weit verbreitet ist. Als Aussteller auf einer Messe kann man sich gegenüber einem solchen Sachverhalt nicht verschließen.
Stolz statt Systembude
Wutzler: Dienstleister und Aussteller leben derzeit vielfach noch in zwei Komfortzonen, müssen sich nun aber endlich auf Augenhöhe aufeinander zu bewegen. Wenn wir Kunden zu ihren Messezielen befragen, erhalten wir vielfach Antworten, die mir befremdlich erscheinen. Jeder weiß, dass wir in Deutschland mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen haben, aber suchen Sie doch einmal einen Messestand, der diesen Umstand im Sinne des suchenden Unternehmens wirklich widerspiegelt! Eine Messe ist eigentlich ein hervorragender Ort, um neue Mitarbeiter zu finden, und man sollte sein Unternehmen derart positionieren, dass Stolz der Brückenschlag ist: Der Aussteller sollte stolz darauf sein, wie er sich zeigt, und der potenzielle Interessent sollte stolz darauf sein, möglicherweise im ausstellenden Unternehmen arbeiten zu können – so etwas geht natürlich nicht mit einer von der Messe gestellten Systembude für kleinstes Geld!
Schmidt-Enzmann: Es ist allerdings auch so, dass viele Messen genau das vorgeben und wir uns fragen müssen, welchen Spielraum wir als Dienstleister dann überhaupt haben. Ich komme gerade von einer regionalen Messe, bei der über 90% der Auftritte in Octanorm-Systembauweise mit 4×4, 6×6 oder 8×8 Meter Grundfläche errichtet worden waren – die Aussteller mussten sich zwangsläufig irgendwie damit arrangieren. Eigentlich müsste es hier einen Aufschrei der Kunden geben, die bekanntermaßen ja sehr viel Geld für ihre Messeauftritte ausgeben.
Wutzler: In Deutschland haben wir oft eine Top-down-Betrachtung: Auf der einen Seite schauen die Kunden auf uns als Dienstleister herab, auf der anderen Seite blicken die Messeveranstalter auf uns herunter und verlangen, dass wir machen, was sie uns sagen. Diese Zeiten sind vorbei! Wenn wir über Budgets sprechen, wird häufig nur über das unsere Dienstleistung betreffende Drittel geredet. Mit step one sind wir ausdrücklich darauf bedacht, eine Vollkostenbetrachtung durchzuführen – man spricht dann plötzlich nicht mehr über 50.000 Euro, sondern über 150.000 Euro für eine Messebeteiligung. Gebetsmühlenartig weisen wir darauf hin, dass Kommunikation Chefsache ist! Es geht dann auch um das Wording: Wird eine Messebeteiligung als Investition in Marke und Zukunft verstanden, oder ist sie wieder nur eine lästige Ausgabe, von welcher der Chef genervt ist? Es ist unser Ziel, alle Verantwortlichen zusammenzubekommen, die Vorteile einer übergreifenden Zusammenarbeit herauszustellen und die Messe letztlich wieder zu einem Erlebnis zu machen.
Dienstleister als „Dialogarchitekten“
Wutzler: Was in vorbereitenden Gesprächen nicht selten komplett unter den Tisch fällt, ist der Aktivierungsprozess für die Zielgruppe im Vorfeld einer Messe. Ich behaupte, dass man bereits vor einer Messe wissen kann, ob sie erfolgreich werden wird oder nicht.
Schmidt-Enzmann: Es wird gerne vergessen, dass die Messe nur ein Baustein aus dem Gesamtpaket möglicher Marketingmaßnahmen ist. Mitunter gewinnt man den Eindruck, dass in einigen Unternehmen die Verantwortlichen für den Messeauftritt und das Marketing ohne nennenswerte Schnittmengen existieren.
Wutzler: Ich denke, dass viele Kunden künftig erwarten werden, dass wir als Dienstleister zu „Dialogarchitekten“ werden, welche ihnen vorhandene Möglichkeiten sowie potenziell erfolgreiche Verfahrensweisen aufzeigen. Es muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass wir als Dienstleister benötigt – und auch bezahlt! – werden. Das Ergebnis einer erfolgreichen Konzeptarbeit ist mehr als nur ein schön gestalteter Messestand. Entscheidend für die Wirkung sind eine Darstellung der Unternehmenswerte sowie die Dialogfähigkeit. Man sollte sich stets fragen, wie sich ein Messeauftritt im Vorfeld aktivieren und auch im Nachhinein noch sinnvoll nutzen lässt.
(Bild: Jörg Küster)
Qualität versus Quantität
Wutzler: Wir müssen als Dienstleister künftig noch sensibler mit der jeweiligen Veranstaltungsform umgehen und genauestens eruieren, um welche Art von Messe es sich handelt. Wir müssen stärker differenzieren und nicht mehr, wie gehabt, unter dem Motto „Messe – Konzept – fertig“ verfahren.
Schmidt-Enzmann: Ich möchte das Beispiel einer Messe anführen, die früher vier Tage dauerte und samstags wie sonntags von einer großen Show begleitet wurde. Die Show hat dazu geführt, dass die Messe am Wochenende von Familien besucht wurde, welche für die Aussteller allerdings nicht als Kunden infrage kamen. Die Messeleitung hat irgendwann auf Ausstellerwünsche reagiert, das Zeitfenster verschoben und die Show weggelassen. Anschließend wurden weniger Besucher gezählt, welche allerdings von deutlich höherer Qualität waren.
Von Treichel: Man sollte in einem solchen Zusammenhang nicht vergessen, dass der kleine Junge, der vielleicht über den Familienbesuch einer Show mit der Messe in Kontakt kommt, in 15 Jahren eventuell als Einkäufer eines Konzerns tätig ist und sich an sein erstes Messeerlebnis erinnert. Man muss aufpassen, dass bei rechnerischen Bewertungen die Qualität der Besucher nicht nur relativ zur früheren Gesamtbesucherzahl steigt, in Summe aber eigentlich gleichgeblieben ist.
Schmidt-Enzmann: Wichtig beim Fokus auf Besucherqualität ist die zusätzliche Zeit, welche zur Verfügung steht, um sich am Messestand um die wichtigen Gäste zu kümmern.
Über Rummelplätze und Silo-Denken
Wutzler: Eine Messe wie die CeBIT ist mir durch die unglaublich intensive mediale Bespielung als eine Art Rummelplatz im Gedächtnis geblieben. Es hat beim Besuch sozusagen überall heftig gezischt und geknallt, aber wenn ich mich anschließend gefragt habe, was ich inmitten der ganzen Reizüberflutung an relevanten Informationen mitgenommen habe, blieb meist wenig übrig.
Von Treichel: Früher war die CeBIT produktgetrieben, was sich mittlerweile überlebt hat: Details zu neuen Produkten lassen sich heute bereits lange vor einer Messe im Netz in Erfahrung bringen – für Informationen über Neuheiten muss ich mich also nicht mehr auf eine Messe begeben. Wenn ich heute als Besucher auf die CeBIT fahre, möchte ich mit qualifizierten Fachleuten sprechen oder Kontakte pflegen. Alternativ möchte ich den Besuch einer Messe vielleicht als Erlebnis mitnehmen, welches mir dann allerdings auch in Form toller Stände oder mitreißender Shows geboten werden sollte. Eventuell nehme ich dann nur den Marketingeindruck eines bestimmten Ausstellers mit nach Hause.
Wutzler: Wenn ich den Verlauf unseres Gesprächs betrachte, denke ich inzwischen, dass wir prinzipiell alle einer Meinung sind. Man kann heute einfach nicht mehr sagen, dass alle Veranstaltungen gleich sind. Kernthemen sind Sichtbarkeit und Sensibilität. Wie ist mit dem Medium und der Investition umzugehen, und wie wird das alles in den Gesamtkommunikationsprozess eingebunden? Am Ende des Tages erreichen wir stets hervorragende Ergebnisse, wenn wir mit Unternehmen Kick-offs veranstalten, bei denen Marketing, Vertrieb, Geschäftsführung und IT zusammenkommen. Das Silo-Denken muss aufhören – wenn ein gesamtheitlicher Auftritt angestrebt wird, muss für die Messe im Unternehmen auch ein gesamtheitliches Briefing erfolgen!
Von Treichel: Das ist leider oft eine Wunschvorstellung: Es erweist sich nicht selten doch schon als schwierig, das Marketing und die Messeverantwortlichen gemeinsam an einen Tisch zu bekommen.
Wutzler: Das ist eine ganz wichtige Botschaft: Wenn unsere Kunden ihr Geld nicht weiterhin mit der Schaufel aus dem Fenster schippen wollen, muss eine derartige Kommunikation in ihrem Interesse sein.
Von Treichel: Das Silo-Denken ist nicht nur teuer, sondern Kunden berauben sich damit auch vieler Optionen: Wenn jemand erst ganz kurz vor einer Messe bei uns anruft, können wir bei bestem Gestaltungswillen nur noch ein bestimmtes Konzept für einen bestimmten Preis anbieten.
Alle an einem Tisch
Wutzler: Ein Kick-off mit allen Beteiligten ist ohne Frage sinnvoll. Wenn das funktioniert, laufen die Messeaktivitäten meist hervorragend und es kommt auch nicht mehr vor, dass bei mehreren, im Laufe eines Jahres anberaumten Messen aktionistisch von Veranstaltung zu Veranstaltung gehüpft wird. Im Idealfall entsteht ein Fahrplan für die kommenden zwei oder drei Jahre. Zum Glück stößt ein solcher Ansatz in Unternehmen zunehmend auf offene Ohren. Man muss mit uns als Dienstleistern auch über Unternehmens- und Umsatzziele sprechen, damit wir Letztere durch unsere Arbeit interpretieren können. Dieser Dialogprozess ist sowohl für große als auch für kleine Unternehmen erforderlich, gleichermaßen national wie international. Wir reden alle seit vielen Jahren über die Globalisierung, aber welches Unternehmen hat seine Kommunikationsstrategie denn wirklich global ausgerichtet?
Von Treichel: Das bekommt man ja oft noch nicht einmal innerhalb Europas hin.
Schmidt-Enzmann: Dabei ist es de facto so, dass sich etwas, das in Deutschland gut funktioniert, nicht einfach eins zu eins auf andere Länder übertragen lässt – das gilt sogar für geografisch direkt angrenzende Staaten. Dennoch wäre es schön, wenn sich die für unterschiedliche europäische Länder zuständigen Marketingspezialisten eines Unternehmens öfter einmal gemeinsam an einen Tisch setzen würden. Das könnte helfen, Ressourcen und Kosten zu sparen. Insbesondere in großen Konzernen passiert das viel zu selten, während es in kleineren Strukturen inzwischen erfreulicherweise häufiger vorkommt.
(Bild: Jörg Küster)
Weniger ist (manchmal) mehr
Schmidt-Enzmann: Im Verlauf des Gesprächs habe ich festgestellt, dass sich die Beteiligten, die heute hier am Tisch sitzen, wesentlich ähnlicher sind, als ich zu Beginn der Runde angenommen habe – und zwar deshalb, weil wir alle aus der Praxis kommen. Eine reine Agentur sieht vieles ein wenig anders, und wir haben inzwischen Kunden, die nur noch bedingt mit Agenturen arbeiten, weil sie von diesen dauernd zu Modifikationen gedrängt werden, welche sich Ausstellern wie Messebesuchern nicht immer erschließen. Das ist jetzt vielleicht ein wenig pauschal – selbstverständlich gibt es auch viele gute und äußerst engagierte Agenturen.
Wutzler: Es soll vorkommen, dass Konzepte von Agenturen für den eigenen Award geschrieben werden, was deren Kunde dann auch noch bezahlen muss. Insofern kann ich die Aussage von Dirk Schmidt-Enzmann auf ganzer Linie nachvollziehen. Wir denken mit step one überhaupt nicht in Ressourcen – wenn ich ein Buch schreiben möchte, suche ich ja auch nicht erst das Cover aus und bestelle dann prophylaktisch schon einmal 500 leere Seiten. Obwohl wir als Dienstleister unser Geld mit Messeauftritten verdienen, haben wir einzelnen Kunden in der Vergangenheit bereits dazu geraten, auf bestimmten Messen nicht dabei zu sein oder die Standfläche zu reduzieren. Vorab erfolgte in diesen Zusammenhängen stets eine Erhebung, dank welcher sich recht genau umreißen ließ, was mit der Messepräsenz ausgesagt werden soll und was dafür benötigt wird – mit dem Ergebnis, dass sich die Botschaft mitunter auch bei einer um die Hälfte reduzierten Standfläche einschränkungslos vermitteln lässt. Unter Vollkostenbetrachtung können mit einer solchen Vorgehensweise erhebliche Summen gespart werden, ohne die gewünschte Wirkung zu schmälern. Im Idealfall wirkt eine Messe ja nicht nur während ihrer eigentlichen Dauer, sondern an 365 Tagen im Jahr – das muss das Ziel sein! Wir müssen unseren Kunden und anderen Dienstleistern die Angst nehmen, einmal ganz anders als üblich zu denken.
Von Treichel: Es geht nicht nur darum, eventuell vorhandene Ängste abzubauen, sondern auch darum, den Kunden Optionen an die Hand zu geben. Als erfahrener Dienstleister wissen wir sehr gut, was man alles machen kann. Es reicht schlichtweg nicht, vier Wochen vor Messebeginn in der Mail-Signatur auf die bevorstehende Veranstaltung hinzuweisen und dann zwei Wochen vor dem Event einen entsprechenden Vermerk auf die Rechnungen zu drucken.
„Ein iPad ersetzt kein Gespräch!“
Wutzler: Mir sind große Unternehmen mit Milliardenumsätzen bekannt, in denen der Vertrieb im Leadmanagement noch mit Excel arbeitet. Alleine der Schritt zu einem einfachen CRM ist für viele schon eine Hürde, da dem einzelnen Vertriebler, der in seiner Historie ja durchaus erfolgreich war, gefühlt etwas weggenommen wird. Das hat häufig auch etwas mit Bestandswahrung zu tun, frei nach dem Motto, dass das „doch immer schon so gewesen“ sei.
Schmidt-Enzmann: Ich denke, dass in den vergangenen Jahren mit den Möglichkeiten der Technik vielfach falsche Wege beschritten wurden. Ich erinnere mich an Jahre, in denen auf Messen allerorts iPads zu finden waren und überall fleißig über zahllose Screens gewischt wurde. Bei einem Großteil unserer Kunden ist diese Tendenz inzwischen rückläufig: Man hat festgestellt, dass es eben nicht so ist, dass sich ein Kunde über ein Touchpanel selbstständig alle gewünschten Informationen holt und dabei möglichst gleich noch seine Kontaktdaten aktualisiert. Es ist falsch, den Kunden alleine zu lassen – man muss ihm am Messestand einen Menschen zur Seite stellen, der moderierend eingreifen kann. Ich nehme wahr, dass es inzwischen vielfach einen Trend zurück zu den Basics gibt: Die gute Tasse Kaffee in einer einigermaßen ruhigen Atmosphäre ist manchmal viel mehr wert als die große Show! Man muss sich einfach einmal anschauen, wie viel Geld und Arbeit in technische Spielereien gesteckt wird und für welche Zeiträume diese dann auf der Messe wirklich intensiv genutzt werden. Ein iPad ersetzt kein Gespräch!
Wutzler: Technische Aktualität ist sicher nicht der Allheilbringer für eine gute Messestandgestaltung.
Von Treichel: Am Ende ist ein Messeauftritt immer nur ein Werkzeug, und ein Werkzeug ohne Menschen funktioniert nicht! Außerdem ist es so, dass Kunden mit Fragen auf Messen kommen, die sich eben nicht über eine Website oder mithilfe digitaler Unterlagen klären lassen.
Abschließende Statements
Schmidt-Enzmann: Was im Trendbericht der TU Chemnitz steht, ist nicht falsch – beleuchtet wird allerdings lediglich die hübsch anzuschauende Spitze des Eisbergs. Messen sind weiterhin wichtig, aber es wäre schön, wenn Messegesellschaften mehr Wert darauf legen würden, wie sich das Drumherum einer Messe gestaltet: Menschenschlangen, die im Regen am Eingang ohne Vordach warten, sind ebenso kontraproduktiv wie ungereinigte Toiletten oder nicht vorhandene beziehungsweise überteuerte Parkplätze. Als Dienstleister können wir an diesen Umständen nichts ändern, aber unsere Kunden haben die Möglichkeit, die Messegesellschaften mit Nachdruck auf solche Aspekte hinzuweisen. Messen sollen schließlich ein positives Gesamterlebnis sein.
Von Treichel: Messen sind ein wichtiger Baustein in der Gesamtkommunikation von Unternehmen. Alle Verantwortlichen und Beteiligten sollten mehr darüber reden, was mit einem Messeauftritt erreicht werden soll. Nur dann werden Messen als Veranstaltungsform auch weiterhin erfolgreich sein.
Wutzler: Ganz klar ist: Messen sind wichtiger denn je, allerdings müssen sie nicht mehr mit dem großen haptischen Aufwand früherer Jahre angegangen werden.