In der Eventbranche wird das gebotene Erlebnis immer wichtiger. Der Trend Gamification ist in aller Munde. Wie die Spielbarmachung das Standdesign auf B2B-Messen beeinflussen wird, hat Lynn Westenberger in ihrer Bachelorarbeit anhand einer Szenario-Analyse ins Jahr 2030 untersucht.
(Bild: Shutterstock / TeraVector)
[Anmerkung der Redaktion: Der Artikel stammt von Oktober 2020]
Die Veranstaltungsbranche befindet sich in einem stetigen Wandel. Während sie von aktuellen Trends in der Gesellschaft abhängig ist, agiert sie gleichermaßen als Treiber derer und bringt ein hohes Maß an Innovation, Kreativität und Zukunftsvision mit sich. Insbesondere das traditionsreiche Messewesen mit rund 16 Millionen Besuchenden jährlich lebt in dieser Dualität. Vor allem B2B-Messen leiden aktuell an einem Behauptungsdruck, um im immer globaler und digitaler agierenden Umfeld den Wünschen und Anforderungen ihrer Kundschaft gerecht zu werden. Eine von Trends wie Nachhaltigkeit, Globalisierung, Emotionalisierung und Digitalisierung stark beeinflusste Neuausrichtung des Formats steht bevor.
Soll sich das Messewesen zukunftsfähig am Markt halten, so müssen Veranstaltende sowie Ausstellende kommende Entwicklungen antizipieren und daraus Strategien entwickeln, die den Fokus auf den Menschen als Rezipienten legen. Das Know-how der Anbietenden wird auch in Zukunft ein zentraler Aspekt sein. Jedoch ist es die Art und Weise der Vermittlung von Informationen, die die Annahme des Angebotes bestimmen wird. Die Messe könnte sich so von einer Plattform für geschäftliche Vertragsbearbeitung und Produktsuche zu einem reinen Kommunikationsforum von Mensch zu Mensch wandeln.
Begriffserklärungen Gamification
Nutzung von Game-Elementen im Kontext von nicht spielerischen Handlungen Verbesserung einer Dienstleistung mit Blick auf das Nutzenden-Erlebnis Erweiterung von Systemen um Spielelemente zur Steigerung von Motivation und Produktivität
Digitale und emotionale Kommunikation werden Hauptgestaltungsfaktoren
Diese Anpassung an Trends wird sich vor allem in einer Revolution des Standdesigns widerspiegeln. Die heute noch oftmals aufwändige Architektur der Stände wird zukünftig von digitaler und emotionaler Kommunikation in den Hintergrund gedrängt oder gar aufgelöst. Räume und Umgebungen werden nicht mehr bloß begehbar, sondern zunehmend erlebbarer und durch die Besuchenden veränderbar sein. Das richtige Design hilft Messeständen dabei, eine mit allen Sinnen erlebbare Visitenkarte der ausstellenden Unternehmen zu bleiben. Die Gäste sollen sich willkommen fühlen in einer speziell auf das Individuum angepassten Erlebniswelt. Diese will sowohl Geist als auch Herz ansprechen und wird zukünftig um virtuelle Angebote, die eine tiefere emotionale Gestaltung ermöglichen, erweitert werden. Insbesondere VR- und AR-Anwendungen werden dabei helfen, die Standgäste auf kognitiver, konativer und affektiver Ebene zu erreichen und sie das Erlebte dadurch nachhaltig verinnerlichen zu lassen.
An diesem Punkt setzt der Trend Gamification an. Mit Hilfe von geschicktem Storytelling gespickt mit individuellen Wahlmöglichkeiten wird das Interesse der Spielenden geweckt und gebunden. So können Markenbotschaften unterschwellig kommuniziert und Produkte gezielt beworben werden. Am häufigsten kommen die Spielelemente der Belohnung und des Wettbewerbs zum Einsatz, was den angeborenen Spieltrieb weckt und Personen so zur freiwilligen Teilnahme verleitet. Die Beziehung, die Spielende mit dem Spiel eingehen, wird auch auf ihre Beziehung mit dem bereitstellenden Unternehmen übertragen. Die Abstimmung auf die anzusprechende Zielgruppe ist daher besonders wichtig und verhilft zudem dazu, die Spielanwendung nicht nur spielbar, sondern auch unterhaltsam zu machen. In den nächsten Jahren werden sich Firmen damit konfrontiert sehen, dass Endverbrauchende immer stärker in die Entwicklung und Gestaltung neuer Produkte eingreifen möchten. Gamification kann dabei helfen, diesem Wunsch auf erlebnisorientierte Weise nachzukommen.
Projektion von aktuellen Ereignissen und Trendverhalten
Um den Einfluss der Gamification auf die zukünftige Standgestaltung ermitteln zu können, wurde basierend auf Literaturquellen eine Szenario-Analyse durchgeführt. Dieses Planungsmittel zieht seine Ergebnisse aus der Projektion von aktuellen Ereignissen und Trendverhalten. Ziel ist es, mehrere mögliche Bilder der Zukunft zu erzeugen und dadurch flexibel auf eine sich beständig wandelnde Situation eingehen zu können. Die dafür nötigen Schritte sind für diesen Artikel stark zusammengefasst worden.
Aus der vorliegenden Literatur wurden Schlüsselfaktoren der Entwicklung im Standdesign von B2B-Messen ausgewertet und aus den prägnantesten Elementen (siehe Häufigkeitsdiagramm) Zukunftsbilder erstellt. Diese Projektionen, auch Rohszenarien genannt, ergeben, in Kombination mit dem Trend der Gamification, die drei entstandenen Szenarien für das Jahr 2030.
(Bild: Grafik nach Lynn Westenberger)
Szenario 1: Social Media und Individualisierung
Das Szenario 1 basiert auf einem Rohszenario, das B2B-Messen als reale Treffpunkte von Online-Communitys sieht und in dem das Standdesign die Verschmelzung von Beruf und Freizeit sowie digitaler und künstlerischer Gestaltung aufzeigt. Die Gesellschaft wird darin beschrieben als digital zurückhaltend im Privaten aus Angst vor Datenraub, im Arbeitsumfeld jedoch schnelllebig und offen agierend über berufliche Social Media.
Für B2B-Messen bedeutet dies, dass Stände von Unternehmen mit hoher Social-Media-Präsenz und starkem Ranking in Bewertungsportalen am beliebtesten sind. Internationale Konzerne nutzen Gamification-Anwendungen ganzjährig, um ihren Online-Traffic zu erhöhen und vergeben Punkte für verschiedene Aufgaben, welche an ihren Messeständen für Prämien (von Give-away bis VIP-Lounge-Zutritt) eingetauscht werden können.
Dennoch wird im Standdesign darauf geachtet, die private Skepsis der Überdigitalisierung zu umspielen. Komplette VR-Räume, die ohne Nutzung von Brillen die Besuchenden in eine virtuelle Welt entführen, sind keine Seltenheit mehr. Auch in diesen sind gamifizierte Elemente zu finden. So können Gäste beispielsweise neue Produkte virtuell individualisieren, die Ergebnisse per Social Media von Interessierten auch außerhalb der Messehallen bewerten lassen und täglich um Preise in verschiedenen Kategorien kämpfen.
Das Standdesign muss für diese Anwendungen angepasst werden. Zum einen mit Portalen zum Einlesen der eigenen Punkte, Bildschirmen der aktuellen Prämien und Kosten sowie Möglichkeiten, die es erlauben, Punkte zu sammeln oder zu handeln. Zum anderen mit VR-Räumen, Projektionsflächen zur Ausstellung der von Kunden adaptierten Produkte sowie dem Live-Ranking dieser und einer Bühne zur Vergabe von Preisen. Diese Änderungen sollten unterschwellig in das allgemeine Standdesign integriert werden.
Szenario 2: Digitalisierung und Nachhaltigkeit
Das Zukunftsbild, das die Grundlage für Szenario 2 schafft, wird stark von den Trends „Digitalisierung“ und „Nachhaltigkeit“ beeinflusst. Dank erfolgreichem Implementieren von Mikrochips in menschliche Fingerspitzen im Jahr 2025 hat die digitale Interaktion einen Aufschwung erhalten. Gleichzeitig wurde das Messewesen mit starken Restriktionen belegt, die unnötiger Verschwendung entgegenwirken sollen. Zudem fordern Besuchende immer häufiger analoge Kommunikation und Outdoor-Erfahrungen. Der Wandel zu ressourcenschonenden, oftmals analogen Freigeländemessen bringt wieder größere Publikumszahlen und lässt alle Beteiligten positiv in die Zukunft blicken.
Im Rahmen dieser Entwicklungen ist eine neue Networking-App entstanden. Sie bietet Gästen mit Mikrochips in den Fingerspitzen einen gamifizierten Eisbrecher. Spielende werden animiert, den Austausch mit anderen Personen zu suchen und mit diesen eine vorgegebene Abfolge von Fingerbewegungen (ähnlich den Schulhof-Klatschspielen) durchzuführen. Die App zeichnet Bewegung und Partner auf und vergibt Punkte basierend auf dem Schwierigkeitsgrad der Abfolge.
Immer mehr Unternehmen bieten spezielle Meetingzonen für App-Nutzende, da Umfragen zeigen, dass Unternehmensinformationen, die in der Nähe dieser angebracht werden, eine 60% höhere Betrachtungsquote erhalten. Um aktiver mit Kunden in Kontakt zu treten, greifen Ausstellende auf das kostenpflichtige Angebot der App zurück und verbergen einen sogenannten „Beacon“ unter den Spielenden im eigenen Personal. Gäste des Standes erhalten die doppelte Punktzahl für eine Interaktion mit diesen und sind dadurch offener für die Message des Unternehmens, die dank des spielerischen Aspektes gleichzeitig länger im Gedächtnis bleibt.
Bei der Gestaltung des Standes mit Bezug auf diese gamifizierte App muss auf eine aussagekräftige Fernwirkung geachtet werden, um Nutzende an den Stand zu locken. Gleichzeitig sollten Informationsmedien an den Meetingpoints platziert und mit Hilfe einer geschickten Zonierung weiteres Interesse geweckt werden. Eine rotierende Positionierung des Standpersonals kann dazu verhelfen, dass sich Gäste auf der Suche nach dem „Beacon“ tiefer mit dem Stand selbst auseinandersetzen. All diese Adaptionen sind mit geringem Ressourcenaufwand und zudem im Freien möglich.
Szenario 3: Technologieskepsis und Analogie
Das in diesem Fall zugrundeliegende Rohszenario zeichnet ein Bild des Jahres 2030, in dem sich im beruflichen Kontext auf analoge Optionen berufen wird. In allen Ebenen der Gesellschaft herrscht seit mehreren Jahren Skepsis gegenüber Technologien, die geschäftliche Daten auswerten können. In Deutschland befindet sich die regionale und vor allem analoge Verkaufsmesse mit persönlichem Kontakt und der Fokussierung auf faire und nachhaltige Produktion auf dem Vormarsch. Besonders der geringe Erlebnisstress im Rahmen dieses Formats wird von den Teilnehmenden geschätzt. Spielereien gehören ins Privatleben und werden im beruflichen Kontext missbilligt.
Einige Unternehmen nutzen jedoch geschickt die Geschichte der eigenen Entstehung und der Herstellung des von ihnen vertriebenen Produktes, um mit dieser Storyline Besuchende an den Stand zu locken. Durch interaktive Inhalte wird das Interesse der Gäste geweckt und mit unterschwelliger Hilfe spielerischer Elemente Informationen übermittelt. Die Generierung von Wissen überwiegt dabei den Spaßfaktor, da Gamification lediglich zur Lernunterstützung eingesetzt wird.
Im Sinne der offenen Gesellschaft bieten einige Ausstellende an den Ständen zusätzlich Kurse in ihrem Handwerk an. Bei erfolgreicher Teilnahme belohnen sie die Teilnehmenden mit Rabatten auf Dienstleistungen und Waren. Im Gegenzug sind Besuchende gewillt, im Rahmen von Crowdsourcing-Projekten den Ausstellenden bei der Lösung von Problemen behilflich zu sein. Mit Teamaufgaben und Rätselfragen bereiten die Unternehmen ihre Fragestellungen auf und gewinnen auf diese Weise kundschaftnahe, neue Ideen. Aufgrund der Angst vor digitalen Anwendungen greifen alle Anbietenden lieber auf analoge Methoden zurück – auch im Bereich Gamification.
Das Standdesign passt sich den Bedürfnissen der Ausstellenden und Besuchenden gleichermaßen an. Rein analoge Stände locken durch Farben und außergewöhnliche Architektur. Der Fokus liegt auf der Vermittlung von Informationen und dem gemeinsamen Austausch, wobei gamifizierte Anwendungen zwar in geringem Umfang zum Einsatz kommen, die Gestaltung der B2B-Messestände aber kaum beeinflussen. Unternehmen legen vermehrt Wert darauf, ihrer Community Raum für gemeinschaftliche Problemlösung und integrative Workshops zu bieten. Beliebt sind Messen im Stil von weitläufigen Marktplätzen, bei denen Ausstellende gemeinsam eine kohärente Atmosphäre kreieren.
Messewesen gerät ins Straucheln
Alle drei Szenarien zeigen, dass Gamification in vielen verschiedenen Umgebungen und Situationen erfolgreich zum Einsatz kommen kann. Eine starke Auswirkung auf das Standdesign kann jedoch nicht deutlich festgestellt werden. Größere Änderungen sind durch allgemeinere Trends zu erwarten. Für Unternehmen bietet Gamification jedoch eine Möglichkeit, die Wünsche der Gäste und den eigenen Drang der Selbstdarstellung und Informationsvermittlung attraktiv zu verbinden.
Mit Blick auf die aktuelle globale Situation können weitreichende Veränderungen im Messewesen erwartet werden. Strenge Gesundheitsvorschriften und Unsicherheiten in den Zielgruppen sind absehbar, was der Begegnungsform der Messe einen langfristigen Dämpfer verpassen wird. Unternehmen werden mehr und mehr auf digitale Möglichkeiten zurückgreifen und bei erfolgreicher Umsetzung dieser nur zögerlich zu teuren Messeformaten zurückkehren. Messegesellschaften könnten ihr Angebot um digitale Plattformen erweitern und ihrer Kundschaft so eine virtuelle Ausstellungsebene bieten. Auch hier kann gamifizierter Inhalt dafür sorgen, mehr Interesse zu generieren und Besuchende sowie Ausstellende zu locken.
Bewertung der Professur:
Nichts ist so beständig wie der Wandel. Heraklit von Ephesus, der vor rund 2.500 Jahren geboren worden sein soll, hat uns diese inzwischen vielzitierte Weisheit hinterlassen. Lynn Westenberger hat den Wandel in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gerückt. Ihre Arbeit diskutiert die Möglichkeiten zur Gestaltung von Zukunft und gibt Antworten auf die Frage, wie der Trend zur Gamification für die Gestaltung von Messeständen auf B2B-Messen genutzt werden kann. Methodisch hat sie sich dabei der anspruchsvollen Szenario-Analyse als Instrument bedient. Das liest sich nicht nur spannend. Vor allem bietet es allen Lesenden die Möglichkeit, selbst Bewertungen vorzunehmen und gegebenenfalls eigene Wege zur Gestaltung der Messezukunft zu entdecken und zu verfolgen.
Prof. Dr. Gernot Gehrke, Abt. Information und Kommunikation der Fak. III IK, Hochschule Hannover
Über die Autorin:
(Bild: Lynn Westenberger)
Lynn Westenberger (30 Jahre) wuchs im Rhein-Main-Gebiet auf. Nach einer anfänglichen Karriere im Maschinenbau entschied sie sich für Kommunikation und Kreativität statt Metall und Mathematik. Ihren Bachelorabschluss im Veranstaltungsmanagement erwarb sie 2020 an der Hochschule Hannover. Mit einer Stelle bei der innovativen Event- und Marketingagentur Script&Tell GmbH in Aussicht, gönnte sie sich nach bestandenen Prüfungen einen Urlaub in Neuseeland. Lynn Westenberger freut sich auf neue Herausforderungen und das Umsetzen nachhaltiger Erlebnisse.
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