Virtualität und Inszenierung: die neue Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund
von Andreas Schäfer,
Das Theater als kreative Zelle für künftige Inszenierungen auch in der Live-Kommunikation? In den vergangenen Jahren gab eher der technische Fortschritt auch den künstlerischen Ton an. Doch das könnte sich jetzt wieder ändern, wie die neue Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund zeigen will.
Seit Frank Castorfs Videoeinsatz in seinen Regiearbeiten ist diese Technik aus keinem Theater mehr wegzudenken. In der Volksbühne Berlin war sie Avantgarde, inzwischen ist sie Mainstream. Zwanzig Jahre später geht die Akademie für Thea-ter und Digitalität in Dortmund den nächsten Schritt und erforscht die Möglichkeiten der Digitalität und der Inszenierung. Das wird auch Auswirkungen auf die Live-Kommunikation haben. Mit der üblichen Verzögerung zwischen reiner und angewandter Kunst. Die Ästhetik des Performativen wird sich verändern.
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In Dortmund startet mit dem Herbstsemester der Hotspot, wo die neue Avantgarde projektorientiert und unabhängig arbeiten kann. Der Regisseur Marcus Lobbes ist der erste künstlerische Leiter dieser neuartigen Einrichtung. EVENT PARTNER hat mit ihm gesprochen.
Warum die Kombination von Digitalität und Inszenierung?
Die Kombination von Digitalität und darstellender Kunst ist für uns ein sehr weit gefasstes Feld, weil wir die Berührungspunk-te zu möglichst allen Künsten suchen. Digitale Werkzeuge begleiten uns überall. Theater sind, zum Teil in der vorhandenen Technik und zum Teil auch in der technischen Ausbildung, seit den 70er Jahren eine Bastion des etwas langsameren Fort-schritts. Das war früher mal anders. Wir würden gerne wieder an die Lebenswirklichkeit andocken, die die ZuschauerInnen draußen haben. Es geht nicht darum, die Technik unhinterfragt auf die Bühne zu bringen, sondern zu erforschen, wie man mit ihr Kunst erzeugen kann oder die Kunst durch diese Techniken befragen kann. Was macht ein Hologramm auf der Bühne, was macht ein ausgedrucktes Requisit im Vergleich zu einem von Hand Hergestellten, was macht eine Augmented-Reality-Erfahrung? All diese Dinge wollen wir untersuchen und zwar langfristig mit TechnikerInnen und KünstlerInnen daran for-schen. KünstlerInnen und TechnikerInnen sollen auf Augenhöhe und in Kommunikation arbeiten.
„Es geht nicht darum, die Technik unhinterfragt auf die Bühne zu bringen, sondern zu erforschen, wie man mit ihr Kunst erzeugen kann oder die Kunst durch diese Techniken befragen kann”
Marcus Lobbes
Das Ganze wird eine Akademie, das heißt ein Ort für Lehre und Forschung.
Hauptsächlich ein Ort für Forschung. Wir haben drei Säulen. Die Forschung ist die eine Säule, die über unsere Stipendien funktioniert. Wir richten uns vornehmlich an KünstlerInnen, aber auch an VertreterInnen der technischen Berufe: Im Rahmen eines fünfmonatigen Stipendiums kann man in Ruhe in Dortmund an eingereichten Ideen forschen. Der zweite große Punkt ist, dass wir vor Ort Weiterbildungen, Qualifizierungen in Kooperation mit der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft und dem Bühnenverein anbieten werden. Die DTHG ist dann Partner und wird viele Kurse bei uns anbieten, die sich hauptsächlich mit technischen Spezialfragen beschäftigen. Wir werden versuchen, dass sich beide Abteilungen gegenseitig besuchen und befruchten, so dass man über die Zeit eine gemeinsame Sprache entwickelt, die sich in den Theatern dann hoffentlich durch-setzt. Oft liegen die kommunikativen Probleme zwischen Kunst und Technik und wir möchten da gerne Brücken schlagen. Als Drittes wollen wir langfristig einen Master-Studiengang begründen: eine Qualifizierung für Digitalität und Theater, die man als Master noch mal an sein Studium dranhängen kann.
Welche Rolle spielt das Theater Dortmund, das Schauspiel?
Das Schauspiel Dortmund ist zurzeit noch die übergeordnete Einheit der Akademie. Kay Voges ist Direktor der Akademie und Gründungsdirektor sowie Intendant. Er hat das mit seinem Team in jahrelanger Vorarbeit in der Politik durchgesetzt, die An-träge geschrieben und Menschen für die Idee begeistert. Zurzeit ist die Akademie noch Teil des Schauspiels Dortmund. Es ist aber von der Stadt geplant, dass die Akademie eine eigenständige Sparte des Theaters Dortmund wird, wie die Oper, das Schauspiel, das Ballett, das Kinder- und Jugendtheater eine eigenständige Fraktion innerhalb des Theaterverbunds ist.
Wann kommen die ersten Stipendiaten?
Die werden bei uns Ende August 2019 anfangen.
Was sind denn so die Erwartungen von außen an die Akademie? Digitalität ist im Moment überall hip bei der ganzen Politik und es gab ja viele Bundes- und Landesmittel, um irgendetwas mit Thema Digitalität zu machen.
Die Erwartungshaltungen von außen sind schwer zu beschreiben. Wir haben es auf der einen Seite mit großen Erwartungen zu tun, weil sich Dinge vereinfachen lassen, gerade in den Abläufen, in der Kommunikation und dass sich große Wunderwerke auf der Bühne zeigen werden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die negative Erwartung, man könne so das echte analoge Theater abschaffen und wir könnten uns zu Sklaven der modernen Technik machen. Es ist schwer einzuschätzen, wohin sich unsere Arbeit wirklich entwickelt. Wir wollen versuchen, erst mal ein Ort der künstlerischen Forschung zu sein.
Sind die internen Erwartungen auch entsprechend hoch?
Ich würde mal sagen, der Antrieb ist zurzeit hoch genug. Das ist das Schöne gerade: Wir machen keine Vorgaben an die Sti-pendiatInnen, sondern wir kuratieren viel mehr. Wir wünschen uns, dass Menschen mit ihren Ideen zu uns kommen und sagen: „Wir haben dafür nicht die Zeit, die Mittel, die Expertise, wir würden aber gerne eine längere Zeit daran forschen.“ Dann wird es mit einer Jury eine Auswahl geben, was die spannendsten Dinge sind, die auch realisierbar scheinen. Was sind die, die viel-leicht visionär sind, aber gleichzeitig Potenzial haben zu scheitern? Das ist bei uns durchaus erlaubt, es gibt keinen Druck, etwas liefern zu müssen. Das verfolgen wir mit großer Spannung, weil hier in der Kunst geforscht wird, weil Menschen unter-wegs sind, die sich mit sehr speziellen Dingen beschäftigen, seien es KomponistInnen, die mit KI arbeiten, sei es ein Tanz, bei dem mit Hologrammen oder Robotern gearbeitet wird.
Es lohnt sich immer, sich auf Prozesse einzulassen.
Das ist im Theater oder in der Kunst ohnehin unser Kerngeschäft, auch wenn das in Zeiten des unbedingten Willens zur Unter-haltung gerne vergessen wird. Da wird es dann spannend, Menschen auch dafür zu begeistern, sich wieder mit Inhalten ausei-nanderzusetzen und vielleicht auch Teil ihrer Lebensrealität auf der Bühne zu werden.
Das Theater ist ja nie komplett frei von fremden Einflüssen gewesen. Es gibt zwar immer die Puristen, aber Pioniere wie Erwin Piscator haben bereits in den 1920er Jahren Filmprojektionen verwendet, Hansgünther Heyme Anfang der 70er Kameras und Fernsehmonitore.
Das war auch schon irre. Das ist ja ein ganz populärer Irrtum, dass Theater irgendwie schon immer war oder irgendwie sein muss. Das Theater war immer sehr interessiert an technischen Entwicklungen und oft sogar der Vorreiter für Dinge – für Ma-schinen zum Staunen und die man so draußen im Alltagsleben so noch nicht kannte. Es gibt die Mittel, was können wir damit machen? Wir wollen die europäische Theaterlandschaft qualifizieren, mit Dingen umzugehen und eine gemeinsame Sprache sowie eine Vorstellung von Ästhetik zu entwickeln, über die man sprechen kann, aber auch Vorstellungen von technischen Möglichkeiten präsentieren.