"Schiff der Träume“ im Deutschen Schauspielhaus Hamburg
Eine gute Inszenierung braucht mehr als gute Absichten
von Andreas Schäfer ,
Es lohnt sich immer, eine Reise zu tun. Man kehrt klüger zurück. Ich reise gerne mit den großen Tankern des Theaters, um zu schauen, was die wichtigen Inszenierungstrends sind. Aktuell ist das das dokumentarische oder Recherchetheater. Im Deutschen Schauspielhaus Hamburg erlebte ich jetzt ein Schiff ohne Träume.
Rimini Protokoll, Milo Rau und Angela Richter, mit der wir in EVENT PARTNER 4.15 sprachen, gehören zu den wichtigen Protagonistinnen. Christoph Schlingensief machte die Wirklichkeit zum theatralen Konzept. Volker Lösch war der erste, der 2004 in Dresden die Wutbürger auf die Bühne holte. Die Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, eines der größten, schönsten und gewichtigsten Schlachtschiffe des Regiehandwerks, Karin Beier, deren Handschrift ich aus ihrer Kölner Intendantenzeit kennen- und schätzen gelernt habe, ist Ende 2015 mit ihrem Ensemble zu einer Theaterversion des Fellini Filmes „E la nave va – das Schiff der Träume“ in die Fantasiesee gestochen, ohne sich allerdings bei dem Maestro lange aufzuhalten. Eine Hand voll afrikanischer Performer aus einem freien Hamburger Projekt durfte mit dem ansonsten rein deutsch/schweizerischen Ensemble mitspielen, um ein wenig aktuelle Wirklichkeit auf die Bühne zu bringen. Es war zu wenig Fiktion. Und es war ein Fellini ohne Fellini. Die Textfassung von den Dramaturgen Stefanie Carp, Christian Tschirner und Karin Beier wurde zum „Europäischen Requiem“, das sich nur sehr rudimentär an ein paar Fellini-Stationen hielt und stattdessen auf eine frühere „Orchesterarbeit“ Karin Beiers zurückgriff.
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Keine Sinnlichkeit weit und breit. Das Maschinendeck und seine Bewohner, die ein Schiff auf Kurs halten (die Human Resources), fehlten gänzlich. Im Gegenteil: Das reduzierte arbeitende Kreuzfahrtpersonal wurde zum Erfüllungsgehilfen der Mächtigen oder war gleich sprachbehindert (großes „Kaka“ wurde zur kleinen Katastrophe). Das ist nicht Fellini. Und das war auch kein Marthaler, davon hatte das Stück wohl einige Versuche. Aber es war nicht Fisch, nicht Fleisch. Ein Goodwill als Mogelpackung, bei dem die Intentionen in der Konsequenz undurchsichtig blieben. Es kommt eben nicht nur auf die Botschaft an.
Auf die Gesinnungsübung reduziert
Dieses Hamburger „Schiff“ war leider ein Beispiel dafür, wie das Theater auf die Gesinnungsübung reduziert wird. Ich hätte gerne anderes berichtet. Ich bin mit freudigen Erwartungen nach Hamburg gefahren und hatte auf ein Inszenierungsfeuerwerk gewartet, ein leuchtendes Beispiel. Denn wir können nach wie vor Tolles vom Theater lernen. Der Abend illustrierte dann bedauerlicherweise, wie man nicht inszenieren sollte. Die Botschaft stand sehr alleine im Vordergrund. Stattdessen sollte man/frau doch alle die wunderbaren Mittel nutzen, die eine große, gewaltige Bühne zur Verfügung hat. Ohne Pomp und ohne Umstände. Wir können von der großen Menschlichkeit lernen, die einen Fellini – bei aller Lust an der Überzeichnung – adelte. Ein Marthaler und Schlingensief erzählen und erzählten menschliche Geschichte(n) pur, die immer noch spannend sind und für uns wichtige Leuchttürme wären, aus dem Nebel der technischen Opulenz aufzutauchen, in dem wir uns in den letzten Jahren inszenatorisch doch ein wenig verirrt haben.
Wir sollten diesen künstlerischen Schatz, der sich in den sogenannten Human Resources versteckt hält, heben. Wir sollten das Menschliche hoch halten. Es sind Menschen, zu denen wir als Kommunikatoren – mittlerweile auf allen Kanälen – sprechen. Und es sind Menschen, die dann, wenn sie es können, unsere Waren und Dienstleistungen kaufen. Außerhalb der Finanzmärkte gibt es keine Kaufroboter, die das Rad am Drehen halten. Es sind immer noch Menschen, mit denen wir unsere Projekte umsetzen, und deren Leistungen, ohne die nichts ginge. Wertschätzung und Achtsamkeit, das sind die Dinge, von denen wir schöne Geschichten erzählen könnten. Die vielen positiven Reaktionen auf den Edeka Weihnachtsspot zeigen eines: Dass die Menschen sich nach Nähe, Aufmerksamkeit und positiven Emotionen sehnen.
Die Realität außerhalb der großen Häuser sieht nicht dolle aus. Anfängerschauspieler oder Tänzerinnen haben keine Chance mehr, für Notsituationen vorzusorgen. Die Statistik der Künstlersozialkasse offenbart ein Durchschnittseinkommen bei selbstständigen Künstlern und Journalisten (!) von rund 16.000 Euro pro Jahr. Da sind die Topverdiener bei. Auch in der Eventbranche sind die Honorare gesunken. In den letzten Jahren des letzten Jahrhunderts gab es vielleicht den einen oder anderen Exzess. Aber sind uns die Maßstäbe nicht inzwischen nach unten verrutscht?
Konsequenzen?
Zurück nach Hamburg. Ziehen wir die richtigen Konsequenzen? Der Becher des Obdachlosen, der nach der Vorstellung draußen in Hamburg seine Penunzen für eine kalte Winternacht sammelte, blieb beschämend leer. Ach, bei Fellini hat selbst die Katastrophe Grandezza. Beier und ihr Team haben uns diese Grandezza dieses Mal leider nur in sehr homöopathischer Verdünnung gegönnt. Ich möchte bei aller Kritik aber niemandem den Vorwurf schenken, nicht ins Theater zu gehen. Gehen wir das vergleichsweise kleine Risiko ein!
Ich habe eines nach dem Wiederansehen des Filmes auf YouTube gelernt: „Wir alle sitzen am Schlund eines Vulkans“. So heißt das bei Fellini. Wir können alle etwas Zuversicht gebrauchen. Wir stehen wahrscheinlich vor der größten Herausforderung seit der Wiedervereinigung. Bei Fellini siegt die Natur der Fantasie über die Katastrophenangst. Das schafft er ohne den Irrglauben von Hegels Ende der Geschichte. Und das schafft er mit einer wunderschönen Sinnlichkeit. Tröstlich für mich: Den Hunger nach dieser Sinnlichkeit konnte ich dann doch noch bei Tim Mälzer in der Bullerei stillen. Ein wenig Luxus muss auch manchmal sein. Und der Obdachlose hat auch was von mir bekommen. Nicht nur ein Lächeln. Ahoi!