Die Branchenseuche Nr. 1
An sich ist ein Pitch nichts Verwerfliches. Für den Kunden ist er eine gute Möglichkeit, den besten Dienstleister für sein Projekt zu finden. Es wird jedoch schnell vergessen, dass Pitches für die Dienstleister ein teures Unterfangen sind.
(Bild: Pixabay - AlexanderStein)
[Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel stammt von November 2015]
Die Pitch-Problematik gilt seit Jahren als die “Branchenseuche Nr. 1” in der Veranstaltungswirtschaft. Dabei geht es erstens um die stetig steigende Anzahl an Wettbewerbspräsentationen, wie sie etwa durch Studien des FAMAB/FME statistisch belegt wird. Und zweitens um die fehlende Vergütung, also um den “Gratis-Pitch”, der auch ein emotionales Thema in der Branche ist, weil sich darin eine mangelnde Wertschätzung kreativer Leistungen spiegelt. Beides hängt natürlich miteinander zusammen, denn man darf unterstellen, dass die Auftrag gebenden Unternehmen nicht zu so vielen Wettbewerbspräsentationen einladen würden, wenn die Agenturen dafür ein Antrittshonorar erhielten. So aber werden inzwischen selbst kleine und kleinste Budgets von 50.000, manchmal sogar nur 20.000 Euro in aufwendigen Ausschreibungsrunden mit Wettbewerbspräsentationen vergeben.
Flut von Gratis-Pitches zehrt Agenturen finanziell aus
Das zentrale Problem der “Gratis-Pitches” liegt darin, dass eine Agentur für die Wettbewerbspräsentation schätzungsweise zwei Drittel der Arbeit bereits gemacht haben muss, ohne die Gewissheit zu haben, dass ihr der Zuschlag erteilt wird. Entsprechend kostenaufwändig sind Pitches für die Dienstleister. Pro Pitch fallen laut FAMAB im Durchschnitt Kosten von rund 20.000 Euro an. Das Verhältnis von Etatvolumen und Pitch-Kosten beträgt ungefähr 5:1 – das ist eine vielfach belegte Daumenregel (nur bei sehr großen Etats wird das Verhältnis günstiger). Gesetzt den Fall, eine Agentur gewinnt nur jeden fünften Pitch, dann steht sie vor der grotesken Situation, noch nichts verdient, sondern nur für die Pitches gearbeitet zu haben. Und so geht es vielen.
Auf diese Weise werden die Event-Agenturen mit der Zeit finanziell ausgezehrt. Und das geht schnell, da diese Branche ohnehin nicht durch solide Finanzierung glänzen kann. Vielen Agenturen fehlen auch die kaufmännischen Grundkenntnisse: Man orientiert sich am Umsatz und achtet nicht ausreichend auf den Deckungsbeitrag. Das ist sicherlich eine der Ursachen für die zahlreichen Insolvenzen der vergangenen Jahre. Die einseitige Umsatzorientierung hat einen einfachen Grund: Viele Agenturen verfügen kaum über ausreichende finanzielle Reserven; sie finanzieren sich aus dem Cashflow, leben also sprichwörtlich von der Hand in den Mund. Da braucht es dann nur einmal zu einer konjunkturellen Schieflage zu kommen und der Insolvenzverwalter klingelt an der Pforte.
Agenturen liefern also nahezu fertige Konzepte, ohne dafür eine angemessene Entschädigung zu erhalten. Und zu allem Überfluss machen immer wieder Beispiele für unethisches Verhalten und “Ideenklau” durch Auftraggeber die Runde: So soll es schon vorgekommen sein, dass ein Unternehmen mehrere Agenturen antreten ließ und dann den preiswertesten Anbieter im Pitch mit der Umsetzung des Konzepts der besten Agentur beauftragte – oder die beste Idee anschließend mit eigenen Mitarbeitern umsetzte. Besonderes Aufsehen erregte vor einiger Zeit das Beispiel eines deutschen Unternehmens, das sage und schreibe fast 90 Agenturen zu einer Wettbewerbspräsentation einlud. Dabei hatten die Bewerber drei unterschiedlich aufwändige Event-Konzepte zu kalkulieren und ein Konzept und eine Kalkulation für eine Großveranstaltung zu präsentieren. Im Gegenzug gab das Unternehmen keine Umsatzgarantie, keine Zusage zukünftiger Aufträge ohne erneuten Pitch – und zahlte natürlich auch kein Honorar (Expodata 9/10 2013, S. 10).
Neue Einsichten aus einer Studie der FH Worms
Was sind die Ursachen für diese ungute Entwicklung? Ein wesentlicher Punkt ist gewiss dieser: Die “Pitch-Flut” steigt stetig an, weil die Dauer der Beziehung zwischen Auftraggeber und Event-Agentur stetig abnimmt. Nur ungefähr ein Sechstel der Top-Spender und ein Zehntel der Mittelständler arbeiten noch langfristig mit ihren Event-Dienstleistern zusammen (FAMAB Event- Klima-Studie 2012). 80 Prozent der Top-Spender und zwei Drittel der KMU bevorzugen inzwischen eine projektweise Auftragsvergabe.
Bindungen lassen nach und in der Folge steigt die Pitch-Flut!
Womit sich die Frage stellt, was die Auftraggeber zu dieser Haltung bewegt. Studienergebnisse der Fachhochschule Worms lassen Schlüsse zu, die Agenturen nicht unbedingt gefallen werden:
Erster und wichtigster Punkt ist – wenig überraschend –, dass die Auftrag gebenden Unternehmen inzwischen mehrheitlich die Kosten als das entscheidende Kriterium bei der Auftragsvergabe betrachten. Qualität ist meist sekundär: Man entscheidet sich im Zweifel für das günstigere Angebot, nicht für das beste. Darin kommt allerdings auch zum Ausdruck, dass Agenturleistungen offensichtlich als austauschbare Standardware angesehen werden. Wenn die Qualität vergleichbar ist, wird der Preis zum wichtigsten Argument. Das wirft die Frage auf, warum es den Agenturen nicht gelingt, Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln? Dass ausgerechnet die Marketing-Experten in den Agenturen nicht in der Lage sind, ihre eigenen Unternehmen Erfolg versprechend zu positionieren, ist kein gutes Zeichen – und gibt letztlich den Corporates recht. Wer austauschbare Leistungen abliefert, muss sich über mangelnde Zahlungsbereitschaft nicht wundern.
Dass Qualität so wenig gilt, liegt aber auch daran, dass es nach wie vor an zuverlässigen Maßstäben zur Beurteilung kreativer Leistungen fehlt. Kreativ-Rankings sind ein Versuch, helfen aber letztlich wenig. Aus diesem Grund lassen sich Unternehmen so gern “Ideen zur Auswahl” präsentieren. Könnte man Kreativität objektiv und zweifelsfrei erkennen, wären viele Pitches überflüssig. Aber keineswegs alle. Nicht wenige Corporates gehen nämlich von der Erwartung aus, dass häufige Agenturwechsel auch die Qualität steigern: Ein frischer Blick fördere die Kreativität, während es bei einer langfristigen Agenturbeziehung häufig zu Abnutzungserscheinungen komme.
Compliance-Argumente spielen, zumindest in den Fachabteilungen, offenbar keine Rolle. Solche hört man eher vom Einkauf, der langfristige Lieferantenbeziehungen oft skeptisch sieht, weil sie mit dem Problem der freihändigen Auftragsvergabe und in Einzelfällen sogar mit unlauteren Beeinflussungsmethoden einhergehen.
Einige Auftraggeber befürchten auch, durch eine lange Vertragslaufzeit finanzielle Nachteile zu erleiden. Andere äußern die gegenteilige Ansicht, mit langfristigen Agenturpartnern könne man auf Dauer bessere Konditionen aushandeln; doch dominant ist die Wahrnehmung, Ausschreibungen ermöglichten Kosteneinsparungen. Abgesehen davon schreiben in vielen Unternehmen ohnehin die Einkaufsrichtlinien eine Mindestanzahl einzuholender Angebote vor.
Konsequent und richtig rechnen: Der Schlüssel zur Abschaffung unrentabler Pitches.
Pitch-Honorare: theoretisch wünschenswert, praktisch chancenlos
Angesichts der prekären Lage fordern Agentur-Verbände in Deutschland, aber auch in der Schweiz mit zunehmendem Nachdruck die Einführung eines Pitch-Kodex. Dieser solle “Transparenz bringen und Fairness schaffen”, so Eugen Brunner, Vorstand des schweizerischen Expo-Event.Live Communication-Verbands. Der deutsche FAMAB äußert sich ganz ähnlich. Gedacht ist an eine freiwillige Selbstverpflichtung der Agenturen, nicht an kostenlosen Wettbewerbspräsentationen teilzunehmen. Stattdessen sollen kostendeckende Pitch-Honorare (in Höhe von durchschnittlich 20–30.000 Euro) oder zumindest Pitch-Fees (ein eher symbolisches Antrittsgeld) eingefordert werden. Diese Vorschläge sind an sich richtig und unterstützenswert, haben aber einen Haken: Damit sie auch nur in die Nähe der Realisierbarkeit kommen, müssten zuvor strukturelle Voraussetzungen geschaffen werden, an denen es heute fehlt. An erster Stelle ist hier eine starke Interessenvertretung für Event-Agenturen zu nennen. Eine solche gibt es heute in Deutschland nicht. Der Organisationsgrad im FAMAB ist viel zu gering, um den Anliegen der Event-Agenturen nicht nur Stimme, sondern auch Nachdruck verleihen zu können. Kodizes taugen schließlich nur etwas, wenn alle sich dran halten.
Gesucht: eine schlagkräftige Interessensvertretung für Agenturen
Die Fachabteilungen in den Auftrag gebenden Unternehmen sind übrigens nach den Erkenntnissen der Fachhochschule Worms durchaus aufgeschlossen für bezahlte Pitches; sie sehen die Untragbarkeit der gegenwärtigen Situation und stöhnen selbst unter der Pitch-Last. Auch haben sie ein Eigeninteresse an leistungsstarken Agenturpartnern. Es ist nur leider unwahrscheinlich, dass sich die Eventmanager gegen ihren Einkauf durchsetzen können. Rational betrachtet, hat jedenfalls kein Unternehmen eine Veranlassung, die Kräfte des Wettbewerbs und die mangelnde Solidarität der Agenturen untereinander nicht für seine Zwecke auszunutzen.
Halten wir also fest: Die Arbeit an einem Kodex für die Branche ist richtig und wichtig und kann dazu führen, den entmutigend schlechten Organisationsgrad der Agenturen wieder zu verbessern. Doch Stand heute sind nicht die strukturellen Voraussetzungen erfüllt, um einen Pitch-Kodex durchsetzen zu können. Die Erfahrung lehrt, dass es immer einen gibt, der bereit ist, die Arbeit umsonst zu machen. Mit Blick auf den “selbstmörderischen Wettbewerb” (Matthias Kindler) der Agenturen dürfte sich die Bereitschaft zu solidarischem Handeln in Grenzen halten, so lange kein schlagkräftiger Branchenverband darüber wacht und Sanktionen durchsetzen kann. Wie sagte ein Branchenexperte:
Die Agenturen machen alles mit, offenbar geht es ihnen immer noch nicht schlecht genug.
Muss man sich deshalb mit den gegenwärtigen Missständen abfinden? Nein, denn es gibt noch einen ganz anderen Ansatz, den die Agenturvertreter bisher nicht verfolgen.
Die Frage ist doch: Wer hält den Schlüssel zur Lösung der Pitch-Misere in der Hand? Das ist zuallererst der Einkauf! Mit ihm müssen die Agenturen und ihre Verbände die Auseinandersetzung suchen – und zwar nach seinen Regeln.
Pitch-Bilanz: Den Einkauf bei den Pitch-Kosten packen
Einkäufer sind vor allem für ein Argument aufgeschlossen: Kostenersparnis. Hier liegt eine Chance: Denn Wettbewerbspräsentationen erfordern einen hohen Einsatz zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen, und zwar nicht nur bei den teilnehmenden Agenturen, sondern auch bei den Auftrag gebenden Unternehmen! Viele Unternehmen verhalten sich jedoch so, als seien Pitches für sie kostenlos, nur weil sie den Agenturen kein Honorar bezahlen. Dabei sitzen in jeder Wettbewerbspräsentation vier bis acht Mitarbeiter und verbrauchen pro Agenturpräsentation eineinhalb bis zwei Stunden ihrer wertvollen Arbeitszeit.
Angenommen, es präsentieren fünf Agenturen je zwei Stunden lang, und auf Corporate-Seite nehmen fünf Mitarbeiter teil, von denen drei einen Stundensatz von 100 Euro (Eventmanager) und zwei einen von 250 Euro haben (Gruppen-/ Abteilungsleiter): dann kostet eine solche Wettbewerbspräsentation – ohne Berücksichtigung sonstiger Kosten für das Ausschreibungsverfahren! – alleine bereits 8.000 Euro. So etwas kann sich bei einem Budget von 20.000 Euro unmöglich rechnen, und auch bei 50.000 Euro nicht. Wenn man unterstellt, dass man durch den Preiswettbewerb und Nachverhandlungen 10 Prozent Einsparung erzielen kann, lohnt sich ein Pitch erst ab einem Budget von mehr als 80.000 Euro! Bezieht man zusätzlich noch die sonstigen Ausschreibungskosten mit ein, wird das Budget 100.000 Euro übersteigen müssen. Und wenn man schließlich auch noch die Kosten des Lieferantenwechsels berücksichtigt – d. h. die Kosten der Einarbeitung der neuen Agentur, die sich eventuell erst mit den Gegebenheiten, Abläufen und Ansprechpartnern im Unternehmen vertraut machen muss – dann reichen auch 100.000 Euro bei weitem nicht mehr aus.
Eine bekannte Daumenregel besagt: Jeder Erstauftrag kostet ein Drittel (!) mehr als ein vergleichbarer Folgeauftrag. (Woraus man übrigens ersieht, welch schlechtes Geschäft kurzfristige Lieferantenbeziehungen sind. Wären den Unternehmen ihre Kosten tatsächlich so wichtig, wie sie behaupten, würden sie kaum mehr projektweise ausschreiben, sondern hätten einen Pool von präferierten Stammlieferanten.)
Es braucht also dringend eine branchenoffizielle Pitch-Bilanz als Handreichung an Einkäufer und Event-Verantwortliche in den Auftrag gebenden Unternehmen, die sich auf empirische Kosteninformationen stützen kann. Eine schöne Aufgabe für einen Branchenverband. Die Wissenschaft steht hier gern unterstützend bereit.
Fazit
Agenturen müssen auf den Einkauf zugehen, und sie müssen seine Sprache lernen. Man muss dem Einkauf vorrechnen, dass er mit Pitches mehr Geld zum Fenster hinauswerfen kann, als er auf der anderen Seite einspart. Rechnen gehörte bisher nicht zur Kernkompetenz von Kreativen. Zu der von Einkäufern aber auch nicht, sonst wäre die gegenwärtige Situation nicht so, wie sie ist. Und darin liegt die Chance. Es ist zurzeit die einzig realistische, um die gegenwärtigen Missstände dauerhaft zu beseitigen oder zumindest zu lindern.
Über den Gastautor
(Bild: Prof. Dr. Hans Rück)Prof. Dr. Hans Rück ist Dekan des Fachbereichs Touristik/ Verkehrswesen der Hochschule Worms (Deutschland) und lehrt dort Marketing und Event-Management.