Sicherheitsbedenken, digitale Alternativen und stark reduzierte Reisebudgets – die Corona-Krise hat den MICE-Markt hart getroffen, die Konsequenzen haben die Branche extrem belastet und werden sie noch lange prägen. Was bedeutet das für das MICE-Geschäft? Hans-Jürgen Heinrich wagt einen Blick in die Glaskugel.
Veranstaltungen werden in Zukunft nicht weniger überzeugend umgesetzt werden, als das vor und während der großen Corona-Krise geschehen ist. Die Grundwahrheiten hinsichtlich der unschlagbaren „Kraft der realen Begegnung“ bleiben bestehen. Der Markt steht aber vor einem quantitativen und qualitativen Wandel, der derzeit noch nicht exakt beschrieben werden kann. Allerdings werden Nachhaltigkeitsaspekte an Fahrt aufnehmen. Denn die Pandemie hat wohl allen bewusst gemacht, dass eine mögliche Klimakatastrophe unser Leben und Wirtschaften noch dramatischer und vor allem langfristiger zum Negativen verändern wird als das vergleichsweise harmlose Virus.
Das bedeutet: Geschäftsreisen und MICE-Reisen werden wohl künftig stärker auf ihre Sinnhaftigkeit abgeklopft werden – und: weniger und kleiner werden! Das wird auch aus Kostengründen so sein. Denn die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie treten mit Zeitverzögerung ein und üben mittelfristig starken Druck auf die Budgets aus – in allen Bereichen. Zudem haben Handel, Industrie und Dienstleistung (endlich?) die Erfahrung gemacht, dass weniger Aktionismus auch Mehr sein kann und werden tradierte Interaktionsformen stärker hinterfragen.
Die gesamte „Bussi-Community“ hat Distanz gelernt und das Thema Abstand und Hygiene wird uns bei künftigen Live-Veranstaltungen noch eine ganze Weile verfolgen, denn das Virus bleibt potenziell gefährlich, weil die Impfungen regelmäßig wiederholt werden müssen. Mithin drohen Impflücken, bleiben Ängste um die Gesundheit und prophezeien zudem nicht wenige Auguren sogar Folge-Pandemien. Volle Messegänge 2022? Vielleicht. Und wenn, dann wohl vielfach maskiert.
Digital wird Standard
Digital Meetings sind als einer der wenigen Positiv-Effekte der Corona-Krise endgültig von fast allen Stakeholdern „gelernt“. Trotz der enormen Sehnsucht nach analogen Begegnungen, die sich zunächst explosiv entladen wird, werden sie künftig breiteren Raum einnehmen und manche Geschäftsreise und vor allem viele kleinere Formate ersetzen.
Virtuelle Events und Messen, bei denen Spezialanbieter und allerlei Verzweifelte ein Business-Modell wittern und derzeit kräftig die Werbetrommel rühren, haben wohl einen eher skurrilen Übergangscharakter und langfristig kaum eine Chance gegen Real-Life-Veranstaltungen. Ihnen dürfte ein ähnliches Schicksal blühen wie dem seinerzeit so gehypten und dann völlig abgestürzten Second Life. Die Konversion von Leads wird ein großes Problem bleiben. Völlig fragwürdig wird das Ganze, wenn derartige Netz-Events anschließend nahtlos in die Afterwork Party übergehen, die bei realer Musik und virtuellem Bier auf der VR-Plattform ihren vermeintlichen Höhepunkt feiert. Für mich sind das zeitgeistige Albernheiten für Bildschirm-Nerds.
Allerdings: Digitale Reichweitenverlängerungen werden zum neuen Standard. Denn die analoge Kernveranstaltung wird in den nächsten Jahren eher mit kleineren Teilnehmerzahlen umgesetzt und die gesamte Community dann „digital mitgenommen“. Das hat enorme Auswirkungen auf die bisher für die Bedeutung unserer Branche so wichtigen Umweg-Rentabilitäten. Da bricht einiges langfristig weg.
Märkte müssen neu bewertet, Toolboxen renoviert werden
Für alle Anbieter-Segmente ist nun die Zeit der Recovery-Strategien. Zunächst müssen sich auch die Letzten umfassend digital aufstellen, wenn weniger gereist wird: mit Virtual Reality, Augmented-Reality-Applikationen und 360°-Rundgängen. Websites sollten auf Vordermann gebracht und jederzeit aktuell gehalten werden. Traditionelle Quellmärkte und Marktsegmente müssen neu beurteilt werden, denn die Länder und Zielgruppen werden sich in unterschiedlichem Tempo „erholen“.
Es werden bekannte Dienstleister vom Markt verschwunden, stark geschwächt oder in andere Segmente abgewandert sein. Convention Bureaus müssen ihre Anbieter-Portfolios aktualisieren, Kongresszentren und Locations sich technologisch und personell auf die wachsenden Ansprüche hinsichtlich hybrider Veranstaltungsformen einstellen und damit ihr Angebotsportfolio im Wettbewerb schärfen. Hygiene-Konzepte und optimiertes Einlassmanagement werden Dauerthema. Das Überangebot an Tagungsräumen in Hotels muss abgebaut werden. Co-Working-Spaces und vergrößerte Business Center können eine Umbau-Alternative sein.
Das Gebot der Stunde: Kundenzentrierung
Um aus der Kaffeesatz-Leserei nach der „Krise“ heraus zu kommen, muss der intensive Dialog mit den bisherigen Zielgruppen gesucht werden. Die sogenannten „Studien“ liefern dafür nur unscharfe Bilder. Kundenzentriertes Markenmanagement ist also mehr denn je das Gebot der Stunde. Haben meine Kunden ihre Budgets längerfristig umstrukturiert und wie? Strategie folgt auf Diagnose. Denn wenig bleibt, wie es war, und Patentrezepte sind schwierig.
Vielleicht kann man abschließend prognostizieren: Je mehr „Standard“, desto eher digital. Je anspruchsvoller und komplexer, desto eher real. Und bei wahrscheinlich sinkenden Teilnehmerzahlen beim Live-Event sollten Meetings und Events fast immer mit Reichweitenverlängerung konzipiert werden. Sprich: hybrid!