Perfekte deutsche Lern-Pavillons in Mailand und Venedig inszenieren am Publikum vorbei.
In diesem italienischen Sommer fanden zeitgleich zwei internationale Groß-Ausstellungen statt: Die Weltausstellung Expo in Mailand und die Kunst-Biennale in Venedig. In beiden Formaten präsentieren sich die Länder der Welt traditionell in eigenen nationalen Pavillons. Wer „Deutschland“ besucht, erlebt eine erstaunliche Parallelität: Beide deutsche Pavillons sind inhaltlich überfrachtet und hinterlassen eher ein Gefühl der Überforderung als Freude oder Erkenntnis. In Mailand erholt man sich vom deutschen Content-Overload bei „Breathe Austria!“ im feuchten grünen Bergwald, in Venedig in der knallroten Fadenlandschaft des japanischen Pavillons.
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Expo Milano 2015
Deutscher Pavillon dröselt ökologische Weltlage auf Der deutsche Expo-Pavillon ist der größte, teuerste und vorbildlichste. Das Oberthema „Feeding the Planet – Energy for Live“ gilt für alle Expo-Teilnehmer, aber kein anderer Nationalpavillon arbeitet es so gründlich ab wie Deutschland. Es geht um die Grundvoraussetzungen unserer Ernährung: Wasser, Boden, Klima und Artenvielfalt. Die Kreativen von Milla & Partner haben schon vor fünf Jahren in Schanghai gezeigt, dass sie Infotainment können. Sie machen ihren Job perfekt: In akustisch und visuell prall gefüllten Themenräumen wird interaktiv gelernt, informiert und experimentiert, dass es nur so brummt. Auf jeden Fall im Kopf des ehrlich interessierten Besuchers. Die anderen – und das ist auf der Expo die Mehrheit – wollten nur mal kurz gucken und fühlen sich dann wie Jonas im Bauch des Wales, der sie gefühlte Stunden später über eine lustige Rutsche wieder ausspuckt.
… aber wollen wir das wirklich alles wissen?
Im Inneren des deutschen Expo-Pavillons sind sieben zeitintensive Erlebnisstationen auf einem geführten Weg zu durchqueren. Wie bei IKEA, nur ohne Abkürzungen. Und tausendmal inhaltsreicher! In der Pre-Show lernen wir per Video engagierte deutsche Bürger kennen, von der Stadt-Imkerin bis zum Food-Fighter. Sie sind die real existierenden Botschafter des Mottos „Be active!“. Auf der langen Reise durch die Ausstellung gehen die Botschafter dann verloren, werden aber wegen der Überfülle an anderen Eindrücken nicht vermisst. In den Themenräumen lernen wir z. B. etwas über die Rückgewinnung von Phosphor als essenziellem Pflanzennährstoff und über den Schutz bedrohter Hühnerrassen. Wir setzen uns auch mit unserem problematischen Konsumverhalten auseinander und erleben alternative Lösungsansätze in der grün wuchernden Urban Gardening Abteilung. Das ist alles detailliert durchdacht, medientechnisch hoch innovativ, hervorragend gestaltet und sogar richtig liebevoll gemacht. Zum Beispiel die Galerie der Einmachgläser mit Selbstgemachtem der Agenturmitarbeiter von Milla & Partner.
Ein protestantisches Science Center
Wir könnten uns stundenlang hier aufhalten! Und genau das ist das Problem. Die Deutschen haben ein Science Center gebaut. Das funktioniert perfekt als Bildungsort für gut betreute Schulklassen. Die normale Expo-Besucher-Familie verzichtet besser komplett auf den Ausstellungsbesuch. Man kann im frei zugänglichen Dachbereich des Pavillons nett picknicken. Wer doch etwas neugieriger ist, sollte sich die anderen 95 Expo-Pavillons schenken, sonst reicht die Zeit nicht. Schließlich dröseln uns die Deutschen die ökologische Weltlage so genau auseinander, dass der Rest der Expo eh überflüssig ist. Nur hat der Besucher am Ende trotzdem kein gutes Gefühl. Entweder, weil er es jetzt endlich durchschaut, und zwar glasklar: „Der Planet geht den Bach runter und ich bin schuld, wenn ich nicht mindestens so aktiv bin wie diese netten Vorzeige-Deutschen.“ Oder unser Besucher hat sich doch um ein paar besonders komplexe Lernstationen gedrückt und leidet nun am akuten Aristoteles-Syndrom: Er weiß, dass er nichts weiß. Ein italienischer Kollege sagte es so: „Der deutsche Pavillon hat etwas sehr Protestantisches: Egal, was der Besucher macht, am Ende hat er immer ein schlechtes Gewissen.“
The winner is: Der Bergwald. „Breathe Austria!“ Jaaaaa!
Im kleinen Expo-Pavillon von Österreich erlebt der gestresste Besucher das genaue Gegenteil: Er bummelt entspannt durch ein überschaubares Stück Bergwald. Echten! Er kann ihn anfassen, riecht ihn, spürt – unterstützt von geschickt platzierten Zerstäubern – die wohltuende Feuchtigkeit der Pflanzen auf seiner Haut. Und dann atmet er einfach mal gaaanz tief durch. Verstecken spielen können die Besucher-Familien nicht zwischen den Latschenkiefern. Eine breite Rampe führt an den Bäumen vorbei und an ein paar wenigen interaktiven Stationen, die nicht unbedingt überzeugen. Bestens funktionieren dagegen markierte Fotopunkte, die überraschende Blicke auf eine schön analoge Typo-Installation bieten. „Greetings from Austria“ steht da plötzlich auf dem Selfie vom nebligen Bergwald. Das soziale Netz staunt, wähnte man den Absender doch im knallheißen Mailand. Das Schöne am breiten Waldweg ist, dass man sich auf ihm nicht verirren, aber frei bewegen kann. Verharren, zurückgehen, bewusst hinschauen, still genießen.
Hier bin ich Expo-Mensch, hier darf ich’s sein
Das Touristenland Österreich weiß offensichtlich viel besser als die deutschen Hightech-Exporteure, was Mensch zu seinem Expo-Glück braucht: Ein sinnliches, überraschendes Erlebnis, eine einfache Geschichte zum Weitererzählen, ein Bistro mit bezahlbaren Landesspezialitäten. Und – jawohl! – auch Inhalt und Sinn: Der offene Wald-Pavillon ist der Prototyp eines Kleinstwaldes, der demnächst auch auf Schulhöfen und zwischen Bürokomplexen wachsen soll.
Das Natur-im-Pavillon-Prinzip ist hoch innovativ und praktisch anwendbar. Es sorgt für frische Luft, wo sie am meisten gebraucht wird: Mitten in der Stadt. Dass es funktioniert, spürt jeder Besucher, der sich in diesem Bergwäldchen von der Medienschlacht der Expo erholt und einfach mal tief durchatmet. Die Österreicher verstehen ihren Pavillon durchaus auch als thematische Inszenierung des Dachthemas Welternährung. Im Motto „BrEAThe Austria!“ steckt glücklicherweise das Wörtchen „eat“. Schließlich ist Sauerstoff die Grundlage allen Lebens und somit auch unserer Nahrung. Reichlich um die Ecke gedacht. Aber gerade und konsequent inszeniert.