Ob aufgrund von Absagen oder Verboten, wie aktuell wegen der Corona-Pandemie, oder als digitale Ergänzung zum realen Messeauftritt – virtuelle Showrooms und Messestände werden immer beliebter im Marketing-Mix der Unternehmen. Wir werfen einen Blick auf zwei Umsetzungsmöglichkeiten.
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[Hinweis der Redaktion: der Artikel stammt vom Juni 2020]
Neue Produkte präsentieren, wichtige Kundenkontakte knüpfen, Verträge abschließen. Die Ziele von Messebeteiligungen können ganz unterschiedlich sein, gemein haben sie in der Regel, dass dabei Menschen live vor Ort zusammenkommen. Angesichts der aktuellen Corona-Pandemie aber auch durch verminderte Reisetätigkeiten aus Umweltschutzgründen ist das nicht immer möglich. Abhilfe können hier virtuelle Messestände bzw. -auftritte sowie Showrooms schaffen.
Dabei sind vor allem zwei Arten der sogenannten digitalen Zwillinge mit relativ wenig Aufwand umsetzbar. Liegen bereits 3D-Daten des Standes vor, kann aus diesen ein virtueller gerenderter Messestand programmiert werden. Wurde der Stand bereits physisch aufgebaut, kann dieser mittels 360°-Fotografie aufgenommen und aus dem Material ein digitales Duplikat erstellt werden.
Geberit WebFair 2020
Mit ebensolcher 360°-Fotografie setzte Geberit Anfang 2020 seinen digitalen Messeaufritt um. Statt im März auf der kurzfristig rund eine Woche vor Start abgesagten Messe SHK Essen seine Produktneuheiten vorzustellen, baute das weltweit im Sanitärbereich tätige Unternehmen kurzerhand einen Teil des bereits fertiggestellten Messestandes in einer Lagerhalle des Messebauers auf. Bei der Anordnung der Produktexponate wurde darauf geachtet, dass sich der Besucher nicht verlaufen kann, indem die Elemente mit Verzicht auf Nischen in einem linearen Rundgang ohne Abzweigungen angeordnet wurden. Für die 360°-Aufnahmen sowie das Rendering des Standes arbeitete Geberit mit dem US-amerikanischen Dienstleister Matterport zusammen.
Persönliche Begegnungen
Der Besucher kann sich im 3D-Rundgang nicht nur virtuell über den Stand bewegen, sondern erhält in Form von Tags bzw. an bestimmten Standpunkten weitergehende Informationen. Geberit war es in diesem Fall sehr wichtig, nicht – wie oft üblich – nur Bilder der Exponate und Infotexte einzubinden, sondern mit Videos zu arbeiten. Die Gesichter Geberits – die Außendienstmitarbeiter – sollten so ganz aktiv in den virtuellen Messerundgang integriert werden und diesen für die Besucher noch persönlicher machen.
Außendienstmitarbeiter präsentieren in extra für die Geberit WebFair aufgenommenen Videos am Exponat die Neuheiten – so wie dies auch live auf der Messe geschehen wäre. Zusätzlich wurden kurze Videos zu Produktmontagen eingebunden. Auch diese finden sonst live statt. Broschüren im virtuellen Regal für Dokumente, mit Link auf das OXOMI-Portal, ergänzen das multimediale Angebot.
Virtueller Messerundgang oder Webcast gefällig?
Geberit legte ebenfalls Wert darauf, die auf dem Messerundgang integrierten Informationen auf möglichst vielfältige Art für verschiedene Nutzungstypen zugänglich zu machen. Für Menschen, die Informationen lieber spielerisch konsumieren, eigne sich, so Geberit Marketing-Chef Thomas Brückle, vor allem der virtuelle Messerundgang, bei dem sich der Besucher von Station zu Station durch den Raum klickt und dort die Videos öffnet. Menschen, denen dieser Zugang zu kompliziert und langwierig ist, die aber trotzdem auf visuelle Informationen setzen, will Geberit mit dem Webcast erreichen. Für diesen wurden, verbunden durch An- und Abmoderationen sowie Zwischenfolien, alle Videos zusammengeschnitten. Dem Audio-Trend Podcast entsprechend, bietet Geberit alles Wissenswerte aus den Videos außerdem auch noch auditiv aufbereitet an. Parallel konnten zu allen deri Formaten Besucher mit Geberit Mitarbeitern im Live-Chat kommunizieren. Die Mitarbeiter in der Technik-Hotline wurden vor Start der WebFair auf die besonderen Belange dieses Neuheitenformats geschult.
Umfassende Vermarktung – gute Zugriffszahlen
Beworben wurde der digitale Auftritt über die Firmen-Website und den monatlichen E-Mail-Newsletter. In einem Zeitraum von vier Wochen vermarktete das Unternehmen den Messerundgang zudem mit einem Marketingbudget von 15.000 Euro auf den eigenen Social-Media-Kanälen. Auch die Außendienstmitarbeiter wiesen in Telefonaten mit Kunden und im Anschluss an die Gespräche in Form einer E-Mail-Vorlage aktiv auf den Messerundgang hin.
Über 12.000 Zugriffe auf die Landing-Page wurden in den ersten vier Wochen nach Launch verzeichnet. Absoluter Favorit der User war dabei der virtuelle 3D-Rundgang über den Messestand, bei dem es ebenfalls zu fast 12.000 Zugriffen kam. Mit etwas mehr Abstand zeigte sich der Webcast mit ca. 3.500 Zugriffen innerhalb der ersten vier Wochen. 1.500 Aufrufe konnten beim Podcast gemessen werden.
Wie tief die Besucher des virtuellen Messestandes jedoch wirklich eintauchen, wie intensiv sie sich mit den Inhalten des Standes auseinandersetzen, lässt sich nicht sagen. Matterport ermöglicht es Nutzern nicht, die einzelnen Tags und die Interaktion mit diesen zu tracken. Eine hohe Verweildauer auf dem Geberit-Stand, mit teilweise bis zu 20 Minuten, lässt jedoch auf eine durchaus eingehende Auseinandersetzung der Besucher mit den angebotenen Inhalten schließen.
Geberit bleibt digital
Nachdem Geberit seinen digitalen Messerundgang innerhalb von nur einer Woche umsetzen konnte, plant das Unternehmen nun mit mehr Vorlaufzeit weitere digitale Live-Kommunikationsmaßnahmen – ganz unabhängig von der Corona-Krise. So ist unter anderem angedacht, Roadshows wie „Geberit on Tour“ als 3D-Rundgang und Webcast zu digitalisieren, eigene Veranstaltungen zum Thema Gebäudebrandschutz sollen als 3D-Rundgang sowie Web- und Livecast angeboten werden.
Auch beim Thema Wissensvermittlung wird Geberit digital. Viele Schulungen sollen zukünftig als Webinare angeboten werden, ebenso fertigt das Unternehmen digitale Zwillinge seiner Ausstellungen zu Produkten mit Matterport an. Daneben ist Geberit im Bereich 3D-Renderings aktiv. Für kleinere Märkte soll seitens des Konzerns ein Baukasten angeboten werden, mit dem für unterschiedliche Länder individuelle virtuelle Rundgänge erstellt werden können.
Grundsätzlich möchte sich das Unternehmen im Bereich der Live-Kommunikationsmaßnahmen stärker in Richtung Hybrid Events entwickeln, um noch mehr Kunden zu erreichen. „Wir glauben, dass sich, nicht nur in den nächsten Wochen und Monaten, sondern auch nach der Corona-Pandemie, das Verhalten unserer Kunden nachhaltig verändern wird. Sie merken aktuell, dass digitale Formate eine Alternative oder eben eine gute Ergänzung zu Präsenzveranstaltungen sein können“, betont Thomas Brückle. Für Geberit war die Corona-Krise somit, mit allen schlimmen und negativen Folgen, auch eine Chance, um nun mit Vollgas die digitalen Eventmaßnahmen, über die das Unternehmen schon seit 15 Jahren nachdenkt, umzusetzen.
Der virtuelle Messestand auf der eigenen Homepage
(Bild: Tagungsentertainment)
Die virtuellen Messestände, die Christina Michaelis von Tagungsentertainment für ihre Kunden umsetzt, verzichten bewusst auf Spielereien – hier stehen die Inhalte im Fokus. Die Gestaltung erfolgt aufgrund der Daten des realen Messestandes. Auch eine Neugestaltung ist möglich. Anschließend wird das Modell mit Kamerafahrten begehbar gemacht und mit Datenpunkten versehen. Diese können an jeder beliebigen Stelle angebracht und mit allen gewünschten Inhalten verknüpft werden.
Für den Besucher startet das Erlebnis mit der ersten Mausbewegung. Erst ab einem realistischen Blickwinkel erscheinen die hinterlegten Datenpunkte, Inhalte erschließen sich nach und nach und bilden somit keine Informationsflut. Kundenbindung, Imagepflege und Informationsvermittlung sind so über den „Inhouse Messestand“ 365 Tage, rund um die Uhr, auf der eigenen Homepage möglich. Tagungsentertainment entwickelt zur Steigerung der Aufmerksamkeit dazu das passende Content-Marketing-Konzept.
Einen anderen Weg ist das Studio Bachmannkern mit seinem Kunden Ledvance gegangen. Auch hier folgte der digitale Zwilling einer kurzfristigen Messeabsage. Hier wurde jedoch mit 3D-Renderings gearbeitet und auf den Aufbau des Standes und 360°-Aufnahmen verzichtet.
Generell entwirft Studio Bachmannkern Messestände immer dreidimensional, allein schon für die Präsentation beim Kunden. Bei Ledvance lagen daher bereits die vollständigen 3D-Daten des Standes vor. Über ein halbes Jahr lang hatte man an der Konzeption und Umsetzung des physischen Messestandes gearbeitet. Als die kurzfristige Absage der Light + Building kam, konnte die Agentur so sehr schnell, innerhalb von nur fünf Tagen, den digitalen Zwilling des Messestandes umsetzen. Nur einen Tag nach eigentlichem offiziellen Messestart lud Ledvance seine Kunden zu einer gemeinsamen virtuellen Begehung des digitalen Standes ein.
Vom physischen zum virtuellen Messestand
Um den virtuellen Rundgang über den digitalen Zwilling zu erstellen, war es zunächst nötig, den Grundriss und die Struktur des Standes zu analysieren. Dabei lag der Fokus auf einer neuen didaktischen Wegführung der Besucher, die sich für einen virtuellen Besuch eignet. Neben der Frage, ob Produkte und Informationen digital überhaupt so gezeigt werden können, wie sie auf dem realen Messestand geplant waren, war es auch wichtig sicherzustellen, dass die Besucher sich nicht „verlaufen“ können – ein Problem, welches bei virtuellen Räumen öfters vorkommt. Wichtig bei einer digitalen Begehung sei jedoch, so Dirk Bachmann-Kern, Gründer und Geschäftsführer des Studio Bachmannkern, dass klar bestimmt werde, wo genau die Besucher den Messestand betreten, welche Ansichten und Produkte sie als erstes sehen, wie also der erste Eindruck ist.
Bei einem virtuellen Rundgang eines Showrooms oder Messestandes muss dabei zwischen Standpunkten und Hotspots unterschieden werden. Standpunkte sind konkrete Punkte im digitalen Raum, an deren Stelle sich der User um 360° drehen und von denen aus er andere Standpunkte aber auch Hotspots sehen und anklicken kann. Hinter den Hotspots selbst sind weiterführende Informationen wie PDFs oder Videos hinterlegt. Generell besteht hier auch die Möglichkeit, z.B. in Form eines Live-Chats, direkt mit den Besuchern in Kontakt zu treten. Auch durch Chatbots kann die Interaktion mit den Besuchern weiter gesteigert werden. Aufgrund der kurzen Umsetzungszeit wurde beim Ledvance-Messestand darauf verzichtet.
Hohe Ansprüche und technische Begrenzungen
Dabei ist der Anspruch an virtuelle Messestände und Showrooms sehr hoch. Viele der potenziellen Besucher sind mit Online-Spielen vertraut, wissen, was heutzutage digital schon alles möglich und visualisierbar ist und erwarten einen gewissen Erlebnischarakter. Problematisch sind hierbei eher die Empfangsgeräte der Besucher. Da in der Regel Business-Laptops oder Smartphones für den virtuellen Rundgang genutzt werden, muss der digitale Auftritt der Rechenleistung dieser Geräte entsprechen.
Auch wenn daher bei den virtuellen Räumen des Studio Bachmannkern die Game Engine Unity zum Einsatz kommt, wird hier noch lange nicht das volle Potenzial ausgeschöpft, beispielsweise dass der Besucher vollkommen frei über den Stand laufen kann. Hintergrund ist u.a., dass nicht sichergestellt werden kann, dass die Geräte der User das volle Erlebnis abbilden können. Problematisch ist ebenfalls, dass für solche Einsätze Echtzeitrenderings genutzt werden, die eine große Serverleistung benötigen, damit auch bei vielen Besuchern gleichzeitig die Simulation noch sauber läuft. Das können viele Unternehmen auf ihren Webseiten nicht leisten. Sollen fremde Server genutzt werden, kommt oftmals der Aspekt des Datenschutzes hinzu.
Der Faktor Ästhetik spielt für Studio Bachmannkern ebenfalls eine entscheidende Rolle. Renderings in Echtzeit könnten, so Stephan Schäfer-Mehdi, Strategie & Kreation bei Studio Bachmannkern, in der Regel einfach nicht die ästhetische Qualität haben, insbesondere was die Ausleuchtung und somit Atmosphäre und Tiefe des Raumes angeht, wie einzelne Renderings von bestimmten Blickpunkten. Letztendlich müsste man individuell entscheiden, worauf der Fokus liegen soll. Wolle man mehr Gaming-Qualität, müsse man auf ästhetische Qualität verzichten. Im B2B-Bereich werde in der Regel jedoch mehr Wert auf die ästhetische Wirkung gelegt.
Vorteile des Digital Twin
Da der zusätzliche Aufwand bei einem für die Realität konzipierten Messestand vergleichsweise gering ist, empfiehlt die Agentur Kunden schon jetzt, auch für zukünftige Messen immer einen digitalen Zwilling anzulegen. So sei man, egal ob ein Vulkan ausbricht oder ein Orkan tobt, abgesichert und habe trotzdem die Möglichkeit, über das Marketinginstrument Messestand mit den Kunden zu kommunizieren. Auch für Kunden, die aus anderen Gründen die Messe nicht besuchen können, sei dies eine tolle Alternative, so Dirk Bachmann-Kern.
Ohne dass das eine das andere kannibalisiere, sei der Digital Twin eine gute Möglichkeit, die Reichweite des Unternehmens zu vergrößern. Im Gegensatz zum physischen Messestand, der nach wenigen Tagen wieder abgebaut wird, habe der digitale Messeauftritt Bestand und könne über einen wesentlich längeren Zeitraum als Marketing- und Kommunikations-Tool genutzt werden.
Mehr Interaktivität
Dirk Bachmann-Kern ist sich sicher, dass der digitale Zwilling des physischen Messestandes insbesondere für größere Unternehmen in Zukunft zum Standard wird. Erst mit etwas zeitlichem Abstand könne man jedoch deutlich erkennen, welche der aktuell vermehrt durchgeführten, digitalen Formate auch nachhaltig genutzt werden und in Zukunft sinnvoll sind. Stephan Schäfer-Mehdi ergänzt: „Mit Sicherheit werden sich digitale Formate stärker etablieren. Auch wenn hier für einen langfristigen Erfolg insbesondere die Interaktivität von digitaler Live-Kommunikation noch stärker werden muss. Interaktionsmöglichkeiten sollten nicht damit enden, dass man etwas anklickt und ein Film startet“. Es brauche echten Erlebnischarakter.