Round Table Talk: Was erwarten Automobilhersteller von Veranstaltungstechnik-Dienstleistern?

Event­tech­nik auf der IAA: Das sind die Wün­sche der Au­to­mo­bil­hersteller

Die Zeichen stehen auf Wandel: Bereits im Vorfeld verursachte die 67. Internationale Automobil-Ausstellung Schlagzeilen, welche die Verantwortlichen vermutlich lieber nicht gelesen hätten, und das spitzzüngige Bonmot einer „Messe mit Motorschaden“ machte ausgiebig die Runde. Die Zahl der Absagen bekannter Hersteller und Marken erreichte erstmals den zweistelligen Prozentbereich – nicht zur Leitmesse kamen u.a. Alfa Romeo, Cadillac, Fiat, Mitsubishi, Jeep, Nissan, Peugeot, Rolls-Royce und Volvo. Auch Shooting-Star Tesla fehlte, obwohl Elektromobilität neben dem autonomen Fahren ein beherrschendes Thema der Frankfurter Automobilschau war. Kosten mögen eine Rolle gespielt haben, und vielfach stand sicher die Frage im Raum, ob eine Messe angesichts der Möglichkeiten von Internet und Virtual/Augmented Reality überhaupt noch ein zeitgemäßes Format ist.

Mercedes auf der IAA 2017
(Bild: Jörg Küster)

Dass sich die Zeiten ändern, wurde auch von den in die IAA-Messeaktivitäten involvierten technischen Gewerken in mehr oder weniger ausgeprägter Form wahrgenommen. Anlässlich der IAA 2017 hatte EVENT PARTNER am ersten Messetag drei renommierte Production Companies zu einer Gesprächsrunde in ein Café nahe der Messehallen eingeladen. Die Leyendecker GmbH wurde durch Geschäftsführer Marcus Leyendecker vertreten, für die Neumann&Müller GmbH & Co. KG nahm Projektleiter Benjamin Sill teil und die satis&fy AG wurde von Vorstand Nico Ubenauf repräsentiert. Obwohl es sich um drei im Wettbewerb stehende Unternehmen handelt, fand das Gespräch in entspannter Atmosphäre statt – man kennt und schätzt sich offenkundig auch. Die Leistungen der drei am Round Table Talk teilnehmenden Unternehmen waren in Frankfurt bei den IAA-Messeauftritten unterschiedlicher Marken zu erleben – von großen Playern mit XXL-Präsenzen bis zu aufstrebenden Marken mit frischen Ideen und kleinerem Budget.

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Wie stellte sich die 67. IAA für Veranstaltungstechnikspezialisten dar? Wir sprachen in Frankfurt mit Lleyendecker, Neumann&Müller Veranstaltungstechnik und satis&fy:

Stimmungstief trotz Absatzrekord?

Zunächst eine Frage, die in Zeiten von Dieselskandal und Kartellvorwürfen auf der Hand liegt: Ist die Stimmung auf der IAA schlechter als in früheren Jahren?

Benjamin Sill: Das finde ich persönlich nicht, wobei das möglicherweise bei jedem Automobilhersteller ein wenig anders aussieht: Bei Suzuki beispielsweise ist man nach meinem Empfinden sehr guter Dinge, und auf der gegenüber 2015 deutlich vergrößerten Standfläche wird mit neuen Möglichkeiten wie etwa Virtual-Reality-Anwendungen experimentiert. Auch bei Daimler ist mir hinsichtlich schlechter Stimmung nichts aufgefallen – zumindest kommt bei uns als Technikdienstleistern davon nichts an. Bei den zur VW-Gruppe gehörenden Marken mag die Stimmung ein wenig angespannt sein, aber sie ist beileibe nicht schlecht.

Marcus Leyendecker: Bei BMW ist die Stimmung ebenfalls nicht schlecht. Wenn man sich mit Kollegen unterhält, ist es natürlich immer ein Thema, wie die IAA in zwei Jahren aussehen könnte. Es ist aber nun keineswegs so, dass sich jemand ernsthaft Sorgen darüber macht, dass er in den kommenden Jahren nichts mehr zu tun haben könnte.

 

Wie steht Frankfurt im Vergleich zu anderen Automobilmessen da? Alle Companies, die heute hier am Tisch sitzen, verfügen über umfangreiche Erfahrungen in Asien und den USA.

Leyendecker: Ein massiver Trend hört auf die Bezeichnung Local Sourcing: Früher haben wir beispielsweise in China sehr viel für die Volkswagen-Gruppe gemacht, was in diesem Umfang nicht mehr der Fall ist, weil seit einiger Zeit vermehrt chinesische Firmen zum Zuge kommen. Man muss einräumen, dass die im Reich der Mitte beheimateten Firmen bezüglich der Dienstleitungsqualität deutlich besser geworden sind, und in der Veranstaltungstechnik werden nun vielfach auch bewährte Originalprodukte und nicht lediglich in China gefertigte Kopien eingesetzt. Die Miete für Technik ist in China allerdings teurer als in Deutschland, doch Volkswagen reduziert durch Local Sourcing die Kosten für See- und Luftfracht. Das Personal ist im Reich der Mitte darüber hinaus günstiger als hierzulande. Erst kürzlich war ich auf einer Messe in China und kann sagen, dass ich dort viele überzeugende Leistungen gesehen habe. Es ist nicht mehr so, dass unbedingt eine deutsche Firma für die Umsetzung eines Messeauftritts in China verpflichtet werden muss.

Nico Ubenauf: Wir sind mit satis&fy weltweit aktiv, allerdings abgesehen von Arbeiten für einige langjährige Kunden nicht ganz so häufig mit den großen Automobilmessen befasst. Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass viele der ganz großen Launches inzwischen in Shanghai stattfinden. China ist zwischenzeitlich zum größten Automobilmarkt der Welt herangewachsen, was natürlich auch Einfluss auf eine Messe wie die Frankfurter IAA nimmt. Wenn ich allerdings über das Frankfurter Messegelände laufe, nehme ich ganz unterschiedliche Tendenzen wahr: Es gibt junge Automarken, die sehr forsch auftreten, und große Player, die ihren Aufwand merklich reduzieren. Als herausragend gute Performance ist mir der Auftritt von BMW aufgefallen – es ist wirklich beeindruckend, was da in welcher Qualität in Halle 11 abgeliefert wurde! Es handelt sich um einen unglaublich wertigen Auftritt, der ein außerordentlich starkes Statement für die Marke ist. BMW ist auf der Messe für mich persönlich so etwas wie der „visuelle Marktführer“.

Leyendecker: Daimler ist aber auch sehr gut dabei – der Markenauftritt in der Festhalle ist absolut hochwertig und zählt gemeinsam mit der Präsentation von BMW in Halle 11 zu meinen Favoriten. Beide Unternehmen haben offenkundig viel Geld in die Hand genommen, präsentieren sich damit dann aber auch entgegen des allgemeinen Trends überproportional gut!

 

Höher, schneller, weiter

Ist „höher, schneller, weiter“ für Automobilmessen nicht mehr die Maxime der Wahl?

Leyendecker: Ohne Frage gab es über viele Jahre hinweg eine Art Wettrüsten, und etwa von VW kam stets die Ansage, dass der eigene Stand der hellste auf der gesamten Messe sein sollte. Man wusste damals, dass man bei Volkswagen war, wenn man sich in der am stärksten ausgeleuchteten Halle befand und spontan eigentlich immer eine Sonnenbrille aufsetzen wollte … (lacht). Das Wettrüsten mitsamt seiner gelegentlich am Ziel vorbeischießenden Entwicklungen ist jedoch erfreulicherweise vorbei, und inzwischen wird das Augenmerk wieder verstärkt darauf gerichtet, gute Ergebnisse auf einem vernünftigen Level zu erzielen.

Sill: Das sehe ich genauso. Es gibt kleinere Automarken, die sich aktuell noch im „Aufrüstungsmodus“ befinden, weil sie auf dem europäischen Markt verstärkt Fuß fassen möchten und noch lange nicht dort sind, wo sich Konzerne wie BMW, Daimler oder VW bereits erfolgreich etabliert haben. Aus rein technischem Blickwinkel sehe ich allerdings nicht, dass das Engagement irgendwo auf der Messe nennenswert zurückgefahren wurde – niemand will seine Fahrzeugpräsentation mit nur noch halb so vielen Lampen oder der Hälfte der sonst üblichen Lautsprecher in Szene setzen.

Benjamin Sill
Benjamin Sill: “Das Konzept einer Messe wird sich in Zukunft ändern, wobei wir nicht über Zeiträume von ein oder zwei Jahren, sondern eher über Jahrzehnte sprechen .” (Bild: Jörg Küster)

Vor nicht allzu langer Zeit waren viele IAA-Markenauftritte mit allerlei Grünpflanzen dekoriert, und die Pressemitteilungen der Aussteller überschlugen sich geradezu mit Aussagen wie „nachhaltiges Standdesign“ und „Reduzierung der CO2-Emissionen“. Nicht selten drängte sich dabei der Eindruck auf, dass es sich um marketinggetriebene Aussagen und nicht um ein aufrichtiges Anliegen handelte …

Ubenauf: Nachhaltigkeitsaspekte sind aus meiner Sicht derzeit leider nur ein Add-on: Wenn man einem Kunden erklärt, dass man seinen Stand nicht nur gemäß seiner Wünsche bauen kann, sondern dabei auch in einem mehr oder weniger umfangreichen Rahmen Rücksicht auf die Umwelt nimmt, wird er das wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Für Marken, bei denen Nachhaltigkeitsaspekte einer der USPs sind, sieht das natürlich anders aus. Leider werden die Möglichkeiten zu einer ökologisch sinnvolleren Gestaltung von Messeauftritten aus unterschiedlichen Gründen oft nicht in jenem Maß umgesetzt, das wir uns eigentlich wünschen würden.

Leyendecker: Vieles, was früher von Marketingabteilungen in diesem Zusammenhang publiziert wurde, war reine Augenwischerei: Nach wie vor werden extrem große Messestände gebaut, in denen trotz moderner LED-Beleuchtung Megawatt an Lichtleistung verbraucht werden – und nach dem Ende der Messe landet die Hälfte des für den Standbau benötigten Materials dann im Container.

 

Ferdinand Dudenhöffer hält die Präsentationen auf aktuellen Automessen laut Presseberichten für „zu langweilig“.

Ubenauf: Das ist eine sehr pauschale Aussage. Ich finde, dass auf der IAA 2017 viele Markenauftritte wirklich überzeugen und sich als Brand Experience absolut sehen lassen können: Wenn alles gut gemacht ist, merkt man intuitiv, in welcher Markenwelt man sich gerade befindet – das bedeutet, dass ein authentisches Markenerlebnis kreiert wurde. Selbstverständlich sind in Frankfurt aber auch diverse Stände anzutreffen, bei denen das noch nicht in dieser Perfektion geschafft wurde.

Leyendecker: Ich habe zahlreiche Stände gesehen, auf denen Interaktionen mit den Besuchern stattfinden und die ich als überhaupt nicht langweilig empfinde. Mittels zeitgemäßer Medientechnik findet vielfach eine interessante Aufbereitung ganz unterschiedlicher Themen statt, was allerdings nicht heißen soll, dass an einzelnen Ständen nicht lediglich Fahrzeuge ganz unspektakulär ausgestellt werden. In puncto Augmented Reality habe ich auf der Messe richtig gute Umsetzungen gesehen. Darüber hinaus erklärt Daimler beispielsweise das Potenzial von 3D-Druckern in sehr anschaulicher Form, so dass man dort gerne verweilt und sich informiert. Ich denke, dass solche begleitenden Aktionen in Zukunft stärker gefragt sein werden und eben nicht nur das reine Produkt irgendwie zur Schau gestellt wird.

 

Neue Demut?

VW geht auf der diesjährigen IAA wohl mit Gedanken an die aktuellen Entwicklungen zumindest nach außen hin in Sack und Asche. Audi hat keine immens teure Halle auf dem Agora-Gelände errichten lassen, und sogar die vormals mit viel Aufwand zelebrierte Volkswagen Group Night am Vorabend der Messeeröffnung wurde 2017 direkt auf dem Stand und nicht in einem externen Venue ausgerichtet. Ist das so etwas wie die neue Demut?

Leyendecker: Die Zahl der Besucher hat sich bei der Group Night nicht großartig geändert, und 2017 konnten deutlich über 1.200 Journalisten und VIP-Gäste begrüßt werden. Ein buntes Bühnenprogramm mit Künstlern wie den Pet Shop Boys gab es dieses Mal allerdings nicht. Ich kann mich an frühere Abende erinnern, bei denen sich quasi alles bewegt hat: Es gab verfahrbare Videowände, die Bühne hat sich gedreht, und es waren äußerst aufwändige Licht- und Sound-Installationen mit eigens produziertem Content gefragt. Auch war es so, dass jede Konzernmarke auf der Group Night ihr neues Fahrzeugmodell vorgestellt hat – im aktuellen Jahr wurde hingegen lediglich zwei Studien präsentiert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für uns als Unternehmen durch die vorgenannte Entwicklung ein größeres Auftragsvolumen wegfällt. Ganz konkret: Vormals wurden mitunter 18 Trailer mit Material zu einer Group Night gefahren, während es 2017 lediglich zwei Trailer waren.

Sill: Obwohl wir auch für eine Marke des VW-Konzerns arbeiten, hatten wir bislang noch nicht so viel mit der Group Night zu tun. Ich denke, dass die Gestaltung des Messeauftritts und der begleitenden Aktivitäten stark vom jeweiligen Automobilhersteller abhängt: Suzuki beispielsweise hat dieses Jahr die Ausstellungsfläche vergrößert und mehr Technik als sonst aufgefahren. Bei Porsche ist die Größe des Messeareals gleichgeblieben, und auch die technische Ausstattung bewegt sich meines Wissens nach in einem vergleichbaren Rahmen wie bei früheren Auftritten in Frankfurt.

Leyendecker: BMW belegt weiterhin die gesamte Halle 11, doch wenn man genau hinschaut, nimmt man leichte Veränderungen war: So ist beispielsweise die Fahrstraße kleiner, die Bühne dafür aber größer. Ich denke nicht, dass sich beim Auftritt von BMW über die Maße viel geändert hat; bei VW zeigen sich allerdings massive Umstellungen.

Ubenauf: Bei Smart bewegt sich der Aufwand für den Frankfurter Messeauftritt in einem vergleichbaren Rahmen wie vor zwei Jahren.

Nico Ubenauf
Nico Ubenauf: “Nachhaltigkeitsaspekte sind aus meiner Sicht derzeit leider nur ein Add-on .” (Bild: Jörg Küster)

Vergleichsweise viele Hersteller stellen in diesem Jahr nicht auf der IAA aus. Volvo ist bereits zum zweiten Mal nicht auf der Leitmesse vertreten.

Leyendecker: Volvo verfolgt ein anderes Konzept und setzt verstärkt auf Roadshows: Die aktuellen Fahrzeugmodelle werden in unterschiedlichen europäischen Städten präsentiert, wodurch Kunden direkt angesprochen werden und sogar Probefahrten unternehmen können. Der Wettbewerb befindet sich bei diesem Konzept auch nicht wie auf einer Messe in unmittelbarer Nähe. Tesla ist in Frankfurt übrigens nicht vertreten, weil das Unternehmen eine vollkommen andere Marketingstrategie verfolgt, welche zu weiten Teilen auf das Internet setzt.

 

Kostenexplosion

In den Tagen vor der IAA war viel die Rede davon, dass die Frankfurter Messe Quadratmeterpreise von 166 Euro aufruft. Schaut man sich Halle 11 an, kommt man für den Auftritt von BMW auf eine Miete von überschlägig zwei Millionen Euro – ohne Standbau, Technik, Personal und andere Faktoren. Auch die Hotelpreise in Frankfurt explodieren regelmäßig zu Beginn einer Messe. Laut Hörensagen lässt BMW sein Top-Personal inzwischen sogar täglich aus München einfliegen, weil das günstiger ist, als Übernachtungen in Frankfurt zu buchen.

Leyendecker: Die Kosten steigen überall auf breiter Front – leider erhalten wir als Dienstleister am Ende des Tages für unsere Arbeit trotzdem nicht mehr Geld. Jedes Hotel schafft es, die Übernachtungspreise pünktlich zum Messebeginn zu verdoppeln oder zu verdreifachen, während wir bei zunehmend komplexer werdenden Aufgabenstellungen tendenziell weniger als in den Vorjahren in Rechnung stellen können. Das bedeutet, dass wir an unserer internen Kostenschraube drehen müssen, was bei der inzwischen erreichten Dimension durchaus ein wenig nervt – bezüglich der Preisentwicklung ist kein Ende in Sicht.

Sill: Das kann ich problemlos so unterschreiben! Wir schauen nach internen Einsparpotenzialen, indem wir beispielsweise Arbeiten sinnvoll zusammenlegen, wenn mehrere Stände auf der gleichen Messe zu betreuen sind. Kunden kümmert es in aller Regel übrigens herzlich wenig, welche Hotelkosten wir als Dienstleister für unsere Mitarbeiter aufwenden müssen.

Ubenauf: Die Kostenentwicklung ist für jeden von uns ein großes Thema. Der einzige positive Aspekt, den ich der Situation abgewinnen kann, besteht darin, dass wir unsere Prozesse auf Effizienz trimmen müssen. Die Schaffung entsprechender Strukturen und eine saubere Planung sind heute noch wichtiger als früher.

Leyendecker: Selten verstehen Kunden, dass für uns auch bedingt durch neue gesetzliche Auflagen ein höherer Aufwand entsteht. Konkret zu nennen wären Maßnahmen wie die BGV A3-Prüfung.

Sill: Bei uns war es in diesem Jahr so, dass wir auf Wunsch der Messe manche Hängepunkte mit Wiegezellen ausstatten mussten. Technisch ist das kein Problem, aber das war so natürlich in keiner vorab erstellten Kalkulation enthalten. Auf Kunden lassen sich solche Kosten jedenfalls nicht abwälzen.

 

Wirft die aktuelle Sicherheitslage Probleme für Production Companies auf? Mein Kamera-Equipment wurde heute beim Zugang auf das Gelände ausgiebig untersucht, was in Zeiten wie diesen bei Rucksäcken und größeren Taschen fraglos auch sinnvoll ist.

Leyendecker: Wir mussten für alle Mitarbeiter, die an Pressekonferenzen teilnehmen sollten, polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen – so etwas gab es früher nicht.

Sill: Wir mussten sämtliche Mitarbeiter im Vorfeld akkreditieren, und zwar auch jene Kollegen, die für den nächtlichen Abbau verantwortlich sind, was so bis dato nicht Usus war.

 

Digitalisierung: Herausforderung und Chance

In Zeiten der Digitalisierung ist es nicht mehr unbedingt erforderlich, sich auf eine Messe zu begeben, um über Neuvorstellungen und Trends informiert zu sein. Hat sich die Messe als Konzept generell überlebt?

Sill: Ich denke, dass sich das Konzept einer Messe in Zukunft ändern wird, wobei wir nicht über Zeiträume von ein oder zwei Jahren, sondern eher über Jahrzehnte sprechen. Die Technik entwickelt sich stetig weiter, und vielleicht werden Autos in 20 Jahren gar nicht mehr physisch auf einer Messe präsent sein, sondern als Hologramme oder in anderer digitaler Form erscheinen. Nichtsdestotrotz denke ich, dass Interessenten ein neues Fahrzeug weiterhin auf einer Messe unmittelbar erleben möchten. Im Moment ist nicht absehbar, dass sich diese direkte Erfahrung in ihrer Gesamtheit ersetzen lassen wird.

Leyendecker: Wir glauben fest daran, dass Messen weiterhin stattfinden werden, und als Unternehmen investieren wir auch in diesem Bereich. Die Messe Frankfurt baut aktuell eine neue Halle, was Zuversicht hinsichtlich der künftigen Entwicklung signalisiert. Ich denke, dass der persönliche Kontakt mit einem Aussteller und seinen Produkten weiterhin sehr wichtig bleiben wird: Informationen kann man zwar im Internet einholen oder im Anschluss an den Besuch einer Messe nachlesen, aber man sollte auch bedenken, dass die Menschen weiterhin etwas erleben und nicht nur vor dem Rechner sitzen möchten. Schwankungen wird es bei einzelnen Messen immer geben, wie recht gut an der CeBIT zu sehen ist.

Marcus Leyendecker
Marcus Leyendecker: “Selten verstehen Kunden, dass für uns auch bedingt durch neue gesetzliche Auflagen ein höherer Aufwand entsteht “. (Bild: Jörg Küster)

 

Auf der Messe befinden sich allerorts Datenbrillen im Einsatz, die von den Besuchern offenkundig sehr gut angenommen werden – ist das der aktuelle Trend?

Sill: Es ist sicher ein Trend, aber wie bei allen Trends stellt sich die Frage, ob sie langfristig Bestand haben. Vor vier Jahren war 3D en vogue, und obwohl die Technik inzwischen auf breiter Basis verfügbar ist, schaut sich heute kaum jemand zuhause 3D-Filme an. N&M unterhält in München, Dresden und Hamburg jeweils ein Studio, das Inhalte für Virtual und Augmented Reality produziert.

Leyendecker: Wir bieten entsprechende Leistungen ebenfalls an und haben gerade ein großes Projekt realisiert, für das eine VR-Anwendung gefordert war. VR und AR sind ohne jede Frage schöne Tools, aber letztlich möchte ein potenzieller Kunde das Produkt dann doch immer auch anfassen können. Ich denke, dass die aktuellen Virtualisierungstechnologien als verkaufsunterstützende Mittel verstanden werden sollten. Es wird in absehbarer Zukunft wohl kaum so sein, dass in einem Autohaus Fahrzeuge nur noch virtuell präsentiert werden.

Ubenauf: Ich halte die Entwicklungen rund um Augmented Reality für sehr spannend, weil man mit gut gemachten Tools in spielerischer Form einen Mehrwert für Konsumenten erzeugen kann. Die Customer Journey kann dadurch aufgewertet werden, und ich denke, dass uns dieses Thema in den kommenden Jahren verstärkt begleiten wird – insbesondere, wenn die Brillen leichter und besser handhabbar werden. In unserem unternehmenseigenen Lab beschäftigen wir Mitarbeiter, die sich intensiv mit den Möglichkeiten von AR-Anwendungen auseinandersetzen. An Virtual Reality glaube ich hingegen überhaupt nicht, denn es handelt sich zumindest bei der Verwendung geschlossener Brillen um ein Vereinzelungserlebnis.

 

Auf der Messe sind diverse Aussteller vertreten, die man im ersten Moment möglicherweise nicht in einen direkten Zusammenhang mit der Automobilindustrie bringen würde: Ich denke an Unternehmen wie Facebook, Google, SAP oder Qualcomm. Auch in der neu geschaffenen New Mobility World in Halle 3.1 sind Aussteller aus der IT- und Tech-Branche prominent vertreten.

Sill: Viele Automobilhersteller begeben sich auf Messen wie die CES, und in umgekehrter Richtung funktioniert das natürlich auch … (schmunzelt). Es ist eine Durchmischung zu beobachten, aber ich sehe darin jetzt nicht unbedingt einen Trend.

Leyendecker: Ich sehe hier eine Chance, neue Kunden zu gewinnen, denn auch IT- und Hightech-Unternehmen benötigen ja Messestände. Für die aktuelle IAA hatten wir schon mehrere Anfragen aus diesen Branchen, welche wir aufgrund unserer hohen Auslastung jedoch nicht positiv beantworten konnten. Ich denke, dass wir in zwei Jahren für die IAA 2019 deutlich mehr Gas in den entsprechenden Segmenten geben werden.

 

Technik als Tool

Gibt es auf der IAA 2017 bei der Umsetzung von Messeständen grundlegende technische Neuerungen oder sind besondere Trends bezüglich der Veranstaltungstechnik zu beobachten?

Leyendecker: Bei BMW haben wir für die Beschallung des riesigen Ausstellungsareals ein aufwändiges Q-SYS-System installiert, dass die einzelnen Standbereiche mit individuell abgestimmten Soundscapes versorgt. Dank der leistungsstarken digitalen QSC Plattform können wir auf Wunsch Klänge individuell mit einem durch die Halle fahrenden Auto verknüpfen. Das ist als Einzelaspekt sicher spannend, aber am Ende müssen die Leistungen aller Gewerke perfekt miteinander harmonieren, damit sich für den Messeauftritt ein stimmiges Bild ergibt.

Sill: Bezüglich der technischen Umsetzung ist mir auf den Messeständen der IAA 2017 bislang noch nichts aufgefallen, was ich in ähnlicher Form nicht irgendwo anders schon einmal gesehen hätte. Das mag allerdings eine berufsbedingte Wahrnehmung sein und bedeutet keineswegs, dass Technik nicht vielfach in sehr überzeugender Form eingesetzt wird und die zu vermittelnden Botschaften unterstützt.

Ubenauf: Ich denke, dass man sich als Marke bei einem Messeauftritt nicht mehr rein über technische Lösungen differenzieren kann – ein Zuviel an Technik, das vom Besucher als Overkill aufgefasst wird, kann ganz im Gegenteil dem Gesamteindruck schaden. Inzwischen ist aus meiner Sicht wieder ein Punkt erreicht, an dem Technik als Mittel zum Zweck verstanden wird – als wichtiger Teil der Gesamtinszenierung mit Momenten der Perfektion dabei aber nicht unerheblich zum Erfolg eines Messeauftritts beiträgt.

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