Ambion mit neuem Arbeitszeitmodell für Veranstaltungstechniker
Ein Jahr „Mission300“: Beschäftigungskonzept für Selbstständige in der Veranstaltungstechnik
von Martina Gawenda, Christian Hecker,
Die Fronten sind schwierig: Endkunden wollen gerne, dass die technischen Dienstleister, die sie beauftragen, festangestellte Mitarbeiter stellen. Die zig selbstständigen Veranstaltungstechniker in der Eventbranche wollen jedoch oft aus diversen Gründen ihre jahrelang geübte Selbstbestimmtheit nicht opfern. Veranstaltungstechnikdienstleister Ambion geht seit über einem Jahr einen neuen Weg.
(Bild: Ambion)
In 2017 entschied der international tätige Veranstaltungstechnikdienstleister Ambion, dass das Unternehmen sich aus der Beauftragung selbstständiger Einzelunternehmer verabschieden wolle. Anstelle dessen wurden verschiedene flexible Arbeitszeitmodelle konzipiert.
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Christian Sommer, Geschäftsführer bei Ambion und verantwortlich für den Bereich Personal, erzählt, dass die Unternehmensführung lange überlegt habe, wie sie die Vorteile eines flexiblen Einsatzes von Spezialisten mit den Vorteilen der angestellten Beschäftigung kombinieren könne. Operativ sollte sich in der Zusammenarbeit mit den selbstständigen Einzelunternehmern nichts ändern. Nach vielen Gesprächen mit festen und freien Mitarbeitern und zahlreichen Beratungsterminen mit Fachanwälten und Steuerberatern wurde dann vor rund einem Jahr die Mission300 ins Leben gerufen. EVENT PARTNER zieht mit Christian Sommer nach einem Jahr Mission300 Resümee.
„Alle reden von Arbeiten 4.0. Hier ist die Branchenlösung dazu”
Christian Sommer
Was versteckt sich hinter dem Begriff „Mission300“?
Christian Sommer: Unsere „Mission“ ist es, Mitarbeiter für etwa 300 voll sozialversicherungspflichtige Stellen zu finden, die wir nahe unserer vier Standorte schaffen.
Es handelt sich also um verschiedene Arbeitszeitmodelle. Wie unterscheiden sich diese?
Christian Sommer: Nach dem Kleidergrößenprinzip gestaffelt, bieten wir verschiedene Arbeitszeitmodelle von XS bis XL an, die jeweils einen entsprechenden Stellenumfang definieren. Das kleinste Arbeitszeitmodell, bei uns XS genannt, beginnt mit 24 Tagen und zwar pro Jahr und entspricht etwa einer 10%-Stelle. Dann kommt das Modell S mit 60 Tagen. Dieses deckt sich mit einer 25%-Stelle. Und so geht es weiter: M mit 50%, L sind 75% und XL 100%.
Die Zusammenarbeit startet mit einem Jahresvertrag, das Gehalt wird monatlich gezahlt. Man spricht hier von verstetigtem Einkommen. Die Höhe des Einkommens basiert auf dem vereinbarten Stellenumfang sowie der individuellen Qualifikation und Erfahrung, die der Kollege mitbringt.
Wir haben für uns definiert, dass die kleinen Stellen XS und S nur für Veranstaltungstechniker bestimmt sind, die auf Produktionen arbeiten wollen. Möchte jemand auch inhouse tätig sein und an unserem Schulungs- und Weiterbildungsprogramm teilnehmen, dann geht das ab einer 50% Stelle (Modell M). Genauer kann man das auch auf unserer Website www.ambion.de/mission300 nachlesen. Dort findet man auch die Ansprechpartner, mit denen man ein Beratungsgespräch vereinbaren oder schnell mal im neuen Live-Chat offene Fragen klären kann.
Wie kam es überhaupt dazu, dass ihr euch Gedanken über ein neues Beschäftigungsmodell für selbstständige Veranstaltungstechniker gemacht und dieses in die Tat umgesetzt habt? Was waren eure Beweggründe?
Christian Sommer: Politisch ist das Arbeiten in Angestelltenverhältnissen gewünscht und es erscheint uns eine gute Möglichkeit der nachhaltigen Zusammenarbeit mit Spezialisten in unserer Branche. Positiv sehen wir die Absicherung im Sozialsystem durch Rentenanspruch und Fortzahlung im Krankheitsfall.
„Mir gefällt an der Mission300, dass ich eine hohe Flexibilität beim Buchen der Jobs habe. Bei Anfragen der Personal-Dispo von Ambion habe ich die Möglichkeit, den Job zu- oder abzusagen.”
Lars Lüdemann, Mitarbeiter Mission300, Modell XS
Was sind für einen erfolgreicher Freelancer oder allgemein Bewerber die sonstigen Vorteile?
Christian Sommer: Ambion arbeitet schon immer gerne mit angestellten Mitarbeitern. Das garantiert dem Kunden bekannte Gesichter auf den Produktionen und alle profitieren von der Qualität und Identifikation der Menschen, mit denen wir arbeiten. In der Mission wollen wir das noch ausbauen und ein nachhaltiges System mit umfänglichen Sozialleistungen schaffen. Einzahlung in ein Rentensystem, Krankenversicherungsbeiträge – egal ob private oder gesetzliche Krankenkasse. Entscheidend aber ist das monatliche Grundrauschen in Form eines verstetigten Einkommens. Der Mitarbeiter ist nicht abhängig von saisonalen Schwankungen oder der Konjunktur. Er erhält ein monatliches Fixum, egal ob er in diesem Monat gearbeitet hat oder nicht. Im Gespräch hat mir ein Kollege vor drei Monaten vorgerechnet, dass er seine Miete und die Lebensmittel mit einem Stellenumfang von 15% gesichert hat.
Wie läuft das ab? Verpflichtet ihr die Mitarbeiter zu gewissen Einsätzen?
Christian Sommer: Natürlich nicht! Uns ist wichtig, dass die Zusammenarbeit so flexibel und liberal bleibt, wie sie war. Wir fragen rechtzeitig an, ob Zeit und Interesse bestehen, auf einer Produktion zu arbeiten. Der Mitarbeiter kann selbst entscheiden, ob er kann und möchte. Wichtig dabei ist, dass beide Parteien das Jahreskontingent im Blick behalten. Wir machen das jetzt seit einem Jahr und hatten bislang keine Probleme. Im Gegenteil: Wir konnten im gegenseitigen Einvernehmen einige Kontingente erhöhen und damit die Zusammenarbeit intensivieren, was natürlich auch mehr Einkommen bedeutet.
Und was passiert, wenn ein Mitarbeiter krank wird?
Christian Sommer: Selbstverständlich gilt eine Fortzahlung im Krankheitsfall. Diese bezieht sich auf gebuchte Tage. Das heißt, nach gegenseitiger Zusage gilt eine Produktion als gebucht. Wird der Mitarbeiter kurzfristig krank, kümmern wir uns um Ersatz und er bekommt den Tag als Arbeitstag gutgeschrieben.
„Ich finde an unserer Mission300 besonders attraktiv, dass sie zwei Arbeitswelten verbindet und deren Vorzüge nutzt.”
Sascha Sander, Personalabteilung Mission300
Gibt es auch Urlaub?
Christian Sommer: In Deutschland besteht ein gesetzlicher Anspruch auf mindestens 24 Tage Urlaub und das ist auch gut so. Schließlich muss man sich auch mal von dem ganzen Wahnsinn erholen (lacht). Erholung sichert Gesundheit und daran haben wir als verantwortungsvoller Arbeitgeber ein großes Interesse.
Ein Beispiel: Wir dimensionieren das S-Modell mit 60 Tagen. Das ist die Nettoarbeitszeit pro Jahr. Im Arbeitsvertrag stehen 66 und damit 6 Tage Urlaub. Bezahlter Urlaub. Bei einer Vollzeitstelle sind es 24 Tage, nur dass keiner die 260 Tage so genau benennt. Hat jemand mehrere Anstellungsverhältnisse und generiert damit komplett seinen Lebensunterhalt, so kann er entspannt in den Urlaub fahren, da er sich nicht um fehlende Umsätze aus freien Buchungen kümmern muss. Und da wird es auch in der Teilzeit auf einmal relevant, dass man einen Urlaubsanspruch hat.
Was mache ich mit der restlichen Zeit, wenn ich bei euch eine S-Stelle habe?
Christian Sommer: Möglich ist alles! Ambion wünscht sich natürlich Nachahmer, die ähnliche Modelle anbieten. Vorstellbar wäre dann, dass ein Mitarbeiter mehrere kleine Stellen bei unterschiedlichen Technikdienstleistern oder auch festen Spielstätten innehat. Das Ganze wäre auch kombinierbar mit einer Selbstständigkeit oder einer Karriere als Musiker, Weltreisender oder Elternteil mit Kindererziehung. Alle reden von Arbeiten 4.0. Hier ist die Branchenlösung dazu.
Hört sich total prima an – wo ist der Haken?
Christian Sommer: Es gibt keinen! Wir glauben, es ist eine riesige Chance für die Eventbranche. Aber die Vorbehalte sind bei neuen Sachen immer erst mal immens. Ambion kann es sich gar nicht leisten, dass die Mission300 einen Haken hat. Das würde sich sofort rumsprechen.
Und was ist mit Geld, was kann man verdienen?
Christian Sommer: Wichtiges Thema! Das Geld muss stimmen! Wir orientieren uns erst mal an der aktuellen Gehaltsstudie des VPLT aus dem Jahr 2018. Willst du mehr, musst du gut verkaufen. Immer hinzu kommt ein Flexibilitätsbonus, der umso höher ist, je kleiner die Stelle ist. Der Bonus ist so dimensioniert, dass jemand mit mehreren kleinen Stellen bereits ab 75% Gesamtumfang auf 100% Gehalt kommt. Das führt – neben einem sicheren Gehalt – zu mehr Freizeit oder der Möglichkeit, sich noch etwas auf freier Basis hinzuzuverdienen.
„Für mich als Mitarbeiter der Mission300 fühlt es sich einfach gut an, ein monatliches Grundgehalt zu bekommen”
Andreas Kissinger, Mitarbeiter Mission300, Modell XS
Was passiert am Ende des Arbeitsvertrags nach einem Jahr?
Christian Sommer: Wir haben Interesse an einer dauerhaften Zusammenarbeit auch über die Befristung hinaus. Innerhalb der Befristung arbeiten wir mit einer kurzen vierwöchigen Kündigungsfrist, die aber nur für den Mitarbeiter gilt. Das soll die Eintrittsbarriere verkleinern und sicherstellen, dass der Bewerber schnell den Vertrag beenden kann, wenn es nicht okay für ihn ist. Aktuell kann ich nicht ohne Stolz sagen, dass wir 100% derer an Bord haben, mit denen wir auch gestartet sind. Wenn beide Seiten zufrieden sind, entfristen wir das Arbeitsverhältnis, was für den Mitarbeiter eine große Sicherheit durch den gesetzlich geregelten Kündigungsschutz darstellt.
Welches Resümee kannst du nach zwölf Monaten ziehen?
Christian Sommer: Die Mission läuft und wir besetzen schrittweise die Stellen. In vereinzelten Gesprächen mit langjährigen Selbstständigen erleben wir Skepsis. Vergleichbar ist das mit dem Umstieg der Helferbuchungen auf Dienstleister mit Arbeitnehmerüberlassung. Niemand konnte sich damals vorstellen, dass das klappt. Heute ist es Standard. In manchen Regionen sind Stellen schon voll besetzt und wir können nichts mehr anbieten. Reges Interesse verzeichnen wir aktuell von den jungen Fachkräften. Sie haben nach der Ausbildung den Weg in die Selbstständigkeit gesucht oder mussten ihn gehen. Jetzt bewerben sie sich bei uns. Tolles Potenzial, welches wir nicht bekommen hätten ohne das spezielle Angebot der Mission300. Wir erleben in den Gesprächen oft, wie wenig Wissen die Selbstständigen haben, wenn es um Themen wie Rente, Versicherungen und Steuern geht. Teilweise erschreckend ist die Naivität, mit der sie ihr Gewerbe betreiben. ‚Rente mach’ ich später oder ich lege doch schon 400 Euro im Monat zurück, krank werde ich schon nicht und Unfälle passieren den anderen.‘ Auch werden immer noch gerne Umsatz und Gewinn verwechselt.
Schlusswort – was ist die Vision?
Christian Sommer: Es gibt viele Beobachter, die darauf warten, ob wir erfolgreich sind oder die Mission wieder einstellen oder krachend scheitern. Hier kann man nur entgegnen, dass wir die Mission auf jeden Fall durchziehen werden und es in Raketen keinen Rückwärtsgang gibt. Lieber wäre es uns, wenn auch andere den Mut hätten, etwas aktiv zu verändern. Wir werden und wollen die Branche verändern. Und das Ganze am liebsten mit der Branche. Deswegen auch die Bitte an Kollegen, Mitbewerber und Technikdienstleister, aber auch Veranstaltungshäuser. Meldet euch gerne, wenn Fragen zur Einführung eines ähnlichen Systems bestehen. Wir teilen gerne unsere Erfahrungen. Je mehr Unternehmen mitmachen, desto realistischer wird der Umstieg für Selbstständige.
Danke für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg.
„Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und hat’s gemacht.“ Der Satz kommt mir als erstes durch den Kopf, wenn ich an die Mission300 von Ambion denke. Ambion erfüllt mit seinem Beschäftigungskonzept mehr als nur das smarte Entgegenwirken von dem bereits spürbaren Fachkräftemangel. Es ist ein nachhaltiges Konzept, dass u.a. Qualitätssicherung, eine Stärkung des Rentensystems und auch Nachhaltigkeit am Mitarbeiter – z.B. durch bezahlten Erholungsurlaub – mit sich bringt. Es trifft den Puls der Zeit. Denn es ist flexibel und doch beidseitig verbindlich.
Unsere noch oft deklarierte junge Branche wird groß oder vielmehr muss durch ihr rasantes Wachstum schnell „erwachsen“ werden. Da wo uns Regeln – leider oftmals noch ohne praktikable oder in der Tatsache realisierbare Ansätze – vorgeschrieben werden, sind wir dann selbst angehalten eigene rechtskonforme Lösungen zu finden. Ambion übernimmt Verantwortung und findet Lösungen, anstatt das Problem zu problematisieren. Das entspricht zu 100% auch dem Handeln des VPLT e.V.!”
Linda Residovic, Geschäftsführerin des VPLT e.V.