Erklärung des Urteils des Bundesgerichtshofs durch Jurist Thomas Waetke
Merkmale für Scheinselbstständigkeit in der Eventbranche
von Thomas Waetke,
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 13.12.2018 (Az. 5 StR 275/18) ein Urteil des Landgerichts Göttingen bestätigt, mit dem der Geschäftsführer eines Unternehmens, das u. a. Personal für Bühnenaufbau, Licht- und Tontechnik für Veranstaltungen bereitstellte*, zu 18 Monaten Freiheitsstrafe (die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt) verurteilt wurde und Nachzahlungsbeträge in Höhe von über 380.000 Euro eingezogen werden. Der Hintergrund war, dass der Angeklagte 28 Personen nicht etwa als freie Mitarbeiter beauftragt hatte, sondern tatsächlich im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.
Eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Das ist der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Auf der anderen Seite steht die selbstständige Tätigkeit, die gekennzeichnet ist durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit. Maßgeblich ist dabei die sogenannte Gesamtschau, d.h. man prüft alle Merkmale. Es können also durchaus einzelne Merkmale für eine Scheinselbstständigkeit sprechen, es kommt aber letztlich darauf an, welche Merkmale in der Gesamtschau überwiegen. Der Bundesgerichtshof hat sich dabei mit den Merkmalen auseinandergesetzt, die nicht neu oder überraschend sind. Dennoch lohnt ein Blick in die einzelnen Merkmale:
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(Bild: Pixabay)
Vorgaben des „Auftraggebers“
Die zu prüfenden Personen erstellten kein für sich selbstständiges Gewerk oder arbeiteten gemeinsam an einem solchen Gewerk. Der BGH stellte fest, dass allein die Vorgaben von Ort und Zeit keine entscheidende Rolle spielen: Denn auch der Selbstständige kann seine Tätigkeit oft nur an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten erbringen müssen, weil es eben in der Natur der Sache liegt, dass die Veranstaltung an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit stattfindet. In dem konkreten Fall kam aber dazu, dass die Arbeitskräfte vor Ort spontan zu den verschiedensten Tätigkeiten eingesetzt wurden, und auch zu solchen, die gar nicht ihrer eigentlichen Qualifikation entsprachen. Der Auftraggeber (hier im Ergebnis war es also der Arbeitgeber) hatte offenbar ein Interesse daran, das fremde Personal so flexibel einzusetzen wie möglich – und das ist typisch für den Arbeitnehmerstatus.
Pflicht zur Höchstpersönlichkeit
Ein entscheidendes Merkmal war, dass die Arbeitskräfte zur höchstpersönlichen Arbeitsleistung verpflichtet waren. Auch das mag im Einzelfall möglich sein, dass die Höchstpersönlichkeit mit Blick auf Scheinselbstständigkeit also nicht „kritisch“ ist. Aber wie eingangs gesagt, entscheidet nicht das einzelne Merkmal, sondern die Summe aller Merkmale. Und wenn eine Person höchstpersönlich erscheinen muss, dann ist das eben eines von mehreren Merkmalen auf dem Weg zur Scheinselbstständigkeit.
Abrechnung nach Zeitaufwand
In dem konkreten Fall kam hinzu, dass die Arbeitskräfte nach ihrem tatsächlichen Zeitaufwand bezahlt wurden, noch dazu konnten sie die Stundensätze offenbar gar nicht aushandeln, sondern sie waren nach dem Motto „friss oder stirb“ fix vordiktiert. Ihre Leistung war auch nicht abhängig von dem Erfolg, d.h. sie haben ihr Geld pro Stunde erhalten unabhängig vom Ergebnis. Umgekehrt spricht also die Vereinbarung einer Pauschale eher für die wirkliche Selbstständigkeit: Denn hier trifft dann den Einzelunternehmer das wirtschaftliche Risiko. Bekommt er aber jede Stunde, die er auch arbeitet, genauso bezahlt, hat er auch kein wirtschaftliches Risiko. Wenn die Arbeitskraft auch – gegebenenfalls aus gelebter Übung heraus – nicht befürchten muss, für Schlecht- oder Minderleistungen weniger Geld zu bekommen, ist das ein wichtiges Indiz für Scheinselbstständigkeit: Denn der wirklich Selbstständige muss für jeden Schaden geradestehen. Im konkreten Fall schrieben die Arbeitskräfte keine Rechnungen, sondern trugen sich in eine Liste ein. Auch hier wieder: Typisch für einen Unternehmer ist, dass er Rechnungen schreibt. Muss er das nicht, bekommt aber trotzdem sein Geld, sollte das stutzig machen. Andererseits befreit eine Rechnungsstellung nicht automatisch vom Risiko der Scheinselbstständigkeit; eher spricht das Fehlen dann eher für eine Scheinselbstständigkeit.
Einheitliche Kleidung
Im gegenständlichen Fall kam weiter dazu, dass die Arbeitskräfte auf Wunsch des Auftraggebers auch einheitliche Firmenkleidung tragen sollten. Die Absicht dahinter war klar: Der Auftraggeber wollte, dass das fremde Personal nach außen den Eindruck erweckt, es gehöre dazu. Aber auch dieses Motiv spricht für die sozialversicherungspflichtige Abhängigkeit, da einheitliche Firmenkleidung eben arbeitnehmertypisch ist. Anders wäre es, wenn es beispielsweise um einheitlich „dunkle Kleidung“ geht, oder die Einheitskleidung aus rein praktischen Gründen die sinnvolle Zuordnung zu bestimmten Tätigkeitsbereichen erleichtern soll (z.B. für Technik, Catering usw.).
Möglichkeit, Aufträge abzulehnen
Im behandelten Fall kam es auch nicht auf die Tatsache an, dass die Arbeitskräfte offenbar durchaus in der Lage waren, einzelne Aufträge abzulehnen. Denn auch in einem Abrufarbeitsverhältnis steht es dem Mitarbeiter frei, einzelne Abrufe abzulehnen, zudem überwog eben – wenn ein Auftrag angenommen wurde – die dann bestehende persönliche Abhängigkeit. Auch hier spielt das Gewicht dieses Merkmals umgekehrt eine stärkere Rolle: Wenn der Mitarbeiter gar nicht wählen kann, sondern quasi den Auftrag annehmen muss, ist das ein Indiz für die Scheinselbstständigkeit.
Gewerbeanmeldung
Auch die Tatsache, dass die Arbeitskräfte ein Gewerbe angemeldet hatten, änderte nichts am Ergebnis. Denn ein Gewerbetreibender kann eben – das ist ja das Phänomen der Scheinselbstständigkeit – auch in persönlicher Abhängigkeit tätig werden. Das Merkmal gilt eher umgekehrt: Fehlt eine Gewerbeanmeldung, spricht das umso deutlicher für eine Scheinselbstständigkeit.
Tätigkeiten auch für andere Auftraggeber
Dass die Arbeitskräfte auch für andere Auftraggeber tätig waren, sprach im konkreten Fall auch nicht gegen die Scheinselbstständigkeit: Denn es kommt immer auf das konkrete Auftrags- bzw. Beschäftigungsverhältnis an, d.h. dieselbe Tätigkeit (Bühnenhelfer) kann beim Auftraggeber A eine selbstständige Tätigkeit sein, aber beim Auftraggeber B dann eine sozialversicherungspflichtige.
Sonstige arbeitsrechtliche Leistungen
Schließlich stellte der Bundesgerichtshof auch fest, dass es nicht gegen die Scheinselbstständigkeit sprechen würde, wenn der Auftraggeber keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zahlt, wie das bei Arbeitnehmern zwingend wäre. Denn die Nichterfüllung von arbeitsrechtlichen Pflichten resultiert ja typischerweise aus der Absicht oder dem Irrtum heraus, die Scheinselbstständigkeit zu vermeiden. Auch hier gilt es umgekehrt: Würde der Auftraggeber auch solche Zahlungen vornehmen (z.B. auch Urlaubsgeld), dann wäre das ein deutliches Indiz für die Scheinselbstständigkeit.
* Richtigstellung:
In der Print-Version des Artikels in der Ausgabe EVENT PARTNER 2.19 haben wir fälschlicherweise geschrieben: “Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 13.12.2018 (Az. 5 StR 275/18) ein Urteil des Landgerichts Göttingen bestätigt, mit dem ein Geschäftsführer einer Veranstaltungsstätte zu 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde und Nachzahlungsbeträge in Höhe von über 380.000 Euro eingezogen werden.”
Da wird immer so getan , als wäre das neu. Das war aber immerschon so. Was hat man sich zu diesen, seit ca 20 Jahren, Thema Vorträge usw. angehört. Ein damliger Prüfer der AOKk sagte mir, gäbe es wie in der Schweiz eine Grundpflichtversicherung für alle, hätte man diese Probleme nicht.
Da wird immer so getan , als wäre das neu. Das war aber immerschon so. Was hat man sich zu diesen, seit ca 20 Jahren, Thema Vorträge usw. angehört. Ein damliger Prüfer der AOKk sagte mir, gäbe es wie in der Schweiz eine Grundpflichtversicherung für alle, hätte man diese Probleme nicht.